Signatur: BStU, MfS, BV Rostock, Ka, Nr. 27
In seinem Vortrag vor Mitarbeitern der MfS-Bezirksverwaltung (BV) Rostock spricht Günter Guillaume über seine Tätigkeit als HVA-Spion und seine Haftzeit in der Bundesrepublik.
Anfang der 70er Jahre gehörte Guillaume zum engsten Mitarbeiterkreis des Kanzlers und bekam für kurze Zeit Einblick in unterschiedliche, zum Teil streng geheime Regierungsvorgänge. Im Jahre 1973 verdichteten sich bei den bundesdeutschen Sicherheitsbehörden die Verdachtsmomente gegen Guillaume. Doch erst im April 1974 wurde das Ehepaar verhaftet. Der Fall löste eine politische Krise in der Bundesrepublik aus, an deren Ende der ohnehin amtsmüde Willy Brandt als Kanzler zurücktrat. Günter Guillaume wurde zu 13 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, seine Frau Christel zu acht Jahren.
Im zweiten Teil seines Vortrages spricht Guillaume vor allem über seine beiden letzten Jahre im Bundeskanzleramt und seine Verhaftung im April 1974. Bereits im Spätsommer 1973 hätten er und seine Frau die "Observierungsmaßnahmen des Feindes" erkannt, aber nicht entsprechend darauf reagiert. Besondere Kritik äußert Guillaume gegenüber den bundesdeutschen Sicherheitsbehörden, die die Affäre zur "Auswechslung" des Kanzlers genutzt hätten. Außerdem spricht er über die Haftbedingungen in der Justizvollzugsanstalt Rheinbach bei Bonn. Am Ende bedankt er sich bei den "Genossen der Abwehr", der Linie II des MfS, für die Unterstützung im Vorfeld seiner Freilassung und nimmt Geschenke entgegen. Ein Vertreter der Diensteinheit versichert Guillaume abschließend, seine "Leistungen" und die seiner Frau in die eigene "Abwehrarbeit" einfließen zu lassen.
Gelegentlich kommt es in der Audioaufnahme zu Unterbrechungen und Störungen, sodass Teile des Materials fehlen.
[Beginn Audio BStU, MfS, BV Rostock, Ka, Nr. 27a]
[Es fehlt der Übergang von BStU, MfS, BV Rostock, Ka, Nr. 26b zu BStU, MfS, BV Rostock, Ka, Nr. 27a]
[Günter Guillaume:] [...] Äh - davon Kenntnis erhielten, was der Feind gegen uns plante, also gegen das sozialistische Lager, gegen die junge DDR, was er ausheckte, was seine Ziele waren. Also je tiefer wir die Nase von Station zu Station unserer eigenen Entwicklung dort drüben in die Giftküche des Feindes stecken konnten, je mehr wurden wir doch bestärkt, wie richtig und wie wichtig unsere Aufgabe war. Und im Rückblick sagen, am meisten hat mir immer der Feind geholfen, ja, mich zu orientieren. Seht mal, heute, heute kann man schon aus einem Nachrichtenmagazin - äh - das eine oder andere entnehmen über was weiß ich, NATO-Manöver, Ziele und Ähnliches, ja. Nun also vor 25 und 30 Jahren musste man sich das noch als Kundschafter erarbeiten und waren also ganz schlimme Entdeckungen, die man dann machte, nicht, wenn man im Lande Hessen feststellen konnte und über die hessische Landesregierung, über die Sozialdemokraten, die da in der hessischen Landesregierung saßen, feststellen konnte was in dem NATO-Aufmarschgebiet und das ist ja Hessen in erster Linie gegen unsere Republik, ja, was sich da abspielte, was da geprobt wurde, was da geplant wurde. Äh - nun dann war das schon sehr ausschlaggebend für die eigene Standortbestimmung und für die eigene Stärke, nicht. Man muss sich natürlich rein äußerlich, das ist vielleicht der Widerspruch, der dem einen oder anderen dann sich dann so darstellt, man muss sich anpassen, nicht. Ein Kundschafter muss außerordentlich anpassungsfähig sein, ja, man muss, man muss sich den Feind zum Freund machen, ja, man muss ihr Liedchen singen, aber natürlich nicht die eigenen Wurzeln verlieren, ja, das ist wichtig. Das stimmt. Aber wie gesagt, dabei half ja wesentlich, dass was man sich an Kenntnisse sich aneignen konnte, was man erarbeitet, was man gewann, dort drüben, an Einblicken, ne. Na die Genossin, komm, dürfen wir sie zuerst nehmen, ja?
[Frage 1 von weiblicher Person unverständlich]
[Günter Guillaume:] Na das Entscheidende war, dass wir Bundesbürger waren, nicht. Genossen, das ist ein ein wunder Punkt, eine schwierige Geschichte. Sicherlich wurden wir damals ausgesucht für diese Tätigkeit, weil wa ein kinderloses junges Ehepaar waren, kinderlose, junge Genossen, nicht. Wir hatten 51 geheiratet und äh - hatten noch keine ernsten Selbstzweifel, weil wir 55 noch kein Kind hatten. Ich sag immer, Kinderkriegen war damals noch kein Leistungssport. Und gestern gerade wieder eine Genossin jammern hören, dass sie noch nicht Oma ist und ihre Tochter ist schon 23. Wie schrecklich. Also wir haben das damals nicht so gesehen. Und dann kam diese Aufgabe auf uns zu und sicherlich waren wir, sicherlich waren wir sehr froh, dass das kein Problem war, denn das wäre ja nun ein Problem geworden, nicht. Wenn wir das hätten entscheiden gehabt, wäre es ein Problem geworden. Äh - Kundschafter werden, als Kundschafter rausgeschickt zu werden, das ist ja wenn 's gut geht, Genossen, eine Sache fürs ganze Leben, nicht, ist ja 'ne hohe Investition. Wer nicht vom Feind entdeckt wird - äh - und wer nicht in Not gerät, vielleicht schwer krank wird oder was, na den werden wir doch nicht zurückholen, er immer irgendwas machen können. Und so hatten wir uns auch darauf eingerichtet, uns mit dem Gedanken vertraut gemacht, dass könnte was sein, was sich nicht mehr ändern wird. Und da ein Kleinkind mit rausnehmen, das hätte geheißen, es in einer anderen Welt zu verpflanzen und nicht mehr beeinflussen zu können, nicht. Denn man kann sich ja einem kleinen Kind nicht die Hand geben, nicht. Uns mangelt es doch nicht an Vorbildern, Genossen. Kommunisten, die in der Nazizeit im illegalen Kampf standen, mussten es doch auch mitansehen, dass ihre eigenen Kinder bei den Pimpfen und bei den Hitlerjungen waren und das Braunhemd trugen und das Hakenkreuz. Und manchmal kam 's doch dann sogar vor, wenn die Kinder hinter die Tätigkeiten ihrer Eltern kamen, dann haben sie ihre eigenen Eltern der Gestapo ans Messer [...]
[Tonbandstörung]
Also sich dem Kind in die Hand geben, das geht nicht, das heißt also, das Kind, der Weg des Kindes ist nicht zu beeinflussen. Nun und sich trennen und es hier lassen, na das macht man ja auch nicht, nicht. Wer trennt sich von seinem Kind? Aber all das stand für uns nicht, wir waren kinderloses Ehepaar und wir gingen also raus. Nun fragt mich bitte nicht, warum ist es nicht dabei geblieben, nicht? Vielleicht war es die Luftveränderung oder was? Das neue Schlafzimmer, mussten uns ja Möbel kaufen, waren ja mit einem Koffer hier weg gegangen, mit dem Notwendigsten. Also jedenfalls, um es kurz zu machen, 1957 wurde unser Junge in Frankfurt am Main geboren und nicht in Frankfurt an der Oder, ne, und war nun ein kleiner Bundi. Und seine Eltern waren nun irgendwann, das geht ja schnell bei den kleinen Kerlen, die Heranwachsen dann kriegen sie das mit, also seine Eltern waren erstens, wie man dort drüben so schön sagte - mh - Flüchtlinge aus dem Osten, nicht, Republikflüchtlinge, Flüchtlinge aus dem Osten und sie waren Sozis, nicht. Mama in der SPD, Papa in der SPD. Und die Leute, die er kennenlernte durch uns, mit denen wir verkehrten, ne, man schuf sich ja ein Umfeld, man hatte ja Bekannte und wie gesagt Freundschaften geschlossen, man hatte mit Leuten Feste gefeiert, Geburtstage, Silvester und ähnliches oder Ausflüge gemacht, Camping kam damals in Mode, diese Nennonkel und Tanten, die er nun bekam, na das waren auch alles Sozis. Für ihn bestand erst mal die Welt aus Sozis. Als er zur Schule kam, kannte er schon sein Kultusminister. Das war damals der Professor Schütte, Sozialdemokrat. Und der Georg Leber wurde dann für ihn der Onkel Schorsch, ne, und als der Verkehrsminister wurde, na Verkehrsminister hatten ja so eine schöne Aufgabe, zu der Zeit jedenfalls noch in der BRD, immer mit der großen Schere, Autobahnabschnitt freigeben oder 'ne neue Brücke über Rhein oder Main oder irgend sowas, dann nahm der ihn mit einen Hubschrauber mit zu solch einer Aktion. Das fand der Junge natürlich toll, ja, war großartig mit dem Onkel Schorsch. 72 fand er das gar nicht mehr so toll, da wurde der Onkel Schorsch, der Georg Leber Verteidigungsminister. Nun inzwischen war der Junge ein bisschen älter geworden, nicht und - äh - entwickelt sich so wie man sich das unter den, diesen Umständen dann noch am günstigsten sehen konnte, ja. Er entwickelte sich so ein bisschen zum, zum Juso, zu den jungen Sozialdemokraten hier, zu dieser kleinen Gruppe da, die immer viel von sich reden macht. Manche von uns denken, es ist ein großer Jugendverband, nicht, Arbeitsgemeinschaft von jungen Mitgliedern in der SPD, freiwilliger Zusammenschluss von denen zwischen 16 und 35, kleines Häuflein, aber aktiv, meist aktiv. Also da siedelte er sich an und dann hat er sicherlich bei denen dann das erste Mal erfahren, es gibt so 'ne und solche Sozialdemokraten, ja, also sogenannte Linke und sogenannte Rechte. Und da kamen dann die ersten Konflikte, ne, mit dem Vater, ein sogenannter rechter Sozialdemokrat und wenn das so weiter gegangen wär, dann hätte ich eines Tages, wenn er gemustert worden wäre da drüben, nicht, hätte ich schön Ärger im Haus gehabt, denn meiner hätte wahrscheinlich den Wehrdienst verweigert. Hätte ich als Kanzlerreferent och einen schön Ärger gehabt, nicht, könnt ihr euch vorstellen. Aber dazu kam es eben nicht. Am 24. April 74 wurden wir verhaftet und für ihn stand die Welt Kopf, nicht. Gestern turnt der Alte da noch neben dem Bundeskanzler rum und ist ein rechter Sozi und heute schreit alle Welt: "Kommunistischer Spion, DDR-Agent". Na ihr habt 's im Film noch mal gesehen, die Schlagzeilen von damals, was sich da drüben abspielte. Alles prasselte auf ihn ein und wir, wir konnten nicht mehr dazu Stellung nehmen und mit ihm reden und irgendwie etwas machen, er war ja der Einzige, der draußen stand. Na und was weiß so ein, so ein Bonner Oberschüler schon von der Deutschen Demokratischen Republik, nicht, ich würde sagen im besten Falle nichts, dann weiß er wenigstens nichts Falsches, ja. Er hatte ja überhaupt keine Vorstellung. Dass er dann hier her fuhr, nun da können die einen sagen, das Beste was er tat, denn wer sollte denn ihm ein Stück Brot geben, ja? Er war ja 17 Jahre alt, als wir verhaftet wurden, aber sicherlich war es auch nur Neugierde, nicht, Neugierde, um nun das ein wenig näher kennenzulernen, wofür die alten da ins Gefängnis gegangen waren. Und dass das dann hier sehr schwierig dann wurde für ihn, ich glaube, dass könnt ihr euch vorstellen, nicht, wenn man die ersten, er war dann inzwischen 18, wenn man also die ersten wichtigen 18 Jahre seines Lebens in einer ganz anderen Gesellschaftsordnung verbringt und aufwächst mit all dem Drumherum und dann ist es schwierig sich hier zu Recht zu finden, vor allem wenn man noch keine, na keine natürlichen Bezugspersonen hat, nicht, war ja alles fremd für ihn. Alle Menschen waren fremd. Nun als ich nach Hause kam, fing sich das an zu ändern gerade. Ich hatte an für sich einen guten Eindruck, denn er hatte 'ne Bezugsperson endlich gefunden. Ja, er hatte eine junge Bürgerin, und hier unter uns das ich das mal ganz offen - äh - junge Genossin kennengelernt, verliebt, verlobt, verheiratet. Ich hätte etwas, ich hätte hellhörig werden müssen eigentlich - mh - als ich in Gesprächen feststellte, dass meine neugewonnen Schwiegertochter immer versuchte mich - Mich! - links zu überholen, ja. Also wenn einer so dicke auf die Pauke haut, ja so 300-prozentig, dann sollte man eigentlich immer bisschen misstrauisch werden. Ja, aber nun gut, ich war selber Spätheimkehrer, ja, mit den Sitten und Gebräuchen nicht so vertraut, ja das also auch für Enthusiasmus gehalten und so. Also ums kurz zu machen, sie hat ihn nicht hier festgehalten, sondern sie - äh - na wollen wir 's gelinde ausdrücken, hat sich von ihm mitreißen lassen, als er mir erklärte: "Es tut mir leid meine Heimat ist eine andere als deine." Und er ist wieder in seine Heimat, wie er es nannte, mit Familie, gegangen. Wenn man davon betroffen ist, ist das sehr schmerzhaft, aber es ist halt der Preis. Aus dem Grunde ist sicherlich weiterhin richtig - äh - wenn Kundschafter möglichst keine größere Familie haben, ne. Ist kompliziert, ist schwierig, kenne das auch aus anderen Fällen, geht nur ganz selten gut. Wenn auch die eine oder andere Genossin oder Kundschafterin es dann bedauert, dass sie eines Tages selbst wenn sie dann zurückkommt, eben über die Altersgrenze hinweg ist. Mh - wer nicht Mutti ist wird nie Oma, ja, Frauen pflegen das immer besonders laut zu beklagen. Möchte die Genossin um Verständnis bitten, wir Männer sind auch gerne Papa und Opa. Gleichberechtigt.
[Lachen im Publikum]
Ja, bist dran.
[Fragesteller 2:] Meine Frage[unverständlich] anschließen. Und zwar [unverständlich] Regierung des Feindes direkt um sich herum eine wichtige Sache gewesen [unverständlich] und der Film sagt es auch, dass kein Antrag auf Rückführung in die Heimat gestellt wurde, zu keiner Zeit und dass sie standhaft drüben gekämpft haben [unverständlich]. [...] sprechen Sie mehrfach von Sicherheits- und Überprüfungsmaßnahmen [unverständlich]. Und Sie haben praktisch über solche Überprüfungsmaßnahmen an ihrer Person auch festgestellt. Nun hätte ich gerne mal gewusst, wann nun konkret vor ihrer Verhaftung Sie so etwas festgestellt haben und mit welchen Mitteln und Methoden man dort vorgeht, um nun unsere Kundschafter auszuschließen? Vielleicht können Sie das noch einmal kurz schildern?
[Günter Guillaume:] Na ja das mit dem aufs Kreuz legen ist ja nu nicht, von meiner Warte her aus, nicht zu beurteilen, nicht so zu sehen, aber - äh - nun bei den feindlichen Diensten arbeiten keine Idioten, nicht, ich meine, die Suchen sich auch ihre Kader unter den antikommunistischen Kräften an Hochschulen, qualifizierte Leute und bilden sie aus. Äh - sicher war die Enttarnung von Christel und Günter Guillaume nach zwanzigjähriger Tätigkeit für den Feind kein Ruhmesblatt und hat ja auch zu personellen Veränderungen, an der Spitze des dam-, des feindlichen Dienstes damals geführt, nicht. Der Herr Doktor Nollow war Guillaume-geschädigter, der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz
[Lachen im Publikum]
Aber, na ja nun richtig lachen kann ich auch nicht darüber, nicht. Sie sind eben nach 20 Jahren fündig geworden. Wir waren vorher durch viele Dinge durch und insbesondere, was ich auch im Buch schildere, die wirklich nun intensive Überprüfung, als ich in den Staatsdienst kam, also Ende 69, da ins Bundeskanzleramt geschoben wurde, da fand ja das erste Mal eine große Sicherheitsüberprüfung statt und es gab ein paar Bedenken, nicht wahr. Man wusste also plötzlich, man hat jemanden vor sich, der nun nicht ganz ein unbeschriebenes Blatt war in seiner Vergangenheit, in der sie wie sie sagten, SBZ, der irgendwie doch damals zeitweilig auch politisch tätig war, na das waren andere auch, also wenn man da ein bisschen vorbereitet ist, dann konnte man sich schon rausreden. Aber dann merkten wir im Spätsommer 1973 Observierungsmaßnahmen des Feindes, haben wir sehr früh, nicht im Prozess haben wir das ja erfahren, mussten sie ja ihre Karten auf den Tisch legen, wann sie damit begonnen haben, also wir haben das im Ansatz damals erkannt. Mh - auch kein Grund darüber nun zu spotten - äh - aber wir sind nicht in Panik verfallen - mh - und haben drüber nachgedacht, was es sein könnte und hatten auch eine Erklärung. Es musste nicht unbedingt eine Drohung sein, es konnte im Rahmen einer besonderen Sicherheitsüberprüfung sein. Denn wie gesagt, der Georg Leber, der war inzwischen Verteidigungsminister geworden und hatte dann auf der Hardthöhe festgestellt, dass ein Vorgänger - äh - der Verteidigungsminister Schmidt, nicht, der spätere Kanzler, also da keine tolle Personalpolitik betrieben hatte. In den Vorzimmern saßen immer noch dieselben Kräfte im Verteidigungsministerium, die da vorher bei den CDU-Verteidigungsministern gesessen hatten. Und Georg Leber und auch sein Parteifreund und Staatssekretär Helmut Fingerhut damals, auch ein Mann aus Frankfurt am Main, aus Frankfurter SPD- Kreisen - äh - die waren der Meinung - äh - das wäre gut wenn nun die Christel dort hinkommen würde, also meine damalige Frau. Na Genossen, das wäre doch optimal gewesen, nicht? Er beim Bundeskanzler und sie auf der Hardthöhe beim Verteidigungsminister. Schöne Sache. Also wenn man nun mit dem Verteidigungsminister befreundet ist und der noch dazu jemanden nun da in eine verantwortliche Stellung hieven will, dann, dann ist es schon möglich, dass eine, auch zeitweilig, eben eine Observierung stattfindet, nicht. Später ist ja mal festgestellt worden, dass 'ne Sekretärin vom Leber also sogar abgehört wurde, nicht. Hart Bräuche da drüben und so haben wir die Flinte nicht gleich in Korn geworfen. Also um es noch mal kurz zu sagen, ohne Befehl hätten wir die Arbeit nicht eingestellt, ohne ausdrücklichen Befehl wären wir nicht weg gegangen. Wir sind nicht in Panik geraten. Und das war auch alles vorübergehend, ne, war irgendwann wieder beendet. Nun könnten wir uns darüber unterhalten, äh, wie war die Einschätzung hier, ja. Aber Genossen, da müssen wir auch berücksichtigen, wie war insgesamt die politische Lage Ende 1973, ja? Die Verträge, die wichtigen Verträge zwischen der DDR und der BRD waren vereinbart, waren parafiert, aber noch nicht ratifiziert, die Botschafter waren noch nicht in Amt. Und äh, also ich kann mir das vorstellen und vielleicht der eine oder andere auch, hier im Raum, wenn nun damals, plötzlich morgens der Kanzlerreferent nicht zum Dienst erschienen wäre, nehmen wir immer an, es wäre möglich gewesen, ja, ich hätte mich, wir hätten uns, nicht, einer alleine geht noch, aber mehrere, Familie ist ein bisschen schwierig, aber nehmen wir an das wäre gegangen, wir hätten uns absetzen können, in Sicherheit bringen können. Er war also eines Morgens nicht mehr da gewesen und nun der politische Skandal wäre der Gleiche, vielleicht eine kleine Nummer größer, nicht, der Effekt der Rache wäre nicht mehr möglich gewesen, ja. Das wäre also den verdammten Kommunisten noch gelungen nicht bloß einen ´dort zu platzieren, sondern den auch noch rechtzeitig wegzubringen, also das wäre ja noch schlimmer geworden, ne. Und das nur auf Verdacht, ja, eine schwere Entscheidung, sehr schwere Entscheidung. Ich möchte in diesem Falle sagen, man ist noch nicht mal hinterher klüger, ja. Ist auch müßig jetzt dieselbe Sache noch mal durchzuspielen, das muss jeder, der davon betroffen ist, dann in seiner Diensteinheit selber machen und man muss von Fall zu Fall entscheiden. Natürlich steht die Sicherheit der Mitarbeiter immer mit an erster Stelle, aber so sicher war damals auch nicht, dass wir eben schon enttarnt waren. Der Feind hatte sich was erarbeitet, aber wir haben das nicht so gesehen, war nicht erkennbar, nur wegen der wahrgenommenen Observierungsarbeiten. Genossen was war denn unser wirklicher Fehler? Unser wirklicher Fehler war, dass wir uns nicht vorstellen konnten, dass die feindlichen Dienste ihren eigenen Regierungschefs so hundsmiserabel behandeln und in die Pfanne hauen, ne, dass sie mithalfen den Knüppel zu finden, mit den man den Mann aus dem Amt prügelte. Wir gingen daran mit unseren Vorstellungen, nicht. Was würden wir dann tun, wenn wir ein, ein Verdacht hätten, dass in der Umgebung eines unseren Repräsentanten ein feindlicher Agent sitzt, na? Wir würden als Erstes mal ein Sicherheitsabstand schaffen, ne. Ja, wenn wa nicht die Beweise für ein sofortiges Zugreifen haben oder glauben zu haben. Aber wir würden doch unseren Repräsentanten schützen. Und wenn wir den Verdächtigen wegloben müssten auf einen schönen Posten, wir würden den erst mal da wegbringen, nicht, ja. Und so hatten wir das vielleicht auch gesehen, nicht.
[Guillaume lacht]
Ich hab ja auch nicht geschlafen. Ich hab mich natürlich auf den, auf meinen Chef, auf den Brandt fixiert und wie der sich mir gegenüber verhält, ob sich da irgendetwas ändert, ja. Ich kam ja nicht auf die Idee, dass die den auch hinters Licht führen, dass sie den, nicht nur mich einsperren, sondern den stürzen wollen, nicht. Ja, das war unser Fehler, das war unsere Fehleinschätzung, dass die damals einen Knüppel suchten und ihnen diese Affäre gerade gerecht kam, um den Kanzler auszuwechseln. Inzwischen haben wir ja erlebt, was die dann inszeniert haben 87, als sie ihn noch mal weggetreten haben als Parteivorsitzenden, nicht. Da haben sie auch eine Affäre, ne griechischen Journalistin, mit der Frau Madjopulis, inszeniert, an der gar nichts dran war, was da so manchmal versucht wurde darzustellen, aber man hatte wieder etwas und der Herr Brandt - äh - war nicht klüger geworden, er lief, er lief nochmal ins Messer. Ja, und es war ja interessant als dieses, diese "Aussage" von mir erschien und auf irgendein Weg auch in die BRD gelangt und ist dann von einem nicht unbekannten Hamburger Nachrichtenmagazin - äh - besprochen worden und dann wurden noch Auszüge veröffentlicht, die haben sich in erster Linie noch mal auf meine Darstellung der Geschichte nun gestürzt, nicht wahr, der eine hielt das Messer und der andere schubste, also auf diese Intrige, die den Sturz Brandts herbeiführte, ja. Insofern haben sie das nett dargestellt, ja und dann haben sie noch den pensionierten, den im Ruhestand lebenden Herr Noller die Gelegenheit gegeben, noch auf einer ganzen Seite des Magazins dazu Stellung zu nehmen. Und der hat sich dann prompt verteidigt, ja, ja, versucht seine Hände in Unschuld zu waschen, aber na gut. Ja, das ist dazu zu sagen.
[Fragesteller 3:] Sie sprachen bei Ihrer Rückkehr davon, dass [unverständlich] . Mich würde mal interessieren wo sind Sie dann hin, worin diese Unterstützung bestanden hat und ob diese Unterstützung ohne diplomatische Vertreter in der Bundesrepublik und auch [unverständlich]?
[Günter Guillaume:] Ja, Genossen, das eine liegt auf der Hand, aber fangen wir beim anderen an, der diplomatischen Vertretung. Damit meinte ich, Christel und Günter Guillaume waren die beiden ersten inhaftierten Bürger der Deutschen Demokratischen Republik in der BRD, die dann, als das möglich war, nach Abschluss des Verfahrens, also Ende 1976, als wir von der Untersuchungshaft in die Strafhaft wechselten, also normale [...]
[Ende Audio BStU, MfS, BV Rostock, Ka, Nr. 27a]
[Beginn Audio BStU, MfS, BV Rostock, Ka, Nr. 27b]
[Übergang von 27a zu 27b nicht vollständig]
[Günter Guillaume:] [...] von unserer Botschaft in Bonn von der ständigen Vertretung der BRD betreut wurden. Das hieß also - äh - zu den einem Gefangenen zustehenden [...]
[Unterbrechung des Tonbandes]
Ja, der Generalbundesanwalt hatte angeordnet, dass ein qualifizierter Beamter diesen Besuch zu überwachen hat, das hat dann jahrelang ein Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes gemacht, also der Staatsschutz-Abteilung da drüben und später der Sicherheitsinspektor der Anstalt. Aber es war ja für uns nicht so wichtig, was wir miteinander reden konnten, sondern, dass das stattfand, ja, das diesem Gesindel da drüben, damit meine ich die mit und ohne Schlüssel, alle beide, die einen sind nicht besser als die anderen, aufgrund meiner persönlichen Erfahrung sind die austauschbar, dass denen Gegenüber demonstriert wurde, hier handelt es sich nicht um zwei Kriminelle, die eine Gefängnisstrafe zu verbüßen haben, sondern hinter denen steht ein Staat, nicht. Welcher in der BRD inhaftierte Ausländer, egal ob er nun Italiener, Jugoslawe, Türke oder was weiß ich, Spanier ist oder irgendetwas, verschieden Gastarbeiter kommen mit den Gesetzen in Konflikt, manchmal gar nicht als Kriminelle in dem Sinne, sondern nur weil andere - äh - na ja Morallehren herrschen und so weiter, wer von denen bekommt den Besuch von seiner Botschaft? Die kümmern sich einen Dreck um ihre inhaftierten Landsleute und bei uns war das anders eben anders. Und das hat die Respekt abgefordert, ja, und dann an unseren Feiertagen am 1. Mai und am 7. Oktober kam der Glückwunsch des Botschafters, großer Nelkenstrauch und Glückwunschschreiben. Und beim Michael Kohl hat die Frau noch mitunterschrieben, ne. Das hat ja erst der Anstaltsleiter gelesen, nicht, der übt die Zensur aus bei so einem Gefangenen. Dann musste mir das einer auf die Zelle bringen, nicht, den Strauß und den Glückwunsch, ne, das war doch eine Demonstration für uns und damit eine große moralische Hilfe. Das hat geholfen. Und als ich, ich meine das ist das Schlimme da drüben, in der Haft, das Schlimmste, was einen passieren kann, in der Haft krank zu werden. Nun sag ich immer, wer hier von uns jetzt, nicht, aus dem normalen Leben herausgerissen wird und in dieses Milieu geworfen, wer dann keine Magengeschwüre kriegt, Genossen, der ist auch nicht in Ordnung. Soweit darf die Anpassungsfähigkeit eigentlich nicht gehen, also ich hab Magengeschwüre bekommen und das ist dann schlimm, weil die medizinische Versorgung hundsmiserabel ist, nicht. Noch ist es ja so, dass drüben die Mehrheit der Ärzte gut verdienen, sehr gut verdient, ja. Wer wird denn da Gefängnisarzt, in dem System, ja? Berufliche Nieten? Oder perverse Typen? Menschenschänder? Also wir hatten in Rheinbach einen, auf den traf das alles zu.
[Lachen im Publikum]
Das war ein fieser Kerl und kein richtiger Arzt und rauschgiftsüchtig war er auch noch. Als ich so ein fünfmarkstückgroßes Loch in der Rückwand des Magens hatte und schon Blut erbrach und Blut im Stuhl hatte, da hat der mir in den Hals geguckt und mich gefragt, ob ich noch meine Mandeln hab, nicht. Also ich bin dann wirklich nur noch rechtzeitig in die Universitätsklinik, dann natürlich auch unter strenger Bewachung nach Bonn gekommen, weil eben unsere Botschaft informiert wurde und sich dann drum gekümmert hat, ja, nicht. Also das war die Hilfe unserer Diplomaten, die Hilfe der Genossen der Abwehr, nun Genossen also das ist nun eigentlich ganz einfach, nicht, da hat jemand als wir verhaftet wurden, als der Skandal da in Bonn ausbrach, da hat jemand im Parlament, also der der damals dafür zuständig war, der Innenminister, der, der schon viele Jahre Außenminister ist, unser ehemaliger Landsmann aus der Umgebung aus Halle, der Herr Genscher, der hat damals gesagt, die Guillaumes werden nie vorzeitig aus der Haft entlassen. "Nie" soll man in der Politik nicht sagen. Es war zwar schwer uns freizukämpfen, wie der Minister sagt, aber sie konnten sich nicht unserem Charme dann doch nicht entziehen. Warum? Na, weil die Genossen von der Abwehr die Voraussetzung dafür geschaffen haben. Und, und das Dankeschön sag ich nicht so hin, weil ich verstehen kann was da was da drin steckt, die Voraussetzung dafür zu schaffen, ist doch nicht so leicht und macht ihr doch nicht jeden Tag im Handumdrehen, ja, die Genossen die hier von der Kreisdienststelle sitzen, CIA-Agenten oder BRD-Agenten fangen, nicht. Und dann hat man endlich Erfolg und dann wird der der vorgesehene Strafe zugeführt und dann, dann kommt der Tag und sicherlich in unseren Augen dann viel zu früh, wo man dann solche Leute noch dazu meist gebündelt, nee hergeben muss, weil ein Genosse draußen in Schwierigkeiten gekommen ist. Kann ich heute noch mal wieder Dankeschön sagen, ja, ist gar nicht so einfach, macht auch viel Mühe. Könnten wir uns nur wünschen, dass wir noch einige in Reserve haben, nicht.
[Lachen]
Und anderseits die Daumendrücken, dass möglichst keiner draußen an der unsichtbaren Front entdeckt wird und in Schwierigkeiten kommt. Nun? Na, war für euch schon ein langer Nachmittag, aber wenn noch einer 'ne Frage hat, nicht das wir auseinandergehen und ihr sagt ich bin nicht zum Zuge gekommen. Ansonsten schönen Dank für euer Interesse.
[Applaus]
[Vertreter der Abwehrdiensteinheit:] Günter, im Namen aller Genossinnen und Genossen unser Diensteinheit [...]
[Günter Guillaume:] Die wollen das auch hören.
[Vertreter der Abwehrdiensteinheit:] [...] und [...]
[Sprecher 1:] Nimm das Mikrophon.
[Vertreter der Abwehrdiensteinheit:] [...] unserer Gäste bedank ich mich für die Gelegenheit, dich persönlich kennengelernt zu haben, bedanken uns, dass du uns alle Fragen außerordentlich detailliert und tiefbildend, die Persönlichkeit unserer Genossen formend beantwortet hast, das wir mit dem Film den unserer Genossen erstmals erleben durften deine Leistungen, Christels Leistungen, die Leistungen der Schwiegermutter, die Leistungen der vielen Helfer erkennen, optisch wahrnehmen konnten und auch mit einflechten in die weitere Profilierung unserer Abwehrarbeit und das gebührt aller, aller herzlichen Dank. Und ich verbinde, das mit dem Versprechen, dass wir als Abwehrdiensteinheit deine Aufforderung Genüge zu tun um, gute Ausgangmaterialien zu erarbeiten, damit aufgebaut werden kann und wenn 's geht, auch etwas in die Reserve zu bringen. Nimm als Dank von uns einen Blumenstrauß entgegen.
[Günter Guillaume:] Dankeschön. Danke. [lacht]
[Vertreter der Abwehrdiensteinheit:] Ja und wir haben einmal ins Stadtarchiv gegriffen und die Vicke-Schorler-Rolle in klein, klein, verkleinerter Form besorgt. Ein Rostocker Kaufmannssohn und Kramer hat vor 400 Jahren das Rostocker Stadtbild auf eine 18 Meter lange Rolle gebracht, einen über halben Meter hoch und in der Verkleinerung 1 zu 3 ist das hier beigefügt worden und auch entsprechend erläutert worden [...]
[Günter Guillaume:] Danach baut ihr auch heute wieder auf.
[Publikum und Guillaume lachen]
[Vertreter der Abwehrdiensteinheit:] Ja, danach bauen wir heute wieder auf und fügen uns alle außerordentlich wohl.
[Günter Guillaume:] Ja, sieht gut aus. Mir gefällt das.
[Vertreter der Abwehrdiensteinheit:] nimm bitte diese perle [...]
[Günter Guillaume:] Danke Schön.
[Vertreter der Abwehrdiensteinheit:] [...] als kleine Aufmerksamkeit unserer Diensteinheit und der Vertreter der Partei- und Staatsorgane unserer Stadt entgegen.
[Günter Guillaume:] Danke.
[Applaus]
[Vertreter der Abwehrdiensteinheit:] So ich habe dann, ich habe dann noch eine kleine Überraschung, die ich leise ansage.
[flüstert]
Der Genosse [unverständlich] weilt unter uns, der ist Mitarbeiter unserer Diensteinheit [...]
[Günter Guillaume:] Aha.
[Vertreter der Abwehrdiensteinheit:] [unverständlich] jetzt noch ganz intern auf ne Tasse Kaffee zurück, [...]
[Günter Guillaume:] Ja, natürlich.
[Vertreter der Abwehrdiensteinheit:] [...] würden wir ihn mit einladen.
[Ende Audio BStU, MfS, BV Rostock, Ka, Nr. 27b]
Linie II (Spionageabwehr)
Die Hauptabteilung II wurde 1953 durch Fusion der Abteilungen II (Spionage) und IV (Spionageabwehr) gebildet. Sie deckte mit der ihr nachgeordneten Linie II klassische Bereiche der Spionageabwehr ab. Dazu zählte auch die interne Abwehrarbeit im MfS, etwa die Überwachung aktiver und ehemaliger MfS-Mitarbeiter, von Einrichtungen der KGB-Dienststelle Berlin-Karlshorst sowie von Objekten der sowjetischen Streitkräfte und der Sektion Kriminalistik an der Ostberliner Humboldt-Universität. Darüber hinaus betrieb die Hauptabteilung II im Rahmen der "offensiven Spionageabwehr" aktive Spionage in der Bundesrepublik; diese zielte auf westliche Geheimdienste, auf Bundeswehr, Polizei, Massenmedien, Emigrantenverbände u. a.
Die Hauptabteilung II überwachte, sicherte und kontrollierte die DDR-Botschaften im Ausland, die ausländischen diplomatischen Vertretungen in der DDR sowie das Außenministerium der DDR. DDR-Bürger, die westliche Botschaften bzw. die Ständige Vertretung der Bundesrepublik in Ostberlin aufsuchten, wurden systematisch erfasst. In den Zuständigkeitsbereich der Hauptabteilung II fielen auch die Überwachung der in der DDR lebenden Ausländer sowie die Betreuung von Funktionären und Mitgliedern illegaler, verfolgter kommunistischer Parteien, die in der DDR Aufnahme fanden.
Besondere Brisanz beinhaltete die politisch-operative Sicherung der Westkontakte von SED und FDGB. So kümmerte sich die Hauptabteilung II um die Militärorganisation der DKP ("Gruppe Ralf Forster", eine ca. 220 Bundesbürger umfassende Sabotage- und Bürgerkriegstruppe), organisierte in Absprache mit der NVA deren militärische Ausbildung, finanzierte die Gruppe und stattete sie mit Falschpapieren aus.
Die Hauptabteilung II sicherte (bis 1961 und wieder ab 1980; zwischenzeitlich gab es hierfür die Abteilung BdL II) die Abteilung Verkehr des ZK der SED ab, die kommunistische Organisationen im Westen unterstützte und dort SED-Tarnfirmen betrieb. Die Hauptabteilung II versuchte, Aktivitäten bundesdeutscher Behörden gegen DKP, SEW und SED-Tarnfirmen festzustellen und zu verhindern.
Im Ergebnis der Entspannungspolitik nahmen Begegnungen zwischen Ost- und Westdeutschen zu, westliche Medienvertreter konnten sich in der DDR akkreditieren. Das veranlasste den beträchtlichen personellen Ausbau der Hauptabteilung II. Sie war nun auch zuständig für die Überwachung westlicher Journalisten in der DDR. Ziel war es, unerwünschten Informationsabfluss und unbequeme, kritische Berichterstattung zu verhindern. 1987 übertrug Erich Mielke in der Dienstanweisung 1/87 der Hauptabteilung II die Führung der Spionageabwehr, um ein unkoordiniertes Nebeneinander verschiedener Diensteinheiten zu vermeiden.
Die Hauptabteilung II leitete von Beginn an die Operativgruppen des MfS in der Sowjetunion und Polen, seit 1989 auch in der ČSSR, Ungarn und Bulgarien. Mit den entsprechenden Spionageabwehr-Abteilungen in diesen Ländern gab es eine ausgeprägte bi- und multilaterale Zusammenarbeit, die aber erst in den frühen 80er Jahren vertraglich fixiert wurde (kommunistischer Geheimdienst). Im Dezember 1981 übernahm die Hauptabteilung II innerhalb des MfS die Federführung bei der Bekämpfung der unabhängigen polnischen Gewerkschaft "Solidarność". Schließlich unterstützte die Hauptabteilung II Sicherheitsorgane in (pro)sozialistischen Entwicklungsländern, entsandte Berater und bildete deren Geheimdienstmitarbeiter in der DDR aus.
Die Hauptabteilung II verfügte über eigene Abteilungen für Fahndung, Logistik, operative Technik und Beobachtung und war in dieser Hinsicht nicht auf andere Abteilungen angewiesen. Zum unmittelbaren Anleitungsbereich des Leiters der Hauptabteilung II gehörte die Abteilung M (Postkontrolle).
1989 zählte die Hauptabteilung II in der Ostberliner Zentrale 1.432 hauptamtliche Mitarbeiter, in den Bezirksverwaltungen (BV) auf der Linie II weitere 934. Hinzu kamen Mitarbeiter in den Kreisdienststellen (KD), die die Aufgaben der Linie II ausführten. Genaue Zahlen der Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) ließen sich bis heute nicht ermitteln. Die Hauptabteilung II hatte mindestens 3.000 IM, die Abteilungen II der BV etwa 4.000; hinzu kamen weitere IM der KD. 1976 führte die Hauptabteilung II im Westen 109 IM. Unter den West-IM befanden sich z. T. hochkarätige Agenten.
Als Abwehr wurden alle geheimpolizeilichen Aktivitäten zur Sicherung der politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Stabilität der DDR und des kommunistischen Bündnissystems bezeichnet, die nach dem Verständnis des MfS durch feindliche Angriffe gefährdet waren. Maßnahmen zur Bekämpfung westlicher Spionage und politischer Opposition galten somit ebenso als Abwehr wie etwa die Sicherung von Produktivität und Anlagensicherheit in den Betrieben sowie die Verhinderung von Republikflucht und Ausreisen. Demgemäß waren die meisten operativen Arbeitsbereiche des MfS ganz überwiegend mit Abwehr befasst.
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
Die Hauptverwaltung A (HV A) war die Spionageabteilung des MfS, deren Bezeichnung sich an die der Spionageabteilung des KGB, 1. Verwaltung, anlehnt. Der Ordnungsbuchstabe A wurde in der Bundesrepublik oftmals, aber unzutreffenderweise mit "Aufklärung" aufgelöst. Die HV A wurde 1951 als Institut für Wirtschaftswissenschaftliche Forschung (IWF) gebildet und ging im September 1953 als HA XV in das Staatssekretariat für Staatssicherheit ein. Sie wurde im MfS von 1956 bis zur Auflösung im Juni 1990 als HV A bezeichnet.
Der Schwerpunkt nachrichtendienstlicher Tätigkeit der HV A lag in der Bundesrepublik Deutschland und Westberlin, wo sie mit Objektquellen, d. h. den IM in den nachrichtendienstlichen Zielobjekten, aktiv war.
Die HV A gliederte sich 1956 in 15, 1989 in 20 Abteilungen.
Für die operative Arbeit gegen das Bundeskanzleramt und wichtige Bundesministerien war die Abteilung I, für die gegen die bundesdeutschen Parteien die Abteilung II und für die Arbeit außerhalb Deutschlands die Abteilung III zuständig. Für die Infiltration der USA war die Abteilung XI, für die NATO und die Europäischen Gemeinschaften die Abteilung XII verantwortlich. Mit der Militärspionage war die Abteilung IV befasst, mit der Unterwanderung gegnerischer Nachrichtendienste die Abteilung IX.
Innerhalb der Hauptverwaltung war vornehmlich der Sektor Wissenschaft und Technik (SWT) mit Wissenschafts- und Technikspionage befasst, der zu diesem Zweck die Abteilung XIII bis XV sowie die Arbeitsgruppen 1, 3 und 5 unterhielt sowie eine eigene Auswertungsabteilung, die Abteilung V bzw. ab 1959 Abteilung VII.
Leiter der HV A waren 1951/52 Anton Ackermann, kurzzeitig Richard Stahlmann, 1952-1986 Markus Wolf, dann Werner Großmann und 1989/90 Bernd Fischer. Von anfangs zwölf Mitarbeitern wuchs der Apparat bis 1955 auf 430, bis 1961 auf 524 Mitarbeiter und erreichte bis 1972 einen Umfang von 1.066 hauptamtlichen Mitarbeitern. Bis 1989 wuchs die HV A auf 3.299 hauptamtliche Mitarbeiter, hinzu kamen 701 OibE (1985: 1.006) sowie 778 HIM. OibE und HIM arbeiteten verdeckt in der DDR und im Operationsgebiet. Insgesamt verfügte die HV A also zuletzt über 4.778 Mitarbeiter.
Die Anzahl der von der HV A geführten IM umfasste im Jahre 1989 rund 13.400 in der DDR und weitere 1.550 in der Bundesrepublik. Über 40 Jahre hinweg werden nach Hochrechnungen insgesamt rund 6.000 Bundesbürger und Westberliner IM der HV A gewesen sein.
Die Kreisdienststellen waren neben den Objektdienststellen die territorial zuständigen Diensteinheiten. Sie waren entsprechend den regionalen Gegebenheiten unterschiedlich strukturiert und personell ausgestattet. Einige verfügten über ein Referat zur komplexen Spionageabwehr oder zur Sicherung der Volkswirtschaft und andere nur über spezialisierte Mitarbeiter in diesen Bereichen. Ihre Aufgaben waren die Kontrolle der Wirtschaft, des Verkehrswesens, des Staatsapparates, des Gesundheitswesens, der kulturellen Einrichtungen, der Volksbildung, ggf. von Einrichtungen des Hoch- und Fachschulwesens, wissenschaftlich-technischer Einrichtungen sowie die Überwachung besonders interessierender Personenkreise.
Die Kreisdienststellen waren maßgeblich an den Genehmigungsverfahren für dienstliche bzw. private Auslandsreisen beteiligt, führten Sicherheitsüberprüfungen durch und erstellten Stimmungs- und Lageberichte. Zur Realisierung der Aufgaben bedurfte es einer engen Zusammenarbeit mit den Partnern des POZW, insbesondere mit der Volkspolizei, den Räten und anderen Einrichtungen der Kreise. Die Kreisdienststellen unterhielten ständige Verbindungen zu den SED Kreisleitungen. Zwei Drittel der hauptamtlichen Mitarbeiter der Kreisdienststellen waren operativ tätig. Die Kreisdienststellen führten 50 Prozent der IM und bearbeiteten etwa 60 Prozent der OV zu einzelnen Personen oder Gruppen.
Die Kreisdienststellen gliederten sich in 2 bis 16 Fachreferate sowie das Referat Auswertung und Information (ZAIG) und die Wache/Militärische Sicherungsgruppe. In jeder Kreisdienststelle gab es einen Offizier, der teilweise oder ganz (IM-führender Mitarbeiter/XV) für die Belange der HV A vor Ort zuständig war.
Günter Guillaume über seine Tätigkeit als "Kundschafter" in der Bundesrepublik (Teil 1) Audio, 1 Stunde, 1 Minuten, 39 Sekunden
Diskussion von Mitarbeitern der BV Cottbus zu aktuellen politischen Problemen Audio, 1 Stunde, 18 Minuten, 51 Sekunden
"Auftrag erfüllt" Video, 1 Stunde, 26 Minuten, 39 Sekunden
Schulungskassette zu einer Wohngebietsermittlung im Bezirk Rostock Audio, 27 Minuten, 55 Sekunden