Signatur: BStU, MfS, BV Suhl, AKG, Nr. 274, Bl. 154-158
Am Abend des 4. Dezember 1989 zogen tausende Demonstranten vor die Tore des Stasi-Bezirksamts in Suhl. Für den Suizid eines Stasi-Mitarbeiters in der Nacht vom 4. auf den 5. Dezember 1989 machte Generalmajor Gerhard Lange die "Provokationen" und den "Psychoterror" der Demonstranten verantwortlich. Dabei kam es weder in Suhl noch an anderen Orten zu Übergriffen von Demonstranten gegen Stasi-Offiziere.
In den Tagen und Wochen vor dem 4. Dezember 1989 war der Alltag der Suhler Stasi-Mitarbeiter geprägt von Durchhalteparolen und dem Bekenntnis zur Richtigkeit des eigenen Handelns. Angesichts der wachsenden Demonstrationszüge wollten führende Offiziere die Loyalität ihrer rund 1.700 Mitarbeiter durch eingeschliffene Feindbilder erhalten. Am 10. Oktober – noch Tage bevor in Suhl die erste öffentliche Protestveranstaltung stattfand – klagte Abteilungsleiter Oberst Hans Höfer über eine "Hetze wie noch nie" und "Scharfmacher" aus den Reihen der Bürgerrechtsbewegung "Neues Forum". Höfer befahl seinen Mitarbeitern der "Taktik der Partei" zu folgen.
Erst im November schlug die Suhler Stasi-Leitung neue Töne an. Mit der Maueröffnung am 9. November und dem Rücktritt von DDR-Regierung und SED-Politbüro waren die bisherigen Auftrag- und Befehlsgeber der Geheimpolizisten abgetreten. Am 27. November sprach Generalmajor Gerhard Lange, Chef des Stasi-Bezirksamtes Suhl, erstmals vor seinen leitenden Mitarbeitern von "Deformationen und Fehlentwicklungen" – ohne dabei die Rolle der Stasi zu erwähnen. Am 3. Dezember schließlich – einen Tag vor der Suhler Demonstration – wurde der ehemalige Minister für Staatssicherheit Erich Mielke aus der SED ausgeschlossen. Gleichzeitig wurde der langjährige 1. Sekretär der Suhler SED-Bezirksleitung, Hans Albrecht, wegen Untreue und Amtsmissbrauch angeklagt.
Für die Suhler Stasi-Mitarbeiter ereignete sich der Protestzug am 4. Dezember 1989 nicht unvorbereitet. Bereits Wochen zuvor hatte der noch amtierende Minister Erich Mielke angeordnet, Demonstranten den Zutritt zu Dienststellen und Objekten der Stasi unter allen Umständen zu verwehren.
Mielke und Lange ging es nicht nur darum, die über Jahrzehnte angehäuften Unterlagen zu zerstören. Vielmehr war beiden die außerordentliche Signalwirkung einer Betretung der Stasi-Dienstgebäude bewusst: Die Suhler Demonstranten forderten und erzwangen nichts weniger als den Zutritt zum bestgesichertsten und meistgefürchteten Ort ihres Bezirkes. Noch wenige Wochen zuvor schien es unvorstellbar auch nur ein Foto vor den Toren der Suhler Stasi-"Burg" zu schießen, geschweige denn einen Fuß in die absolute Tabuzone des Unterdrückungsapparats zu setzen. Die Stasi-Offiziere hinter dem Eingangstor erlebten am Abend des 4. Dezember den endgültigen Verlust ihres zuvor unangetasteten Machtanspruchs.
Mielkes Nachfolger Wolfgang Schwanitz hatte noch am Vormittag des 4. Dezember alle Bezirks- und Kreisämter dazu aufgefordert, das Eindringen "unberechtigter Personen" in Stasi-Liegenschaften "unbedingt zu verhindern", mit "alle[n] zur Verfügung stehenden Mittel[n] [...] – außer gezielte Schusswaffenanwendung"..
Der einzige Schuss der Demonstrationsnacht fiel nicht am Eingangstor der Suhler Stasi-Zentrale, sondern im dritten Obergeschoss des Dienstgebäudes. Gegen 0:30 Uhr versetzte sich Stasi-Major Armin Knoll in seinem Büro einen Kopfschuss, an dessen Folgen er wenig später verstarb. Knolls Motive sind bis heute umstritten. Generalmajor Lange machte in einem späteren handschriftlichen Bericht den "Psychoterror" der Demonstranten verantwortlich, der für Knoll "nicht mehr zu ertragen" gewesen sei. In dem vorliegenden Entwurf eines Fernschreibens berichtet Lange über die Ereignisse in der Nacht des 4. auf den 5. Dezember 1989 und den Suizid Knolls. Adressat war der damalige Leiter des Amtes für Nationale Sicherheit, Wolfgang Schwanitz.
[Die Seite wurde komplett durchgestrichen.]
Anlaß Ereignisse Bln Lpz. Erfurt der letzten Tage ([unleserlich]
Pfarrer Stühler, Wallmann
telef. Verbindungsanfr. Leiter BA
- Vetreter von 10 Personen vorsprechen zu können
- analog Eft. Lpz. Räume zu besichtigen
19:30 Stadthalle Veranstaltung NF mit ca 3.000 Teilnehmer
Begründung der Absicht
Rechenschaft über erhaltene Möglichkeiten zur Besichtigung
Gesprächsgruppe 10 NF u. 1 ADN-Korr.
Leiter BA, Leiter KA und 3 Stellvertreter
da kein Staatsanwalt anwesend war, wurde Gespräch ohne Besichtigung durchgeführt
Fernschreiben des Leiters des Amtes verlesen und darüber diskutiert
- Veröffentlichung in Medien
- Fordg Gruppen zu bilden und Kontrollen durchzuführen
- kein unmittelbare Einsichtantrag auf KoKo
- keine Besichtigung
- [durchgestrichen: kein] Gesprächsangebot wurde durch Vertreter nicht angenommen
Hauptsprecher Pfarrer Stühler, [unleserlich]
- Stadthalle haben berichtet, daß sie nicht zum Zuge gekommen sind
keine gewünschte Besichtigung
Vorschlag Demo am Mittwoch 14:00 Uhr mit Staatsanwalt
erfolgte Abstimmung in Stadthalle - Gewaltsam einzudringen
angeblich wären die Versiche des NF zur Besichtigung der [unleserlich] negiert worden
Gegen 21:30 hatten sich vor Haupteingang der [durchgestrichen; unleserlich] ca. 3.000 Personen versammelt und forderten gewaltsamen Einlaß. Dabei wurde das Haupttor [durchgestrichen: wurde] stark beschädigt.
Verhandlungen die sich bis 23:00 Uhr hinzogen, führten
Die Umwandlung des MfS in ein AfNS erfolgte im Zusammenhang mit der Neubildung der Regierung durch Ministerpräsident Hans Modrow am 17./18.11.1989. Zum Leiter des Amtes wurde Schwanitz gewählt. War Mielke als Minister für Staatssicherheit noch dem Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates der DDR und faktisch dem SED-Generalsekretär unterstellt gewesen, so ordnete man Schwanitz dem Vorsitzenden des Ministerrates unter. In der Regierungserklärung wurde dem neuen Amt vorgegeben, dass »neues Denken in Fragen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit« auch von diesem Bereich erwartet werde und dass der Apparat zu verkleinern sei. Näheres hätte in einem Gesetz geregelt werden müssen, das geplant wurde, aber nie verabschiedet worden ist. Noch am Tag seiner Wahl informierte der neue Amtschef die Mitarbeiter der Staatssicherheit, dass der »Prozess der revolutionären Erneuerung« vorbehaltlos zu unterstützen sei. Kommissionen zur Neustrukturierung wurden eingerichtet und die Diensteinheiten aufgefordert, eigene Vorschläge einzubringen. Dies waren Versuche einer technokratischen Reform, die von der alten Generalsriege angeleitet wurden. Angekündigt wurde, das Personal abzubauen – zuerst ging es um 10 %, zwei Wochen später war die Vorgabe bereits eine Reduktion um 50 %. Das alte Feindbild sollte nicht mehr gelten: »Andersdenkende« seien jetzt zu tolerieren, nur »Verfassungsfeinde« zu bekämpfen. Unklar blieb, wer Letzteren in einer Zeit zuzurechnen war, in der die Verfassung selbst zur Disposition stand. Zugleich wurde die Aktenvernichtung in diesen Wochen fortgesetzt, viele inoffizielle Mitarbeiter »abgeschaltet«. Die Mitarbeiter waren zunehmend verunsichert und demotiviert. Anfang Dezember beschleunigte sich der revolutionäre Umbruch: Am 1.12.1989 wurde die führende Rolle der SED aus der Verfassung gestrichen, am 3. trat das ZK der SED zurück, am 4. und 5.12. besetzten aufgebrachte Bürger KD und Bezirksämter des AfNS. Die Stasi-Mitarbeiter leisteten keinen gewaltsamen Widerstand. Am 5.12. trat das Kollegium des AfNS zurück. In den folgenden Tagen wurden die Leiter der meisten Hauptabteilungen und der Bezirksämter abgesetzt. Am 7.12.1989 forderte der Zentrale Runde Tisch die Auflösung des AfNS – auch mit den Stimmen der SED-Sprecher. Am 14.12. wurde durch den Ministerrat beschlossen, das AfNS aufzulösen und durch einen sehr viel kleineren Verfassungsschutz (ca. 10 000 Mitarbeiter) und einen mit ca. 4000 Mitarbeitern gegenüber der HV A fast unveränderten Nachrichtendienst zu ersetzen. In diese Dienste sollten keine ehemaligen Führungskader der Staatssicherheit übernommen werden. Parallel dazu bestand aber das »AfNS in Auflösung« fort, dessen Leiter den alten Apparat abwickeln sollten. Das war eine Ambivalenz, die das allgemeine Misstrauen weiter verstärkte und die Forderung nach vollständiger Auflösung der Geheimpolizei wieder lauter werden ließ.
Aufklärung hatte innerhalb des MfS unterschiedliche Bedeutungen: Sie wird zur Bezeichnung des Tätigkeitsbereiches der Auslandsspionage verwendet, die überwiegend von der HV A getragen wurde, die teilweise auch kurz als Aufklärung bezeichnet wird. Darüber hinaus findet der Begriff Verwendung bei der Bezeichnung von Sachverhaltsermittlungen (Aufklärung eines Sachverhalts) und von Überprüfungen der Eignung von IM-Kandidaten (Aufklärung des Kandidaten).
1978 wurden die AIG der Bezirksverwaltungen mit der Integration des Kontrollwesens in Auswertungs- und Kontrollgruppen umgewandelt. Analog zur ZAIG waren die AKG jetzt das Funktionalorgan der Leiter der BV mit den Aufgaben Auswertung und Information, Planung, Überprüfung und Kontrolle, Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen und Weisungen sowie EDV. Darüber hinaus wurden die AKG auch für Öffentlichkeitsarbeit zuständig, die im Ministerium noch bis 1985 der Abteilung Agitation bzw. der Arbeitsgruppe Öffentliche Verbindungen zugeordnet war. 1979 wurden auch in den meisten selbständigen Abteilungen und Hauptabteilungen der MfS-Zentrale AKG gebildet. Die AKG unterstanden den Leitern der jeweiligen Diensteinheit, wurden aber fachlich von der ZAIG angeleitet.
Vorgangsart von 1953 bis 1960. In Beobachtungsvorgängen wurden Personen erfasst, die als potenziell oder tatsächlich politisch unzuverlässig oder feindlich eingestellt galten und daher vorbeugend beobachtet wurden. Dazu gehörten etwa ehemalige NS-Funktionsträger, ehemalige Sozialdemokraten, Teilnehmer an den Aktionen des 17. Juni 1953 sowie Personen, die aus dem Westen zugezogen waren. Die Vorgangsart verlor nach und nach an Bedeutung. 1960 gingen noch bestehende Beobachtungsvorgänge in den zugehörigen Objektvorgängen auf. Der Beobachtungsvorgang war zentral in der Abteilung XII zu registrieren, die betroffenen Personen in der zentralen Personenkartei F 16 zu erfassen.
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
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Signatur: BStU, MfS, BV Suhl, AKG, Nr. 274, Bl. 154-158
Am Abend des 4. Dezember 1989 zogen tausende Demonstranten vor die Tore des Stasi-Bezirksamts in Suhl. Für den Suizid eines Stasi-Mitarbeiters in der Nacht vom 4. auf den 5. Dezember 1989 machte Generalmajor Gerhard Lange die "Provokationen" und den "Psychoterror" der Demonstranten verantwortlich. Dabei kam es weder in Suhl noch an anderen Orten zu Übergriffen von Demonstranten gegen Stasi-Offiziere.
In den Tagen und Wochen vor dem 4. Dezember 1989 war der Alltag der Suhler Stasi-Mitarbeiter geprägt von Durchhalteparolen und dem Bekenntnis zur Richtigkeit des eigenen Handelns. Angesichts der wachsenden Demonstrationszüge wollten führende Offiziere die Loyalität ihrer rund 1.700 Mitarbeiter durch eingeschliffene Feindbilder erhalten. Am 10. Oktober – noch Tage bevor in Suhl die erste öffentliche Protestveranstaltung stattfand – klagte Abteilungsleiter Oberst Hans Höfer über eine "Hetze wie noch nie" und "Scharfmacher" aus den Reihen der Bürgerrechtsbewegung "Neues Forum". Höfer befahl seinen Mitarbeitern der "Taktik der Partei" zu folgen.
Erst im November schlug die Suhler Stasi-Leitung neue Töne an. Mit der Maueröffnung am 9. November und dem Rücktritt von DDR-Regierung und SED-Politbüro waren die bisherigen Auftrag- und Befehlsgeber der Geheimpolizisten abgetreten. Am 27. November sprach Generalmajor Gerhard Lange, Chef des Stasi-Bezirksamtes Suhl, erstmals vor seinen leitenden Mitarbeitern von "Deformationen und Fehlentwicklungen" – ohne dabei die Rolle der Stasi zu erwähnen. Am 3. Dezember schließlich – einen Tag vor der Suhler Demonstration – wurde der ehemalige Minister für Staatssicherheit Erich Mielke aus der SED ausgeschlossen. Gleichzeitig wurde der langjährige 1. Sekretär der Suhler SED-Bezirksleitung, Hans Albrecht, wegen Untreue und Amtsmissbrauch angeklagt.
Für die Suhler Stasi-Mitarbeiter ereignete sich der Protestzug am 4. Dezember 1989 nicht unvorbereitet. Bereits Wochen zuvor hatte der noch amtierende Minister Erich Mielke angeordnet, Demonstranten den Zutritt zu Dienststellen und Objekten der Stasi unter allen Umständen zu verwehren.
Mielke und Lange ging es nicht nur darum, die über Jahrzehnte angehäuften Unterlagen zu zerstören. Vielmehr war beiden die außerordentliche Signalwirkung einer Betretung der Stasi-Dienstgebäude bewusst: Die Suhler Demonstranten forderten und erzwangen nichts weniger als den Zutritt zum bestgesichertsten und meistgefürchteten Ort ihres Bezirkes. Noch wenige Wochen zuvor schien es unvorstellbar auch nur ein Foto vor den Toren der Suhler Stasi-"Burg" zu schießen, geschweige denn einen Fuß in die absolute Tabuzone des Unterdrückungsapparats zu setzen. Die Stasi-Offiziere hinter dem Eingangstor erlebten am Abend des 4. Dezember den endgültigen Verlust ihres zuvor unangetasteten Machtanspruchs.
Mielkes Nachfolger Wolfgang Schwanitz hatte noch am Vormittag des 4. Dezember alle Bezirks- und Kreisämter dazu aufgefordert, das Eindringen "unberechtigter Personen" in Stasi-Liegenschaften "unbedingt zu verhindern", mit "alle[n] zur Verfügung stehenden Mittel[n] [...] – außer gezielte Schusswaffenanwendung"..
Der einzige Schuss der Demonstrationsnacht fiel nicht am Eingangstor der Suhler Stasi-Zentrale, sondern im dritten Obergeschoss des Dienstgebäudes. Gegen 0:30 Uhr versetzte sich Stasi-Major Armin Knoll in seinem Büro einen Kopfschuss, an dessen Folgen er wenig später verstarb. Knolls Motive sind bis heute umstritten. Generalmajor Lange machte in einem späteren handschriftlichen Bericht den "Psychoterror" der Demonstranten verantwortlich, der für Knoll "nicht mehr zu ertragen" gewesen sei. In dem vorliegenden Entwurf eines Fernschreibens berichtet Lange über die Ereignisse in der Nacht des 4. auf den 5. Dezember 1989 und den Suizid Knolls. Adressat war der damalige Leiter des Amtes für Nationale Sicherheit, Wolfgang Schwanitz.
zu keinem Erfolg. Es wurden im Sprechchor die hinlänglich bekannten Losungen gerufen
Gegen 23:00 Uhr [durchgestrichen: Abordug] wurde in dem zunehmenden Druck und [durchgstrichen: das] die unmittelbare Eskalation und das bevorstehende Eindringen zu begegnen entschieden von 15 Personen [durchgestrichen: wurde] in das Objekt des BA eingelassen.
[durchgestrichen: im wesentlichen die gleichen P. wie 19:30 Uhr
dort wurde] Von Vertr. des NF massiv gefordert alle Räume zu besichtigen und [durchgestrichen: besonders Archiv] nach Ermessen versiegeln zu lassen.
Vom Ltr. des BA wurde auf die Ungesetzlichkeit einer solchen Handlung ohne Teilnahme eines Staatsanwaltes hingewiesen.
Bereits durch telefon. Vorinformation wurde durch ADN-Mitarbeiter sowie dem Bezirksstaatsanwalt an den Ltr. des BA das Ansinnen gestellt, den Sprechern des NF Einlaß zu gewähren.
[durchgestrichen: Nach Erscheinen des Bezirksstaatsanwaltes gegen]
Gegen 23:10 kam es zu einer Eskalation mit vereinzelten Übersteigen des Eingangstores. Trotz Einsatz von Reizabwehrmittel und eines Wasserstrahl[unleserlich] [durchgestrichen: wurde] konnte das Eindringen [durchgestrichen: einzel] mehrerer Sympathisanten des NF nicht verhindert werden. + in der [unleserlich] des Amtes
[durchgestrichen: Durch eine Kurzschlußreaktion eines zur Sicherung eingesetzten Gen. wurde kurzzeitig Tränengas versprüht.]
Nach Erscheinen des Staatsanwaltes gegen 23:30 Uhr wurde mit den 15 eingelassenen Personen nach [durchgestrichen: kurzer] längerer Verständigung über die Absichten des Vertreters des NF folgende Räume [durchgestrichen: durch] besichtigt:
[durchgestrichen: Vertreter]
Bdt Poststelle, Diensträume, Leiter, Stellv. KA Suhl (Panzerschränke versiegelt], Arbeitsräume der Abt. XI, Computerraum der Abt. XII, [Stahlblechschränke versiegelt] AT2 - der [unleserlich] der Abt. XII (versiegelt) sowie die Registerbücher der Abt. XII [durchgestrichen: ohne in] in einer [unleserlich] ohne Einsichtnahme versiegelt.
Besichtigt wurde ebenfalls der Kellerraum. [durchgestrichen: mit dem Reißwolf.]
> Von diesen Sympathisanten gelang keinen das Eindringen in das Gebäude des Bezirksamtes.
Abteilung zur Speicherung und Verwaltung von Informationen zu Personen und formgerecht geführten Vorgängen (Registratur und Archivaufgaben). 1950 als Abteilung Erfassung und Statistik gebildet, wurde sie 1951 in Abt. XII umbenannt und gehörte zu den auf der Linie des Ministers tätigen Diensteinheiten.
Abteilungen XII existierten in der Zentrale und dem Linienprinzip entsprechend in den BV. Die Kreisdienststellen (KD) archivierten ihre Ablagen nicht selbständig. Die HV A und die HA I besaßen jeweils eigene Registraturabteilungen, die karteimäßig mit der Zentrale verbunden waren. Die Abt. XII bestand aus den Bereichen Kartei und Archiv mit folgenden Hauptaufgaben: Kartei- bzw. Speicherführung und -änderung (Erfassung von Personen und Objekten; Registrierung von Vorgängen und archivierten Akten; Änderung von Personen- und / oder Erfassungsdaten), Archivierung, Überprüfung und Auskunftserteilung.
Die Grunddaten zu erfassten Personen und registrierten Vorgängen wurden in Karteien gespeichert. So war es möglich, jede Person zu überprüfen, zu identifizieren und ihr Verhältnis zum MfS festzustellen. Anfangs existierten für die Erfassung von Personen nur drei Kategorien: 1. "feindliche" Personen; 2. geheime Mitarbeiter (GM, GI, KW); 3. durch das MfS verhaftete Personen.
In den letzten 20 Jahren des MfS gab es im Bereich Kartei folgende wichtige Speicher: Personenkartei (F 16), Vorgangskartei (F 22, F 22 a), Feindobjektkartei (F 17), Decknamenkartei (F 77), Straßenkartei (F 78), Objektkartei für Konspirative Wohnungen und andere Objekte (F 80), IM-Vorauswahlkartei (IM-VAK). Außerdem gab es Neben- und Hilfskarteien. Allein in der Zentrale umfassten 1989 die 12 Hauptkarteien mehr als 18 Mio. Karteikarten.
Die Arbeiten in den Speichern und im Archiv erfolgten ausschließlich auf Anforderung der operativen Diensteinheiten. Diese konnten veranlassen, dass eine Person überprüft, erfasst bzw. ein Vorgang registriert (Registrierung) wurde. Um Mehrfachbearbeitungen zu vermeiden, durfte eine Person nur in einem registrierten Vorgang aktiv erfasst werden (Erfassung, aktive), umgekehrt konnten in einem Vorgang aber mehrere Personen registriert werden. Bei IM-Vorgängen wurde nur eine Person registriert, allerdings nicht bei der Hauptverwaltung A (HV A), wo neben dem IM auch Angehörige und mit dem IM in Verbindung stehende Personen im selben IM-Vorgang registriert werden konnten (Rosenholz).
Hauptaufgaben des Bereichs Archiv der Zentrale waren v. a.: Archivierung politisch- operativen Schriftgutes der Zentrale und speziellen Schriftgutes der BV; Archivierung von Schriftgut anderer staatlicher Institutionen; Erarbeitung und Speicherung von schriftlichen Auskünften; Ausleihe und Nachweisführung über Bewegung von Archivgut, Zuheftung, Kassation und Restaurierung.
Die Bestände teilten sich in die Operative Hauptablage, die Allgemeine Sachablage, den Bestand Kader und Schulung, den Bestand an Akten der Staatsanwaltschaft sowie diverse Sonderbestände und Teilablagen, darunter die Geheime Ablage sowie Akten der Verwaltung Aufklärung des Ministeriums für Nationale Verteidigung und Unterlagen aus der Zeit vor 1945, die aber bereits in den 60er Jahren in das gesonderte Archiv der HA IX/11 abgegeben wurden.
Zuletzt gab es Kategorien für ca. 30 verschiedene Erfassungsarten, die sämtlich separat geführt wurden, darunter: Untersuchungsvorgang, Operativer Vorgang, Operative Personenkontrolle, inoffizieller Mitarbeiter, Zelleninformator, Feindobjekt. Analog zur Registriernummer bei aktiven Vorgängen wurde für jede abzulegende Akte eine eigene Archivnummer vergeben.
Seit Beginn der 70er Jahre setzte das MfS zunehmend auf EDV, was in der Abteilung XII die Erfassung der zentralen Personenkartei F 16 in der elektronischen Datenbank System der automatischen Vorauswahl (SAVO) zur Folge hatte. Ab 1981 begann auch die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) mittels der Zentralen Personendatenbank (ZPDB) Einzelinformationen zu Personen und Sachverhalten elektronisch zu speichern. Trotzdem behielten manuell geführte Karteien und schriftliches Archiv bis zuletzt ihre grundlegende Bedeutung.
Die Umwandlung des MfS in ein AfNS erfolgte im Zusammenhang mit der Neubildung der Regierung durch Ministerpräsident Hans Modrow am 17./18.11.1989. Zum Leiter des Amtes wurde Schwanitz gewählt. War Mielke als Minister für Staatssicherheit noch dem Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates der DDR und faktisch dem SED-Generalsekretär unterstellt gewesen, so ordnete man Schwanitz dem Vorsitzenden des Ministerrates unter. In der Regierungserklärung wurde dem neuen Amt vorgegeben, dass »neues Denken in Fragen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit« auch von diesem Bereich erwartet werde und dass der Apparat zu verkleinern sei. Näheres hätte in einem Gesetz geregelt werden müssen, das geplant wurde, aber nie verabschiedet worden ist. Noch am Tag seiner Wahl informierte der neue Amtschef die Mitarbeiter der Staatssicherheit, dass der »Prozess der revolutionären Erneuerung« vorbehaltlos zu unterstützen sei. Kommissionen zur Neustrukturierung wurden eingerichtet und die Diensteinheiten aufgefordert, eigene Vorschläge einzubringen. Dies waren Versuche einer technokratischen Reform, die von der alten Generalsriege angeleitet wurden. Angekündigt wurde, das Personal abzubauen – zuerst ging es um 10 %, zwei Wochen später war die Vorgabe bereits eine Reduktion um 50 %. Das alte Feindbild sollte nicht mehr gelten: »Andersdenkende« seien jetzt zu tolerieren, nur »Verfassungsfeinde« zu bekämpfen. Unklar blieb, wer Letzteren in einer Zeit zuzurechnen war, in der die Verfassung selbst zur Disposition stand. Zugleich wurde die Aktenvernichtung in diesen Wochen fortgesetzt, viele inoffizielle Mitarbeiter »abgeschaltet«. Die Mitarbeiter waren zunehmend verunsichert und demotiviert. Anfang Dezember beschleunigte sich der revolutionäre Umbruch: Am 1.12.1989 wurde die führende Rolle der SED aus der Verfassung gestrichen, am 3. trat das ZK der SED zurück, am 4. und 5.12. besetzten aufgebrachte Bürger KD und Bezirksämter des AfNS. Die Stasi-Mitarbeiter leisteten keinen gewaltsamen Widerstand. Am 5.12. trat das Kollegium des AfNS zurück. In den folgenden Tagen wurden die Leiter der meisten Hauptabteilungen und der Bezirksämter abgesetzt. Am 7.12.1989 forderte der Zentrale Runde Tisch die Auflösung des AfNS – auch mit den Stimmen der SED-Sprecher. Am 14.12. wurde durch den Ministerrat beschlossen, das AfNS aufzulösen und durch einen sehr viel kleineren Verfassungsschutz (ca. 10 000 Mitarbeiter) und einen mit ca. 4000 Mitarbeitern gegenüber der HV A fast unveränderten Nachrichtendienst zu ersetzen. In diese Dienste sollten keine ehemaligen Führungskader der Staatssicherheit übernommen werden. Parallel dazu bestand aber das »AfNS in Auflösung« fort, dessen Leiter den alten Apparat abwickeln sollten. Das war eine Ambivalenz, die das allgemeine Misstrauen weiter verstärkte und die Forderung nach vollständiger Auflösung der Geheimpolizei wieder lauter werden ließ.
Aufklärung hatte innerhalb des MfS unterschiedliche Bedeutungen: Sie wird zur Bezeichnung des Tätigkeitsbereiches der Auslandsspionage verwendet, die überwiegend von der HV A getragen wurde, die teilweise auch kurz als Aufklärung bezeichnet wird. Darüber hinaus findet der Begriff Verwendung bei der Bezeichnung von Sachverhaltsermittlungen (Aufklärung eines Sachverhalts) und von Überprüfungen der Eignung von IM-Kandidaten (Aufklärung des Kandidaten).
1978 wurden die AIG der Bezirksverwaltungen mit der Integration des Kontrollwesens in Auswertungs- und Kontrollgruppen umgewandelt. Analog zur ZAIG waren die AKG jetzt das Funktionalorgan der Leiter der BV mit den Aufgaben Auswertung und Information, Planung, Überprüfung und Kontrolle, Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen und Weisungen sowie EDV. Darüber hinaus wurden die AKG auch für Öffentlichkeitsarbeit zuständig, die im Ministerium noch bis 1985 der Abteilung Agitation bzw. der Arbeitsgruppe Öffentliche Verbindungen zugeordnet war. 1979 wurden auch in den meisten selbständigen Abteilungen und Hauptabteilungen der MfS-Zentrale AKG gebildet. Die AKG unterstanden den Leitern der jeweiligen Diensteinheit, wurden aber fachlich von der ZAIG angeleitet.
Vorgangsart von 1953 bis 1960. In Beobachtungsvorgängen wurden Personen erfasst, die als potenziell oder tatsächlich politisch unzuverlässig oder feindlich eingestellt galten und daher vorbeugend beobachtet wurden. Dazu gehörten etwa ehemalige NS-Funktionsträger, ehemalige Sozialdemokraten, Teilnehmer an den Aktionen des 17. Juni 1953 sowie Personen, die aus dem Westen zugezogen waren. Die Vorgangsart verlor nach und nach an Bedeutung. 1960 gingen noch bestehende Beobachtungsvorgänge in den zugehörigen Objektvorgängen auf. Der Beobachtungsvorgang war zentral in der Abteilung XII zu registrieren, die betroffenen Personen in der zentralen Personenkartei F 16 zu erfassen.
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
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Signatur: BStU, MfS, BV Suhl, AKG, Nr. 274, Bl. 154-158
Am Abend des 4. Dezember 1989 zogen tausende Demonstranten vor die Tore des Stasi-Bezirksamts in Suhl. Für den Suizid eines Stasi-Mitarbeiters in der Nacht vom 4. auf den 5. Dezember 1989 machte Generalmajor Gerhard Lange die "Provokationen" und den "Psychoterror" der Demonstranten verantwortlich. Dabei kam es weder in Suhl noch an anderen Orten zu Übergriffen von Demonstranten gegen Stasi-Offiziere.
In den Tagen und Wochen vor dem 4. Dezember 1989 war der Alltag der Suhler Stasi-Mitarbeiter geprägt von Durchhalteparolen und dem Bekenntnis zur Richtigkeit des eigenen Handelns. Angesichts der wachsenden Demonstrationszüge wollten führende Offiziere die Loyalität ihrer rund 1.700 Mitarbeiter durch eingeschliffene Feindbilder erhalten. Am 10. Oktober – noch Tage bevor in Suhl die erste öffentliche Protestveranstaltung stattfand – klagte Abteilungsleiter Oberst Hans Höfer über eine "Hetze wie noch nie" und "Scharfmacher" aus den Reihen der Bürgerrechtsbewegung "Neues Forum". Höfer befahl seinen Mitarbeitern der "Taktik der Partei" zu folgen.
Erst im November schlug die Suhler Stasi-Leitung neue Töne an. Mit der Maueröffnung am 9. November und dem Rücktritt von DDR-Regierung und SED-Politbüro waren die bisherigen Auftrag- und Befehlsgeber der Geheimpolizisten abgetreten. Am 27. November sprach Generalmajor Gerhard Lange, Chef des Stasi-Bezirksamtes Suhl, erstmals vor seinen leitenden Mitarbeitern von "Deformationen und Fehlentwicklungen" – ohne dabei die Rolle der Stasi zu erwähnen. Am 3. Dezember schließlich – einen Tag vor der Suhler Demonstration – wurde der ehemalige Minister für Staatssicherheit Erich Mielke aus der SED ausgeschlossen. Gleichzeitig wurde der langjährige 1. Sekretär der Suhler SED-Bezirksleitung, Hans Albrecht, wegen Untreue und Amtsmissbrauch angeklagt.
Für die Suhler Stasi-Mitarbeiter ereignete sich der Protestzug am 4. Dezember 1989 nicht unvorbereitet. Bereits Wochen zuvor hatte der noch amtierende Minister Erich Mielke angeordnet, Demonstranten den Zutritt zu Dienststellen und Objekten der Stasi unter allen Umständen zu verwehren.
Mielke und Lange ging es nicht nur darum, die über Jahrzehnte angehäuften Unterlagen zu zerstören. Vielmehr war beiden die außerordentliche Signalwirkung einer Betretung der Stasi-Dienstgebäude bewusst: Die Suhler Demonstranten forderten und erzwangen nichts weniger als den Zutritt zum bestgesichertsten und meistgefürchteten Ort ihres Bezirkes. Noch wenige Wochen zuvor schien es unvorstellbar auch nur ein Foto vor den Toren der Suhler Stasi-"Burg" zu schießen, geschweige denn einen Fuß in die absolute Tabuzone des Unterdrückungsapparats zu setzen. Die Stasi-Offiziere hinter dem Eingangstor erlebten am Abend des 4. Dezember den endgültigen Verlust ihres zuvor unangetasteten Machtanspruchs.
Mielkes Nachfolger Wolfgang Schwanitz hatte noch am Vormittag des 4. Dezember alle Bezirks- und Kreisämter dazu aufgefordert, das Eindringen "unberechtigter Personen" in Stasi-Liegenschaften "unbedingt zu verhindern", mit "alle[n] zur Verfügung stehenden Mittel[n] [...] – außer gezielte Schusswaffenanwendung"..
Der einzige Schuss der Demonstrationsnacht fiel nicht am Eingangstor der Suhler Stasi-Zentrale, sondern im dritten Obergeschoss des Dienstgebäudes. Gegen 0:30 Uhr versetzte sich Stasi-Major Armin Knoll in seinem Büro einen Kopfschuss, an dessen Folgen er wenig später verstarb. Knolls Motive sind bis heute umstritten. Generalmajor Lange machte in einem späteren handschriftlichen Bericht den "Psychoterror" der Demonstranten verantwortlich, der für Knoll "nicht mehr zu ertragen" gewesen sei. In dem vorliegenden Entwurf eines Fernschreibens berichtet Lange über die Ereignisse in der Nacht des 4. auf den 5. Dezember 1989 und den Suizid Knolls. Adressat war der damalige Leiter des Amtes für Nationale Sicherheit, Wolfgang Schwanitz.
Während eines Abschlußgespräches wurde durch Vertreter des NF + ein Ereignis Protokoll über den Ablauf der Besichtigung [durchgestrichen: und das versiegeln] erstellt. Es wurde festgelegt, daß in den nächsten Tagen eine unabhängige Untersuchungskommission unter Leitung des Bezirksstaatsanwaltes mit Vertretern des NF die [durchgestrichen: versiegelten Stahlblechschränke] in den genannten Räumlichkeiten dei Stahlblechschränke inhaltlich und stichprobenartig überprüft werden.
Darüber hinaus wurde gefordert bei diesen Untersuchungen auch die sogenannten Telefonabhöranlagen zu besichtigen +
Im Anschluß an das Gespräch wurden gegen 02:30 UIhr durch Pfarrer Winkelmann, dem Leiter des B-Amtes und dem Bezirksstaatsanwalt Erklärungen abgegeben in deren Folge die sich noch aus ca. 200 Personen [durchgestrichen: befind] bestehende Ansammlung auflöste.
Durch die Vertreter des NF wurde während des Abschlußgespräches im Rahmen der Sicherheitspartnerschaft die Zusage gegeben, durch eigene Ordnergruppen bei künftigen [unleserlich] eine Eskalation im Bereich des Bezirksamtes zu verhindern. Während der ständig anhaltenden Provokationen am Haupteingang [durchgestrichen: und] des Bezirksamtes die von den im Haus befindlichen Mitarbeiter als Psychoterror wahrgenommen wurden versuchte der MA der AGL Major Knoll um 00:30 Uhr nachdem er geäußert hatte, [unterstrichen: diese Belastung nicht mehr zu ertragen] Suicid [durchgestrichen: mit seiner] [eingefügt: durch Kopfschuß] in seinem Dienstzimmer zu begehen. Gen. Knoll wurde mit geringen Überlebenschancen in das BKH Suhl eingeliefert.
+ unter Anwesenheit des Leiters der BA, des Bezirksstaatsanwalt und ADN-Korr.
+^2 Es wurde mehrmals die Forderung erhoben das [durchgestrichen: zur] Mikrofilmarchiv zu besichtigen und zu versiegeln.
Operative Beobachtung
Die Beobachtung zählte zu den konspirativen Ermittlungsmethoden, die in der Regel von operativen Diensteinheiten in Auftrag gegeben und von hauptamtlichen Mitarbeitern der Linie VIII (Hauptabteilung VIII) durchgeführt wurden. Dabei wurden sog. Zielpersonen (Beobachtungsobjekte genannt) über einen festgelegten Zeitraum beobachtet, um Hinweise über Aufenthaltsorte, Verbindungen, Arbeitsstellen, Lebensgewohnheiten und ggf. strafbare Handlungen herauszufinden. Informationen aus Beobachtungen flossen in Operative Personenkontrollen, Operative Vorgänge oder Sicherheitsüberprüfungen ein. Im westlichen Ausland wurden Beobachtungen meist von IM unter falscher Identität ausgeführt.
Konspirative Ermittlungsmethode, auch als "Maßnahme B" bezeichnet, wurde definiert als "akustische Überwachung in geschlossenen und von begrenzten freien Räumen". MfS-Techniker der Abteilung 26 bauten Abhöranlagen heimlich in Hotels, Haftanstalten, Wohn- und Geschäftsräumen ein. Raumüberwachungen wurden nicht nur in konkreten Verdachtsfällen veranlasst, sondern dienten teilweise auch der vorbeugenden Überwachung.
Die Umwandlung des MfS in ein AfNS erfolgte im Zusammenhang mit der Neubildung der Regierung durch Ministerpräsident Hans Modrow am 17./18.11.1989. Zum Leiter des Amtes wurde Schwanitz gewählt. War Mielke als Minister für Staatssicherheit noch dem Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates der DDR und faktisch dem SED-Generalsekretär unterstellt gewesen, so ordnete man Schwanitz dem Vorsitzenden des Ministerrates unter. In der Regierungserklärung wurde dem neuen Amt vorgegeben, dass »neues Denken in Fragen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit« auch von diesem Bereich erwartet werde und dass der Apparat zu verkleinern sei. Näheres hätte in einem Gesetz geregelt werden müssen, das geplant wurde, aber nie verabschiedet worden ist. Noch am Tag seiner Wahl informierte der neue Amtschef die Mitarbeiter der Staatssicherheit, dass der »Prozess der revolutionären Erneuerung« vorbehaltlos zu unterstützen sei. Kommissionen zur Neustrukturierung wurden eingerichtet und die Diensteinheiten aufgefordert, eigene Vorschläge einzubringen. Dies waren Versuche einer technokratischen Reform, die von der alten Generalsriege angeleitet wurden. Angekündigt wurde, das Personal abzubauen – zuerst ging es um 10 %, zwei Wochen später war die Vorgabe bereits eine Reduktion um 50 %. Das alte Feindbild sollte nicht mehr gelten: »Andersdenkende« seien jetzt zu tolerieren, nur »Verfassungsfeinde« zu bekämpfen. Unklar blieb, wer Letzteren in einer Zeit zuzurechnen war, in der die Verfassung selbst zur Disposition stand. Zugleich wurde die Aktenvernichtung in diesen Wochen fortgesetzt, viele inoffizielle Mitarbeiter »abgeschaltet«. Die Mitarbeiter waren zunehmend verunsichert und demotiviert. Anfang Dezember beschleunigte sich der revolutionäre Umbruch: Am 1.12.1989 wurde die führende Rolle der SED aus der Verfassung gestrichen, am 3. trat das ZK der SED zurück, am 4. und 5.12. besetzten aufgebrachte Bürger KD und Bezirksämter des AfNS. Die Stasi-Mitarbeiter leisteten keinen gewaltsamen Widerstand. Am 5.12. trat das Kollegium des AfNS zurück. In den folgenden Tagen wurden die Leiter der meisten Hauptabteilungen und der Bezirksämter abgesetzt. Am 7.12.1989 forderte der Zentrale Runde Tisch die Auflösung des AfNS – auch mit den Stimmen der SED-Sprecher. Am 14.12. wurde durch den Ministerrat beschlossen, das AfNS aufzulösen und durch einen sehr viel kleineren Verfassungsschutz (ca. 10 000 Mitarbeiter) und einen mit ca. 4000 Mitarbeitern gegenüber der HV A fast unveränderten Nachrichtendienst zu ersetzen. In diese Dienste sollten keine ehemaligen Führungskader der Staatssicherheit übernommen werden. Parallel dazu bestand aber das »AfNS in Auflösung« fort, dessen Leiter den alten Apparat abwickeln sollten. Das war eine Ambivalenz, die das allgemeine Misstrauen weiter verstärkte und die Forderung nach vollständiger Auflösung der Geheimpolizei wieder lauter werden ließ.
Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder dessen Stellvertreter direkt angeleitet und durch militärische Einzelleiter geführt wurde. Die weiter untergliederten AG prägten Linien aus (z. B. Zentrale Arbeitsgruppe Geheimnisschutz – ZAGG) oder blieben auf die Zentrale beschränkt (z. B. AG XVII). Die monothematischen Zuständigkeiten konnten operative Verantwortung und Federführung einschließen. AG wird auch als Bezeichnung einer nichtstrukturellen Organisationsform oder unselbständigen Untergliederungsebene im MfS verwendet.
Aufklärung hatte innerhalb des MfS unterschiedliche Bedeutungen: Sie wird zur Bezeichnung des Tätigkeitsbereiches der Auslandsspionage verwendet, die überwiegend von der HV A getragen wurde, die teilweise auch kurz als Aufklärung bezeichnet wird. Darüber hinaus findet der Begriff Verwendung bei der Bezeichnung von Sachverhaltsermittlungen (Aufklärung eines Sachverhalts) und von Überprüfungen der Eignung von IM-Kandidaten (Aufklärung des Kandidaten).
1978 wurden die AIG der Bezirksverwaltungen mit der Integration des Kontrollwesens in Auswertungs- und Kontrollgruppen umgewandelt. Analog zur ZAIG waren die AKG jetzt das Funktionalorgan der Leiter der BV mit den Aufgaben Auswertung und Information, Planung, Überprüfung und Kontrolle, Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen und Weisungen sowie EDV. Darüber hinaus wurden die AKG auch für Öffentlichkeitsarbeit zuständig, die im Ministerium noch bis 1985 der Abteilung Agitation bzw. der Arbeitsgruppe Öffentliche Verbindungen zugeordnet war. 1979 wurden auch in den meisten selbständigen Abteilungen und Hauptabteilungen der MfS-Zentrale AKG gebildet. Die AKG unterstanden den Leitern der jeweiligen Diensteinheit, wurden aber fachlich von der ZAIG angeleitet.
Vorgangsart von 1953 bis 1960. In Beobachtungsvorgängen wurden Personen erfasst, die als potenziell oder tatsächlich politisch unzuverlässig oder feindlich eingestellt galten und daher vorbeugend beobachtet wurden. Dazu gehörten etwa ehemalige NS-Funktionsträger, ehemalige Sozialdemokraten, Teilnehmer an den Aktionen des 17. Juni 1953 sowie Personen, die aus dem Westen zugezogen waren. Die Vorgangsart verlor nach und nach an Bedeutung. 1960 gingen noch bestehende Beobachtungsvorgänge in den zugehörigen Objektvorgängen auf. Der Beobachtungsvorgang war zentral in der Abteilung XII zu registrieren, die betroffenen Personen in der zentralen Personenkartei F 16 zu erfassen.
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
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Fernschreiben von Schwanitz an die Leiter der Kreis- und Bezirksämter für Nationale Sicherheit Dokument, 1 Seite
Telegramm von Generalmajor Schwarz an den Leiter des AfNS über die Besetzung des Bezirksamts in Erfurt Dokument, 4 Seiten
Aufzeichnungen eines Stasi-Offiziers der Dienststelle Hildburghausen über eine Beratung am 4. Dezember 1989 Dokument, 2 Seiten
Übersicht zu Besetzungen von Kreis- und Bezirksämtern des AfNS Dokument, 6 Seiten