Erklärung der SED-Kreisleitung im MfS zu Mielkes Auftritt in der Volkskammer
Signatur: BStU, MfS, SdM, Nr. 2336, Bl. 193
Erich Mielkes Rede vor der Volkskammer am 13. November 1989 geriet zu einem Desaster für die Staatssicherheit. Die Stasi-Angehörigen reagierten entsetzt und empfanden diese als zusätzlichen Schaden für die – angesichts der politischen Veränderungen – ohnehin schwierige Lage des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Das Sekretariat der SED-Kreisleitung im MfS distanzierte sich am folgenden Tag in einem Schreiben an alle Mitarbeiter von Mielkes Auftritt.
Im November 1989 mussten SED und Staatssicherheit unter dem Druck der Bürgerbewegung immer weiter zurückweichen. Die Diktatur befand sich in einer offenen Krise. Davon blieb auch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) nicht verschont.
Die innere Krise des Staatssicherheitsdienstes hatte schon früher begonnen. Als die Staatssicherheit nach dem Kurswechsel der SED Mitte Oktober zur Zurückhaltung verpflichtet wurde und die "politische Offensive" der neuen SED-Führung offenbar gescheitert war, ergriff viele Stasi-Angehörige ein Gefühl der Sinnlosigkeit des eigenen Tuns.
Am 7. November 1989 trat der Ministerrat der DDR zurück, gezwungen durch die politische und gesellschaftliche Krise des Landes. Am Tag darauf legten auch die Mitglieder des Politbüros ihre Ämter und Funktionen nieder. Erich Mielke, der das Ministerium für Staatssicherheit 32 Jahre lang geleitet hatte, war damit arbeitslos. Sein Nachfolger wurde einer seiner Stellvertreter, Wolfgang Schwanitz. Das MfS selbst wurde in das Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) umbenannt, das schließlich im März 1990 aufgelöst wurde.
Mielkes einzige Rede vor der Volkskammer ("Ich liebe doch alle") am 13. November 1989 quittierten die Abgeordneten mit Gelächter. Die Reaktion vieler Mitarbeiter der Staatssicherheit auf diese Vorstellung war schieres Entsetzen. Die SED-Kreisleitung distanzierte sich davon am folgenden Tag in einem Schreiben an alle Mitarbeiter. Das hatte es noch nicht gegeben, schon weil Mielke sich als Politbüro-Mitglied immer als das höchstrangige SED-Mitglied in der Staatssicherheit geriert hatte. Mit "tiefer Bestürzung" habe das Sekretariat der SED-Kreisleitung im MfS den Auftritt Mielkes am Vortag beobachtet.
Metadaten
- Diensteinheit:
- SED-Kreisleitung, Sekretariat
- Datum:
- 14.11.1989
- Rechte:
- BStU
- Überlieferungsform:
- Dokument
SED-Kreisleitung
Sekretariat
Berlin, 14. November 1989
PO/GO
1. Sekretär/Sekretär
Genossen Schwanitz zur Kenntnis
[handschriftliche Ergänzung: Umlauf Sekr. + AG. [Kürzel: Schw]; 14.11.89]
Liebe Genossen!
Mit tiefer Bestürzung haben wir das Auftreten des Genossen Erich Mielke vor der Volkskammer am gestrigen Abend zur Kenntnis genommen. Das Sekretariat der Kreisleitung hat heute früh in Übereinstimmung mit der Meinung vieler Genossinnen und Genossen sich von diesen Ausführungen des Genossen Mielke vor dem höchsten Organ des Volkes distanziert.
In einem gemeinsamen Brief des Sekretariats der SED-Kreisleitung und des Kollegiums des MfS werden wir diese Position dem Präsidenten der Volkskammer, Herrn Dr. Maleuda, übermitteln und ihn bitten, davon die Volkskammer zu informieren.
Wir bitten Euch, von diesem Vorhaben alle Genossinnen und Genossen in Kenntnis zu setzen und die Position des Sekretariats und den gemeinsamen Brief den Parteikollektiven zu verlesen, der Euch noch zugesandt wird.
[Unterschrift]
H. Felber
1. Sekretär