Signatur: BStU, MfS, HA XX/9, Nr. 1514, Bl. 7-87
Die Gedächtnisprotokolle von festgenommenen und misshandelten Demonstranten dokumentieren die Übergriffe staatlicher Organe am 7. und 8. Oktober 1989 in Ost-Berlin
Am 7. Oktober 1989 feierte die Partei- und Staatsführung den 40. Jahrestag der Gründung der DDR. Doch die Lage im Land war angespannt: Die Fluchtwelle über Ungarn und die Tschechoslowakei hatte seit August dramatische Ausmaße angenommen. Hinzu kam der wachsende Unmut derer, die blieben und sich in Oppositionsgruppen zusammenschlossen. So fanden beispielsweise in Leipzig seit dem 4. September regelmäßig Montagsdemonstrationen statt. Die Sicherheitskräfte befürchteten deshalb auch am 7. Oktober mit Protesten in Berlin. Stasi-Chef Erich Mielke ordnete daher an: "Feindliche Aktivitäten sind mit allen Mitteln entschlossen zu unterbinden."
Zur Feier des Republikgeburtstages dinierte die DDR-Führung im Palast der Republik mit internationalen Staatsgästen - darunter der Palästinenserführer Jassir Arafat, der rumänische Staatschef Nicolae Ceausescu und der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow. Zur gleichen Zeit versammelten sich auf dem nahegelegenen Alexanderplatz tausende Menschen. Unter ihnen bildete sich ein Demonstrationszug, der sich in Richtung Palast der Republik bewegte. Doch Sicherheitskräften bestehend aus Stasi, Volkspolizei und Ordnungsgruppen der FDJ gelang es, den Zug aus dem Stadtzentrum abzudrängen.
Einige der Demonstranten marschierten daraufhin in Richtung Prenzlauer Berg. Dort gingen die Sicherheitskräfte brutal gegen die friedlichen Demonstranten vor. Volkspolizei und Stasi prügelten Demonstranten in bereitstehende LKW. Die Verhafteten wurden abtransportiert, stundenlang auf Polizeirevieren festgehalten, erniedrigt und misshandelt. Darunter befanden sich auch völlig unbeteiligte Anwohner. Um die Gethsemanekirche lauerten Sicherheitskräfte den Teilnehmern einer Bittandacht auf. Als diese das Gotteshaus verlassen wollten, schlug die Polizei zu. Sie kesselte die Menge ein und verhaftete zahlreiche Menschen. Tags darauf versammelten sich wiederum etwa 3.000 Menschen in der Gethsemanekirche zu einer Andacht. Nach dem Verlassen des Gotteshauses kesselten sie wieder Sondereinheiten der Polizei ein und trieben sie gewaltsam auseinander. Wieder gab es Verletzte und Gefangene.
Nach ihrer Freilassung schilderten viele Verhaftete ihre Erlebnisse in den vorliegenden Gedächtnisprotokollen. Sie wurden von der Kontakttelefongruppe in der Berliner Gethsemane-Gemeinde gesammelt. Sie enthalten rund 150 Erinnerungsprotokolle von festgenommenen und misshandelten Demonstranten. Sie dokumentieren die Übergriffe staatlicher Organe und deren Gewaltexzesse am 7. und 8. Oktober 1989 in Berlin.
Die Aufzeichnungen wurden am 23. Oktober 1989 auf einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit übergeben. Die von den Oppositionsgruppen geforderte Untersuchungskommission wurde Anfang November eingerichtet.
Am 8.10. fuhren eine Freundin und ich gegen 14,00 Uhr zum Alex. Als wir aus der U-Bahn ausstiegen, wurden unsere Personalien von einem Offiziersschüler Namens [geschwärzt] kontrolliert und Name, Adresse u. PKZ aufgeschrieben. Wir wunderten uns zwar, gingen danach aber in eine Cafeteria, um einen Cafe zu trinken. In der Cafeteria kamen wieder 2 Beamte auf uns zu, forderten erneut die Ausweise und verlangten von uns, mitzukommen. Wir fragten warum, die Antwort war "Fahndungskontrolle". Hinter dem Centrum Warenhaus mußten wir dann in einen Barkas einsteigen, in dem sich 5 Beamte befanden und uns wurde mitgeteilt, daß wir zu einer Befragung zugeführt werden. Begriffen hatten wir es nicht. Nach ca. 15 Min kamen wir in der UHA Rummelsburg an, der Barkas blieb 2 - 3 Min auf dem Hof stehen, dann wurden wir einzeln, jeder von 5 Beamten mit Gummiknüppeln begleitet, abgeführt. Während meine Freundin in einen extra Raum gebracht wurde, mußte ich mich mit dem Gesicht zur Wand stellen, rechts, links und hinter mir einen Beamten, die sich ständig den Schlagstock in die Hand schlugen. Ich begriff gar nichts, hatte nur [unleserlich]st. Kurz darauf mußte ich in diesen Raum, mich entkleiden, br[unleserlich]einig, Gesicht zur Wand und die Hände in Schulterbreite, Köpfhöhe an die Wand halten. Der Inhalt meiner Handtasche wurde untersucht, danach meine Kleidungsstücke und zum Schluß wurde ich abgetastet. Nachdem man in meiner Tasche zwei staatsfeindliche Dokumente (Aufruf von B. Bohley und eine Schrift vom Neuen Forum) gefunden hatte verschärfte sich die Situation für mich noch mehr. Ich wurde von 4 Beamten durch mehrere Gänge, an Zellen vorbei in denen vereinzelt Männer und Jungs saßen, in eine Zelle getrieben. Dort saß meine Freundin. In der Nachbarzelle saßen 2 junge Frauen, beide bereits seit 19 Stunden. Als die beiden dann nach etwa einer Stunde etwas Tee bekamen, baten wir auch darum. Das war das einzige für die nächsten 18 Stunden. Wir wußten noch immer nicht, warum wir dort waren, unsere Fragen wurden ignorier, oder es wurde barsch "Ruhe" verlangt. Nach und nach kamen noch mehr Frauen, die uns erzählten, sie seien ebenfalls auf dem Alex mitgenommen worden. Es war sogar eine ganze Familie dabei, samt Hund. Der Hund wurde im Hof festgebunden und die Familie wisse angeblich, warum sie da ei. "Ihre strafbare Handlung war ein Sonntagsspaziergang um den Fernsehturm." Insgesamt waren es 3 Zellen für Frauen und wir waren etwa 20 auf alle Zellen verteilt. Am späten Abend ca. 22,00 (man hatte uns ja die Uhren abgenommen) gingen die ersten zum Verhör. Wir fragten die Beamten, warum wir nicht geholt werden, wir seien doch am längsten da, aber es wurde nicht geantwortet. Nach und nach erfuhren wir, daß alle anderen Frauen gleich nach Ankunft fotografiert worden seien und ein Einlieferungsprotokoll erstellt wurde. Wir fragten wiederum die Beamten, warum das bei uns nicht gemacht worden ist, keine Antwort. Bis zu diesem Zeitpunkt war aber wenigstens noch niemand geschlagen worden, wir konnten auch alle noch auf den schmalen Bänken sitzen. Es war zwar kalt, aber unserer Meinung nach könne es nicht mehr lange dauern. Zu der Zeit wurden wir auf mehrfaches Bitten sogar noch zur Toilette geführt, obgleich es schwer fiel, da die Beamtin vor einem stehen blieb und man sich beeilen mußte. Die ersten, die vom Verhör wiederkamen erzählten uns, auf die Frage warum sie hier seien, wurde ihnen geantwortet: "Da es auf dem Alex zu einer strafbaren Handlung kommen könnte (Aufruhr oder Demo) wird ersteinmal jeder zugeführt, der so aussieht als könne er daran teilnehmen um hier drin dann die Spreu vom Weizen zu trennen." Die Stimmung wurde immer bedrückter. Eine hatte ein 1jähriges Kind zu Hause. Die Eltern hatten am Nachmittag aufgepaßt, sie wußte aber nicht, was nun mit dem Kind war. Daraufhin warf man ihr dort Vernachlässigung der Aufsichtspflicht vor und "überhaupt so eine!"
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet wurde. Die zuletzt 13 Hauptabteilungen wurden durch Einzelleiter geführt. Die weiter untergliederten und nach dem Linienprinzip tätigen HA waren für komplexe, abgegrenzte Bereiche operativ zuständig und federführend verantwortlich. Der Zuschnitt der Zuständigkeitsbereiche war an Ressorts oder geheimdienstlichen Praktiken (z. B. Verkehrswesen, Beobachtung, Funkspionage) orientiert.
Signatur: BStU, MfS, HA XX/9, Nr. 1514, Bl. 7-87
Die Gedächtnisprotokolle von festgenommenen und misshandelten Demonstranten dokumentieren die Übergriffe staatlicher Organe am 7. und 8. Oktober 1989 in Ost-Berlin
Am 7. Oktober 1989 feierte die Partei- und Staatsführung den 40. Jahrestag der Gründung der DDR. Doch die Lage im Land war angespannt: Die Fluchtwelle über Ungarn und die Tschechoslowakei hatte seit August dramatische Ausmaße angenommen. Hinzu kam der wachsende Unmut derer, die blieben und sich in Oppositionsgruppen zusammenschlossen. So fanden beispielsweise in Leipzig seit dem 4. September regelmäßig Montagsdemonstrationen statt. Die Sicherheitskräfte befürchteten deshalb auch am 7. Oktober mit Protesten in Berlin. Stasi-Chef Erich Mielke ordnete daher an: "Feindliche Aktivitäten sind mit allen Mitteln entschlossen zu unterbinden."
Zur Feier des Republikgeburtstages dinierte die DDR-Führung im Palast der Republik mit internationalen Staatsgästen - darunter der Palästinenserführer Jassir Arafat, der rumänische Staatschef Nicolae Ceausescu und der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow. Zur gleichen Zeit versammelten sich auf dem nahegelegenen Alexanderplatz tausende Menschen. Unter ihnen bildete sich ein Demonstrationszug, der sich in Richtung Palast der Republik bewegte. Doch Sicherheitskräften bestehend aus Stasi, Volkspolizei und Ordnungsgruppen der FDJ gelang es, den Zug aus dem Stadtzentrum abzudrängen.
Einige der Demonstranten marschierten daraufhin in Richtung Prenzlauer Berg. Dort gingen die Sicherheitskräfte brutal gegen die friedlichen Demonstranten vor. Volkspolizei und Stasi prügelten Demonstranten in bereitstehende LKW. Die Verhafteten wurden abtransportiert, stundenlang auf Polizeirevieren festgehalten, erniedrigt und misshandelt. Darunter befanden sich auch völlig unbeteiligte Anwohner. Um die Gethsemanekirche lauerten Sicherheitskräfte den Teilnehmern einer Bittandacht auf. Als diese das Gotteshaus verlassen wollten, schlug die Polizei zu. Sie kesselte die Menge ein und verhaftete zahlreiche Menschen. Tags darauf versammelten sich wiederum etwa 3.000 Menschen in der Gethsemanekirche zu einer Andacht. Nach dem Verlassen des Gotteshauses kesselten sie wieder Sondereinheiten der Polizei ein und trieben sie gewaltsam auseinander. Wieder gab es Verletzte und Gefangene.
Nach ihrer Freilassung schilderten viele Verhaftete ihre Erlebnisse in den vorliegenden Gedächtnisprotokollen. Sie wurden von der Kontakttelefongruppe in der Berliner Gethsemane-Gemeinde gesammelt. Sie enthalten rund 150 Erinnerungsprotokolle von festgenommenen und misshandelten Demonstranten. Sie dokumentieren die Übergriffe staatlicher Organe und deren Gewaltexzesse am 7. und 8. Oktober 1989 in Berlin.
Die Aufzeichnungen wurden am 23. Oktober 1989 auf einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit übergeben. Die von den Oppositionsgruppen geforderte Untersuchungskommission wurde Anfang November eingerichtet.
Ein einziger Schließer zeigte, wenn auch durch kleine Gesten, die aber wichtig waren, Menschlichkeit. Er war schon etwas älter und bestellte einigen Mädchen und Frauen Grüße von ihren Männern, und das alles in Ordnung sei. Gegen 23,00 Uhr sprach sich herum, daß oben Busse voll Neuankömmlinge ständen. Wir wollten uns zur Toilette führen lassen, um erstens ein wenig frische Luft zu bekommen, hatten alle Blähungen, konnten aber nie wenn wir auf der Toilette waren und drittens könnte man für eine Sekunde den Hof sehen. Ab 23,30 hatte niemand mehr Zeit für uns.
0,30 kam eine Frau zu uns in die Zelle, die völlig Blut überströmt war. Sie hatte ein Loch im Kopf und eine Gehirnerschütterung. Die ärztin klebte ihr ein Pflaster ans Haar und sagte, nun sei alles in Ordnung. Die junge Frau erzählte uns, was dort draußen los sei. Hunderte Menschen ständen seit einer Stunde in den Garagen, Gesicht zur Wand. Die ersten seien im Spießrutenlauf hingebracht worden. Das heißt: Rechts und links der Bustür bis zur Garage stehen Polizisten mit Schlagstöcken und prügeln jeden einzelnen in die Garage. Sie sagte auch, das minderjährige dabei seien. Gegen 4 Uhr waren die Zellen gefüllt: Als alle in den Zellen waren, sind wir ca. 27 Personen pro Zelle gewesen. Auf 11 m² Kurzzeitig waren wir 31. Es war unerträglich. Wir bekamen keine Luft mehr, der Sauerstoff war verbraucht. Unsere Zelle hatte wenigstens 3 Bänke, die anderen nur eine. Dann begannen die Mütter zu weien, die kleine Kinder zu Hause hatten. Die Kinder waren allein. Einige Mütter durften dann während ihres Verhörs Angehörige benachrichtigen, die sich um die Kinder kümmern sollten. Nach 18 Stunden bekamen wir endlich eine Scheibe Brot mit Butter und eine Stunde später Tee. Inzwischen waren einige entlassen und in der Zelle waren wir etwa 25. In den Jungszellen teilweise über 40, es gab dort erst nach uns zu essen und zu trinken und die Luft muß noch schlechter gewesen sein.
Eine junge Frau aus unserer Zelle weinte nur noch leise vor sich hin. Ihr Kind war seit dem Abend allein, sie beim Zigarettenholen verhaftet worden, sie hatte mehrmals, eigentlich ständig, darum gebeten nach Hause gehen zu dürfen, hatte die Hände wie zum Gebet um das Gitter gefaltet. Einer der Wärter, der angetrunken war, schrie: "Pfoten weg" und schlug mit dem Schlagstock danach. Sie blieb stehen und weinte weiter. Daraufhin riß er die Zellentür auf, sie stolperte hinaus, und 3 Wärter begannen sie niederzuschlagen. Wir schrien alle, man solle die Frau in Ruhe lassen. Sie schlugen sie den Gang hinunter, sie blieb unten liegen, man drehte ihre beide Arme auf den Rücken und sagte: wenn sie jetzt keinen Wiederstand mehr leistet "darf" sie in die Zelle zurück. Dann kam sie grün und blau in die Zelle und weinte weiter.
Sie wurde gegen 15,00 Uhr! entlassen.
Gegen Mittag gab es für jeden eine Bockwurst und wieder Tee. Ein Schließer gab uns dann eine Schachtel Zigaretten von seinen eigenen. Ich konnte nicht mehr, wir haben alle geweint.
Von den Zugeführten vom Alexanderplatz waren inzwischen bis auf 4 Frauen und einige Männer alle entlassen worden.
Nur von meiner Freundin und mir gab es noch immer kein Aufnahmeprotokoll, kein Foto, wir waren offiziell gar nicht dort. Wir verlangten nach 24 Stunden einen Anwalt oder eine Vernehmung oder wenigstens einen Vorgesetzten zu sprechen. Nahmen an, das laut Verfassung dies unser Recht sei. Uns wurde erklärt wir haben hier unten gar keine Rechte. Ein Beamter erklärte mir, die Verfassung interessiere ihn nicht, er mache sich sein Gesetz. (Er war VP-Meister - den Namen hat er nicht genannt.)
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet wurde. Die zuletzt 13 Hauptabteilungen wurden durch Einzelleiter geführt. Die weiter untergliederten und nach dem Linienprinzip tätigen HA waren für komplexe, abgegrenzte Bereiche operativ zuständig und federführend verantwortlich. Der Zuschnitt der Zuständigkeitsbereiche war an Ressorts oder geheimdienstlichen Praktiken (z. B. Verkehrswesen, Beobachtung, Funkspionage) orientiert.
Signatur: BStU, MfS, HA XX/9, Nr. 1514, Bl. 7-87
Die Gedächtnisprotokolle von festgenommenen und misshandelten Demonstranten dokumentieren die Übergriffe staatlicher Organe am 7. und 8. Oktober 1989 in Ost-Berlin
Am 7. Oktober 1989 feierte die Partei- und Staatsführung den 40. Jahrestag der Gründung der DDR. Doch die Lage im Land war angespannt: Die Fluchtwelle über Ungarn und die Tschechoslowakei hatte seit August dramatische Ausmaße angenommen. Hinzu kam der wachsende Unmut derer, die blieben und sich in Oppositionsgruppen zusammenschlossen. So fanden beispielsweise in Leipzig seit dem 4. September regelmäßig Montagsdemonstrationen statt. Die Sicherheitskräfte befürchteten deshalb auch am 7. Oktober mit Protesten in Berlin. Stasi-Chef Erich Mielke ordnete daher an: "Feindliche Aktivitäten sind mit allen Mitteln entschlossen zu unterbinden."
Zur Feier des Republikgeburtstages dinierte die DDR-Führung im Palast der Republik mit internationalen Staatsgästen - darunter der Palästinenserführer Jassir Arafat, der rumänische Staatschef Nicolae Ceausescu und der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow. Zur gleichen Zeit versammelten sich auf dem nahegelegenen Alexanderplatz tausende Menschen. Unter ihnen bildete sich ein Demonstrationszug, der sich in Richtung Palast der Republik bewegte. Doch Sicherheitskräften bestehend aus Stasi, Volkspolizei und Ordnungsgruppen der FDJ gelang es, den Zug aus dem Stadtzentrum abzudrängen.
Einige der Demonstranten marschierten daraufhin in Richtung Prenzlauer Berg. Dort gingen die Sicherheitskräfte brutal gegen die friedlichen Demonstranten vor. Volkspolizei und Stasi prügelten Demonstranten in bereitstehende LKW. Die Verhafteten wurden abtransportiert, stundenlang auf Polizeirevieren festgehalten, erniedrigt und misshandelt. Darunter befanden sich auch völlig unbeteiligte Anwohner. Um die Gethsemanekirche lauerten Sicherheitskräfte den Teilnehmern einer Bittandacht auf. Als diese das Gotteshaus verlassen wollten, schlug die Polizei zu. Sie kesselte die Menge ein und verhaftete zahlreiche Menschen. Tags darauf versammelten sich wiederum etwa 3.000 Menschen in der Gethsemanekirche zu einer Andacht. Nach dem Verlassen des Gotteshauses kesselten sie wieder Sondereinheiten der Polizei ein und trieben sie gewaltsam auseinander. Wieder gab es Verletzte und Gefangene.
Nach ihrer Freilassung schilderten viele Verhaftete ihre Erlebnisse in den vorliegenden Gedächtnisprotokollen. Sie wurden von der Kontakttelefongruppe in der Berliner Gethsemane-Gemeinde gesammelt. Sie enthalten rund 150 Erinnerungsprotokolle von festgenommenen und misshandelten Demonstranten. Sie dokumentieren die Übergriffe staatlicher Organe und deren Gewaltexzesse am 7. und 8. Oktober 1989 in Berlin.
Die Aufzeichnungen wurden am 23. Oktober 1989 auf einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit übergeben. Die von den Oppositionsgruppen geforderte Untersuchungskommission wurde Anfang November eingerichtet.
Wir fühlten uns wie auf einem verlorenen Schiff und fragten, ab wann wir in U-Haft kämen. "Das merken wir dann schon" !
Nach 30 Stunden kamen 2 neue Schließerinnen. Eine war Oberleutnant, die Andere hatte 3 Silberne Pickel, solche "Frauen" habe ich noch nie gesehen. Einer der ebenfalls neuen Bewacher, ein BePo, dem wir leid taten, sagte wir sollen aufhören zu rauchen und nach Tee und der Toilette zu verlangen, die Beiden seien Nahkampfspezialistinnen und für Fälle wie gestern und heute ausgebildet. Das bekamen wir sehr zu spüren. Nach einer Stunde durften 2 von uns nochmals zur Toilette danach war es vorbei. Als ich und andere darum baten auch zum Klo zu dürfen, antwortete man uns: "Wenn Sie so oft müssen haben Sie zu viel Tee getrunken, dann bekommen sie jetzt keinen mehr!"
Einige waren so verzweifelt, daß sie in die Plastikbecher machten. Wir kamen uns so erniedrigt vor, aber wir durften wenigstens noch miteinander sprechen. Als ich nach 35 Stunden rief, ich wolle endlich wissen, warum ich hier sei, bekamen wir Sprechverbot. Inzwischen waren wir nur noch 6 Personen in den 3 Frauenzellen.
Nach einer weiteren Stunde ca. 0,00 Uhr waren wir noch 3. Meine Freundin und ich, noch immer ohne Aufnahmeprotokoll und Vernehmung und ein Mädchen, daß Sonntag Abend eingeliefert wurde. Wir wurden in Einzelhaft gelegt. Wenigstens hatten wir noch einige Zigaretten, die jeder heimlich in einer Zellenecke rauchte. Ein junger Bewacher von der BePo schmugelte uns etwas Tee herein. Ich war so verzweifelt, es fällt schwer das niederzuschreiben. Gegen halb 3 wurde dann auch das dritte Mädchen entlassen.
Ich versuchte mich mit dem BePo zu unterhalten, bat ihn zu fragen, warum es noch immer kein Aufnahmeprotokoll gäbe und fragte nochmals, ab wann wir in die U-Haft überführt werden. Schließlich seien wir seit 39 Stunden da. Er sagte: Eigentlich darf ich nicht darüber sprechen, aber ihr seid schon in U-Haft.
Ich habe daraufhin völlig die Fassung verloren, konnte nicht mehr aufhören zu weinen, kann mir nur vorstellen, wie es meiner Freundin ging.
Gegen 4,00 Uhr wurden wir beide dann zur Leibesvisitation geholt. Auf der Herrentoilette. Ich mußte mich ganz entkleiden meine Sachen wurden erneut kontrolliert und die wenigen Zigaretten die ich noch hatte, weggeschmissen. Ich sagte: Das sei mein Privateigentum! Die höhnische Antwort: Brandgefahr! Dazu der Schlagstock in meinem Rücken. Nachdem ich auch in meinem After nichts versteckt hatte ging ich wieder in Einzelhaft. Kurz vor 5,00 Uhr morgens wurde ich zum Aufnahmeprotokoll geholt. Vor weinen konnte ich kaum sprechen, es standen ca. 10 Beamte um mich herum und ich bestand darauf zu erfahren, warum es so lange gedauert hat. Wieder eine höhnische Antwort von den beiden Zivielbeamten: Man hätte uns vergessen, aber es sei ja unsere Schuld. Wir hätten schließlich etwas sagen können, die Beamten wären ja Tag und Nacht dagewesen.
Ich erwiderte nur noch, daß das an die 100 mal geschehen sei, dann kam ich wieder in Einzelhaft. In der Stunde bis zum Verhör sind wir fast verzweifelt. Der junge BePo versuchte mich aufzuheitern und tröstete mich ein wenig mit den Nachrichten über Leipzig, die Schönhauser Allee und die Gethsemaniekirche am Montagabend.
Gegen 5,00 Uhr kam ich zum Verhör. Man erklärte mir nochmals daß wir wahrscheinlich vergessen worden seien, das käme schon mal vor, es wurde ein Protokoll über den Grund meiner Zuführung erstellt und nach 10 min. war ich wieder in Einzelhaft.
Die betrunkenen Wärter pöbelten mich an, daß irgendwer die Zelle gereinigt hätte und ich keinen Schmutz mehr in die Ecken werfen dürfe. 5,45 Uhr kam meine Freundin von der Vernehmung. Sie hatte 2 Stunden gedauert unter Anwesenheit von 4 Zivilpersonen. Man warf ihr Volks-
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
Nach dem Volksaufstand von 1953 wurden leicht bewaffnete Einheiten der Volkspolizei aufgestellt, die zur Niederschlagung innerer Unruhen dienen sollten und deswegen kaserniert untergebracht und motorisiert waren. Im Mai 1955 wurden sie der Verwaltung Innere Truppen im Staatssekretariat für Staatssicherheit zugeordnet, aus "kosmetischen" Gründen im Mai 1956 in Bereitschaftspolizei umbenannt. Von August 1956 bis März 1957 unterstand sie wie die Deutsche Grenzpolizei und die Transportpolizei der Hauptverwaltung Innere Sicherheit des MfS. Mit dieser wurden sie im Februar 1957 dem MdI unterstellt. Nach Auflösung der Hauptverwaltung Innere Sicherheit im Monat darauf blieben sie kasernierte Eingreifreserve des MdI. Ihr Mannschaftsbestand wurde ab 1962 aus Wehrpflichtigen rekrutiert.
Die geheimpolizeiliche Überwachung dieser Verbände oblag zunächst der Abteilung VII der Verwaltung Groß-Berlin, ab Jahresende 1955 der neu gebildeten Abteilung 10 der Hauptabteilung I. Diese wurde nach dem Mauerbau als Abteilung 7 in die Hauptabteilung VII eingegliedert. Ihre 77 Mitarbeiter sicherten unmittelbar die beiden Berliner Grenzbrigaden der Bereitschaftspolizei sowie die 3. und 4. Brigade (mit Aufgaben der Reserve). Die übrigen Brigaden in den Bezirken fielen in die Verantwortung sog. Abwehroffiziere der jeweiligen Abteilungen VII der Bezirksverwaltungen. Diese arbeiteten vor Ort und trugen die Uniformen der Bereitschaftspolizisten. Sie sollten über Vorkommnisse und Missstimmungen im Bilde sein sowie potenzielle Deserteure identifizieren. Wenn Bereitschaftspolizisten tatsächlich flüchteten, klärten die Abwehroffiziere die Hintergründe, während die Abteilung 6 der Hauptabteilung IX strafrechtlich ermittelte, wie bei anderen Angehörigen der bewaffneten Organe auch.
Im Jahre 1964 wurde die Zuständigkeit für die Bereitschaftspolizei bei der Abteilung 7 der Hauptabteilung VII zentralisiert und ihr die Planstellen der Abwehroffiziere aus den Bezirken übertragen. Im Oktober 1970 wurde dies indes wieder rückgängig gemacht. Die Hauptabteilung Bereitschaften im Ministerium des Innern verfügte zuletzt über 32 Mitarbeiter, darunter 7 IM und GMS (21,8 Prozent). Die Leitungskader pflegten außerdem offizielle Arbeitskontakte zur Staatssicherheit im Rahmen des politischoperativen Zusammenwirkens.
Die Bereitschaftspolizei sollte im Kriegsfall militärische Aufgaben übernehmen und beispielsweise gegnerische Einheiten auf dem Territorium der DDR "zerschlagen". In Friedenszeiten musste sie oft andere Zweige der Volkspolizei verstärken, etwa bei der Sicherung von Großveranstaltungen, der Suche nach entwichenen Häftlingen oder dem Einbringen der Ernte. Zur Disziplin trug dies wohl nicht bei. Unter den zuletzt rund 14.000 Bereitschaftspolizisten wurden jährlich mehr als 700 disziplinarisch bestraft, meist wegen Trunkenheit oder unerlaubten Entfernens. Etwa wegen Westkontakten führte zudem die Staatssicherheit jährlich rund 5 OV und 85 OPK gegen Bereitschaftspolizisten durch. Diese gingen im Oktober 1989 teilweise brutal gegen friedliche Demonstranten vor, wobei mindestens 64 Bereitschaftspolizisten den Befehl zu diesem Einsatz verweigerten.
Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet wurde. Die zuletzt 13 Hauptabteilungen wurden durch Einzelleiter geführt. Die weiter untergliederten und nach dem Linienprinzip tätigen HA waren für komplexe, abgegrenzte Bereiche operativ zuständig und federführend verantwortlich. Der Zuschnitt der Zuständigkeitsbereiche war an Ressorts oder geheimdienstlichen Praktiken (z. B. Verkehrswesen, Beobachtung, Funkspionage) orientiert.
Untersuchungshaft ist eine freiheitsentziehende Zwangsmaßnahme zur Sicherung des Strafverfahrens. Die Untersuchungshaft begann nach der Verkündung des Haftbefehls durch einen Richter und endete mit der Überstellung in den Strafvollzug nach Erlangung der Rechtskraft einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, selten auch mit der Freilassung.
Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft waren ein dringender Tatverdacht sowie entweder Fluchtverdacht oder Verdunklungsgefahr (§ 112 StPO/1949, § 141 StPO/1952, § 122 StPO/1968). Der Vollzug der Untersuchungshaft war gesetzlich mit nur einem StPO-Paragraphen geregelt (§ 116 StPO/1949, § 147 StPO/1952, § 130 StPO/1968), alles Weitere in internen Ordnungen. Er erfolgte für Beschuldigte, deren Ermittlungsverfahren von der Staatssicherheit geführt wurden, in MfS-Untersuchungshaftanstalten in Berlin bzw. den Bezirksstädten der DDR.
Die Haftbedingungen waren dort von Willkür, völliger Isolation und daraus resultierender Desorientierung der Häftlinge gekennzeichnet. Für den Vollzug der Untersuchungshaft war im MfS die Linie XIV (Abt. XIV) zuständig; die Vernehmungen oblagen den Untersuchungsführern der Linie IX (HA IX).
Eine Zuführung ist eine polizeirechtliche Maßnahme der kurzzeitigen Freiheitsentziehung, wurde zunächst aus der polizeirechtlichen Generalklausel von § 14 des in der DDR bis 1968 geltenden Preußischen Polizeiverwaltungsgesetzes vom 1.6.1931 abgeleitet. Zuführungen von Personen konnten zur Feststellung der Personalien sowie "zur Klärung eines Sachverhalts" (Sachverhaltsprüfung) durchgeführt werden.
Seit 1968 bildete § 12 VP-Gesetz die Rechtsgrundlage für polizeirechtliche Zuführungen. Im Rahmen des strafprozessualen Prüfungsstadiums war auch eine Zuführung Verdächtiger zur Befragung nach § 95 Abs. 2 StPO/1968 als strafprozessuale Sicherungsmaßnahme zulässig. In beiden Fällen durfte die Zeitdauer 24 Stunden nicht überschreiten. Vom MfS wurden Zuführungen auch als taktisches Instrument genutzt. Sie konnten in eine Inhaftierung münden, aber auch zur Einschüchterung oder zur Anwerbung unter Druck genutzt werden.
Augenzeugenbericht zu den Verhaftungen während des Lindenberg-Konzerts in Ost-Berlin Dokument, 5 Seiten
Protokoll über die Vernehmung Lothar Markwirths zu den Ereignissen während des Volksaufstands in Niesky Dokument, 6 Seiten
Schlusswort von Karl Laurenz im Geheimprozess gegen ihn und Elli Barczatis wegen Spionage Audio, 10 Minuten, 46 Sekunden
Vernehmungsprotokolle Werner Teskes vom 16. und 19. Januar 1981 Dokument, 15 Seiten