Signatur: BArch, MfS, BV Leipzig, Leiter, Nr. 1, Bd. 19, Bl. 26
Ab 1954 versuchte die DDR-Regierung mit der Durchsetzung der freireligiösen Jugendweihe die kirchlichen Einflüsse auf die Bevölkerung zurückzudrängen. Die Kirchen betrachteten dies als offenen Affront und verkündeten die Unvereinbarkeit von christlichem Glauben und Teilnahme an der Jugendweihe. Zu Beginn des Jahres 1955 rückten daher mehrere Pfarrer in Leipzig ins Blickfeld der Stasi.
In Westdeutschland gehörten Kommunion und Konfirmation zu den festen Riten junger Leute, die Jugendweihe war weitgehend unbekannt. In der DDR aber wurde sie zu einem staatlichen Pendant, mit dem die SED-Führung den Einfluss der Kirchen zurückdrängen wollte.
Der 1953 aus Moskau diktierte "Neue Kurs" beeinflusste das Politbüro der SED auch, als es im März 1954 über die "Politik der Partei in Kirchenfragen" diskutierte. Die Parteiführung entschied, die "populärwissenschaftliche Aufklärungsarbeit in der Partei und unter den Massen zu verstärken". In dieser Sitzung kam auch erstmals die Jugendweihe zur Sprache. Die Massenorganisationen sollten sie vorbereiten und ab 1955 durchführen, dabei aber den staatlichen Einfluss verschleiern.
Als der neu gegründete "Zentrale Ausschuss für Jugendweihe" am 12. November 1954 einen Aufruf zur Jugendweihe veröffentlichte und den Ritus als "Kraftquell für die weitere Entwicklung des jungen Menschen" beschrieb, musste dies von den Kirchen als Kampfansage verstanden werden. Die evangelische und katholische Kirche reagierten auf den Jugendweiheaufruf sofort. In Hirtenbriefen, Kanzelabkündigungen und öffentlichen Schreiben wurde eine Unvereinbarkeit der Teilnahme an der Jugendweihe mit dem Bekenntnis des christlichen Glaubens verkündet.
Ab diesem Zeitpunkt findet sich in den Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit reichlich Material zur Jugendweiheproblematik. Die Geheimpolizei sammelte Informationen, erstellte Analysen, legte Vorgänge an und wirkte massiv auf Personen ein. Als "Schild und Schwert der Partei" war die Stasi dafür sensibilisiert, Kritik an einer Entscheidung der SED in diesem Fall die Gegnerschaft zur Jugendweihe zu unterbinden. So gerieten Anfang 1955 zunehmend Pfarrer in ihr Blickfeld.
So etwa im Bezirk Leipzig. In einem internen Informationspapier für die Leipziger Stasi-Spitze vom 21. März 1955 heißt es, "reaktionäre Pfarrer" würden Jugendlichen sagen, "daß zwischen Marxisten-Leninisten und der Kirche eine unüberbrückbare Kluft besteht, deshalb sei es nicht zulässig, daß Jugendliche an der Konfirmation und gleichzeitig an der Jugendweihe teilnehmen".
Aus dem Dokument geht hervor, dass die Stasi in den Kirchen einen kompromisslosen Widerstand gegen die Jugendweihe ausmachte. So soll Heranwachsenden mit dem Ausschluss von Konfirmation und Kirche gedroht worden sein, sollten sie an der Jugendweihe teilnehmen. Und diese "Hetze und Beeinflussung", so die Information weiter, führe dazu, dass republikweit nur wenige junge Erwachsene an der Jugendweihe teilnähmen.
Informationsdienst
Berlin, den 21. März 1955
Jugendweihe
Die reaktionären Pfarrer versuchen immer wieder durch ihre Hetze, die Jugendlichen und deren Eltern zu beeinflussen, damit sie die Teilnahme an der Jugendweihe ablehnen.
Sie organisieren in der Form, indem sie sagen, daß zwischen Marxisten-Leninisten und der Kirche eine unüberbrückbare Kluft besteht, deshalb sei es nicht zulässig, daß Jugendliche an der Konfirmation und gleichzeitig auch an der Jugendweihe teilnehmen.
So z.B. predigte der Pfarrer aus [anonymisiert] offen gegen die Lehren des Marxismus-Leninismus, sowie gegen den Aufbau des Sozialismus in der DDR. Er sagte u.a.: "Es kann nur Gott und der Glaube an das Evangelium den Frieden und das Licht bringen. 1955 wird eine glaubenslose Jugendweihe eingeführt. Ich weise ganz Deutschland darauf hin, daß die Kinder, welche an der Weihe teilnehmen, nicht konfimiert und von der der Kirche ausgeschlossen werden."
Aufgrund dieser Hetze und Beeinflussung der Bevölkerung durch die Pfarrer ist zu verzeichnen, daß die Teilnahme an der Jugendweihe sehr gering ist. So z.B. beteiligen sich im Bezirk Rostock nur 14 %, im Bezirk Erfurt 17 %, im Bezirk Frankfurt 10 % und im Bezirk Halle 27 % der Schulabgänger an der Jugendweihe.
Die Kirchen gerieten nicht selten unter Verdacht, gegen die politischen Verhältnisse in der DDR zu opponieren. Das lag an ihrer weitgehenden Eigenständigkeit, an der christlichen Botschaft, die von den kommunistischen Ideologen als konkurrierendes Sinn- und Erklärungsangebot abgelehnt wurde, sowie an ihrem Beharren auf Mitsprache und Gestaltungsanspruch in gesellschaftlichen Fragen. Im Auftrag der SED wurde daher das MfS tätig, um die von den Kirchen ausgehenden vermeintlichen und tatsächlichen Gefahren für das politisch-ideologische System der DDR abzuwehren.
Die SED-Kirchenpolitik war in den vier Jahrzehnten der DDR Wandlungen unterworfen. In den 50er Jahren führte die SED mehrfach einen offenen Kirchenkampf. Dieser richtete sich u. a. gegen die kirchliche Jugend- und Studentenarbeit, v. a. bei der Einführung der Jugendweihe, sowie gegen karitative Einrichtungen wie die Bahnhofsmissionen. Mehrere Religionsgemeinschaften wurden verboten und deren Anhänger verfolgt.
Die SED war zudem bestrebt, die Verlesung von solchen Hirtenbriefen und Kanzelabkündigungen zu unterbinden, in denen sozialethische, gesellschaftskritische oder politische Fragen aufgegriffen wurden. Von der Polizei und dem MfS wurden kirchliche Einrichtungen durchsucht und Literatur beschlagnahmt. Neben kirchlichen Mitarbeitern wurden unter Mitwirkung des MfS auch Pfarrer – zwischen 1950 und 1960 mindestens 140 – inhaftiert.
Ab den 60er Jahren beschränkte sich die SED zunehmend darauf, durch eine rigorose Auslegung der Veranstaltungsordnung unerwünschte kirchliche Aktivitäten zu behindern. Das offizielle Eindringen in kirchliche Räume wie im November 1987, als es nachts in der Zionsgemeinde in Ostberlin zu Durchsuchungen und Festnahmen kam, war in den 70er und 80er Jahren eher untypisch, weil dies die Staat-Kirche-Beziehungen erheblich belastete. Vor allem seit 1978 bemühte sich die SED, ein Stillhalteabkommen zwischen Kirchenleitungen und Staat zu respektieren.
Das MfS versuchte aber stets, indirekt Einfluss auf kirchliche Entscheidungen zu nehmen. Dies und die verdeckte Informationsbeschaffung zählten zu den Hauptbetätigungsfeldern des MfS im Rahmen der von der SED konzipierten Kirchenpolitik. Die Informationsbeschaffung erfolgte mittels Observation, IM-Einsatz und auf dem Weg der sog. Gesprächsabschöpfung. Dabei gelang es in Einzelfällen auch, Christen in kirchlichen Leitungspositionen als IM zu gewinnen.
So arbeitete der thüringische Kirchenjurist und Oberkirchenrat Gerhard Lotz seit 1955 mit dem MfS als IM "Karl" zusammen. Durch die Positionierung eines Offiziers im besonderen Einsatz im Konsistorium in Magdeburg, Detlev Hammer, der ab 1974 juristischer, dann Oberkonsistorialrat war, vermochte es das MfS, einen hauptamtlichen Mitarbeiter innerhalb der Leitungsstruktur der provinzsächsischen Kirche zu platzieren. Außerdem hatte das MfS gegenüber den Kirchen dann tätig zu werden, wenn Verdachtsmomente dafür vorlagen, dass die Kirchen über den ihnen von der SED zugewiesenen religiös-kultischen Bereich hinaus tätig wurden.
Dementsprechend observierte das MfS Kirchengemeinden und Pfarrer, die – wie es beim MfS hieß – im Rahmen der "Partnerschaftsarbeit" Besuchskontakt zu Kirchengemeinden in der Bundesrepublik unterhielten. Das MfS legte hierzu OV an und ermittelte gegen die Organisatoren der Zusammenkünfte.
Als Ziele der MfS-Aufklärung galten ebenso kirchliche Synoden und Basistreffen, auf denen grundsätzlich die potenzielle Gefahr bestand, dass Kritik an den Verhältnissen in der DDR geübt werden würde. In das Blickfeld des MfS rückten die evangelischen Kirchen insbesondere ab Mitte der 70er Jahre: Zunächst rief die auch unter nichtkirchlichen Jugendlichen an Attraktivität gewinnende kirchliche Jugendarbeit, dann die Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsarbeit unter dem Dach der Kirche den Argwohn des MfS hervor.
Insgesamt war das MfS nur eine von mehreren Institutionen des SED-Staates, die im Rahmen der SED-Kirchenpolitik tätig wurden. Im Zusammenspiel mit ihnen versuchte das MfS, die Kirchen zu kontrollieren und zu disziplinieren.
In Auswertung der kirchenpolitischen Kampagnen der 50er Jahre und bestärkt durch konzeptionelle Arbeiten, drängte die SED-Führung ab Anfang der 80er Jahre zunehmend auf ein koordiniertes Vorgehen. Die vom MdI und den Abteilungen für Inneres erstellten Rapportmeldungen, Berichte und Personeneinschätzungen zu Gottesdiensten und kirchlichen Mitarbeitern wurden vereinbarungsgemäß dem MfS zur Verfügung gestellt und bildeten häufig den Grundstock jener Berichte und Personencharakteristiken, die sich in den Beständen des MfS wiederfinden.
Bereits vor Gründung des MfS hatte bei der Deutschen Verwaltung des Innern in der Abteilung K 5 das Referat C 3 existiert. Als Aufgabenbeschreibung wurde die "Aufklärung und Bekämpfung der kirchlichen Feindtätigkeit" genannt. Ab 1950 bestand im MfS zunächst die Abteilung V, die sich ab 1953 Hauptabteilung V nannte und 1964 im Zuge einer Umstrukturierung zur Hauptabteilung XX wurde.
Innerhalb dieser Organisationsstruktur zeichnete die Abt. 4 für die "Bearbeitung" der Kirchen verantwortlich. 1988 gliedert sich diese in sechs Fachreferate, wobei je eins für die evangelischen Kirchen, die katholische Kirche sowie die Religionsgemeinschaften und Sekten zuständig war. Ein Referat widmete sich Operativen Vorgängen. Als Schwerpunkt der Arbeit wurde die "Bekämpfung der politischen Untergrundtätigkeit" benannt. Zwei weitere Referate nahmen koordinierende Funktionen wahr.
Neben der Hauptabteilung XX/4 stützte sich das MfS bei der Bekämpfung und Infiltration der Kirchen auf die Zuarbeit verschiedener Hauptabteilungen und Abteilungen - so u. a. auf die Dienste der HV A bei der "Aufklärung" von westlichen Partnergemeinden und Pfarrern, die die kirchliche Friedensarbeit in den ostdeutschen Gemeinden unterstützten. Im Fall der Inhaftierung kirchlicher Mitarbeiter übernahm die Hauptabteilung IX als Untersuchungsorgan den Vorgang.
Hinzu kamen andere institutionalisierte Formen der "Bearbeitung". Als politisch-ideologische fungierte ab 1958 das Referat Familienforschung, das Verwicklungen missliebiger Kirchenvertreter in das NS-Regime aufdecken oder konstruieren sollte, um die so Diffamierten unter Druck setzen zu können. Angesiedelt war es beim Deutschen Zentralarchiv in Potsdam. Es verwaltete verschiedene aus NS-Beständen stammende Unterlagen und wertete sie aus. Dabei handelte es sich um eine verdeckt arbeitende Einrichtung des MfS.
Um den steigenden Informationsbedarf – unter Berücksichtigung der Spezifik kirchlicher und religiöser Angelegenheiten – zu decken und um Sonderaufträge u. a. auch im Ausland ausführen zu können, etablierte das MfS 1960 die sog. Auswertungsgruppe, die dem Referat V zugeordnet wurde. In einem konspirativen Objekt in Berlin-Pankow ("Institut Wandlitz") arbeiteten hauptamtliche IM und mehrere OibE zusammen.
Seine "Absicherung" fand das Vorgehen des MfS gegenüber den Kirchen durch ein umfangreiches Netz von OibE und IM, die das MfS im Staatssekretariat für Kirchenfragen und in den Kirchenabteilungen der DDR-Bezirke unterhielt. 1989 gab es im Staatssekretariat drei OibE; zudem berichtete der persönliche Referent und Büroleiter der Staatssekretäre Hans Seigewasser und Klaus Gysi, Horst Dohle, ab 1975 als IM "Horst" dem MfS. Insgesamt aber gelang es dem MfS nicht, die Kirchen umfassend zu unterwandern.
Bericht zur Selbstverbrennung von Pfarrer Oskar Brüsewitz in Zeitz Dokument, 9 Seiten
Bericht über seelsorgerische Beratung von Wehrpflichtigen durch das Evangelische Jungmännerwerk Dokument, 5 Seiten
Bericht über die Opposition im Bereich der Kirchen Dokument, 16 Seiten
Zur Beisetzung von Pfarrer Brüsewitz am 26.8.1976 in Rippicha, Kreis Zeitz Dokument, 6 Seiten