Signatur: BStU, MfS, HA II/6, Nr. 425, Bl. 37
Die Staatssicherheit dokumentierte im Vorfeld der DDR-weiten Kommunalwahlen 1989 einen Fund von "Hetzzetteln" in der Görlitzer Bahnhofshalle. Der Text dieser Flugblätter kritisierte die undemokratische Politik der SED.
Am 7. Mai 1989 waren die Bürgerinnen und Bürger der DDR aufgerufen, anlässlich der Kommunalwahlen den Kandidaten der Nationalen Front ihre Stimme zu geben. Wie immer stand nur diese eine Liste zur Auswahl. Mit "Ja" zu stimmen, bedeutete, den Stimmzettel zu falten und in die Wahlurne einzuwerfen. Für ein "Nein" musste jeder einzelne Kandidat in den obligatorisch aufgebauten Wahlkabinen sauber waagerecht durchgestrichen werden. Andere Kenntlichmachungen führten zu einer ungültigen Stimmenabgabe. Im Volksmund wurden die Wahlen daher auch als "Zettelfalten" bezeichnet.
Schon bei den vorangegangenen Volkskammerwahlen waren über westliche Medien Vorwürfe der Wahlfälschung öffentlich geworden. Anfang 1989 riefen verschiedene Gruppen von Oppositionellen zum Wahlboykott auf, forderten freie Wahlen und die Beobachtung der Stimmenauszählung. Letztere war nach § 37 (1) des DDR-Wahlgesetzes öffentlich und auch nach der Verfassung der DDR nicht verboten.
Trotzdem war angesichts der Erfahrung früherer Repressalien, auch durch die Stasi, die Teilnahme daran ein mutiger Schritt. Doch auch diese Aussichten konnten zahlreiche Bürgerinnen und Bürger nicht davon abhalten, extra spät zur Wahl zu gehen oder gegen 18:00 Uhr erneut die Wahllokale aufzusuchen, um die Auszählung zu beobachten. Landesweit geschahen die Stimmenauszählungen in etwa 1.000 Wahllokalen unter ihrer Teilnahme.
Die Auswertungen der Wahlbeobachter belegten, dass Fälschungen stattfanden: Das durch den Vorsitzenden der Wahlkommission, Egon Krenz, bekanntgegebene Ergebnis – eine Wahlbeteiligung von 99 Prozent und ein Anteil von Gegenstimmen von ca. einem Prozent – deckte sich in keiner Weise mit dem Ergebnis der Stimmenauszählungen durch die Beobachter.
In der gesamten DDR war es im Vorfeld der Wahlen zu verschiedenen "Vorkommnissen" gekommen, wobei die Stasi regionale Schwerpunkte ausmachte. Zu den meisten Vorfällen kam es in der Hauptstadt Berlin, den Bezirken Karl-Marx-Stadt, Dresden, Leipzig, Halle und Magdeburg. Die Art und Weise der "Vorkommnisse" glich sich dabei: Es gingen bei den Wahlkommissionen und Amtsträgern zum Teil anonyme Schreiben und Anrufe ein, zahlreiche "Hetzlosungen" und "Hetzzettel" wurden verbreitet.
Am 29. März 1989 fanden Polizisten im Görlitzer Bahnhof sechs solcher Flugblätter mit einem regimekritischen Text.
[handschriftliche Ergänzung: - [unleserlich]/AKG
- II/6]
88/89
Zentraler Operativstab
Eingang der Information
Entgegengenommen Schulze, Hptm.
Datum/Uhrzeit 29.03.89, 19.00 Uhr
Meldende Diensteinheit BV Dresden
Verteiler
Genosse Minister
Generaloberst Mittig
Generalleutnant Großmann
Generalleutnant Neiber
Generalleutnant Schwanitz
Generalmajor Rümmler
[unterstrichen: I, II], III, VI, [unterstrichen: VII], VIII, [unterstrichen: IX], X, XVII, XVIII,[unterstrichen: XIX, XX, XXII]
BdL,
KuSch, N, PS, Rechtsstelle,
VRD, ZAGG, BKK, [unterstrichen: ZAIG,] ZKG
BV [Auslassung]
Information Nr.: 319/89
Ablage von Hetzzetteln in der Verkehrshalle des Bahnhofes Görlitz/ Dresden
Am 29.03.1989, gegen 05.05 Uhr, wurden durch eine Streife des Transportpolizeiamtes Görlitz in der Verkehrshalle des Bahnhofes Görlitz, auf der Gepäckablage sowie an der Handgepäckaufbewahrung insgesamt sechs Hetzzettel (ein Original mit fünf Durchschlägen, Größe 8 cm x 13 cm) aufgefunden.
Die mit Schreibmaschine geschriebenen Hetzzettel hatten folgenden Text:
"Brauchen wir noch die Partei?
Diese macht doch nur Geschrei,
faselt was von Plänen, Normen
und verhindert jegliche Reformen.
Was die Sowjets heute treiben,
darf die Presse nicht mehr schreiben.
Sputnik einst das A und O,
liest man heute auf dem Clo.
Die Betriebe stehen still,
die Umwelt erstickt im Müll.
Honni aber sieggewohnt,
immer noch ganz oben drohnt.
Die Partei hat immer Recht,
deshalb geht es allen schlecht."
(Originalschreibweise)
Täterhinweise für das Anfertigen und Ablegen der Hetzzettel liegen bisher nicht vor. Die Absuche im Bereich des Bahnhofes und im Stadtgebiet von Görlitz ergab keine weiteren Hetzzettelfunde.
Maßnahmen:
- Die weitere Bearbeitung erfolgt durch die BV Dresden, Abt. XIX in Zusammenarbeit mit der Abt. XX.
1956 entstanden durch Umbenennung der Abteilung Allgemeines. Aufgaben des Büros der Leitung waren unter anderem
1953 entstanden durch Umbenennung der Hauptabteilung / Abteilung Personal; zuletzt unterteilt in die Bereiche Kader, Schulung und Disziplinar. Aufgaben: Auswahl, Einstellung, Schulung und Betreuung der MfS-Mitarbeiter, inkl. Versetzungen und Entlassungen von Angehörigen aus dem Dienst des MfS sowie Disziplinararbeit und Gewährleistung der inneren Sicherheit im MfS.
Die Verwaltung Rückwärtige Dienste (VRD) entstand 1974 aus der HA VuW, der HV B und ihr unterstellter bzw. zugeordneter Diensteinheiten sowie der Abteilung Finanzen. Ihre Aufgaben waren die materiell-technische Sicherstellung der Arbeit der MfS-Diensteinheiten, insbesondere durch Planung und Bereitstellung des materiellen Bedarfs, Bestands- und Lagerhaltung sowie der Bilanzierung.
Dazu gehörten auch Sicherungsaufgaben zur Unterbindung jedweder Feindtätigkeit im Anleitungsbereich, vor allem in Betrieben im bzw. beim MfS sowie Erfassung, Lagerung und Verteilung und Verwertung der in den Diensteinheiten des MfS angefallenen Asservate mit Ausnahme von Zahlungsmitteln, Schmuck und Edelmetallen.
Zentrale Arbeitsgruppe Geheimnisschutz (ZAGG) ging 1968 hervor aus der Arbeitsgruppe Sicherung von Staatsgeheimnissen (AG SVS). Aufgaben: politisch-operative Sicherung ausgewählter Staats- und Dienstgeheimnisse sowie von Geheimnisträgern und Einflussnahme auf Organe und Einrichtungen zur Gewährleistung des Geheim(nis)schutzes; dazu u. a. ständige Überprüfung und Kontrolle der Beachtung der Rechtsvorschriften zum Geheimschutz.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
Die Zentrale Koordinierungsgruppe (ZKG) entstand 1975 durch Übernahme von Aufgaben verschiedener Diensteinheiten, insbesondere von HA VI und HA XX/5. Aufgaben: zentrale Koordinierung des Vorgehens des MfS im Zusammenhang mit Übersiedlungen in die Bundesrepublik Deutschland, nach Westberlin bzw. das nichtsozialistische Ausland, einschließlich der Versuche des Zurückdrängens von Ausreiseanträgen bzw. zur Verhinderung des Verlassens der DDR und zur Bekämpfung des sog. staatsfeindlichen Menschenhandels bis hin zur Mitwirkung an den Entscheidungen in Ausreisefällen.
Der Zentrale Operativstab (ZOS) wurde 1970 gegründet. Seine Aufgaben waren der Betrieb des operativen Lagezentrums mit 24-Stunden-Dienst zur Entgegennahme, Aufbereitung und Weiterleitung von Meldungen/Informationen und Führung der Gesamtübersicht zur Sicherheitslage und bestimmten Vorkommnissen (Bomben- und Sprengstoffanschläge, Brandlegungen, Überfälle, Geiselnahmen, Attentate, Erpressungen, Havarien, Vorkommnisse an der Grenze, "staatsfeindliche Hetze", Demonstrationen/Demonstrativhandlungen usw.) wie auch Durchführung von sichernden Aktionen und Einsätzen anlässlich herausragender Ereignisse der Partei- und Staatsführung.
Information über "feindlich-negative Aktivitäten" im Vorfeld der Kommunalwahlen 1989 in Dresden Dokument, 4 Seiten
Anonymer Protestbrief gegen die SED-Regierung im Vorfeld der Kommunalwahlen 1989 Dokument, 2 Seiten
Ergebnisse der Wahlbeobachter: Öffentliche Stellungnahme zu den Kommunalwahlen 1989 Dokument, 4 Seiten
Hinweise über Aktivitäten feindlicher Kräfte zur Diskreditierung der Ergebnisse der Kommunalwahlen 1989 Dokument, 4 Seiten