Signatur: BStU, MfS, ZKG, Nr. 3791, Bl. 205-206
Die Stasi verpflichtete im Zentralen Aufnahmeheim Röntgental einen Rückkehrer dazu, öffentlich gegen Ausreiseanträge Stellung zu beziehen. Als Gegenleistung bot sie ihm an, seine Wiederaufnahme in die DDR zu befürworten.
1985 riefen SED und Stasi eine Kampagne mit ehemaligen DDR-Bürgern ins Leben, die von der Bundesrepublik in die DDR zurückkehren wollten. So druckte die Partei-Zeitung "Neues Deutschland" unter der Überschrift "Über 20.000 Ehemalige wollen zurück" Aussagen ehemaliger DDR-Bürger: Angesichts von Arbeitslosigkeit und "sozialer Kälte" im Westen würden sie lieber wieder in die DDR zurückkehren. Hatte Ost-Berlin in den 50er Jahren mit ähnlichen Kampagnen noch offensiv für die Zu- und Rückwanderung geworben, sollten nun vor allem Ausreisewillige frühzeitig umgestimmt werden. Zu diesem Zweck wurden in dem Artikel die Zahlen der Rückkehrwilligen weit übertrieben und ihre Lebenswege und Motive teilweise konstruiert. Die Kampagne war eine Reaktion auf den sprunghaft wachsenden Strom von Ausreisewilligen: 1984 hatte die SED in Zusammenhang mit dem Milliardenkredit aus der Bundesrepublik etwa 30.000 Menschen ausreisen lassen.
Bei ihrer Wiederaufnahme überprüfte die Stasi die politische Zuverlässigkeit der West-Ost-Migranten vor wie auch nach der Ankunft, entschied über die Aufnahme und bereitete die Rückkehrer auf öffentliche Auftritte und Interviews vor. Auch ein 1984 in die BRD übergesiedelter ehemaliger DDR-Bürger war unter diesen Rückkehrern.
Noch während seines Aufenthalts im Zentralen Aufnahmeheim Röntgental erinnerten ihn zwei Stasi-Offiziere daran, die "Zurückdrängung von Übersiedlungsersuchen" zu unterstützen. Als Vertreter seines Kombinats getarnt, offerierten ihm die Stasi-Mitarbeiter Unterstützung bei beruflichen und sozialen Problemen nach der Ankunft am Wohnort.
Dem Rückkehrer dürfte deutlich geworden sein, wie sehr er der Stasi ausgeliefert war. Ihr gegenüber beklagte er sich, wie lange er schon in Röntgental ausharren musste. Sich an der staatlichen Propaganda zu beteiligen, schien der einzige Ausweg zu sein.
Zentrale Koordinierungsgruppe
Abteilung 1
Berlin, 25. April 1986
mi-bü
Bericht
über das geführte Gespräch mit dem sich zur Durchführung des Aufnahmeverfahrens im ZAH Röntgenthal befindenden ehemaligen DDR-Bürger [geschwärzt]
Datum/Zeit 22. April 1986, 15.10 Uhr - 15.55 Uhr
Ort ZAH Röntgenthal
Teilnehmer Hptm. Michel, ZKG, Abt. 1
Oltn. Stephan, OD [geschwärzt]
Ziel des Gespräches
1. Dem Aufnahmeersuchenden sollte vor seiner Einweisung in das Bezirksaufnahmeheim [geschwärzt] zur Vorbereitung der wohnungs- und arbeitsmäßigen Eingliederung durch den Gen. Oltn. Stephan, der legendiert als Vertreter der Kaderabteilung des Kombinates [geschwärzt] auftrat und dem [geschwärzt] bekannt ist, seine Möglichkeiten nach Arbeitsaufnahme im Kombinat aufgezeigt werden.
2. [geschwärzt] sollte durch die gesprächsführenden Genossen, Gen. Michel sollte bei Fragestellung des [geschwärzt] als Mitarbeiter der Abt. Inneres legendiert werden, dargelegt werden, wie die von ihm in einem Gespräch am 23.1.1986 erklärte Bereitschaft zur Unterstützung bei der Zurückdrängung von Übersiedlungsversuchen (Presse, Rundfunk, Fernsehen) aussehen soll.
[geschwärzt] legt dar, daß ihm der Aufenthalt im ZAH bereits zu lange dauert.
Seine Bekannte [geschwärzt] ihn im ZAH besucht hat und bereit ist, ihn in der Wohnung aufzunehmen. Er bei seinem Besuch am 13. März 1986 in der Aufnahmestelle Berlin sich auch mit seiner Tochter, z. Zt. Praktikantin [geschwärzt], getroffen hat, die ihrerseits bereit ist, die von ihm übernommene Wohnung ihm für den Zeitraum ihres Aufenthaltes in [geschwärzt] zur Verfügung zu stellen. Sollte dies abgelehnt werden, ist er auch bereit, zur Frau [geschwärzt], die eine sehr kleine Wohnung bewohnt, zu ziehen.
Die ersten Objektdienststellen wurden 1957 für die Chemiekombinate Buna und Leuna gegründet, die letzte 1981 für das Kernkraftwerk "Bruno Leuschner" bei Lubmin. 1989 existierten sieben Objektdienststellen, zwölf – darunter neun Objektdienststellen der Objektverwaltung "W" – sind bis 1982 aufgelöst worden. Erst 1969 erfolgte mit der 1. Durchführungsbestimmung zur Richtlinie 1/69 die Festlegung der normativen Grundorientierung für die Objektdienststellen. Sie besaßen einen den Kreisdienststellen (KD) vergleichbaren Status und waren in der Struktur der jeweiligen Bezirksverwaltung (BV) gemäß dem Linienprinzip eingeordnet und dem dortigen Stellvertreter Operativ unterstellt.
Die Objektdienststellen befanden sich in den zu sichernden Wirtschaftsobjekten oder zumindest in deren unmittelbarer räumlicher Nähe. Ihre Organisationsstruktur wies Referate und/oder Arbeitsgebiete sowie ggf. temporäre nichtstrukturelle Arbeitsgruppen (NSAG) auf, jedoch auch Einzelverantwortliche für bestimmte Arbeitsbereiche. Der Gesamtpersonalbestand betrug zuletzt 257 Mitarbeiter; er schwankte in den einzelnen Objektdienststellen zwischen 24 und 56. Ihnen standen ca. 2.000 IM aller Kategorien zur Verfügung. Entsprechend den Veränderungen in der Produktionsstruktur der Wirtschaftsobjekte waren Struktur- und Organisationsänderungen recht häufig.
Die Leiter der Objektdienststellen hatten die Informationsbeziehungen einschließlich offizieller Verbindungen zu den Leitungen der Betriebe und Einrichtungen zu organisieren. Die Sicherheitsstandards richteten sich nach dem Gefährdungs- und Bedeutungsstatus der jeweiligen Wirtschaftsobjekte. Entsprechend hoch war er für das Kernkraftwerk, das Kombinat Carl Zeiss Jena sowie für die drei großen Kombinate im Chemiedreieck Leuna, Buna und Bitterfeld.
Die Zentrale Koordinierungsgruppe (ZKG) entstand 1975 durch Übernahme von Aufgaben verschiedener Diensteinheiten, insbesondere von HA VI und HA XX/5. Aufgaben: zentrale Koordinierung des Vorgehens des MfS im Zusammenhang mit Übersiedlungen in die Bundesrepublik Deutschland, nach Westberlin bzw. das nichtsozialistische Ausland, einschließlich der Versuche des Zurückdrängens von Ausreiseanträgen bzw. zur Verhinderung des Verlassens der DDR und zur Bekämpfung des sog. staatsfeindlichen Menschenhandels bis hin zur Mitwirkung an den Entscheidungen in Ausreisefällen.
Signatur: BStU, MfS, ZKG, Nr. 3791, Bl. 205-206
Die Stasi verpflichtete im Zentralen Aufnahmeheim Röntgental einen Rückkehrer dazu, öffentlich gegen Ausreiseanträge Stellung zu beziehen. Als Gegenleistung bot sie ihm an, seine Wiederaufnahme in die DDR zu befürworten.
1985 riefen SED und Stasi eine Kampagne mit ehemaligen DDR-Bürgern ins Leben, die von der Bundesrepublik in die DDR zurückkehren wollten. So druckte die Partei-Zeitung "Neues Deutschland" unter der Überschrift "Über 20.000 Ehemalige wollen zurück" Aussagen ehemaliger DDR-Bürger: Angesichts von Arbeitslosigkeit und "sozialer Kälte" im Westen würden sie lieber wieder in die DDR zurückkehren. Hatte Ost-Berlin in den 50er Jahren mit ähnlichen Kampagnen noch offensiv für die Zu- und Rückwanderung geworben, sollten nun vor allem Ausreisewillige frühzeitig umgestimmt werden. Zu diesem Zweck wurden in dem Artikel die Zahlen der Rückkehrwilligen weit übertrieben und ihre Lebenswege und Motive teilweise konstruiert. Die Kampagne war eine Reaktion auf den sprunghaft wachsenden Strom von Ausreisewilligen: 1984 hatte die SED in Zusammenhang mit dem Milliardenkredit aus der Bundesrepublik etwa 30.000 Menschen ausreisen lassen.
Bei ihrer Wiederaufnahme überprüfte die Stasi die politische Zuverlässigkeit der West-Ost-Migranten vor wie auch nach der Ankunft, entschied über die Aufnahme und bereitete die Rückkehrer auf öffentliche Auftritte und Interviews vor. Auch ein 1984 in die BRD übergesiedelter ehemaliger DDR-Bürger war unter diesen Rückkehrern.
Noch während seines Aufenthalts im Zentralen Aufnahmeheim Röntgental erinnerten ihn zwei Stasi-Offiziere daran, die "Zurückdrängung von Übersiedlungsersuchen" zu unterstützen. Als Vertreter seines Kombinats getarnt, offerierten ihm die Stasi-Mitarbeiter Unterstützung bei beruflichen und sozialen Problemen nach der Ankunft am Wohnort.
Dem Rückkehrer dürfte deutlich geworden sein, wie sehr er der Stasi ausgeliefert war. Ihr gegenüber beklagte er sich, wie lange er schon in Röntgental ausharren musste. Sich an der staatlichen Propaganda zu beteiligen, schien der einzige Ausweg zu sein.
Im Kombinat, das bereit ist, ihn wieder arbeitsmäßig einzugliedern, wie Frau [geschwärzt] ihn informierte, erhofft er sich nach einer Anlaufzeit gewisse Entwicklungsmöglichkeiten, besonders finanziell. Er ist der Meinung, daß seine Rückkehr bei den Kollegen des Kombinates durch Information der [geschwärzt] bekannt sein müßte.
Er legte Bedenken bezüglich seiner Bereitschaft der Unterstützung der staatlichen Organe bei der Zurückdrängung dar betreffs Rundfunk, Fernsehen. ([geschwärzt] dachte, er solle in Life-Sendungen auftreten)
Gen. Oltn. Stephan informierte über die Bereitschaft, wenn dem [geschwärzt] durch die staatlichen Organe die Rücksiedlung gestattet wird, ihn arbeitsmäßig im Kombinat [geschwärzt] wieder zu integrieren.
Es ist nicht möglich, ihm eine Arbeit im ehemaligen Arbeitskollektiv anzubieten, jedoch wird er gemäß seinen Fähigkeiten eingesetzt.
Über Entwicklungsmöglichkeiten kann ihm keine Zusage gegeben werden.
Das Kombinat wird ihn in allen Belangen der arbeits- und wohnungsmäßigen Eingliederung unterstützen und erwartet von ihm die Erfüllung seiner am 23.1.1986 gemachten Erklärung zur Unterstützung bei der Zurückdrängung von Übersiedlungsersuchen im Kombinat und darüber hinaus.
Gen. Hptm. Michel erklärte dem [geschwärzt], daß er nicht in Life- Sendungen des Fernsehens bzw. Rundfunks auftreten soll, daß seine Bereitschaft zur Unterstützung der staatlichen Organe anders gemeint ist, wie
- Aufzeichnung auf Tonband zur Unterstützung des genannten Prozesses, Befragung durch Reporter des Rundfunks
- Bildaufzeichnung (Fernsehen) zur Verwendung dieses Problemkreises betreffender Sendungen (Interviews)
- Interview durch Journalisten zur Veröffentlichung in Tageszeitungen der DDR, wenn es für notwendig erachtet wird
[geschwärzt] erklärte, daß er auf der Grundlage des Dargelegten, wie diese Unterstützung aussehen soll, bereit ist, eine Erklärung für diese Bereitschaft schriftlich abzugeben.
Er bedankte sich für das Gespräch und erklärte nochmals, die Hoffnung, bald aus dem ZAH nach [geschwärzt] eingewiesen zu werden.
Das Gespräch wurde entsprechend der Zielstellung beendet.
Michel
Hauptmann
Strafprozessrechtlich zulässige Möglichkeit der offiziellen Kontaktaufnahme mit Verdächtigen, Zeugen und anderen Personen noch vor Einleitung eines Ermittlungsverfahrens (strafprozessuales Prüfungsstadium). Verdächtige konnten gemäß § 95 StPO/1968 zur Befragung zugeführt werden (Zuführung). Vom MfS wurde die B. gelegentlich als demonstrative Maßnahme zur Einschüchterung Oppositioneller genutzt, gegen die aus politischen Gründen kein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden sollte.
Die Zentrale Koordinierungsgruppe (ZKG) entstand 1975 durch Übernahme von Aufgaben verschiedener Diensteinheiten, insbesondere von HA VI und HA XX/5. Aufgaben: zentrale Koordinierung des Vorgehens des MfS im Zusammenhang mit Übersiedlungen in die Bundesrepublik Deutschland, nach Westberlin bzw. das nichtsozialistische Ausland, einschließlich der Versuche des Zurückdrängens von Ausreiseanträgen bzw. zur Verhinderung des Verlassens der DDR und zur Bekämpfung des sog. staatsfeindlichen Menschenhandels bis hin zur Mitwirkung an den Entscheidungen in Ausreisefällen.
Ergebnisbericht zur Durchführung der OPK "Einflug" Dokument, 5 Seiten
Abschlussbericht der HA VII/3 über den Aufenthalt im Zentralen Aufnahmeheim Röntgental Dokument, 6 Seiten
Auskunftsbericht zu einer in die DDR zurückgekehrten Person Dokument, 6 Seiten
Aufhebung der Einreisesperre gegen einen ehemaligen DDR-Bürger Dokument, 1 Seite