Signatur: BStU, MfS, HA XX/9, Nr. 1514, Bl. 7-87
Die Gedächtnisprotokolle von festgenommenen und misshandelten Demonstranten dokumentieren die Übergriffe staatlicher Organe am 7. und 8. Oktober 1989 in Ost-Berlin
Am 7. Oktober 1989 feierte die Partei- und Staatsführung den 40. Jahrestag der Gründung der DDR. Doch die Lage im Land war angespannt: Die Fluchtwelle über Ungarn und die Tschechoslowakei hatte seit August dramatische Ausmaße angenommen. Hinzu kam der wachsende Unmut derer, die blieben und sich in Oppositionsgruppen zusammenschlossen. So fanden beispielsweise in Leipzig seit dem 4. September regelmäßig Montagsdemonstrationen statt. Die Sicherheitskräfte befürchteten deshalb auch am 7. Oktober mit Protesten in Berlin. Stasi-Chef Erich Mielke ordnete daher an: "Feindliche Aktivitäten sind mit allen Mitteln entschlossen zu unterbinden."
Zur Feier des Republikgeburtstages dinierte die DDR-Führung im Palast der Republik mit internationalen Staatsgästen - darunter der Palästinenserführer Jassir Arafat, der rumänische Staatschef Nicolae Ceausescu und der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow. Zur gleichen Zeit versammelten sich auf dem nahegelegenen Alexanderplatz tausende Menschen. Unter ihnen bildete sich ein Demonstrationszug, der sich in Richtung Palast der Republik bewegte. Doch Sicherheitskräften bestehend aus Stasi, Volkspolizei und Ordnungsgruppen der FDJ gelang es, den Zug aus dem Stadtzentrum abzudrängen.
Einige der Demonstranten marschierten daraufhin in Richtung Prenzlauer Berg. Dort gingen die Sicherheitskräfte brutal gegen die friedlichen Demonstranten vor. Volkspolizei und Stasi prügelten Demonstranten in bereitstehende LKW. Die Verhafteten wurden abtransportiert, stundenlang auf Polizeirevieren festgehalten, erniedrigt und misshandelt. Darunter befanden sich auch völlig unbeteiligte Anwohner. Um die Gethsemanekirche lauerten Sicherheitskräfte den Teilnehmern einer Bittandacht auf. Als diese das Gotteshaus verlassen wollten, schlug die Polizei zu. Sie kesselte die Menge ein und verhaftete zahlreiche Menschen. Tags darauf versammelten sich wiederum etwa 3.000 Menschen in der Gethsemanekirche zu einer Andacht. Nach dem Verlassen des Gotteshauses kesselten sie wieder Sondereinheiten der Polizei ein und trieben sie gewaltsam auseinander. Wieder gab es Verletzte und Gefangene.
Nach ihrer Freilassung schilderten viele Verhaftete ihre Erlebnisse in den vorliegenden Gedächtnisprotokollen. Sie wurden von der Kontakttelefongruppe in der Berliner Gethsemane-Gemeinde gesammelt. Sie enthalten rund 150 Erinnerungsprotokolle von festgenommenen und misshandelten Demonstranten. Sie dokumentieren die Übergriffe staatlicher Organe und deren Gewaltexzesse am 7. und 8. Oktober 1989 in Berlin.
Die Aufzeichnungen wurden am 23. Oktober 1989 auf einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit übergeben. Die von den Oppositionsgruppen geforderte Untersuchungskommission wurde Anfang November eingerichtet.
Ich war an jenem denkwürdigen Tage mit zwei Freunden unterwegs in Richtung der Geschehnisse. Es war im eigentlichen Sinne als informativer Spaziergang gedacht, denn wir rechneten nicht damit, irgendwie in unmittelbarer Berührung mit den Vorgängen zu kommen. Wir hatten nicht abgesprochen, was wir im Falle einer Festnahme aussagen würden, so daß drei ziemlich verschiedene Gründe für unsere Anwesenheit vermerkt sind - beispielsweise ließ ich mir eine obskure Geschichte einfallen, um unsere Anwesenheit zu erklären, was ich im nachhinein als Schwäche betrachte. Das wunderbare Feuerwerk zur Feier des vierzigjährigen Bestehens unseres Staates war gerade beendet und wir gingen durch die Dunckerstraße auf die Stargarder zu. Genau an der Kreuzung - schon von weitem sichtbar - ein riesiges Chaos von Polizeikräften. Beim Näherkommen wirkte es wie eine Collage zwischen amerikanischem Film und George Grosz, ein faszinierendes Puzzle, eine Verschachtelung von dutzenden Funkwagen und Einsatzlastwagen und hunderten Polizisten, die ohne ersichtlichen Grund truppweise knüppelschwingend umherliefen, es war faszinierend und lächerlich zugleich, die Leute kamen, glotzten und gingen, es war wie im Zoo. Es ergingen keine Aufforderungen, zu gehen, Leute, die ihren Ausweis zeigten und nach Hause wollten, wurden festgenommen und auch auf uns, die wir eine halbe oder eine Minute umherstanden und uns gerade in Bewegung setzten, um vielleicht doch durchgelassen zu werden oder "durchzukommen" stürmte dann mit dem Ruf "da sind sie!" Polizisten auf uns zu - "Kommkommkommkomm...", wir wurden gegen und dann in Lastwagen geworfen, Frauen, Jugendliche, ältere Leute. Die fassungslosen Leute - unter ihnen eine Frau, die gerade ihr Auto abschließen wollte (und die Staat und Recht studiert hatte) - wollten erfahren, warum, weshalb diesen Terror - keine Antwort. Im Revier Immanuelkirchstraße wurden wir gemischt und in Männchen und Weibchen unterschieden, für jedes Wort zuviel oder ohne Aufforderung wurde man angebrüllt oder geschlagen. Geschlagen wurde auch ein alter Mann, der immer wieder fassungslos brüllte - "Ihr schlagt mich!?" - er ohrfeigte auch einen jungen Polizisten, er begriff einfach diesen ganzen Terror nicht und war einem Infarkt nahe. Wir durften in frischverputzten Garagen mit dem Gesicht zur Wand stehen, Hände an der Seite. Diese Garagen müssen sich (frisch verputzt) anscheinend in allen Teilen Berlins befinden. Nach vielleicht einer Stunde wurden wir in Lastwagen (immer 3 Personen und 4 Bewacher) in das Gefängnis Rummelsburg gefahren. Im Hof des Gefängnisses, der sich mit Lastwagen und Bussen füllte, standen wir ungefähr 2 Stunden. Draußen liefen Uniformierte in Reithosen, Schaftstiefeln und Totschlägern umher. Die Behandlung der einzelnen "Belegschaften" der Wagen war sehr unterschiedlich, während uns ein lächerliches Jüngelchen in Uniform (siehe oben) als "Frischfleisch" bezeichnete und uns anbot, seinen Hund ohne Beißkorb auf uns zu hetzen (wobei er sich vor Aufregung versprach), droschen die Bewacher in anderen Wagen in undefinierbaren Zeitabständen auf die Leute ein, in anderen nur von Frauen besetzten Wagen gab es Stunk - die Bewacher wurden nach einer pubertären Antwort auf das Bedürfnis einer Frau, auf Toilette zu gehen, erbarmungslos darauf hingewiesen, daß sie als Männer unannehmbar seinen. Einem Mann, der austreten mußte, wurde geantwortet, er solle sich einpissen, stinken tue er sowieso schon. Hingewiesen werden muß auch auf die bereits empfindliche Kälte, sowie die unzureichende Bekleidung vieler Leute. Nach ungefähr 2 Stunden wurden die Wagen und Busse durch Schleusen in andere Höfe gefahren, anscheinend kam der nächste Schub. Wir wurden ausgeladen, vorwärts gestoßen, gleichzeitig von vorne mit einem Gummiknüppel im Magen aufgefangen und durch beleuchtete, mit beknüppelten Polizisten geschmückte Gänge getrieben und in Zellen verteilt. Größe vielleicht 15 m@ - belegt mit 35 Mann. Bei den Frauen war es humaner, bei uns saßen einige auf der Erde - während die Luft stickig und heiß war, war der Boden sehr kalt. Mich wunderte anfangs die seltsame Frisur einiger Menschen, ich überlegte allen Ernstes, ob es Haar-Gel sei, verwarf diesen Gedanken und mußte dann die naheliegendste Erklärung begreifen - Wasserwerfer - die Leute hatten in durchnäßten Klamotten Stunden im Hof zugebracht... Als besonderen Witz verdient der Toilettenbesuch Erwähnung - es ging immer schubweise - zwei Mann, zwei Büttel, einer der immer die Türe auf- und zuschließt. Kommandos wie "rechts!", "gerade!", "Losloslos!", "Mach, Du Gurke, oder ich mach Dir Beine!" und Ähnliches gleicher Qualität begleiteten uns bis in einen Raum, in dem die Personalausweise registriert wurden. In diesem Raum befand sich, wenn ich mich nicht täusche, nur eine weitere Türe - nämlich die zum Abtritt. Wir gingen hinein und nahmen in einer Sekunde das Panorama auf - zwei Klobecken, durch eine hüfthohe Sperrholzwand getrennt, gegenüber zwei Pißbecken, gegenüber der Tür ein Waschbecken. Ich ließ ohne Regung die Hose herunter und fing in aller Ruhe an zu scheißen, während mir gegenüber ein junger Mann sich mit seinem Strahl abmühte. Es ist verblüffend - anscheinend haben viele Schwierigkeiten unter der Eskorte zweier Gummiknüppelhalter zu scheißen, bei mir ist es genau umgekehrt - ich konnte erst 12 Stunden später pissen, in einem anderen Klo, wo die Helden im Flur warteten. Nach vielleicht 6 Stunden begann
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet wurde. Die zuletzt 13 Hauptabteilungen wurden durch Einzelleiter geführt. Die weiter untergliederten und nach dem Linienprinzip tätigen HA waren für komplexe, abgegrenzte Bereiche operativ zuständig und federführend verantwortlich. Der Zuschnitt der Zuständigkeitsbereiche war an Ressorts oder geheimdienstlichen Praktiken (z. B. Verkehrswesen, Beobachtung, Funkspionage) orientiert.
Signatur: BStU, MfS, HA XX/9, Nr. 1514, Bl. 7-87
Die Gedächtnisprotokolle von festgenommenen und misshandelten Demonstranten dokumentieren die Übergriffe staatlicher Organe am 7. und 8. Oktober 1989 in Ost-Berlin
Am 7. Oktober 1989 feierte die Partei- und Staatsführung den 40. Jahrestag der Gründung der DDR. Doch die Lage im Land war angespannt: Die Fluchtwelle über Ungarn und die Tschechoslowakei hatte seit August dramatische Ausmaße angenommen. Hinzu kam der wachsende Unmut derer, die blieben und sich in Oppositionsgruppen zusammenschlossen. So fanden beispielsweise in Leipzig seit dem 4. September regelmäßig Montagsdemonstrationen statt. Die Sicherheitskräfte befürchteten deshalb auch am 7. Oktober mit Protesten in Berlin. Stasi-Chef Erich Mielke ordnete daher an: "Feindliche Aktivitäten sind mit allen Mitteln entschlossen zu unterbinden."
Zur Feier des Republikgeburtstages dinierte die DDR-Führung im Palast der Republik mit internationalen Staatsgästen - darunter der Palästinenserführer Jassir Arafat, der rumänische Staatschef Nicolae Ceausescu und der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow. Zur gleichen Zeit versammelten sich auf dem nahegelegenen Alexanderplatz tausende Menschen. Unter ihnen bildete sich ein Demonstrationszug, der sich in Richtung Palast der Republik bewegte. Doch Sicherheitskräften bestehend aus Stasi, Volkspolizei und Ordnungsgruppen der FDJ gelang es, den Zug aus dem Stadtzentrum abzudrängen.
Einige der Demonstranten marschierten daraufhin in Richtung Prenzlauer Berg. Dort gingen die Sicherheitskräfte brutal gegen die friedlichen Demonstranten vor. Volkspolizei und Stasi prügelten Demonstranten in bereitstehende LKW. Die Verhafteten wurden abtransportiert, stundenlang auf Polizeirevieren festgehalten, erniedrigt und misshandelt. Darunter befanden sich auch völlig unbeteiligte Anwohner. Um die Gethsemanekirche lauerten Sicherheitskräfte den Teilnehmern einer Bittandacht auf. Als diese das Gotteshaus verlassen wollten, schlug die Polizei zu. Sie kesselte die Menge ein und verhaftete zahlreiche Menschen. Tags darauf versammelten sich wiederum etwa 3.000 Menschen in der Gethsemanekirche zu einer Andacht. Nach dem Verlassen des Gotteshauses kesselten sie wieder Sondereinheiten der Polizei ein und trieben sie gewaltsam auseinander. Wieder gab es Verletzte und Gefangene.
Nach ihrer Freilassung schilderten viele Verhaftete ihre Erlebnisse in den vorliegenden Gedächtnisprotokollen. Sie wurden von der Kontakttelefongruppe in der Berliner Gethsemane-Gemeinde gesammelt. Sie enthalten rund 150 Erinnerungsprotokolle von festgenommenen und misshandelten Demonstranten. Sie dokumentieren die Übergriffe staatlicher Organe und deren Gewaltexzesse am 7. und 8. Oktober 1989 in Berlin.
Die Aufzeichnungen wurden am 23. Oktober 1989 auf einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit übergeben. Die von den Oppositionsgruppen geforderte Untersuchungskommission wurde Anfang November eingerichtet.
man, die Belegschaften neu zu ordnen, ich und vielleicht um die 20 Leute - manche waren auch direkt bei der Demo, wurden in einen Gefängnistransport gesteckt und ins Polizeirevier nach Hellersdorf gefahren. Dort angekommen, wurden wir im Laufschritt Gänge und Treppen entlanggetrieben und mußten uns von der Wand entfernt auf dem Boden niederlassen. Mein Mageninhalt war während der Fahrt ziemlich durcheinandergeraten. Als wir nun saßen, kamen sie rein - vielleicht zwei Dutzend und mit Knüppeln. Ich dachte auch in Hinsicht auf die gepolsterten Türen, daß es jetzt losgehen würde und sah, daß auch markanten Demo-Leuten die Unterlippe zitterte. Es geschah jedoch nichts, außer daß wir nicht schlafen oder reden durften und auf diesem harten Boden saßen. Schuhe ausziehen hätte keinen Sinn gehabt, da man nie wußte, wann man geholt wurde wurde und so taten gegen 11 Uhr die Bandscheiben empfindlich weh. Ab und zu kam ein befehlsgewohnter, 2 Zentner schwerer Manfred Krug herein und verkündete glücksstrahlend "Locke komm - und du, ja du! Du gefällst mir, du bist der Nächste!". Wir alle erfuhren, ging es zum Personalienaufnehmen. Wir erfuhren es jedoch erst, wenn wir selbst dran waren. Es war für Anfänger eine gute Einführung in Einschüchterung und Polizeihumor. Eins hatten alle Polizisten gemeinsam - die Freude an der Macht, einige von ihnen waren auch das, was man unter dem Begriff "Henker" kennt.
Den Rest des Tages bis zu unserer Entlassung verbrachten wir stehend in einer Garage, wobei uns mit der Zeit gestattet wurde, abwechselnd zwei Runden in der Garage zu laufen. Ein Protokoll wurde angefertigt, Fotos gemacht und bei mir keine Fingerabdrücke genommen, was mich zu der Annahme verleitet, daß die bei einer Routineuntersuchung genommenen Fingerabdrücke trotz Zusicherung nicht vernichtet wurden. Gegen 17 Uhr erfuhr ich, daß in Hinsicht auf die bei mir lebende 81jährige Großmutter das Verfahren gegen mich eingestellt sei.
Um das zu überprüfen, waren eine Beamtin und ein Beamter zu mir gefahren und hatten, wie ich von meiner Oma erfuhr, auch in meinen Papieren gesucht - eine Suche, die enttäuschend gewesen sein muß, bis auf 2 Kirchenblätter, die freundlicherweise mitgenommen wurden.
(Name ist der Red. bekannt)
Erlebnisbericht
Kreuzung Stargarder Str. / Pappelallee ca. 23-24 Uhr 8./9.10.
Nachdem die Demonstranten auf der Ostseite der Kreuzung vertrieben waren, sammelten sich auf der Westseite der Kreuzung ca. 100 Leute und begannen, Kerzen auf die Straße zu stellen und zu singen (zuletzt Dona nobis pacem). Ein Offizier forderte mit Sprechtüte auf, die Straße zu räumen. Fast wörtlich:
Off.: "Bürger, Ihr Handeln ist gesetzwidrig! Entfernen Sie sich in Richtung Schönhauser Allee."
Demo: "Ist Singen gesetzwidrig?"
Off.: "Entfernen Sie sich in Richtung Schönhauser Allee! Sonst wird die Straße von der Volkspolizei geräumt!"
Demo: "Was heißt 'geräumt'?"
Off.: "Das werden Sie gleich sehen!
... Einsatzkommando räumen"
Dann erfolgte ein sehr brutaler Angriff auf der ganzen Breite der Straße (Stargarder) griffen Polizei und Stasi mit Schlagstöcken, und von Anfang an im Sprint, die hinter den Kerzen stehenden an. Aus den in Panik Fliehenden wurden wahllos Leute festgenommen, insgesamt ein Bus voll. Anwohner berichteten von sehr hartem Vorgehen auch gegen Frauen und Mädchen.
(Name ist der Red. bekannt)
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet wurde. Die zuletzt 13 Hauptabteilungen wurden durch Einzelleiter geführt. Die weiter untergliederten und nach dem Linienprinzip tätigen HA waren für komplexe, abgegrenzte Bereiche operativ zuständig und federführend verantwortlich. Der Zuschnitt der Zuständigkeitsbereiche war an Ressorts oder geheimdienstlichen Praktiken (z. B. Verkehrswesen, Beobachtung, Funkspionage) orientiert.
Signatur: BStU, MfS, HA XX/9, Nr. 1514, Bl. 7-87
Die Gedächtnisprotokolle von festgenommenen und misshandelten Demonstranten dokumentieren die Übergriffe staatlicher Organe am 7. und 8. Oktober 1989 in Ost-Berlin
Am 7. Oktober 1989 feierte die Partei- und Staatsführung den 40. Jahrestag der Gründung der DDR. Doch die Lage im Land war angespannt: Die Fluchtwelle über Ungarn und die Tschechoslowakei hatte seit August dramatische Ausmaße angenommen. Hinzu kam der wachsende Unmut derer, die blieben und sich in Oppositionsgruppen zusammenschlossen. So fanden beispielsweise in Leipzig seit dem 4. September regelmäßig Montagsdemonstrationen statt. Die Sicherheitskräfte befürchteten deshalb auch am 7. Oktober mit Protesten in Berlin. Stasi-Chef Erich Mielke ordnete daher an: "Feindliche Aktivitäten sind mit allen Mitteln entschlossen zu unterbinden."
Zur Feier des Republikgeburtstages dinierte die DDR-Führung im Palast der Republik mit internationalen Staatsgästen - darunter der Palästinenserführer Jassir Arafat, der rumänische Staatschef Nicolae Ceausescu und der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow. Zur gleichen Zeit versammelten sich auf dem nahegelegenen Alexanderplatz tausende Menschen. Unter ihnen bildete sich ein Demonstrationszug, der sich in Richtung Palast der Republik bewegte. Doch Sicherheitskräften bestehend aus Stasi, Volkspolizei und Ordnungsgruppen der FDJ gelang es, den Zug aus dem Stadtzentrum abzudrängen.
Einige der Demonstranten marschierten daraufhin in Richtung Prenzlauer Berg. Dort gingen die Sicherheitskräfte brutal gegen die friedlichen Demonstranten vor. Volkspolizei und Stasi prügelten Demonstranten in bereitstehende LKW. Die Verhafteten wurden abtransportiert, stundenlang auf Polizeirevieren festgehalten, erniedrigt und misshandelt. Darunter befanden sich auch völlig unbeteiligte Anwohner. Um die Gethsemanekirche lauerten Sicherheitskräfte den Teilnehmern einer Bittandacht auf. Als diese das Gotteshaus verlassen wollten, schlug die Polizei zu. Sie kesselte die Menge ein und verhaftete zahlreiche Menschen. Tags darauf versammelten sich wiederum etwa 3.000 Menschen in der Gethsemanekirche zu einer Andacht. Nach dem Verlassen des Gotteshauses kesselten sie wieder Sondereinheiten der Polizei ein und trieben sie gewaltsam auseinander. Wieder gab es Verletzte und Gefangene.
Nach ihrer Freilassung schilderten viele Verhaftete ihre Erlebnisse in den vorliegenden Gedächtnisprotokollen. Sie wurden von der Kontakttelefongruppe in der Berliner Gethsemane-Gemeinde gesammelt. Sie enthalten rund 150 Erinnerungsprotokolle von festgenommenen und misshandelten Demonstranten. Sie dokumentieren die Übergriffe staatlicher Organe und deren Gewaltexzesse am 7. und 8. Oktober 1989 in Berlin.
Die Aufzeichnungen wurden am 23. Oktober 1989 auf einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit übergeben. Die von den Oppositionsgruppen geforderte Untersuchungskommission wurde Anfang November eingerichtet.
Am Freitag, dem 15.9., fuhren [geschwärzt], [geschwärzt] und ich nach Leipzig. Wir kamen Leipzig Hbf. an und wurden von Leipziger Punks erwartet. Wir wollten abends dann zu einer Geburtstagsfete. Wir hatten am Bahnhofsgebäude schon etwas getrunken, hielten uns im Bahnhofsgebäude auf, weil wir noch auf Halberstädter Punks warteten. Wir waren lustig und etwas laut auf dem Bahnhof, dadurch bekamen wir Bahnhofsverbot. Als die Halberstädter dann da waren, fuhren wir mit der Straßenbahn in Richtung Leipzig-Süd. Die Geburtstagsfete wollte in einer Abrißbude starten. Wir holten noch 6 o. 7 Fässer Bier aus einem Haus und begaben uns in die Abrißbude. Dort tranken wir Bier, waren lustig und laut. Nach einer Stunde fuhr ein Toniwagen vor. Wir begaben uns nach draußen. Ein Polizist kam uns entgegen und sagte: "Wenn ihr euch ruhig verhaltet, könnt ihr ruhig weiter im Abrißhaus feiern." Daraufhin begaben wir uns wieder nach draußen, weil sich irgendein Bürger beschwert hat, es sei ihm zu laut. Wir feierten auf einem Platz weiter, der gegenüber von der Abrißbude war. [geschwärzt] und ich gingen jetzt etwas weiter weg, weil wir etwas essen wollten. Wir sahen wie wieder ein Toni vorfuhr, achteten aber nicht weiter darauf. Wenig später hörten wir lautes Geschrei. Jetzt gingen wir nach vorn und sahen, daß unsere Leute um den Toni drumrumstanden und 2 Leute daraufsaßen. Der Toni fuhr jetzt durch die Massen davon. Wir erfuhren, daß es darum ging, daß einer von uns zugeführt werden sollte, weil er keinen Personalausweis mit hatte. Jetzt sahen wir, wie die Straße ungefähr in Höhe des Platzes von Toniwagen abgesperrt wurde. Wir gingen jetzt in Richtung des Platzes, weil wir noch die Bierfässer holen wollten. Oben wurden von uns die Personalausweise verlangt und eingesammelt. Jetzt fuhr ein LO vor, auf den wir wie Tiere geprügelt wurden. Als wir alle auf dem LO waren, wurde ein Punk aus Leipzig ohnmächtig geschlagen. Er lag mehrere Minuten ohne Bewußtsein da. Wir wurden alle in die Dimitroffstraße abtransportiert. Dort mußten wir in strömendem Regen in Fliegerstellung Aufstellung nehmen. Jetzt wurde ein weiterer Punk zusammengeschlagen, weil er sagte: "Hier ist es schlimmer als bei den Nazis". Er wurde mit dem Kopf in eine Mülltonne gesteckt und ein Polizist bemerkte: "Bleib da, wo du hergekommen bist." Der Punk wurde so zusammengeschlagen und -getreten, daß er einen Schock erlitt und aus Mund und Nase stark blutete. Die Polizeiärztin, die dann kam, sagte bloß: "Das ist doch nicht schlimm." Jetzt wurden wir nacheinander der Polizeiärztin vorgeführt. Uns wurde der Blutdruck gemessen. Der Punk, der im LO zusammengeschlagen wurde, hatte zwei größere Platzwunde an den Augenbrauen, die von der Ärztin nicht behandelt wurden. Wir standen etwa 4 Stunden im Regen, dann wurden wir in den Keller geführt, wo wir uns auf die Erde setzen durften. Der Punk, der einen Schock erlitten hatte, mußte allein im Regen stehenbleiben. Als er hereingebracht wurde, war seine Hose voller Blut und er zitterte am ganzen Körper. Jetzt wurden wir nacheinander in ein Zimmer geführt, wo wir uns ausziehen mußten und die Schnürsenkel rausmachen mußten. Dann wurden wir in ein Klassenzimmer geführt, wo wir uns hinsetzen durften. Bei einigen Leuten wurde Blut gezogen. Der Punk, der den Schock hatte, wurde noch einmal zusammengeschlagen. Danach wurde wieder die Ärztin geholt, worauf er sich auf 3 Stühle legen durfte. Er zeigte uns seinem Oberkörper, der voll war mit roten Striemen von den Gummiknüppeln. Danach wurden wir von Leuten der Kripo vernommen. Der Grund, daß wir hier sind, so wurde uns gesagt, ist ein randalierter Toniwagen. Mein Vernehmer sagte zu mir, daß Zeugen gesagt hätten, daß ich einer der Haupttäter sei. Ich sei auf dem Toniwagen herumgesprungen. Ich verneinte und verlangte eine Gegenüberstellung mit dem Zeugen. Dieser hatte angeblich zur Zeit dienstfrei. Weiterhin waren angeblich ganz deutlich Fußspuren auf dem Toni zu erkennen. Aber es wurden keine Fußabdrücke von uns genommen.
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet wurde. Die zuletzt 13 Hauptabteilungen wurden durch Einzelleiter geführt. Die weiter untergliederten und nach dem Linienprinzip tätigen HA waren für komplexe, abgegrenzte Bereiche operativ zuständig und federführend verantwortlich. Der Zuschnitt der Zuständigkeitsbereiche war an Ressorts oder geheimdienstlichen Praktiken (z. B. Verkehrswesen, Beobachtung, Funkspionage) orientiert.
Augenzeugenbericht zu den Verhaftungen während des Lindenberg-Konzerts in Ost-Berlin Dokument, 5 Seiten
Protokoll über die Vernehmung Lothar Markwirths zu den Ereignissen während des Volksaufstands in Niesky Dokument, 6 Seiten
Schlusswort von Karl Laurenz im Geheimprozess gegen ihn und Elli Barczatis wegen Spionage Audio, 10 Minuten, 46 Sekunden
Vernehmungsprotokolle Werner Teskes vom 16. und 19. Januar 1981 Dokument, 15 Seiten