Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 4527, Bl. 142-144
Die ZAIG der Stasi stellte für die SED-Führung einen Bericht über die Reaktionen von Teilen der Bevölkerung zum bevorstehenden Auftritt von Udo Lindenberg zusammen.
1983 bemühte sich der westdeutsche Musiker Udo Lindenberg intensiv um die Genehmigung für Konzerte in der DDR. Er wollte dort vor seinen zahlreichen Fans auftreten, die seine Musik über westliche Rundfunk- und Fernsehsender kennengelernt hatten. Nach mehreren vergeblichen Anläufen kam es zu einer Übereinkunft. Lindenberg sollte am 25. Oktober 1983 im Palast der Republik im Rahmen eines so genannten "Friedenskonzerts" der FDJ vor ausgewähltem Publikum auftreten. Dafür sollte er dann gemeinsam mit der FDJ eine Tournee organisieren können.
Damit vollzog die Staatsführung der DDR einen für manche Bürger überraschenden Wechsel des Standpunktes. Zuvor war das Abspielen von Lindenbergs Liedern bei Tanzveranstaltungen untersagt gewesen, Fan-Artikel wie Anstecknadeln durften nicht getragen werden. Der vorliegende Bericht der ZAIG fasst die entstandene Verwirrung in Teilen der DDR-Bevölkerung für die SED-Führung zusammen.
Anlage 7
Hinweis über Reaktionen / Haltungen von Teilen der Bevölkerung der DDR zum bevorstehenden Auftritt des BRD-Sängers Udo Lindenberg am 25. Oktober 1983 im Palast der Republik
Aus allen Bezirken der DDR liegen Hinweise vor, wonach das Interview mit dem BRD-Sänger Udo Lindenberg ("Junge Welt", 10. Oktober 1983) und sein bevorstehender Auftritt in der Hauptstadt der DDR, Berlin, starke Beachtung finden.
Über den Inhalt des in der "Jungen Welt" veröffentlichten Interviews bestand insbesondere unter Jugendlichen innerhalb weniger Tage Kenntnis. Dabei wurde der vorgesehene Auftritt Lindenberg’s von einem Teil der Jugendlichen begrüßt, insbesondere von Anhängern der Pop- und Rockmusik.
Teilweise wurde geäußert, die DDR beweise Toleranz, Lindenberg nach dem von ihm verfaßten Text "Sonderzug nach Pankow" einen Auftritt in der Hauptstadt zu gestatten.
Betont wird, es sei als positiv zu werten, daß sich Lindenberg in der Friedensbewegung der BRD engagiert beteilige, zumal er viele Anhänger habe, die sich an seiner Haltung orientieren.
Nach vorliegenden Hinweisen gibt es jedoch in breiterem Umfang Erstaunen und Unverständnis bis hin zur Ablehnung unter Jugendlichen und anderen Teilen der Bevölkerung hinsichtlich der Genehmigung des Auftritts. Aus Einschätzungen geht hervor, daß zum Teil unter progressiven Schülern, Lehrlingen, FDJ-Mitgliedern, aber auch FDJ-Funktionären und Angehörigen der pädagogischen Intelligenz Verwirrung hinsichtlich der politischen Einordnung dieser Entscheidung besteht.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
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Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 4527, Bl. 142-144
Die ZAIG der Stasi stellte für die SED-Führung einen Bericht über die Reaktionen von Teilen der Bevölkerung zum bevorstehenden Auftritt von Udo Lindenberg zusammen.
1983 bemühte sich der westdeutsche Musiker Udo Lindenberg intensiv um die Genehmigung für Konzerte in der DDR. Er wollte dort vor seinen zahlreichen Fans auftreten, die seine Musik über westliche Rundfunk- und Fernsehsender kennengelernt hatten. Nach mehreren vergeblichen Anläufen kam es zu einer Übereinkunft. Lindenberg sollte am 25. Oktober 1983 im Palast der Republik im Rahmen eines so genannten "Friedenskonzerts" der FDJ vor ausgewähltem Publikum auftreten. Dafür sollte er dann gemeinsam mit der FDJ eine Tournee organisieren können.
Damit vollzog die Staatsführung der DDR einen für manche Bürger überraschenden Wechsel des Standpunktes. Zuvor war das Abspielen von Lindenbergs Liedern bei Tanzveranstaltungen untersagt gewesen, Fan-Artikel wie Anstecknadeln durften nicht getragen werden. Der vorliegende Bericht der ZAIG fasst die entstandene Verwirrung in Teilen der DDR-Bevölkerung für die SED-Führung zusammen.
Bezogen auf das in der "Jungen Welt" veröffentlichte Interview wird geäußert, es werde die ganze Widersprüchlichkeit der Haltung Lindenberg’s deutlich, obwohl sich Lindenberg als Friedenskämpfer herausstelle, werde sichtbar, daß er nicht mit Engagement dahinterstehe, es ist erstaunlich, daß die "Junge Welt" sich zum Fürsprecher für Lindenberg macht, eher müßte das Gegenteil der Fall sein.
Häufig wird die Meinung geäußert, es könne niemand garantieren, daß Lindenberg nicht erneut die sozialistischen Staaten und deren Repräsentanten diskriminiert. Das Risiko, ihn in einer öffentlichen Veranstaltung auftreten zu lassen, sei sehr groß.
Größeren Umfang nehmen Meinungen ein, wonach eingeschätzt wird, Lindenberg sei in hohem Maße manipulierbar, er würde "die Fahne in den Wind hängen", seine Auftritte nach finanziellen Werten vertraglich binden und würde mit dem Auftritt in der DDR nach dem spektakulären "Pankow-Song" lediglich das Ziel verfolgen, sein im Westen schwindendes Image wieder aufzupolieren.
Erziehungsträger der verschiedenen Ebenen (FDJ-Funktionäre, Lehrer, progressive Eltern) vertreten z.T. die Ansicht, daß durch die innerhalb kurzer Zeit wechselnden Standpunkte zu Lindenberg ihrer Glaubwürdigkeit Schaden zugefügt werde. Die politische Großzügigkeit der DDR gegenüber Lindenberg bliebe unverstanden, und es gebe keine logische Erklärung, warum Lindenberg nach generellem "Verbot" (Verschwinden seiner Titel in Disco-Veranstaltungen u.a., Entnahme seiner Porträts bzw. Kleidungsaufkleber und Lindenberg-Anstecker westlicher Herkunft) innerhalb weniger Tage wieder legitim sei.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
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Reaktionen der DDR-Bevölkerung zum Auftritt von Udo Lindenberg in Ost-Berlin Dokument, 2 Seiten
Informationen zum Auftritt des Sängers Udo Lindenberg im Palast der Republik Dokument, 2 Seiten
Information zur Abfahrt Udo Lindenbergs vom Palast der Republik zum IPZ Dokument, 1 Seite
Information zur Reaktion des Publikums während des Konzerts von Udo Lindenberg Dokument, 1 Seite