Signatur: BStU, MfS, HA XX/9, Nr. 1514, Bl. 7-87
Die Gedächtnisprotokolle von festgenommenen und misshandelten Demonstranten dokumentieren die Übergriffe staatlicher Organe am 7. und 8. Oktober 1989 in Ost-Berlin
Am 7. Oktober 1989 feierte die Partei- und Staatsführung den 40. Jahrestag der Gründung der DDR. Doch die Lage im Land war angespannt: Die Fluchtwelle über Ungarn und die Tschechoslowakei hatte seit August dramatische Ausmaße angenommen. Hinzu kam der wachsende Unmut derer, die blieben und sich in Oppositionsgruppen zusammenschlossen. So fanden beispielsweise in Leipzig seit dem 4. September regelmäßig Montagsdemonstrationen statt. Die Sicherheitskräfte befürchteten deshalb auch am 7. Oktober mit Protesten in Berlin. Stasi-Chef Erich Mielke ordnete daher an: "Feindliche Aktivitäten sind mit allen Mitteln entschlossen zu unterbinden."
Zur Feier des Republikgeburtstages dinierte die DDR-Führung im Palast der Republik mit internationalen Staatsgästen - darunter der Palästinenserführer Jassir Arafat, der rumänische Staatschef Nicolae Ceausescu und der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow. Zur gleichen Zeit versammelten sich auf dem nahegelegenen Alexanderplatz tausende Menschen. Unter ihnen bildete sich ein Demonstrationszug, der sich in Richtung Palast der Republik bewegte. Doch Sicherheitskräften bestehend aus Stasi, Volkspolizei und Ordnungsgruppen der FDJ gelang es, den Zug aus dem Stadtzentrum abzudrängen.
Einige der Demonstranten marschierten daraufhin in Richtung Prenzlauer Berg. Dort gingen die Sicherheitskräfte brutal gegen die friedlichen Demonstranten vor. Volkspolizei und Stasi prügelten Demonstranten in bereitstehende LKW. Die Verhafteten wurden abtransportiert, stundenlang auf Polizeirevieren festgehalten, erniedrigt und misshandelt. Darunter befanden sich auch völlig unbeteiligte Anwohner. Um die Gethsemanekirche lauerten Sicherheitskräfte den Teilnehmern einer Bittandacht auf. Als diese das Gotteshaus verlassen wollten, schlug die Polizei zu. Sie kesselte die Menge ein und verhaftete zahlreiche Menschen. Tags darauf versammelten sich wiederum etwa 3.000 Menschen in der Gethsemanekirche zu einer Andacht. Nach dem Verlassen des Gotteshauses kesselten sie wieder Sondereinheiten der Polizei ein und trieben sie gewaltsam auseinander. Wieder gab es Verletzte und Gefangene.
Nach ihrer Freilassung schilderten viele Verhaftete ihre Erlebnisse in den vorliegenden Gedächtnisprotokollen. Sie wurden von der Kontakttelefongruppe in der Berliner Gethsemane-Gemeinde gesammelt. Sie enthalten rund 150 Erinnerungsprotokolle von festgenommenen und misshandelten Demonstranten. Sie dokumentieren die Übergriffe staatlicher Organe und deren Gewaltexzesse am 7. und 8. Oktober 1989 in Berlin.
Die Aufzeichnungen wurden am 23. Oktober 1989 auf einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit übergeben. Die von den Oppositionsgruppen geforderte Untersuchungskommission wurde Anfang November eingerichtet.
Bericht über meine polizeiliche Zuführung vom 7. zum 8. Oktober 1989
Am Abend des 7.10.89 fuhr ich mit meinem Ehemann in das Stadtzentrum, um einen Eindruck von den Vorgängen dort zu gewinnen. Wir parkten unser Auto in der Stargarder Straße, kurz nach der Kreuzung Dunckerstraße. Nachdem wir ausgestiegen waren sahen wir, daß die Straße in Richtung der Gethsemane-Kirche von einer Polizeikette abgeriegelt wurde. Wir hielten dies für eine Strassensperre und liefen deswgen in die andere Richtung zur Prenzlauer Allee. Plötzlich e rscholl ein Kommando aus den Reihen der Polizei und die Polizisten rannten ohne Vorwarnung los und hielten meinen Ehemann und mich fest, sowie andere Bürger, die sich gerade auf der Straße befanden. Auf einer Mauer saßen Jugendliche, die einfach hinuntergeschmissen und mit Schlagstöcken traktiert wurden.
Ich war überhaupt nicht auf die Idee gekommen wegzulaufen, da ich ja w ußte, daß ich keinerlei strafbare Handlung begehe und dies sich sofort aufklären würde. Ich sagte zu dem Polizisten, der einen Polizeigriff bei mir anwendete: "Ich tue Ihnen doch nichts."
Mein Ehemann und ich wurden zusammen mit vielen anderen Bürgern auf einen LKW geladen, darunter eine Familie mit einem 12-jährigen Kind, sowie eine junge Frau, die gerade einen Brief zum Briefkasten bringen wollte. Vorn saß ein junger Mann, dem mit einem Polizeiknüppel die Hand gebrochen worden war. Außerdem befand sich eine Frau mit einer Kopfverletzung auf dem LKW.
Wir wurden alle zum Polizeirevier Immanuelkirchstraße gefahren, dort war hinter dem Tor ein ganzer Pulk von Volkspolizisten versammelt, die auf den jungen Mann mit der gebrochenen Hand einprügelten, als dieser gegen die Behandlung protestierte und einen Arzt verlangte. Wir mußten uns in einer Reihe anstellen und unsere Ausweise abgeben. Dann mußten wir uns mit dem Gesicht zur Wand an den Mauern des Hofes entlangreihen. Wir sollten uns nicht umdrehen und nicht miteinander sprechen, dies wurde hier jedoch noch relativ locker gehandhabt. Es herrschte aber ein ausgesprochen rüder und demütigender Ton vor.
Mein Ehemann wurde als erster von uns beiden zum Verhör geführt und wir waren ab dann getrennt. Ich stand dort ca. 1 1/2 Stunden, bis ich zum Verhör geführt wurde. Die beiden Beamten in Zivil, die mich verhörten, verhielten sich korrekt und zugewandt. Sie meinten, daß ich eigentlich gleich freigelassen werden könnte, daß sie aber darauf keinen Einfluß hätten. Sie übergaben mich wieder der Volkspolizei, die mich sofort auf einen nächsten LKW lud. Jeder Protest dagegen wurde sofort mit wüsten Beschimpfungen oder Schlägen beantwortet. In diesem LKW saß neben mir ein Mann, der auf dem Polizeirevier Immanuelkirchstraße von mehreren Polizisten zusammengeschlagen wurde und dann drei Stunden nackend an einer Wand stehen mußte. Dem Mann mir gegenüber war die Brille zerschlagen worden. Außerdem saß ein junger Mann mit auf dem LKW, der beim Verhör angegeben hatte, daß er an einer friedlichen Demonstration teilgenommen habe. Daraufhin schlug ihm der Beamte sofort mit der Faust ins Gesicht. Auch andere junge Männer hatten Spuren von Schlägen im Gesicht. Auf diesem LKW saß auch wieder die Mutter mit dem 12-jährigen Kind.
Der LKW fuhr nach Rummelsburg. Dort mußten wir ewig in der Kälte warten, bis anscheinend festgestellt wurde, daß wir woandershin sollten. Die Mutter mit dem Kind durfte aussteigen, wir anderen wurden zu einem Polizeirevier in Berlin-Lichtenberg in der Rathausstraße gebracht. Dort beganneh dann die schlimmsten Drangsalierungen. Als wir in den Hof fuhren, standen dort mehrere Polizisten mit Schäferhunden, die sie extra bellen ließen. Jeder mußte einzeln vom LKW steigen und sich in einer leeren Garage wieder mit dem Gesicht zur Wand stellen. Diesmal durfte man aber nicht die geringste Regung zeigen, nicht ein wenig nach rechts oder links gucken oder etwa reden oder sich zulächeln. Wir wurden dauernd in rüdester Weise angeschrieen. Die Männer mehrfach geschla-
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet wurde. Die zuletzt 13 Hauptabteilungen wurden durch Einzelleiter geführt. Die weiter untergliederten und nach dem Linienprinzip tätigen HA waren für komplexe, abgegrenzte Bereiche operativ zuständig und federführend verantwortlich. Der Zuschnitt der Zuständigkeitsbereiche war an Ressorts oder geheimdienstlichen Praktiken (z. B. Verkehrswesen, Beobachtung, Funkspionage) orientiert.
Eine Zuführung ist eine polizeirechtliche Maßnahme der kurzzeitigen Freiheitsentziehung, wurde zunächst aus der polizeirechtlichen Generalklausel von § 14 des in der DDR bis 1968 geltenden Preußischen Polizeiverwaltungsgesetzes vom 1.6.1931 abgeleitet. Zuführungen von Personen konnten zur Feststellung der Personalien sowie "zur Klärung eines Sachverhalts" (Sachverhaltsprüfung) durchgeführt werden.
Seit 1968 bildete § 12 VP-Gesetz die Rechtsgrundlage für polizeirechtliche Zuführungen. Im Rahmen des strafprozessualen Prüfungsstadiums war auch eine Zuführung Verdächtiger zur Befragung nach § 95 Abs. 2 StPO/1968 als strafprozessuale Sicherungsmaßnahme zulässig. In beiden Fällen durfte die Zeitdauer 24 Stunden nicht überschreiten. Vom MfS wurden Zuführungen auch als taktisches Instrument genutzt. Sie konnten in eine Inhaftierung münden, aber auch zur Einschüchterung oder zur Anwerbung unter Druck genutzt werden.
Signatur: BStU, MfS, HA XX/9, Nr. 1514, Bl. 7-87
Die Gedächtnisprotokolle von festgenommenen und misshandelten Demonstranten dokumentieren die Übergriffe staatlicher Organe am 7. und 8. Oktober 1989 in Ost-Berlin
Am 7. Oktober 1989 feierte die Partei- und Staatsführung den 40. Jahrestag der Gründung der DDR. Doch die Lage im Land war angespannt: Die Fluchtwelle über Ungarn und die Tschechoslowakei hatte seit August dramatische Ausmaße angenommen. Hinzu kam der wachsende Unmut derer, die blieben und sich in Oppositionsgruppen zusammenschlossen. So fanden beispielsweise in Leipzig seit dem 4. September regelmäßig Montagsdemonstrationen statt. Die Sicherheitskräfte befürchteten deshalb auch am 7. Oktober mit Protesten in Berlin. Stasi-Chef Erich Mielke ordnete daher an: "Feindliche Aktivitäten sind mit allen Mitteln entschlossen zu unterbinden."
Zur Feier des Republikgeburtstages dinierte die DDR-Führung im Palast der Republik mit internationalen Staatsgästen - darunter der Palästinenserführer Jassir Arafat, der rumänische Staatschef Nicolae Ceausescu und der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow. Zur gleichen Zeit versammelten sich auf dem nahegelegenen Alexanderplatz tausende Menschen. Unter ihnen bildete sich ein Demonstrationszug, der sich in Richtung Palast der Republik bewegte. Doch Sicherheitskräften bestehend aus Stasi, Volkspolizei und Ordnungsgruppen der FDJ gelang es, den Zug aus dem Stadtzentrum abzudrängen.
Einige der Demonstranten marschierten daraufhin in Richtung Prenzlauer Berg. Dort gingen die Sicherheitskräfte brutal gegen die friedlichen Demonstranten vor. Volkspolizei und Stasi prügelten Demonstranten in bereitstehende LKW. Die Verhafteten wurden abtransportiert, stundenlang auf Polizeirevieren festgehalten, erniedrigt und misshandelt. Darunter befanden sich auch völlig unbeteiligte Anwohner. Um die Gethsemanekirche lauerten Sicherheitskräfte den Teilnehmern einer Bittandacht auf. Als diese das Gotteshaus verlassen wollten, schlug die Polizei zu. Sie kesselte die Menge ein und verhaftete zahlreiche Menschen. Tags darauf versammelten sich wiederum etwa 3.000 Menschen in der Gethsemanekirche zu einer Andacht. Nach dem Verlassen des Gotteshauses kesselten sie wieder Sondereinheiten der Polizei ein und trieben sie gewaltsam auseinander. Wieder gab es Verletzte und Gefangene.
Nach ihrer Freilassung schilderten viele Verhaftete ihre Erlebnisse in den vorliegenden Gedächtnisprotokollen. Sie wurden von der Kontakttelefongruppe in der Berliner Gethsemane-Gemeinde gesammelt. Sie enthalten rund 150 Erinnerungsprotokolle von festgenommenen und misshandelten Demonstranten. Sie dokumentieren die Übergriffe staatlicher Organe und deren Gewaltexzesse am 7. und 8. Oktober 1989 in Berlin.
Die Aufzeichnungen wurden am 23. Oktober 1989 auf einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit übergeben. Die von den Oppositionsgruppen geforderte Untersuchungskommission wurde Anfang November eingerichtet.
gen. Jeder Versuch, mit der Polizei normal und vernünftig zu reden, wurde als Provokation verstanden und mit Schlägen beantwortet, Ausnahmslos alle wurden in dieser Garage wie Schwerverbrecher be behandelt, wobei von den zugeführten Bürgern keine Gewalt ausging, diese sich sogar außerordentlich ruhig und diszipliniert verhielten. Trotz der Tatsache, daß die meisten "Zuführungen" völlig absurd und widersinnig verlaufen waren. Bei den Drangsalierungen tat sich besonders ein Polizist hervor, der bis ca. 6.00 Dienst gehabt haben muß. Ich könnte ihn leider nur an der Stimme wiedererkennen, weil ich ja die ganze Zeit mit dem Gesicht zur Wand stand. Ich schätze, daß ich ungefähr von 2.30 Uhr bis 7.00 Uhr so gestanden habe, also 4 1/2 Stunden. ZwischendurCh wurden mir noch meine Wertsachen, meine Uhr mein Halstuch und meine Schnürsenkel abgenommen.
Gegen ca. 7.00 Uhr wurde ich erneut zum Verhör geführt. [geschwärzt] verhielt sich völlig korrekt und freundlich zu mir. Es wurde ein Protokoll über meine polizeiliche Zuführung verfaßt, was den realen Gegebenheiten entsprach. In dem Verhör kam zur Sprache, daß meine Mutter die [geschwärzt] ist. Ich merkte, daß dies Wirkung zeigte und verlangte daraufhi hin, daß die menschunwürdige Behandlung unten in der Garage einzustellen sei. [geschwärzt] begleitete mich daraufhin nach unten und sprach mit den uns bewachenden Polizisten. Daraufhin änderte sich die Situation schlagartig. Der Ton wurde etwas weniger unwürdig, vor allen Dingen bekamen die Frauen Stühle, die Männer durften sich etwas bewegen. Wir bekamen etwas zu essen und zu trinken.
Mir fiel außerdem auf, daß einige der Männer von den Verhören nicht zurückkamen. Dies betraf auch den jungen Mann, der angegeben hatte, an einer friedlichen Demonstration beteiligt gewesen zu sein, und der beim ersten Verhör geschlagen wurde. Er hieß meines Erachtens
Ich selbst wurde gegen 12.20 Uhr, also 14 Stunden nach meiner Festnahme, entlassen. Zuvor hat sich noch ein Beamter in Zivil für die Behandlung entschuldigt und an mein Verständnis appelliert. Ich teilte ihm mit, daß ich selbstverständlich Beschwerde einlegen werde. Ich bin sicher, daß ich diese Entschuldigung nur dem Umstand zu verdanken habe, daß ich die Tochter von [geschwärzt] bin, nicht aber meinem Recht, als Staatsbürgerin der DDR von den Organen meines Staates menschenwürdig behandelt zu werden.
Dieses Recht schien an diesem Tag außer Kraft gesetzt zu sein.
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet wurde. Die zuletzt 13 Hauptabteilungen wurden durch Einzelleiter geführt. Die weiter untergliederten und nach dem Linienprinzip tätigen HA waren für komplexe, abgegrenzte Bereiche operativ zuständig und federführend verantwortlich. Der Zuschnitt der Zuständigkeitsbereiche war an Ressorts oder geheimdienstlichen Praktiken (z. B. Verkehrswesen, Beobachtung, Funkspionage) orientiert.
Eine Zuführung ist eine polizeirechtliche Maßnahme der kurzzeitigen Freiheitsentziehung, wurde zunächst aus der polizeirechtlichen Generalklausel von § 14 des in der DDR bis 1968 geltenden Preußischen Polizeiverwaltungsgesetzes vom 1.6.1931 abgeleitet. Zuführungen von Personen konnten zur Feststellung der Personalien sowie "zur Klärung eines Sachverhalts" (Sachverhaltsprüfung) durchgeführt werden.
Seit 1968 bildete § 12 VP-Gesetz die Rechtsgrundlage für polizeirechtliche Zuführungen. Im Rahmen des strafprozessualen Prüfungsstadiums war auch eine Zuführung Verdächtiger zur Befragung nach § 95 Abs. 2 StPO/1968 als strafprozessuale Sicherungsmaßnahme zulässig. In beiden Fällen durfte die Zeitdauer 24 Stunden nicht überschreiten. Vom MfS wurden Zuführungen auch als taktisches Instrument genutzt. Sie konnten in eine Inhaftierung münden, aber auch zur Einschüchterung oder zur Anwerbung unter Druck genutzt werden.
Signatur: BStU, MfS, HA XX/9, Nr. 1514, Bl. 7-87
Die Gedächtnisprotokolle von festgenommenen und misshandelten Demonstranten dokumentieren die Übergriffe staatlicher Organe am 7. und 8. Oktober 1989 in Ost-Berlin
Am 7. Oktober 1989 feierte die Partei- und Staatsführung den 40. Jahrestag der Gründung der DDR. Doch die Lage im Land war angespannt: Die Fluchtwelle über Ungarn und die Tschechoslowakei hatte seit August dramatische Ausmaße angenommen. Hinzu kam der wachsende Unmut derer, die blieben und sich in Oppositionsgruppen zusammenschlossen. So fanden beispielsweise in Leipzig seit dem 4. September regelmäßig Montagsdemonstrationen statt. Die Sicherheitskräfte befürchteten deshalb auch am 7. Oktober mit Protesten in Berlin. Stasi-Chef Erich Mielke ordnete daher an: "Feindliche Aktivitäten sind mit allen Mitteln entschlossen zu unterbinden."
Zur Feier des Republikgeburtstages dinierte die DDR-Führung im Palast der Republik mit internationalen Staatsgästen - darunter der Palästinenserführer Jassir Arafat, der rumänische Staatschef Nicolae Ceausescu und der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow. Zur gleichen Zeit versammelten sich auf dem nahegelegenen Alexanderplatz tausende Menschen. Unter ihnen bildete sich ein Demonstrationszug, der sich in Richtung Palast der Republik bewegte. Doch Sicherheitskräften bestehend aus Stasi, Volkspolizei und Ordnungsgruppen der FDJ gelang es, den Zug aus dem Stadtzentrum abzudrängen.
Einige der Demonstranten marschierten daraufhin in Richtung Prenzlauer Berg. Dort gingen die Sicherheitskräfte brutal gegen die friedlichen Demonstranten vor. Volkspolizei und Stasi prügelten Demonstranten in bereitstehende LKW. Die Verhafteten wurden abtransportiert, stundenlang auf Polizeirevieren festgehalten, erniedrigt und misshandelt. Darunter befanden sich auch völlig unbeteiligte Anwohner. Um die Gethsemanekirche lauerten Sicherheitskräfte den Teilnehmern einer Bittandacht auf. Als diese das Gotteshaus verlassen wollten, schlug die Polizei zu. Sie kesselte die Menge ein und verhaftete zahlreiche Menschen. Tags darauf versammelten sich wiederum etwa 3.000 Menschen in der Gethsemanekirche zu einer Andacht. Nach dem Verlassen des Gotteshauses kesselten sie wieder Sondereinheiten der Polizei ein und trieben sie gewaltsam auseinander. Wieder gab es Verletzte und Gefangene.
Nach ihrer Freilassung schilderten viele Verhaftete ihre Erlebnisse in den vorliegenden Gedächtnisprotokollen. Sie wurden von der Kontakttelefongruppe in der Berliner Gethsemane-Gemeinde gesammelt. Sie enthalten rund 150 Erinnerungsprotokolle von festgenommenen und misshandelten Demonstranten. Sie dokumentieren die Übergriffe staatlicher Organe und deren Gewaltexzesse am 7. und 8. Oktober 1989 in Berlin.
Die Aufzeichnungen wurden am 23. Oktober 1989 auf einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit übergeben. Die von den Oppositionsgruppen geforderte Untersuchungskommission wurde Anfang November eingerichtet.
Am 8.10.89 wurde ich gegen 23.40 Uhr an der Ecke Stargarder Str. / Pappelallee zugeführt. Ich hielt mich dort auf, weil ich zusammen mit meiner Freundin ihren Bruder in der Greifenhagener Str. besucht hatte. Da wir von der Polizeikette, die unsere Straße an der Ecke Buchholzer Str. abgeriegelt hatte, nicht durchgelassen wurden, versuchten wir, über die Stargarder Str. zur Straßenbahn Pappelallee zu kommen. Da auch die Stargarder Str. kurz vor der Pappelallee abgeriegelt war, gesellten wir uns zu einer dort stehenden Gruppe von etwa 50-70 Personen. Die Entfernung zur Polizeikette betrug rund 15 m auf der Straße standen direkt vor unserer Gruppe einige Kerzen. Einige stimmten "Sag mir, wo die Blumen Sind" an, viele sangen mit, einige Leute kamen auch mit Kerzen aus Richtung Kirche dazu. Nach dem Lied wurde "Dona nobis" gesungen. Währenddessen konnten wir beobachten, daß zwar Leute in den Kessel um die Gethsemanekirche hinein - aber keine hinausgelassen Wurden. Nach dem Lied gab es eine kurze Pause, die von einen Polizeisprecher unterbrochen wurde. Er trat vor und sagte: "Verlassen sie die Straße in Richtung Schönhauser Allee, sonst wird geräumt." Diese Worte waren schon das Zeichen für die Kette, die sofort losstürmte und auf jeden einschlug (Gummiknüppel), der nicht schnell genug wegrannte. Auch wir rannten sofort los, merkten jedoch, daß die Polizisten schneller waren und daß aus Richtung Kirche Zivile mit Gummiknüppeln kamen. Wir rannten auf ein Haus zu (Richtung Kirche linke Seite), um wenigstens auf einer Seite Deckung zuhaben. Ich legte meine Arme um meine Freundin, um den Bauch zu schützen, da sie in 5. Monat schwanger ist. Um Schläge überhaupt abzuwehren, schrie ich mehrmals laut, daß sie schwanger wäre. Ein Polizist, der uns gefolgt war, schlug ihr auf die Brust, rannte aber weiter, 4 o. 5 Zivilisten dagegen "kümmerten" sich weiter um uns, indem sie weiter auf uns einschlugen. Einer versuchte mehrmals, den von uns geschützten Bauch zu treffen. Da ihm das nicht glücke, schlug er uns mehrmals auf die Oberschenkel. Die ganze Zeit über rief ich, daß meine Freundin schwanger ist, bis ich so stark gewürgt wurde, daß ich keine Luft mehr bekam. Wir wurden auseinandergerissen, ich wurde zum Bus geschliffen (erst dort kam ich aus dem Würgegriff heraus). Kurz nach mir wurde meine Freundin in den Bus gestoßen. Wir sagten einem der in Bus anwesenden Zivilen, daß meine Freundin schwanger wäre. Sie zeigte ihm ihren Schwangerenausweis. Nachdem der Bus um die Ecke gefahren war, hielt er kurz an und sie konnte den Bus verlassen.
0.30 Ankunft in Rummelsburg
1.00-4.15 Aufenthalt in Garagen (anfangs stehend, Gesicht zur Wand, später nur noch, wenn höhergestellte Personen in Sicht waren. Die uns bewachenden Bepos warnten uns dann)
4.15 Überführung in Zellen; meine Zelle ca. 12 m², 46 Personen, Belüftung nur durch Gittertür
5.25 Verteilung von Butterstullen, für jeden eine
6.10 7 halbvolle Plastbecher mit Tee
7.45 zwei Bewußtlose (Sauerstoffmangel), Ärztin kommt, rüttelt beide wach, Blutdruckmessung, für die beiden je ein Becher Wasser
8.50 15 Personen wurden in eine andere Zelle verlegt
11.00 Feststellungen der Personalien, Photografien
14.00 Mittag (eine Bockwurst mit Brot ohne Senf)
16.00 Tee für alle
16.30 Feststellg. meiner Personalien
18.30 Befragung durch K. nochmals Überprüfung Personalien, Befrag. zu Vorgängen Stargarder / Pappelallee
10.10. 3.30 Entlassung aus Untersuchungshaft?
Aus meiner Zelle wurde niemand geschlagen, jedoch mußten wir bis zu 4 Stunden warten, um auf Toilette zu kommen
An der Ecke Stargarder / Pappelallee konnte ich (außer singen von Friedensliedern) keine Provokationen o. staatsfeindliche Handlungen beobachten.
Strafprozessrechtlich zulässige Möglichkeit der offiziellen Kontaktaufnahme mit Verdächtigen, Zeugen und anderen Personen noch vor Einleitung eines Ermittlungsverfahrens (strafprozessuales Prüfungsstadium). Verdächtige konnten gemäß § 95 StPO/1968 zur Befragung zugeführt werden (Zuführung). Vom MfS wurde die B. gelegentlich als demonstrative Maßnahme zur Einschüchterung Oppositioneller genutzt, gegen die aus politischen Gründen kein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden sollte.
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet wurde. Die zuletzt 13 Hauptabteilungen wurden durch Einzelleiter geführt. Die weiter untergliederten und nach dem Linienprinzip tätigen HA waren für komplexe, abgegrenzte Bereiche operativ zuständig und federführend verantwortlich. Der Zuschnitt der Zuständigkeitsbereiche war an Ressorts oder geheimdienstlichen Praktiken (z. B. Verkehrswesen, Beobachtung, Funkspionage) orientiert.
Untersuchungshaft ist eine freiheitsentziehende Zwangsmaßnahme zur Sicherung des Strafverfahrens. Die Untersuchungshaft begann nach der Verkündung des Haftbefehls durch einen Richter und endete mit der Überstellung in den Strafvollzug nach Erlangung der Rechtskraft einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, selten auch mit der Freilassung.
Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft waren ein dringender Tatverdacht sowie entweder Fluchtverdacht oder Verdunklungsgefahr (§ 112 StPO/1949, § 141 StPO/1952, § 122 StPO/1968). Der Vollzug der Untersuchungshaft war gesetzlich mit nur einem StPO-Paragraphen geregelt (§ 116 StPO/1949, § 147 StPO/1952, § 130 StPO/1968), alles Weitere in internen Ordnungen. Er erfolgte für Beschuldigte, deren Ermittlungsverfahren von der Staatssicherheit geführt wurden, in MfS-Untersuchungshaftanstalten in Berlin bzw. den Bezirksstädten der DDR.
Die Haftbedingungen waren dort von Willkür, völliger Isolation und daraus resultierender Desorientierung der Häftlinge gekennzeichnet. Für den Vollzug der Untersuchungshaft war im MfS die Linie XIV (Abt. XIV) zuständig; die Vernehmungen oblagen den Untersuchungsführern der Linie IX (HA IX).
Augenzeugenbericht zu den Verhaftungen während des Lindenberg-Konzerts in Ost-Berlin Dokument, 5 Seiten
Protokoll über die Vernehmung Lothar Markwirths zu den Ereignissen während des Volksaufstands in Niesky Dokument, 6 Seiten
Schlusswort von Karl Laurenz im Geheimprozess gegen ihn und Elli Barczatis wegen Spionage Audio, 10 Minuten, 46 Sekunden
Vernehmungsprotokolle Werner Teskes vom 16. und 19. Januar 1981 Dokument, 15 Seiten