Signatur: BStU, MfS, HA IX, Tb, Nr. 3255
Vom 18. bis 21. Dezember 1953 fand vor dem Obersten Gericht der DDR ein auch als "Gehlen-Prozess" bekannter Schauprozess wegen Spionage im Auftrag der Organisation Gehlen statt.
Die Angeklagten Werner Haase, Siegfried Altkrüger, Walter Rennert, Karl-Heinz Schmidt, Rolf Oesterreich, Walter Schneider und Helmut Schwenk statt waren alle in unterschiedlichen Funktionen für die Organisation Gehlen – dem Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes – tätig gewesen. Im Zuge der Aktion "Feuerwerk" von der DDR-Staatssicherheit verhaftet bzw. im Fall von Werner Haase entführt, wurden sie zu hohen Zuchthausstrafen verurteilt. Der Prozess war eine propagandistische Inszenierung und damit Teil der medialen SED-Kampagne gegen die Organisation Gehlen, die die Verhaftungsaktion "Feuerwerk" seit Ende Oktober flankierte. Bis Ende Dezember 1953 nahm die Staatssicherheit in diesem Zusammenhang mehr als 200 Personen fest.
Die Prozessaufnahme ist als Tonband in der Hauptabteilung IX des MfS (HA IX) im Archiv des BStU überliefert. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um die Kopie einer Aufnahme des DDR-Rundfunks. Der Prozess wurde dort in Ausschnitten übertragen. Die HA IX nutzte diese wie auch andere Tonaufnahmen von Schau- und Geheimprozessen sowohl für Schulungszwecke als auch für die sogenannte interne Traditionsbildung.
Walter Ziegler, zu diesem Zeitpunkt kommissarischer Vorsitzender des 1. Strafsenats im Obersten Gericht der DDR, eröffnete den Schauprozess am 18. Dezember 1953. Beigeordnete Richter waren Max Möbius und Helene Kleine. Die Anklage vertrat der Generalstaatsanwalt der DDR Ernst Melsheimer, assistiert von Staatsanwalt Walter Piehl.
Die geladenen Zeugen werden aufgerufen und belehrt. Es handelt sich um Wolfgang Höher, Hans-Joachim Geyer, Bruno Kranz, Tilman Meißner und Fritz Grabe. Höher und Geyer waren hauptamtliche Mitarbeiter der Organisation Gehlen und gleichzeitig Doppelagenten – Geyer für die DDR-Staatssicherheit, Höher für den sowjetischen Geheimdienst. Bei den drei anderen Zeugen handelte es sich um V-Leute der Organisation Gehlen, die bei der Aktion "Feuerwerk" verhaftet worden waren und in späteren Prozessen wegen Spionage verurteilt werden sollten. Dann werden die Angeklagten einzeln aufgerufen und ihre Personalien überprüft. Ihnen stehen die Pflichtverteidiger Heinz Hyckel, Zumpe (Vorname unbekannt), Hugo Ködel und Friedrich Wolff zur Seite.
Die Anklageschrift, deren Wortlaut sich überwiegend mit dem Schlussbericht der Staatssicherheit deckt, wurde von Generalstaatsanwalt Melsheimer eingeleitet und von Staatsanwalt Piehl in Auszügen verlesen. Danach folgt der Eröffnungsbeschluss.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Die Sitzung des Ersten Strafsenats des Obersten Gerichts der Deutschen Demokratischen Republik ist eröffnet.
Bitte die Sache gegen Haase und andere aufzurufen.
[unverständliche Stimme aus dem Hintergrund]
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Ich gebe zunächst die Besetzung des Gerichts bekannt.
Der Senat verhandelt unter dem Vorsitz vom Oberrichter Ziegler, als kommissarischen Vizepräsidenten des Obersten Gerichts und mit den Richtern Frau Kleine oder Oberrichter Möbius.
Die Anklage wird vertreten von Generalstaatsanwalt der Deutschen Demokratischen Republik Dr. Melzheimer und Staatsanwalt Piehl.
Als Zeugen sind geladen die Zeugen Höher, Geyer, Kranz, - äh - Grabe und - äh - der vierte Zeuge, fünfte Zeuge, wie war Ihr Name?
[5. Zeuge:]
[anonymisiert]
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Ja. Die Zeugen sind hier anwesend?
[Zeugen:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass Sie wenn Sie vom Gericht verladen, - äh - vernommen werden, die Wahrheit sagen müssen und nicht die Unwahrheit, weil Sie sich sonst strafbar machen. Sie müssen eventuell ihre Aussage beschwören, aber auch wenn Sie Ihre Aussage nicht beschwören müssen, machen Sie sich strafbar, wenn Sie vor dem Gericht falsch aussagen. Darauf weise ich Sie hin, überlegen Sie sich genau was Sie, ohne dass strafrechtliche Folgen für Sie eintreten können, hier aussagen können.
Die Zeugen können dann abtreten und halten sich ab morgen früh 09:00 Uhr wieder zu Verfügung des Gerichts.
Von den Angeklagten sind erschienen Angeklagter Haase. Sie heißen mit Vorname Werner, ja?
[Werner Haase:]
Jawohl.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Geboren am?
[Werner Haase:]
02. August 1915.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
In?
[Werner Haase:]
Berlin-Steglitz.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Von Beruf?
[Werner Haase:]
Ehemaliger Berufsoffizier, dann Maschinenbauingenieur.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Ehemaliger Berufsoffizier, Maschinenbauingenieur und was haben Sie zuletzt für eine Tätigkeit ausgeübt?
[Werner Haase:]
Ehemaliger Filialleiter der Filiale 120 A in der Spionageorganisation Gehlen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Und Sie wohnen in?
[Werner Haase:]
Berlin-Steglitz. [Unverständlich]
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Seit dieser Sache in Untersuchungshaft seit wann?
[Werner Haase:]
Seit dem 13. November 1953.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Seit dem 13. November 1953.
Der Angeklagte Schmidt, Vornamen?
[Karl-Heinz Schmidt:]
Karl-Heinz.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Karl-Heinz. Geboren am?
[Karl-Heinz Schmidt:]
16.06.26.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wo?
[Karl-Heinz Schmidt:]
In Luckenwalde.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Und Sie sind von Beruf?
[Karl-Heinz Schmidt:]
Dreher, zuletzt Glaser.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Dreher, zuletzt Glaser. Bei welcher Firma?
[Karl-Heinz Schmidt:]
Prütz, Luckenwalde.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
In Luckenwalde. Und Sie wohnen?
[Karl-Heinz Schmidt:]
Stiftstraße 9 in Luckenwalde.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
In Luckenwalde, Stiftstraße 9. Seit wann sind Sie in Untersuchungshaft?
[Karl-Heinz Schmidt:]
Seit 30.10.53.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Seit 30.10.53?
[Karl-Heinz Schmidt:]
Jawohl.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Der Angeklagte Altkrüger, Vorname?
[Siegfried Altkrüger:]
Siegfried.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Siegfried. Wann geboren?
[Siegfried Altkrüger:]
Zwoten 05.15.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
In, wo?
[Siegfried Altkrüger:]
In Berlin.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Von Beruf?
[Siegfried Altkrüger:]
Äh - gelernt Buchbinder, jetzt Gewerbelehrer.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Zuletzt Gewerbelehrer?
[Siegfried Altkrüger:]
Jawohl.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Gelernter Buchbinder.
[Siegfried Altkrüger:]
Buchbinder.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Und wo wohnen Sie?
[Siegfried Altkrüger:]
Neuenhagen bei Berlin Endlichstraße - äh - Ernst-Thälmann-Straße 18.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Ernst-Thälmann-Straße 18?
[Siegfried Altkrüger:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Seit wann in Untersuchungshaft?
[Siegfried Altkrüger:]
Also in dieser Wohnung - äh - seit 01. April vorher wohnte ich in der ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Seit wann Sie in Untersuchungshaft sind?
[Siegfried Altkrüger:]
Untersuchungshaft seit 14. November.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Seit 14. oder seit 15.?
[Siegfried Altkrüger:]
Nein, seit 14.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Seit 14. November?
[Siegfried Altkrüger:]
Jawohl.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Der Angeklagte Rennert, Vorname?
[Walter Rennert:]
Walter.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wann geboren?
[Walter Rennert:]
14.05.1910.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wo?
[Walter Rennert:]
In Blumberg, Kreis Liebenwerder.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Sie sind von Beruf?
[Walter Rennert:]
Landwirt.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Landwirt und wohnen?
[Walter Rennert:]
In Blumberg, Kreis Liebenwerder.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Dorfstraße 130, ja?
[Walter Rennert:]
Dorfstraße 130.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Seit wann in Untersuchungshaft?
[Walter Rennert:]
Seit 30.10.1953.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
30.10. also.
Der Angeklagte Schwenk, Vorname?
[Helmut Schwenk:]
Vorname Helmut.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Vorname Helmut und wann geboren?
[Helmut Schwenk:]
19.06.1923.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
19.06.1923. Wo?
[Helmut Schwenk:]
In Schivelbein, Pommern.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Von Beruf?
[Helmut Schwenk:]
Reichsbahninspektor-Anwärter, zuletzt Lehrer.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wo?
[Helmut Schwenk:]
Zuletzt in Burgstädt an der Ernst-Schneller-Schule, Lehrer.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Und wohnhaft in?
[Helmut Schwenk:]
Köthensdorf [unverständlich] Nr. 12b.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Das ist bei Karl-Marx-Stadt, ja?
[Helmut Schwenk:]
Bei Karl-Marx-Stadt.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Seit wann sind Sie in Untersuchungshaft?
[Helmut Schwenk:]
Seit 30.10. dieses Jahres.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... dieses Jahres.
Der Angeklagte Schneider?
[Walter Schneider:]
Vorname: Walter.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Vorname: Walter.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wann geboren?
[Walter Schneider:]
Am 31. Juli 1921.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
In?
[Walter Schneider:]
Landsberg bei Halle.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Und von Beruf?
[Walter Schneider:]
Kaufmann, zuletzt Revisor.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Was war ihre letzte Tätigkeit?
[Walter Schneider:]
Revisor.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wo?
[Walter Schneider:]
Im Ministerium für Aufbau, Hauptverwaltung Bauindustrie.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Revisor, waren Sie nicht Oberreferent?
[Walter Schneider:]
Jawohl, Oberreferent.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Oberreferent. Also innerhalb der Oberreferentenstellung die besondere Tätigkeit eines Revisors ausgeübt, ja?
[Walter Schneider:]
Jawohl.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Und Sie wohnen?
[Walter Schneider:]
Berlin O112, Finnowstraße 38.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Seit wann in Untersuchungshaft?
[Walter Schneider:]
Seit 30. Oktober 1953.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Seit 30. Oktober 1953. Nehmen Sie Platz.
Als Verteidiger sind anwesend Rechtsanwalt Dr. Hyckel für den Angeklagten Haase, Rechtsanwalt Zumpe für die Angeklagten Schmidt und Schneider, Rechtsanwalt Dr. Köbel für die Angeklagten Altkrüger und Schwenk und Rechtsanwalt Wolf für die Angeklagten Rennert und Oestereich.
Ich bitte nunmehr Herrn Generalstaatsanwalt den wesentlichen Inhalt der der Anklage vorzu- [Husten übertönt Rest des Wortes]
[Generalstaatsanwalt Dr. Ernst Melzheimer:]
Oberstes Gericht der Deutschen Demokratischen Republik, das Material zu diesem Prozess und demzufolge die Anklageschrift hat ein so großes Ausmaß, dass ihre Verlesung viele Stunden in Anspruch nehmen würde.
Ich bitte deshalb zu gestatten, dass an meiner Stelle Staatsanwalt Piehl nur die aller wesentlichsten Dinge aus der Anklageschrift vorliest.
[Staatsanwalt Walter Piehl:]
Die Beschuldigten sind hauptamtliche Mitarbeiter der vom amerikanischen Geheimdienst in Deutschland geschaffenen, gelenkten und finanzierten Spionageorganisation "General von Gehlen", Agenten einer der gefährlichsten amerikanischen Verbrecherorganisation in Westdeutschland und West-Berlin, die sich zur nationalen Tarnung heuchlerisch "Deutscher Nachrichtendienst" nennt.
Sie waren beteiligt am Aufbau dieser deutschfeindlichen Organisation, an der Schaffung eines raffiniert getarnten Spionageringes im Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik und an dem Versuch, die verbrecherische Tätigkeit der Geheimdienste auf die Sowjetunion und die volksdemokratischen Länder auszudehnen.
Die Beschuldigten haben in voller Erkenntnis der zu erwartenden schwerwiegenden Folgen im Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik systematisch und fortgesetzt eine ausgedehnte Spionagetätigkeit betrieben, indem sie, ausgerüstet mit den modernsten nachrichtentechnischen Mitteln amerikanischer Herkunft, Staatsgeheimnisse militärischer, wirtschaftlicher und politischer Art erkundeten und ihren Auftraggebern gegen Bezahlung übermittelten.
Damit bezweckten sie die Schwächung und die Untergrabung der wirtschaftlichen und politischen Macht unseres Staates und ermöglichten eine umfangreiche Sabotage- und Schädlingstätigkeit feindlicher Elemente zur Durchkreuzung der ständigen Hebung des Wohlstandes der Werktätigen in der Deutschen Demokratischen Republik.
Ihre Verbrechen sind geeignet, die Verteidigungskraft der Deutschen Demokratischen Republik herabzusetzen, die Verteidigungsbereitschaft der Bevölkerung zu lähmen und begünstigen den geplanten bewaffneten Überfall des amerikanischen und deutschen Imperialismus auf die Deutsche Demokratische Republik.
Die Beteiligten haben sich aktiv an der Vorbereitung eines neuen Krieges beteiligt, den Kriegsvorbereitungen des amerikanischen und deutschen Imperialismus Vorschub geleistet und damit nationalen Verrat am deutschen Volk begangen.
Mit ihren niederträchtigen Handlungen gefährdeten sie die Sicherheit der Deutschen Demokratischen Republik und versuchten die Heimat den Feinden des deutschen Volkes auszuliefern.
Die Verbrechen der Beschuldigten sind gegen die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands gerichtet, bedrohen den Frieden des deutschen Volkes und anderer friedliebender Nationen.
Verbrechen nach Artikel 6 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik sowie der Kontrollratsdirektive 38, Abschnitt II, Artikel III A III des Alliierten Kontrollratsgesetzes.
Aus dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen:
Sämtliche Beschuldigten sind hauptamtliche oder angeworbene Agenten der Spionageorganisation Gehlen. Die Untersuchungen im Ermittlungsverfahren haben ergeben, dass diese Organisation gegenwärtig in Westdeutschland und West-Berlin über eine größere Anzahl als Handelsfirmen raffiniert getarnten Geheimdienststellen verfügt, die zentral geleitet, ein umfangreiches Netz von Spionen und Saboteuren und Diversanten in Deutschland unterhalten und in Europa aufbauen.
Entgegen den Potsdamer Beschlüssen verhinderten die amerikanischen Besatzungsbehörden nach 1945 in Deutschland die Zerschlagung des ehemaligen faschistischen Spionage- und Abwehrdienstes Hitlerdeutschlands in der Absicht, die im Spionage- und Abwehrdienst geschulten und erfahrenen faschistischen Kräfte zu erhalten und in die amerikanischen Pläne der Vorbereitung eines neuen Krieges gegen die Deutsche Demokratische Republik, die Sowjetunion und die volksdemokratischen Länder einzubeziehen.
Treffend hat hierzu im Ermittlungsverfahren der Beschuldigte Haase ausgesagt: "Der Spionage- und Abwehrdienst beim Generalstab des Oberkommandos der Wehrmacht hat niemals aufgehört zu bestehen."
Die bisher geführten Ermittlungen ergaben eindeutig, dass der amerikanische Geheimdienst in Deutschland unmittelbar nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges im Auftrage der USA-Regierung und unter Bruch des Potsdamer Abkommens der vier Großmächte mit der Neuformierung des faschistischen Spionage- und Abwehrdienstes begonnen hat.
Bereits im Jahre 1946 wurde der frühere General beim ehemaligen Generalstab des Oberkommandos der Wehrmacht und Leiter der Abteilung "Fremde-Heere-Ost" des faschistischen Spionage- und Abwehrdienstes, Gehlen, beauftragt, unter seinem Namen mit dem Aufbau eines Spionage-, Sabotage- und Abwehrdienstes in Westdeutschland auf der Grundlage der Erfahrungen des ehemaligen faschistischen Spionage- und Abwehrdienstes unter amerikanischer Leitung, bei gleichzeitiger Bereitstellung der dazu erforderlichen finanziellen Mittel durch seine Auftraggeber, zu beginnen.
Im Ergebnis der Durchführung dieses Auftrages und der später fortlaufend getroffenen zusätzlichen Vereinbarungen entstand in Westdeutschland ein gut getarnter Spionagedienst, an dessen Spitze deutsche Faschisten und Militaristen stehen und der von Amerikanern kommandiert, geleitet und finanziert wird. Sie traten als eine rein deutsche Organisation auf und verbargen ihre verbrecherische Tätigkeit hinter einer nationalen Demamo- Demagogie.
Die amerikanische Zeitung in Deutschland "Die neue Zeitung", Ausgabe vom 08.12.1953, bestätigt, dass diese Organisation Gehlen im Auftrage der Amerikaner und der Bonner Adenauer-Regierung tätig ist.
Den Aufbau des Geheimdienstes vollzog Gehlen durch Heranziehung von I-C-Offizieren des ehemaligen faschistischen Generalstabes, ehemaliger Mitarbeiter der Abwehr, der Gestapo und des Reichssichheitshauptamtes des faschistischen Deutschlands, ehemaliger Berufsoffiziere und SS-Führer.
Die Ermittlungen erbrachten den Beweis, dass die Tätigkeit dieser Bonner Spionagezentrale sich gegen die Erhaltung des Friedens und damit gegen das Weltfriedenslager, die Sowjetunion, die Volksdemokratien und die Deutsche Demokratische Republik richtet.
Auf dem Boden der westlichen Besatzungszone Deutschlands und in West-Berlin wurden diese Organisationen neben anderen Untergrund-, Terror- und Spionageorganisationen gebildet, deren gemeinsames Ziel es ist, in der Deutschen Demokratischen Republik und in den Volksdemokratien die alten kapitalistischen Verhältnisse wiederherzustellen und einen neuen Krieg zu entfachen.
Übereinstimmend sagt, sagen Beschuldigten und Zeugen, dass der, so der Beschuldigte Haase und die Zeugen Höher und Geyer aus, dass die gesamte verbrecherische Tätigkeit der Spionageorganisation Gehlen, sich auf der Grundlage der völligen Abhängigkeit der amerikanischen politischen und militärischen Führung vollzieht.
Alle vom Geheimdienst Gehlen durchgeführten und geplanten Verbrechen sind Bestandteile der von den Amerikanern und der Adenauer-Regierung betriebenen Politik der Remilitarisierung und Einbeziehung Westdeutschlands in die sogenannte Europäische Verteidigungsgemeinschaft, der Herstellung der Vormachtstellung des deutschen Imperialismus im Rahmen der europäischen kapitalistischen Staaten und der Vorbereitung eines Krieges.
Das wird bestätigt durch das, was Adenauer am 07. September 1953 sagte, als er nicht mehr von der Wiedervereinigung Deutschlands, sondern von der Befreiung der Ostzone sprach.
Die Untersuchungen haben den Beweis erbracht, dass der ehrlichen Bestreben der Deutschen Demokratischen Republik, die nationale Einheit Deutschlands auf friedlichem und demokratischem Wege, auf dem Wege der Verständigung zu erreichen, die verbrecherische aggressive Politik der amerikanischen Besatzungsbehörden und der Bonner Adenauer-Regierung entgegen steht, die die Wiedervereinigung Deutschlands verhindert.
Im Sinne dieser verbrecherischen Politik wurden die Agenten der Spionageorganisation Gehlen, anhand von Militärkarten der amerikanischen Besatzungstruppen geschult, um sie zu befähigen das Gebiet unserer Gebiet, - äh - unserer Republik sowie militärisch und wirtschaftliche Objekte für die Vorbereitung des Krieges zu erkunden und aufzuklären.
Dem gleichen Ziele dient der systematische Aufbau eines weitverzweigten Funknetzes in der Deutschen Demokratischen Republik und in den Ländern der Volksdemokratien, dass bei Beginn des amerikanischen Angriffskrieges im sogenannten "E-Fall" eingesetzt werden soll.
Was der "E-Fall" bedeutet, wird enthüllt durch eine Anweisung der Spionagezentrale, die auf dem Dienstwege bis den Filialleitern erging. Diese Anweisung regelt das Verhalten der Leiter der Geheimdienststellen und bestimmt die von ihnen einzuleitenden Maßnahmen bei Ausbruch eines Krieges, also im "E-Fall", Ernst-Fall, wie es in der Anweisung heißt.
Besonders wurden die Agenten beauftragt mit der Erkundung des Zustandes des Verkehrsnetzes und insbesondere der Eisenbahnknotenpunkte und Eisenbahnbrücken. Beschlagnahmten Dokumenten ist zu entnehmen, dass besonderer Wert auf die Erkundung strategisch wichtiger Verkehrsobjekte, Fluss- und Eisenbahnbrücken, Unter- und Überquerungen von Hauptstraßen gelegt wird, um diese Objekte bei der Vorbereitung des Krieges durch Diversionsakte zu zerstören. Der Schwerpunkt der verbrecherischen Tätigkeit der Organisation Gehlen liegt somit in der Forcierung der Aktion, der aktiven Spionage, Sabotage, Wühlarbeit gegen die Deutsche Demokratische Republik.
Die Aussagen inhaftierter Agenten, die im Zuge der Liquidierung der Spionagenetzes der Geheimorganisation Gehlen in Deutsch, in der Deutschen Demokratischen Republik, insbesondere der Filialen X 9592 und 120/A verhaftet wurden, geben Aufschluss über diese Spionage, Sabotage und Wühlarbeit und beweisen außerdem, dass die Geheimdienststellen der Spionageorganisation Gehlen im Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik ausgedehnte Agentennetze schufen, durch welche vertrauliche Unterlagen über die Arbeit staatlicher, gesellschaftlicher Organisationen, über die Tätigkeit aller Industrieunternehmen, über die Art und Höhe der Produktion, über Standort, Stärke und Bewaffnung sowie Ausbildung militärischer Formationen und über die Stimmung der Bevölkerung gesammelt wurden.
Es ist erwiesen, dass die Agenten Gehlen im Auftrage ihrer vorgesetzten Geheimdienststellen aktiven Anteil an der Durchführung der faschistischen Provokation am 17. Juni 1953 im Gebiet des demokratischen Sektors von Groß-Berlin und in der Deutschen Demokratischen Republik genommen haben.
Eine antinationale Tätigkeit entge-, entfaltete der Geheimdienst Gehlen auch in der Bespitzelung bestehender Handelsverbindungen zwischen Westdeutschland und der Deutschen Demokratischen Republik.
Westdeutsche Firmen, die Verbindungen zur Deutschen Demokratischen Republik aufnehmen, werden vom Geheimdienst Gehlen aufgeklärt, kontrolliert mit dem Ziel, diese Handelsbeziehungen zu unterbinden, die westdeutschen Firmen zu ruinieren und die Spaltung Deutschlands im Interesse der Kriegsvorbereitungen der Amerikaner und Adenauers zu vertiefen. Weiter haben die Untersuchungen ergeben, dass die Spionageorganisation Gehlen neben ihrer aktiven Spionage, Sabotage und Wühlarbeit gegen die Deutsche Demokratische Republik auch in Westdeutschland eine intensive Spitzeltätigkeit innerhalb westdeutscher Regierungsstellen, öffentlichen Behörden und wichtiger Organisationen betreibt. Im Auftrage der Amerikaner und Adenauers werden insbesondere die demokratischen Organisationen und alle wahrhaft deutschen Patrioten durch die Organisation Gehlen bespitzelt und durch die Adenauer-Regierung verfolgt und in die Gefängnisse geworfen, um die amerikanische Politik Adenauers durchzusetzen, Westdeutschland zu remilitarisieren und in die Kriegspläne der Imperialisten einzubeziehen. Spitzel werden in den Ministerien, im Zollgrenzschutz, in politischen Parteien und Organisation, in Gewerkschaften und wissenschaftlichen Kreisen und ebenso in diplomatischen Vertretungen der Adenauer-Regierung im Ausland angeworben. Derartig geworbene Spitzel sind unter Anderem der Kommandeur der West-Berliner Schutzpolizei Duensing und der Chef der Bayerischen Landschutzpolizei Freiherr von Godin. Im Bundesamt für Verfassungsschutz, Zentrale in Köln, ist der leitende Mitarbeiter Radke ein Spitzel der Organisation Gehlen. In der Außenstelle des Bundesamtes für Verfassungsschutz in West-Berlin, bei der Bundesnotaufnahme sind der Leiter der Abteilung 2 Cossmann und dessen Stellvertreter Rahn gleichfalls Agenten des Gehlen-Geheimdienstes. In der, aus Prozessen vor Gerichten der Deutschen Demokratischen Republik hinreichend bekannten, Spionageorganisation “Untersuchungsausschuss freiheitlicher Juristen" in West-Berlin arbeitet der Sachbearbeiter Wolk für den Geheimdienst Gehlen. In der mit dem Ministerium für gesamtdeutsche Fragen (Kaiserministerium) eng zusammenarbeitenden Spionage- und Propagandaorganisation "Gruppe Marbach" steht der Leiter der Spionageorganisation dieser Gruppe Ohlbrecht mit dem Geheimdienst Gehlen in engster Verbindung. Der ehemalige Abteilungsleiter für Sprengstoffattentate der berüchtigten "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit", dieser amerikanischen Verbrecher- und Terrororganisation, Seeberg, wurde zum hauptamtlichen Mitarbeiter Gehlens ernannt.
Gegenwärtig stellt die Geheimorganisation Gehlen eine breit entfaltete, ausgedehnte und raffiniert getarnte verbrecherische Organisation dar, die mit modernsten nachrichtentechnischen Hilfsmitteln amerikanischer Herkunft ausgerüstet ist, sich auf alte faschistische Kräfte stützt und nunmehr bestrebt ist ihre Fäden in die Mehrzahl der europäischen Staaten zu ziehen.
Zur Vorbereitung des Krieges führt die Organisation Gehlen die gleiche verbrecherische Tätigkeit gegen die Sowjetunion und die Länder der Volksdemokratien durch und ist bemüht geeignete Agenten in diese Länder einzuschleusen.
Neben den Einlassungen der Beschuldigten und der Aussagen der Zeugen, liegt zahlreiches Dokumentenmaterial im Originaltext vor, aus welchem einwandfrei die verstärkte Spionage- und Diversionstätigkeit des Geheimdienstes Gehlen gegen die Sowjetunion und die Volksdemokratischen Ländern zu ersehen ist. Besonders aktiv richtet sich diese verbrecherische Tätigkeit gegen die Volksrepublik Polen und gegen die Tschechoslowakische Volksrepublik. Das Spionagezentrum hat speziell für diese Aufgabe eine besondere Abteilung unter der Bezeichnung "Tiefe und Forschung" eingerichtet und konkrete schriftliche Anweisungen an die nachgeordneten Dienststellen erlassen mit dem Hinweis, dass der Aufbau ähnlicher Abteilungen bei den untergeordneten Dienststellen vorzunehmen ist. Bereits vorher durchzuführende Aktionen zur Anwerbung geeigneter Agenten für die Tätigkeit in dieser Richtung wurden durch den nach-, untergeordneten Dienststellen schriftlich angeworben. Diese schriftlichen Anordnungen sahen vor, dass alle derartigen Maßnahmen unter der Bezeichnung "Aktion Pfiffikus" und "Aktion Hermes" durchzuführen seien.
Der Beschuldigte Haase ist geständig, an der Durchführung solcher Aktionen teilgenommen zu haben. Die Originaldokumente, die über die Aktion "Pfiffikus" und "Hermes" Aufschluss geben, wurden bei dem Beschuldigten Haase sichergestellt. Der Geheimdienst Gehlen, der die Aufgabe des früheren faschistischen Spionage- und Abwehrdienstes in Westdeutschland ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... weiterführt ...
[Staatsanwalt Walter Piehl:]
... weiterführt, vereinigt in seinen Reihen jene militaristischen Kräfte, die unter Hitler mit ihrer 5. Kolonne den Zweiten Weltkrieg vorbereiteten und bis zum heutigen Tage ihre aggressiven Pläne nicht aufgegeben haben und Revanche anstreben. Sie sehen in Frankreich, wie der Beschuldigte Haase aussagt, nach wie vor ihren Erzfeind und führen in verstärktem Maße den Kampf gegen die nationalbewusste Frankreich und dessen friedliebende Bevölkerung. Aus beschlagnahmten Schriftstücken und anderen Beweismitteln ist zu ersehen, dass in Übereinstimmung mit der amerikanischen Politik der Stärkung des deutschen Imperialismus, des Adenauer-Regimes die Spionageorganisation Gehlen mit direkter Unterstützung der Amerikaner und unter Ausnutzung alter Agentenverbindungen ihrer Auslandsarbeit in den westdeutschen kapitalistischen Staaten, vor allem in Frankreich ...
[Generalstaatsanwalt Dr. Ernst Melzheimer:]
... westeuropäischen ...
[Staatsanwalt Walter Piehl:]
... vor allem gegen Frankreich fortsetzt und erneuert.
Eine besonders starke Spionagedienststelle mit einem weitverzweigten Agentennetz unterhält das Spionagezentrum Gehlen im Saargebiet.
Der Beschuldigte Haase sagte bei seiner Vernehmung mit Ermittlungsverfahren aus, dass der Geheimdienst Gehlen bevorzugt Agenten aus Kreisen von Geschäftsreisenden, nach Frankreich reisenden Wissenschaftlern, Ingenieuren, Technikern und anderen Arbeitskräften anwirbt, die um Arbeitsaufnahme in Frankreich ersuchen. Ferner sagt der Beschuldigte Haase bei der gleichen Vernehmung aus: "Ein Gespräch mit dem Leiter der Bezirksvertretung 'Merkur', Reckenstein, dass ich im September diesen Jahres in West-Berlin führte, entnahm ich, dass diese Länder als Kriegsgegner von morgen zu betrachten sind. Reckenstein erklärte auf eine von mir gestellte Frage, was mit uns nach der Wiederver-, -herstellung der Einheit Deutschlands geschehen werde, ungefähr wörtlich: 'Sie werden in Frankfurt/ Oder gegen die Polen, oder wenn Sie Glück haben, gegen Frankreich eingesetzt.'"
Der Zeuge Höher erhielt im Juli 1952 von dem Leiter der Generalvertretung III in Karlsruhe, Benzinger, alias Leidl unter anderem die Anweisung, die Abwehrarbeit gegen die Franzosen zu verstärken, damit der Geheimdienst über Maßnahmen Frankreichs in der Deutschlandfrage schneller ins Bild gesetzt wird. Die in Frankreich bestehenden Agenturen des neofaschistischen Geheimdienst Gehlen bedrohen unter der Schirmherrschaft der Amerikaner und Adenauer die Unabhängigkeit und Souveränität der französischen Nation. Sie gefährden ernsthaft das friedliche und demokratische Verhältnis zwischen dem französischen und dem deutschen Volke und beschwören die Gefahr eines neuen Krieges in Europa herauf.
Die Anklageschrift schildert nun im Einzelnen die Organisation der Agentenzentrale Gehlen, ihre Arbeitsmethoden und das Meldesystem. Alle diese Einzelheiten werden im Verlauf der Hauptverhandlung zur Sprache kommen. Aus diesem Abschnitt soll Folgendes vorgetragen werden:
Als Hilfsmittel für die Werbearbeit nutzt der amerikanische Geheim-, der der Geheimdienst Gehlen, speziell in West-Berlin Organisation, offizielle Dienststellen wie die Bundesnotaufnahme, Dienststelle zur Bearbeitung des Flüchtlingswesens und die Anerkennung als politischer Flüchtling, Flüchtlingslager, die sogenannte Heimatvertriebenen-Verbände und insbesondere die Dienststellen der West-Berliner Kriminalpolizei, wie die Abteilung V/1S5 (politische Polizei) und V/1S4 (Vernehmung ehemaliger Volkspolizisten) im Volkspolizeipräsidium West-Berlin.
[Generalstaatsanwalt Dr. Ernst Melzheimer:]
Polizeipräsidium.
[Staatsanwalt Walter Piehl:]
Im Polizeipräsidium West-Berlin.
Innerhalb dieser Dienststellen hat die Spionageorganisation Gehlen, die auftragsgemäß zur Werbung geeigneter Personen den jeweiligen Spionagedienststellen zugefü-, zuführt, für sie gearbeitet.
Agenten des Geheimdienstes Gehlen innerhalb der West-Berliner Krim-, - äh - Kriminalpolizei sind und Andere die Kriminalbeamten Klang (Decknummer V 3.001) und Schiebel (Decknamen Scheuer und Heindke, Decknummer V 2.995).
Mit Vorliebe werden von der Spionageorganisation Gehlen jedoch Personen geworben, die auf Grund ihrer ak-, reaktionären, neofaschistisch-chauvinistischen, militärischen und faschistischen Einstellung der Vergangenheit für eine Anwerbung besonders geeignet erscheinen, des Weiteren Mitglieder von Arbeiterparteien, deren reformistische Einstellung bekannt, sowie Trotzkisten, deren Haltung einen positiven Ausgang der Werbung verspricht.
Ferner werden im Besonderen zur Sabotagetätigkeit asoziale und kriminelle Elemente als Agenten herangezogen.
Neben diesem Personenkreis besteht bei den Werbern des Geheimdienstes Gehlen besonderes Interesse an solchen Personen, die auf Grund ihrer gesellschaftlichen Stellung in der Regierung, der Verwaltung, der Wirtschaft, der Industrie und den politischen Parteien die Möglichkeit haben, in geheime und vertrauliche Unterlagen Einblick zu nehmen, wenn von ihnen bekannt geworden ist, dass sie eine schwankende politische Haltung einnehmen.
Mit besonderer Vorliebe führt der Geheimdienst Gehlen Agentenwerbungen unter nationaler Tarnung und unter Missbrauch des Nationalbewusstseins deutscher Menschen und mit der Spekulation auf den Patriotismus, der von ihm ausgesuchten Opfer, durch.
Aus den vorliegenden Unterlagen und Zeugenaussagen ist zu ersehen, dass diese Methode der Anwerbung insbesondere bei Umsiedlern angewandt wird. Die Liebe zur alten Heimat ausnutzend, schüren die Werber bei diesen Menschen bewusst Chauvinismus und Revanchegedanken und erwecken unter dem Hinweis auf die Möglichkeit der Rückkehr in die alte Heimat die Bereitschaft zur Agententätigkeit.
Weiterhin werden bei der Werbung festgestellte wirtschaftliche Notlagen durch Geldangebote ausgenutzt, ermittelte charakterliche und moralische Schwächen werden unter Ausnutzung der Käuflichkeit solcher Personen und unter Anwendung von Druckmitteln dazu genutzt aus ihnen Agenten zu machen.
Die mit heuchlerischen Phrasen aufgemachte amerikanische Bettelpaketaktion zur Hilfe der angeblich Not leidenden Bevölkerung der Deutschen Demokratischen Republik wurde von der Spionageorganisation Gehlen zum Anwerben von Agenten benutzt. Die Untersuchungen in früheren Strafverfahren beweisen, dass auch die anderen in West-Berlin bestehenden Verbrecherorganisationen die Bettelpaketaktion zur Anwerbung von Agenten ausnutzen. Das Ergebnis der Ermittlungen entlarvt die Bettelpaketaktion als einen Teil des Planes zur Kriegsvorbereitung. Sie dient gleichzeitig zur Ablenkung der Aufmerksamkeit der Menschen, in der bestehenden Arbeitslosigkeit und dem Elend in West-Berlin und Westdeutschland.
Im zweiten Kapitel der Anklage wird die Persönlichkeit der Angeklagten festgelegt und im dritten Kapitel ihre Beteiligung an den begangenen Verbrechen im Einzelnen. Auch insoweit soll nicht durch die Verlesung der umfangreichen Anklageschrift der Hauptverhandlung vorgegriffen werden.
Die Anklage schließt mit der Feststellung:
Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens beweisen unwiderlegbar und die Hauptverhandlung in dieser Strafsache wird das bestätigen, dass die Spionageorganisation Gehlen in keiner Weise als eine deutsche Einrichtung zu betrachten ist. Sie besteht aus bankrotten faschistischen Kreaturen, die sich den demokratischen und deutschen Imperialisten verkaufen und bereit sind in deren Auftrag jedes beliebige Verbrechen auszuführen. Sie haben die Kriegspolitik der Amerikaner und Adenauer betrieben. Sie sind gefährliche Abenteurer, die jedes nationale Gewissen verloren haben, jedoch versuchen ihren nationalen Verrat mit spekulativen Hinweisen auf den angeblichen deutschen Charakter ihrer Verbrecherorganisation zu tarnen. Das Geschrei der Kriegshetzerpresse in Westdeutschland und West-Berlin, die sie als Repräsentanten der Menschlichkeit hinstellen will, ist entlarvt. Sie sind schuldig an der Vorbereitung eines neuen imperialistischen Krieges in ganz Europa! Ihre im amerikanischen Auftrag durchgeführte verbrecherische Tätigkeit ist gegen das Weltfriedenslager gerichtet. Sie stellt die gröbste Verletzung aller zwischen zivilisierten Nationen bestehenden Beziehungen dar. Sie widerspricht den Potsdamer Beschlüssen, ebenso sehr wie den Interessen des gesamten deutschen Volkes und allen Prinzipien des Völkerrechts!
[unverständliche Gespräche]
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wann sind sie geboren?
[Rolf Oestereich:]
[unverständlich]
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Am 04. zwoten 1931. Nehmen Sie das Mikrophon bitte vor sich, ja. Wo sind Sie geboren?
[Rolf Oestereich:]
[unverständlich]
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Und von Beruf?
[Rolf Oestereich:]
[unverständlich] zuletzt Dispatscher bei der VEB Schiffselektrik [unverständlich]
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Sie wohnen?
[Rolf Oestereich:]
In Wismar, Böttcherstraße 25.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
In dieser Sache - äh - in Untersuchungshaft seit wann?
[Rolf Oestereich:]
Seit 30.10.1953.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Seit 30.10.1953.
Ich verlese nun mehr den Beschluss über die Eröffnung des Hauptverfahrens.
Oberstes Gericht der Deutschen Demokratischen Republik. Erster Strafsenat. Eröffnungsbeschluss.
In der Strafsache gegen:
1. Haase, Werner Wilhelm
geboren am: 02. August 1915 in Berlin
Beruf: aktiver Offizier, Maschinenbauingenieur
letzte Tätigkeit: Filialleiter der Spionageorganisation Gehlen
wohnhaft: Berlin-Steglitz, Filandstraße 13
in dieser Sache in Haft: seit dem 13.11.1953
2. Schmidt, Karl-Heinz
geboren am: 16. Juno 1926 in Luckenwalde
Beruf: Dreher
letzte Tätigkeit: Glaser bei der Firma Prütz
wohnhaft: Luckenwalde, Stiftstraße 9
in dieser Sache in Haft: seit dem 30.10.1953
3. Altkrüger, Siegfried
geboren am: Zwoten Mai 1915 in Berlin
Beruf: Buchbinder
letzte Tätigkeit: Gewerbelehrer
wohnhaft: in Neuenhagen bei Berlin, Ernst-Thälmannstraße 18
in dieser Sache in Haft: seit dem 14. November 1953
4. Rennert, Walter
geboren am: 14. Mai 1910 in Blumberg
Beruf: Landwirt
wohnhaft: in Blumberg, Kreis Torgau, Dorfstraße 130
in dieser Sache in Haft: seit dem 30. Oktober 1953
5. Oestereich, Rolf Wilhelm
geboren am: 04. Februar 1931 in Wismar
Beruf: Elektriker
letzte Tätigkeit: Dispatscher im VEB Schiffselektrik Rostock, Baustelle Wismar
wohnhaft: Wismar, Böttcherstraße 25
in dieser Sache in Haft: seit dem 30.10.1953
6. Schwenk, Helmut, Max Heinrich
geboren am: 19. Juno 1923 in Schivelbein
Beruf: Reichsbahn-Inspektor-Anwärter
letzte Tätigkeit: Lehrer an der Ernst-Schneller-Schule in Burgstädt
wohnhaft: Köthensdorf bei Karl-Marx-Stadt,
in dieser Sache in Haft: seit dem 30.10.1953
7. Schneider, Walter Otto
geboren am: 31. Julei 1921 in Landsberg
Beruf: Kaufmann
letzte Tätigkeit: Oberreferent im Ministerium für Aufbau, Hauptverwaltung Bauindustrie Berlin
wohnhaft: Berlin-O112, Finowstraße 38
in dieser Sache in Haft: seit dem 31. Oktober 1953
sind hinreichend verdächtig zum Teil seit 1951 bis zu ihrer Festnahme als Mitarbeiter, der vom amerikanischen Geheimdienst in Deutschland geschaffenen, gelenkten und finanzierten Spionageorganisation General von Gehlen, umfangreiche Spionagetätigkeit durchgeführt zu haben. Sie haben Staatsgeheimnisse militärischer, wirtschaftlicher und politischer Art erkundet und ihrem Auftraggeber gegen Bezahlung übermittelt.
Damit haben Sie sich aktiv an den Kriegsvorbereitungen des amerikanischen und deutschen Imperialismus beteiligt und die Sicherheit der Deutschen Demokratischen Republik, den Frieden des deutschen Volkes und anderer friedliebender Nationen gefährdet.
Verbrechen gegen Artikel 6 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik sowie Direktive Nummer 38, Abschnitt zwo Artikel III A III des Alliierten Kontrollrates.
Auf Antrag des Generalstaatsanwalts der Deutschen Demokratischen Republik wird daher das Hauptverfahren vor dem Obersten Gericht der Deutschen Demokratischen Republik eröffnet.
Die Untersuchungshaft gegen die Angeklagten dauert fort.
Hauptabteilung IX (Untersuchungsorgan)
Die Hauptabteilung IX war die für strafrechtliche Ermittlungen und Strafverfolgung zuständige Diensteinheit. Sie hatte wie die nachgeordneten Abteilung IX in den Bezirksverwaltung (BV) (Linie IX) die Befugnisse eines Untersuchungsorgans, d. h. einer kriminalpolizeilichen Ermittlungsbehörde. Ursprünglich vor allem für die sog. Staatsverbrechen zuständig, befasste sie sich in der Honecker-Ära überwiegend mit Straftaten gegen die staatliche Ordnung, vor allem mit Fällen "ungesetzlichen Grenzübertritts" und Delikten, die mit Ausreisebegehren zu tun hatten. Nach StPO der DDR standen auch die Ermittlungsverfahren der Linie IX unter Aufsicht der Staatsanwaltschaft, in der Praxis arbeitete das MfS hier jedoch weitgehend eigenständig.
Die Hauptabteilung IX und die Abteilungen IX der BV waren berechtigt, Ermittlungsverfahren einzuleiten sowie Festnahmen, Vernehmungen, Durchsuchungen, Beschlagnahmen und andere strafprozessuale Handlungen vorzunehmen sowie verpflichtet, diese Verfahren nach einer bestimmten Frist - meist durch die Übergabe an die Staatsanwaltschaft zur Anklageerhebung - zum Abschluss zu bringen (Untersuchungsvorgang). Daneben führte sie Vorermittlungen zur Feststellung von Ursachen und Verantwortlichen bei Großhavarien (industriellen Störfällen), Flugblättern widerständigen Inhalts, öffentlichen Protesten u. ä. (Vorkommnisuntersuchung, Sachverhaltsprüfung).
Die Hauptabteilung IX gehörte zeit ihres Bestehens zum Anleitungsbereich Mielkes, in den ersten Jahren in seiner Funktion als Staatssekretär und 1. stellv. Minister, ab 1957 als Minister. Ihre Leiter waren Alfred Karl Scholz (1950-1956), Kurt Richter (1956-1964), Walter Heinitz (1964-1973) und Rolf Fister (1973-1989).
1953 bestand die Hauptabteilung IX aus drei Abteilungen, die für Spionagefälle, Fälle politischer "Untergrundtätigkeit" und die Anleitung der Abt. IX der BV zuständig waren. Durch Ausgliederungen entstanden weitere Abteilungen, so u. a. für Wirtschaftsdelikte, Militärstraftaten, Delikte von MfS-Angehörigen und Fluchtfälle. Ende 1988 bestand die Hauptabteilung IX aus zehn Untersuchungsabteilungen sowie der Auswertungs- und Kontrollgruppe (AKG) und der AGL (Arbeitsgruppe des Ministers (AGM)) mit insgesamt 489 Mitarbeitern. Auf der Linie IX arbeiteten 1.225 hauptamtliche Mitarbeiter.
Die Linie IX wirkte eng mit den Abteilung XIV (Haft) und der Linie VIII (Beobachtung, Ermittlung), die für die Durchführung der Festnahmen zuständig waren, zusammen. Bei der juristischen Beurteilung von Operativen Vorgängen (OV) wurde die Hauptabteilung IX von den geheimdienstlich arbeitenden Diensteinheiten häufig einbezogen.
Hauptabteilung IX (Untersuchungsorgan)
Die Hauptabteilung IX war die für strafrechtliche Ermittlungen und Strafverfolgung zuständige Diensteinheit. Sie hatte wie die nachgeordneten Abteilung IX in den Bezirksverwaltung (BV) (Linie IX) die Befugnisse eines Untersuchungsorgans, d. h. einer kriminalpolizeilichen Ermittlungsbehörde. Ursprünglich vor allem für die sog. Staatsverbrechen zuständig, befasste sie sich in der Honecker-Ära überwiegend mit Straftaten gegen die staatliche Ordnung, vor allem mit Fällen "ungesetzlichen Grenzübertritts" und Delikten, die mit Ausreisebegehren zu tun hatten. Nach StPO der DDR standen auch die Ermittlungsverfahren der Linie IX unter Aufsicht der Staatsanwaltschaft, in der Praxis arbeitete das MfS hier jedoch weitgehend eigenständig.
Die Hauptabteilung IX und die Abteilungen IX der BV waren berechtigt, Ermittlungsverfahren einzuleiten sowie Festnahmen, Vernehmungen, Durchsuchungen, Beschlagnahmen und andere strafprozessuale Handlungen vorzunehmen sowie verpflichtet, diese Verfahren nach einer bestimmten Frist - meist durch die Übergabe an die Staatsanwaltschaft zur Anklageerhebung - zum Abschluss zu bringen (Untersuchungsvorgang). Daneben führte sie Vorermittlungen zur Feststellung von Ursachen und Verantwortlichen bei Großhavarien (industriellen Störfällen), Flugblättern widerständigen Inhalts, öffentlichen Protesten u. ä. (Vorkommnisuntersuchung, Sachverhaltsprüfung).
Die Hauptabteilung IX gehörte zeit ihres Bestehens zum Anleitungsbereich Mielkes, in den ersten Jahren in seiner Funktion als Staatssekretär und 1. stellv. Minister, ab 1957 als Minister. Ihre Leiter waren Alfred Karl Scholz (1950-1956), Kurt Richter (1956-1964), Walter Heinitz (1964-1973) und Rolf Fister (1973-1989).
1953 bestand die Hauptabteilung IX aus drei Abteilungen, die für Spionagefälle, Fälle politischer "Untergrundtätigkeit" und die Anleitung der Abt. IX der BV zuständig waren. Durch Ausgliederungen entstanden weitere Abteilungen, so u. a. für Wirtschaftsdelikte, Militärstraftaten, Delikte von MfS-Angehörigen und Fluchtfälle. Ende 1988 bestand die Hauptabteilung IX aus zehn Untersuchungsabteilungen sowie der Auswertungs- und Kontrollgruppe (AKG) und der AGL (Arbeitsgruppe des Ministers (AGM)) mit insgesamt 489 Mitarbeitern. Auf der Linie IX arbeiteten 1.225 hauptamtliche Mitarbeiter.
Die Linie IX wirkte eng mit den Abteilung XIV (Haft) und der Linie VIII (Beobachtung, Ermittlung), die für die Durchführung der Festnahmen zuständig waren, zusammen. Bei der juristischen Beurteilung von Operativen Vorgängen (OV) wurde die Hauptabteilung IX von den geheimdienstlich arbeitenden Diensteinheiten häufig einbezogen.
Anwerbung war in den Jahren 1950 bis 1968 die Bezeichnung des MfS für die Werbung von IM für die konspirative Arbeit. Im Vorfeld der Anwerbung war die Person sorgfältig, aber konspirativ zu überprüfen. In der Regel hatte der Angeworbene die Bereitschaft zur Kooperation schriftlich zu erklären und sich dabei einen Decknamen auszuwählen. Über die Anwerbung selbst war vom Führungsoffizier ein detaillierter Bericht zu fertigen.
Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet wurde. Die zuletzt 13 Hauptabteilungen wurden durch Einzelleiter geführt. Die weiter untergliederten und nach dem Linienprinzip tätigen HA waren für komplexe, abgegrenzte Bereiche operativ zuständig und federführend verantwortlich. Der Zuschnitt der Zuständigkeitsbereiche war an Ressorts oder geheimdienstlichen Praktiken (z. B. Verkehrswesen, Beobachtung, Funkspionage) orientiert.
Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet wurde. Die zuletzt 13 Hauptabteilungen wurden durch Einzelleiter geführt. Die weiter untergliederten und nach dem Linienprinzip tätigen HA waren für komplexe, abgegrenzte Bereiche operativ zuständig und federführend verantwortlich. Der Zuschnitt der Zuständigkeitsbereiche war an Ressorts oder geheimdienstlichen Praktiken (z. B. Verkehrswesen, Beobachtung, Funkspionage) orientiert.
Hauptverwaltung (HV) war eine Organisationseinheit in der MfS-Zentrale, die bereits ausdifferenzierte Aufgabenkomplexe in einer hierarchisch gegliederten Einheit zusammenfasst. Überwiegend durch Stellvertreter des Ministers direkt geleitet. Über das Gründungsjahrzehnt des MfS hinweg hatte nur die HV A als echte HV Bestand. Daneben war Hauptverwaltung eine Bezeichnung für Diensteinheiten im MfS ohne strukturell berechtigenden Hintergrund.
Erstes Stadium des Strafverfahrens, steht formal unter Leitung des Staatsanwaltes (§ 87 StPO/1968). Die eigentlichen Ermittlungen werden von den staatlichen Untersuchungsorganen (Polizei, MfS, Zoll) durchgeführt (§ 88 StPO/1968) und vom Staatsanwalt beaufsichtigt (§ 89 StPO/1968).
Tatsächlich waren für die Ermittlungen des MfS lediglich die zuvor vom MfS ausgewählten Staatsanwälte der Abteilungen IA zuständig, die gemäß MfS-internen Regelungen keine Einsicht in Unterlagen oder Ermittlungen, die nicht der StPO entsprachen, bekommen durften. Faktisch gab es daher eine doppelte Aktenführung in der zuständigen Linie IX: den internen Untersuchungsvorgang und die für Staatsanwaltschaft und Gericht bestimmte Gerichtsakte und somit keine wirksame staatsanwaltschaftliche Aufsicht über die MfS-Ermittlungen. Einleitung wie auch Einstellung des Ermittlungsverfahrens konnten selbständig von den Untersuchungsorganen verfügt werden (§§ 98, 141 StPO/1968).
Mit dem Ermittlungsverfahren verbunden waren Eingriffe in die persönliche Freiheit Beschuldigter durch die Untersuchungsorgane wie die Beschuldigten- und Zeugenvernehmung, die Durchsuchung, die Beschlagnahme, die Festnahme oder die Untersuchungshaft. In der Tätigkeit des MfS stellte das Ermittlungsverfahren einen besonders wirksamen Teil des repressiven Vorgehens gegen politische Gegner dar.
Untersuchungshaft ist eine freiheitsentziehende Zwangsmaßnahme zur Sicherung des Strafverfahrens. Die Untersuchungshaft begann nach der Verkündung des Haftbefehls durch einen Richter und endete mit der Überstellung in den Strafvollzug nach Erlangung der Rechtskraft einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, selten auch mit der Freilassung.
Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft waren ein dringender Tatverdacht sowie entweder Fluchtverdacht oder Verdunklungsgefahr (§ 112 StPO/1949, § 141 StPO/1952, § 122 StPO/1968). Der Vollzug der Untersuchungshaft war gesetzlich mit nur einem StPO-Paragraphen geregelt (§ 116 StPO/1949, § 147 StPO/1952, § 130 StPO/1968), alles Weitere in internen Ordnungen. Er erfolgte für Beschuldigte, deren Ermittlungsverfahren von der Staatssicherheit geführt wurden, in MfS-Untersuchungshaftanstalten in Berlin bzw. den Bezirksstädten der DDR.
Die Haftbedingungen waren dort von Willkür, völliger Isolation und daraus resultierender Desorientierung der Häftlinge gekennzeichnet. Für den Vollzug der Untersuchungshaft war im MfS die Linie XIV (Abt. XIV) zuständig; die Vernehmungen oblagen den Untersuchungsführern der Linie IX (HA IX).
Bei der Werbung handelte es sich um die Herbeiführung einer Entscheidung von Personen (IM-Kandidat) zur inoffiziellen Zusammenarbeit mit dem MfS (bis 1968 auch gebräuchlicher bezeichnet als Anwerbung).
Im Operationsgebiet gab es selten auch die Werbung unter falscher Flagge, bei der ein Mitarbeiter des MfS als Angehöriger einer anderen Einrichtung getarnt in Erscheinung trat. Die Durchführung der Werbung war sorgfältig vorzubereiten und hatte in einen Werbungsvorschlag zu münden, der von übergeordneten Leitern bestätigt werden musste. Der Vorschlag sollte eine Analyse der Kandidatenpersönlichkeit, das Werbungsziel, die "Werbungsgrundlage" und das methodische Vorgehen, Zeit, Ort und Inhalt des geplanten "Werbegesprächs", Verhaltensvarianten, Art und Weise der Verpflichtung sowie alle Absicherungsmaßnahmen enthalten. Die getroffenen Festlegungen waren in einem Bericht zu dokumentieren.
Häufig gingen dem eigentlichen Werbungsgespräch Kontaktgespräche voraus, bei denen der Kandidat allmählich an die Werbung herangeführt werden sollte. Bei der Werbung sollten auch Interessen des Kandidaten eine Rolle spielen, da das MfS davon ausging, dass dieser für sich "Aufwand, Nutzen und Risiko" gegeneinander abwägen würde.
Das MfS unterschied drei kategorial unterschiedliche "Werbungsgrundlagen":
Letztere spielten häufig bei Werbung unter Druck, zum Beispiel unter Heranziehung kompromitierender Informationen (Kompromat) eine Rolle.
Bei der Werbung war dem Kandidaten möglichst das Gefühl zu geben, seine Entscheidung würde frei und wohlüberlegt fallen. Ihre Ernsthaftigkeit sollte durch die Preisgabe interner beruflicher oder privater Kenntnisse unterstrichen werden. Ziel der Werbung war im Regelfall eine förmliche Verpflichtung. Teil der Werbung war ein erster operativer Auftrag. Die vorab getroffenen Festlegungen waren im Werbungsvorschlag, die durchgeführte Werbung im Werbungsbericht zu dokumentieren.
Das MfS hat als ein Instrument der DDR, insbesondere der SED-Führung, die politischen Interessen des Staates inoffiziell in der Bundesrepublik Deutschland unterstützt. Die Westarbeit des MfS bestand aus Spionageaktivitäten, also der nachrichtendienstlichen Beschaffung von Informationen, Patenten, Verfahren und Mustern durch das MfS.
Die Bezeichnungen Westarbeit und Spionage meinen in diesem Kontext das, was beim MfS mit "operative Arbeit im und nach dem Operationsgebiet" bezeichnet wird. Im engeren Sinne also die Arbeit mit Inoffiziellen Mitarbeitern im "Operationsgebiet", bei dem es sich überwiegend um die Bundesrepublik Deutschland und Westberlin handelte, aber auch die in der NATO und der Europäischen Gemeinschaft verbundenen Staaten einschloss.
Im weiteren Sinne fallen darunter auch die Funkaufklärung und der Einsatz von Offizieren im besonderen Einsatz in Botschaften, Konsulaten usw. Erfolgte diese operative Arbeit bis Anfang der 70er Jahre wesentlich "illegal", ergaben sich mit der zunehmenden Anerkennung der DDR auch verstärkt "legale" Zugänge über die Einrichtung von Botschaften, von denen aus das MfS mit "legal abgedeckten Residenturen" arbeiten konnte.
Für die Beschaffung von wissenschaftlich-technischen, politischen und militärischen Informationen war vor allem die Hauptverwaltung A zuständig, aber nahezu gleichrangig zahlreiche Abwehrdiensteinheiten des MfS. Die Hauptabteilung I, in der DDR für die Absicherung des Militärkomplexes verantwortlich, erkundete auch die Bundeswehr, den Bundesgrenzschutz, den Zollgrenzdienst, die Bayerische Grenzpolizei und diverse Einrichtungen der NATO.
Die Hauptabteilung II, mit der "offensiven Abwehr" ausländischer Nachrichtendienste in der DDR befasst, arbeitete zeitweise auch gegen den Bundesnachrichtendienst, das Bundesamt und die Landesämter für Verfassungsschutz sowie den Militärischen Abschirmdienst. Die Hauptabteilung VI überwachte neben dem Ein-, Ausreise- und Transitverkehr in der DDR auch den über innerdeutsche Grenzen hinaus von und nach Westberlin.
Die Hauptabteilung VII unterhielt im "Operationsgebiet" ebenfalls ein Netz, das im klassischen Sinne kriminelle Aktivitäten wie Schmuggel aufzuklären hatte. Die Hauptabteilung VIII war für Ermittlungen und Beobachtungen zuständig. Zugleich war sie Servicediensteinheit für alle Diensteinheiten des MfS, indem sie den Informationsbedarf über Bundesbürger bediente.
Neben der Sicherungsarbeit in den Bereichen Staatsapparat, Blockparteien und "politischer Untergrundtätigkeit" war die Hauptabteilung XX im "Operationsgebiet" für alle Einrichtungen zuständig, die sich mit der DDR befassten. Im Visier der Hauptabteilung XXII standen links- und rechtsextremistische, überwiegend terroristische Gruppen.
Schließlich wäre auf Hauptabteilungsebene noch die Zentrale Kontrollgruppe anzuführen, die sich mit besonders DDR-kritischen Gruppen befasste, wie z. B. der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte oder den Fluchthilfeorganisationen. Mit der Westarbeit waren nicht allein die zentralen Abwehrdiensteinheiten befasst, sondern ihre Linien (Linienprinzip) erstreckten sich meist auch auf Bezirks- und im Einzelfall auf Kreisverwaltungsebene des MfS.
In den Kontext der Westarbeit sind auch die etwa 400 Entführungen von Bürgern aus der Bundesrepublik Deutschland und Westberlin zu zählen sowie vereinzelte Versuche und Erwägungen, Bürger zu töten, wobei bislang ein Mord nicht nachgewiesen ist. Das MfS selbst verstand unter der "Arbeit im und nach dem Operationsgebiet" die "Gesamtheit der politisch-operativen Kräfte des MfS im Operationsgebiet und die Nutzung solcher Personen aus dem Operationsgebiet, die zur Erfüllung operativer Aufgaben geeignet sind".
Die HV A und ihre Abteilungen XV in den Bezirksverwaltungen arbeiteten nach Schwerpunkten im "Operationsgebiet", ihre innere Struktur drückte die entsprechende Interessenlage aus.
Demnach konzentrierte sich die Abt. I auf Politik und strategische Absichten der Bundesregierung, die Abt. II auf die Parteien, Gewerkschaften, Landsmannschaften im "Operationsgebiet", die Abt. III steuerte die operative Arbeit der "legal abgedeckten Residenturen" in DDR-Botschaften, Konsulaten und Handelseinrichtungen, und die Abt. IV beschäftigte sich mit den militärischen Zentren" in der Bundesrepublik Deutschland, wozu das Bundesministerium der Verteidigung, Wehrbezirkskommandos der Bundeswehr und diverse US-amerikanische Einrichtungen gehörten. Die Abt. IX befasste sich mit westlichen Nachrichtendiensten, die Abt. XI mit den USA und die Abt. XII mit der NATO.
Die Abteilungen XIII bis XV gehörten zum Sektor Wissenschaft und Technik, der systematisch Patente, Verfahren und Muster für die DDR- und osteuropäische Forschung und Wirtschaft beschaffte. Schwerpunkte waren die Fachgebiete Energie, Biologie, Chemie, Elektronik, Elektrotechnik und Maschinenbau sowie das Bemühen, die Embargopolitik zu unterlaufen. Für offizielle, mithin dienstliche Kontakte zwischen beispielsweise DDR- und bundesdeutschen Wissenschaftlern oder Politikern war eigens die Abt. XVI der HV A zuständig, die auf diesem Weg an relevante Informationen gelangen sollte.
Während all diese Abteilungen der HV A überwiegend informationsbeschaffend tätig waren, verfügte sie mit der Abt. X eigens über eine Struktureinheit, die systematisch aktive Maßnahmen in der Bundesrepublik zu entfalten suchte.
Das MfS hat als ein Instrument der DDR, insbesondere der SED-Führung, die politischen Interessen des Staates inoffiziell in der Bundesrepublik Deutschland unterstützt. Die Westarbeit des MfS bestand aus Spionageaktivitäten, also der nachrichtendienstlichen Beschaffung von Informationen, Patenten, Verfahren und Mustern durch das MfS.
Die Bezeichnungen Westarbeit und Spionage meinen in diesem Kontext das, was beim MfS mit "operative Arbeit im und nach dem Operationsgebiet" bezeichnet wird. Im engeren Sinne also die Arbeit mit Inoffiziellen Mitarbeitern im "Operationsgebiet", bei dem es sich überwiegend um die Bundesrepublik Deutschland und Westberlin handelte, aber auch die in der NATO und der Europäischen Gemeinschaft verbundenen Staaten einschloss.
Im weiteren Sinne fallen darunter auch die Funkaufklärung und der Einsatz von Offizieren im besonderen Einsatz in Botschaften, Konsulaten usw. Erfolgte diese operative Arbeit bis Anfang der 70er Jahre wesentlich "illegal", ergaben sich mit der zunehmenden Anerkennung der DDR auch verstärkt "legale" Zugänge über die Einrichtung von Botschaften, von denen aus das MfS mit "legal abgedeckten Residenturen" arbeiten konnte.
Für die Beschaffung von wissenschaftlich-technischen, politischen und militärischen Informationen war vor allem die Hauptverwaltung A zuständig, aber nahezu gleichrangig zahlreiche Abwehrdiensteinheiten des MfS. Die Hauptabteilung I, in der DDR für die Absicherung des Militärkomplexes verantwortlich, erkundete auch die Bundeswehr, den Bundesgrenzschutz, den Zollgrenzdienst, die Bayerische Grenzpolizei und diverse Einrichtungen der NATO.
Die Hauptabteilung II, mit der "offensiven Abwehr" ausländischer Nachrichtendienste in der DDR befasst, arbeitete zeitweise auch gegen den Bundesnachrichtendienst, das Bundesamt und die Landesämter für Verfassungsschutz sowie den Militärischen Abschirmdienst. Die Hauptabteilung VI überwachte neben dem Ein-, Ausreise- und Transitverkehr in der DDR auch den über innerdeutsche Grenzen hinaus von und nach Westberlin.
Die Hauptabteilung VII unterhielt im "Operationsgebiet" ebenfalls ein Netz, das im klassischen Sinne kriminelle Aktivitäten wie Schmuggel aufzuklären hatte. Die Hauptabteilung VIII war für Ermittlungen und Beobachtungen zuständig. Zugleich war sie Servicediensteinheit für alle Diensteinheiten des MfS, indem sie den Informationsbedarf über Bundesbürger bediente.
Neben der Sicherungsarbeit in den Bereichen Staatsapparat, Blockparteien und "politischer Untergrundtätigkeit" war die Hauptabteilung XX im "Operationsgebiet" für alle Einrichtungen zuständig, die sich mit der DDR befassten. Im Visier der Hauptabteilung XXII standen links- und rechtsextremistische, überwiegend terroristische Gruppen.
Schließlich wäre auf Hauptabteilungsebene noch die Zentrale Kontrollgruppe anzuführen, die sich mit besonders DDR-kritischen Gruppen befasste, wie z. B. der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte oder den Fluchthilfeorganisationen. Mit der Westarbeit waren nicht allein die zentralen Abwehrdiensteinheiten befasst, sondern ihre Linien (Linienprinzip) erstreckten sich meist auch auf Bezirks- und im Einzelfall auf Kreisverwaltungsebene des MfS.
In den Kontext der Westarbeit sind auch die etwa 400 Entführungen von Bürgern aus der Bundesrepublik Deutschland und Westberlin zu zählen sowie vereinzelte Versuche und Erwägungen, Bürger zu töten, wobei bislang ein Mord nicht nachgewiesen ist. Das MfS selbst verstand unter der "Arbeit im und nach dem Operationsgebiet" die "Gesamtheit der politisch-operativen Kräfte des MfS im Operationsgebiet und die Nutzung solcher Personen aus dem Operationsgebiet, die zur Erfüllung operativer Aufgaben geeignet sind".
Die HV A und ihre Abteilungen XV in den Bezirksverwaltungen arbeiteten nach Schwerpunkten im "Operationsgebiet", ihre innere Struktur drückte die entsprechende Interessenlage aus.
Demnach konzentrierte sich die Abt. I auf Politik und strategische Absichten der Bundesregierung, die Abt. II auf die Parteien, Gewerkschaften, Landsmannschaften im "Operationsgebiet", die Abt. III steuerte die operative Arbeit der "legal abgedeckten Residenturen" in DDR-Botschaften, Konsulaten und Handelseinrichtungen, und die Abt. IV beschäftigte sich mit den militärischen Zentren" in der Bundesrepublik Deutschland, wozu das Bundesministerium der Verteidigung, Wehrbezirkskommandos der Bundeswehr und diverse US-amerikanische Einrichtungen gehörten. Die Abt. IX befasste sich mit westlichen Nachrichtendiensten, die Abt. XI mit den USA und die Abt. XII mit der NATO.
Die Abteilungen XIII bis XV gehörten zum Sektor Wissenschaft und Technik, der systematisch Patente, Verfahren und Muster für die DDR- und osteuropäische Forschung und Wirtschaft beschaffte. Schwerpunkte waren die Fachgebiete Energie, Biologie, Chemie, Elektronik, Elektrotechnik und Maschinenbau sowie das Bemühen, die Embargopolitik zu unterlaufen. Für offizielle, mithin dienstliche Kontakte zwischen beispielsweise DDR- und bundesdeutschen Wissenschaftlern oder Politikern war eigens die Abt. XVI der HV A zuständig, die auf diesem Weg an relevante Informationen gelangen sollte.
Während all diese Abteilungen der HV A überwiegend informationsbeschaffend tätig waren, verfügte sie mit der Abt. X eigens über eine Struktureinheit, die systematisch aktive Maßnahmen in der Bundesrepublik zu entfalten suchte.
Vernehmung von Walter Schneider im Schauprozess gegen ihn wegen Spionage für die Organisation Gehlen Audio, 41 Minuten, 45 Sekunden
Vernehmung von Werner Haase im Schauprozess gegen ihn und Weitere wegen Spionage für die Organisation Gehlen (Teil 1) Audio, 41 Minuten, 35 Sekunden
Urteilsverkündung im Schauprozesses gegen Werner Haase und Weitere wegen Spionage für die Organisation Gehlen Audio, 1 Minute, 27 Sekunden
Vernehmung von Werner Haase im Schauprozess gegen ihn und Weitere wegen Spionage für die Organisation Gehlen (Teil 2) Audio, 58 Minuten, 26 Sekunden