Signatur: BStU, MfS, AOP, Nr. 57/56, Bd. 2, Bl. 184
Im November 1954 standen Elli Barczatis und ihr Geliebter, Karl Laurenz, bereits seit über drei Jahren unter Beobachtung durch das MfS. Konkrete Hinweise auf eine Spionagetätigkeit lagen der Stasi bis dahin nicht vor. Daher versuchte sie, Barczatis eine Falle zu stellen. Der Bericht des Geheimen Informator fasst die Vorbereitungen, die Durchführung und das Ergebnis der List zusammen.
Elli Barczatis wurde Anfang der 50er Jahre vermutlich ohne ihr Wissen zur Informantin für die Organisation Gehlen, die Vorläuferin des Bundesnachrichtendienstes (BND). Der westdeutsche Geheimdienst nutzte sie als Quelle in Ost-Berlin, ohne sie offiziell in diese Tätigkeit einzuweihen. Von April 1950 bis Januar 1953 war Barczatis die Chefsekretärin des Ministerpräsidenten der DDR, Otto Grotewohl. Kurz zuvor ging sie eine Liebesbeziehung mit dem Journalisten und Übersetzer Karl Laurenz ein, der nach seinem Bruch mit der SED und den daraus resultierenden beruflichen Schwierigkeiten 1952 begonnen hatte, für die Organisation Gehlen zu spionieren. Unter dem Vorwand, Material für seine journalistische Arbeit zu sammeln, ließ er sich von Barczatis mit internen Informationen aus dem Büro des Ministerpräsidenten versorgen.
Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) wurde früh auf die beiden aufmerksam. Nach dem Bericht einer ehemaligen Kollegin von Barczatis und Laurenz über ein Treffen der beiden intensivierte die Stasi ihre Ermittlungen. Nachdem sich ihr Verdacht auf eine Spionagetätigkeit erhärtet hatte, eröffnete sie am 26. Juni 1951 den Gruppenvorgang "Sylvester". In der Folgezeit unternahm die Stasi in enger Zusammenarbeit mit der sowjetischen Geheimpolizei weitere Schritte gegen Barczatis und Laurenz. Dazu gehörten Observierungen, Telefonüberwachungen und Briefkontrollen. Außerdem sorgte die Stasi dafür, dass Barczatis nach einem Parteilehrgang in Potsdam 1953 keine Anstellung mehr als Chefsekretärin bei Grotewohl erhielt und in die Eingabenbearbeitung versetzt wurde. Nach fast dreieinhalb Jahren "operativer Bearbeitung" im Gruppenvorgang "Sylvester" stellte das MfS Barczatis mithilfe des Geheimen Informator (GI) "Lina" eine Falle, um sie der Spionage für den westdeutschen Geheimdienst zu überführen.
In ihrem Bericht vom 11. November 1954 beschreibt GI "Lina", wie sie die Falle für ihre Kollegin Barczatis vorbereitete. Sie präparierte einen Briefumschlag für das Ministerium für Außen- und innerdeutschen Handel und informierte ihr Opfer über die Wichtigkeit des Briefes. Wenige Tage später stellte sie fest, dass Barczatis den Brief geöffnet und einen neuen Umschlag angefertigt hatte. Die Falle war zugeschnappt und die Stasi besaß einen Beweis dafür, dass Barczatis interne Dokumente aus dem Büro des Ministerpräsidenten entwendet hatte. Trotzdem dauerte es noch vier weitere Monate bis zur Festnahme von Grotewohls ehemaliger Sekretärin und ihrem Geliebten Laurenz. Bis dahin lag der Staatssicherheit trotz hinreichenden Verdachts kein konkretes Beweismaterial vor.
Abschrift
Berlin, den 11.11.1954
Wie vereinbart wurde am Montag von mir ein großer Briefumschlag fertig gemacht.Die Anschrift lautete Min. f. Aussen und Innterdeutschen Handel zu Händen des pers. Referenten Gen. Albrecht. Inhalt: Durchschriften über den Stand der Exportaufträge 1953. AUf die 3 Seite hatte ich 3 gelber Punktchen aus einem Locher gelegt. Auf der Rückseite des Umschlages hatte ich ein Haar vom Leimpinsel angeklebt. Am Briefverschluß war ebenfalls ein kleines Pinselhaar mit eingeklebt worden. An der Seite schautes es kleines Stückchen heraus. Auf der Vorderseite des Umschlages befand sich unter dem t. des Wortes Minister ein schwarzer Punkt über den s des Ministers ebenfalls.
Am Montagabend als die Genossin Barczatis sich schon auf den Gang befand, rief ich sie zurück und sagte ihr,daß im Panzerschrank ein Brief mit wichtigen Unterlagen für Minister Gregor liegt betrifft Auftragslage, die nur gegen Unterschrift von Gen. Albrecht herauszugeben sind.
Am Donnerstagmorgen kam ich 08:45 Uhr im Sekretariat an. Der Panzerschrankschlüssel wurde mir von der Gen. B. überreicht. Der Panzerschrank war schon geöffnet gewesen. Ich betrachtete mir sofort den Umschlag, die 2 Pinselhaare waren weg. Die schwarzen Punkte ebenfalls. Die Anschrift war neu geschrieben mit 2 Tippfehlern, die in der ersten Anschrift nicht enthalten waren. Es mußte also ein neuer Umschlag angefertigt worden sein. Von den 3 Blättchen aus dem Locher war auf Seite 3 der Unterlagen nur noch 1 vorhanden.
Gleichzeitig hatte ich auf einen Brief an den Gen. Molotow, der sich mit anderen Unterlagen in einen Aktendeckel im Panzerschrank befand, ein schwarzes Haar gelegt, auch in dieser Mappe war das Haar verschwunden.
In der vergangenen Woche kurz vor Dienstschluß habe ich das Zimmer der Gen. B. betre en und wollte ihr etwas mitteilen. Sie packte gerade ihre Tasche und sagte : " Ach ich bin schon ganz vergesslich, die Zeitung wollte ich einstecken und habe aus versehen einen Teil der Wiedervorlage erwischt." In meinen Beisein nahm siedann Briefe d.h. nach ihrer Aussage die Wiedervorlage, aus ihrer Einkaufstasche heraus.
gez. Lina
Operative Beobachtung
Die Beobachtung zählte zu den konspirativen Ermittlungsmethoden, die in der Regel von operativen Diensteinheiten in Auftrag gegeben und von hauptamtlichen Mitarbeitern der Linie VIII (Hauptabteilung VIII) durchgeführt wurden. Dabei wurden sog. Zielpersonen (Beobachtungsobjekte genannt) über einen festgelegten Zeitraum beobachtet, um Hinweise über Aufenthaltsorte, Verbindungen, Arbeitsstellen, Lebensgewohnheiten und ggf. strafbare Handlungen herauszufinden. Informationen aus Beobachtungen flossen in Operative Personenkontrollen, Operative Vorgänge oder Sicherheitsüberprüfungen ein. Im westlichen Ausland wurden Beobachtungen meist von IM unter falscher Identität ausgeführt.
Von 1950 bis 1968 geltende Bezeichnung für die gewöhnlichen inoffiziellen Mitarbeiter, in den ersten Jahren auch nur Informatoren genannt. 1968 wurden die GI überwiegend zu IMS. GI dienten vor allem der allgemeinen Informationsbeschaffung. Sie wurden dabei auch zunehmend zur Sicherung von Institutionen, zur Feststellung der Bevölkerungsstimmung, zur Überprüfung verdächtiger Personen, zur Verhinderung von Republikfluchten oder auch bei Ermittlungen und Fahndungen eingesetzt.
Vorgangsart von 1950 bis 1960, erstmals definiert in den Erfassungsrichtlinien vom 20.9.1950; Operativer Vorgang gegen mehrere Personen, denen eine "feindliche Tätigkeit" unterstellt wurde. Die Eröffnung eines Gruppenvorgangs hatte auf der Grundlage von "überprüftem Material", das z. B. durch einen Überprüfungsvorgang gewonnen wurde, zu erfolgen. Er war zentral in der Abteilung XII zu registrieren. Die betroffenen Personen und ihre Verbindungen waren in der zentralen Personenkartei (F 16), involvierte Organisationen in der zentralen Feindobjektkartei (F 17) zu erfassen.
Verharmlosende Bezeichnung aller Aktivitäten und Maßnahmen der "politisch-operativen Arbeit", also der geheimdienstlich-geheimpolizeilichen Tätigkeit in Bezug auf Personen oder zur Klärung von Sachverhalten, wenn aus Sicht des MfS Hinweise auf "feindlich-negative Handlungen" vorlagen. Die "Bearbeitung" konnte u. a. die Durchführung einer Operativen Personenkontrolle umfassen oder einen Operativen Vorgang betreffen.
Brief von Hertha Barczatis an Otto Grotewohl über ihre Schwester Elli Dokument, 4 Seiten
Vermerk zur Wiedereinstellung von Elli Barczatis beim Ministerpräsidenten der DDR Dokument, 2 Seiten
Eröffnung des Geheimprozesses gegen Elli Barczatis und Karl Laurenz wegen Spionage Audio, 4 Minuten, 7 Sekunden
Bericht über die Weiterbeschäftigung von Elli Barczatis beim Ministerpräsidenten der DDR Dokument, 1 Seite