Signatur: BStU, MfS, HA XX, Nr. 4808, Bl. 12-23
In einer Auswertung des X. Schriftstellerkongresses dokumentierte die Staatssicherheit kritische Äußerungen der Rednerinnen und Redner. Sie vermutete, dass der Kongress nicht nur bei den Literaturschaffenden den Auftakt für "staatsunabhängige Strukturen" und oppositionelle Aktivitäten bilden könnte.
Literatinnen und Literaten litten in der DDR unter der Bevormundung durch das SED-Regime. Gegen die Zensur regte sich in den 80er Jahren vermehrt offene Kritik. Die zuständige Kulturabteilung des Zentralkomitees der SED, die dem Chefideologen und Politbüromitglied Kurt Hager unterstand, lehnte Lockerungen ab. Der X. DDR-Schriftstellerkongress, der am 24. November 1987 in Gegenwart von Generalsekretär Erich Honecker und sechs weiteren SED-Politbüromitgliedern begann, zeigte aber auf, dass diese harte Linie zunehmend offen kritisiert wurde. Die Staatssicherheit schenkte einzelnen kritischen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Kongresses und ihrer Meinung nach "feindlich-negativen Kräften" besondere Beachtung.
Bereits im Vorfeld des Kongresses machten verschiedene Autorinnen und Autoren deutlich, dass sie eine staatliche Bevormundung nicht mehr widerspruchslos hinnehmen würden. Häufig kamen sie in diesem Zusammenhang auch auf den Aderlass durch die Abwanderung von Schriftstellerinnen und Schriftstellern aus der DDR zu sprechen.
Da der Schriftstellerkongress in die Verantwortung der Kulturabteilung des SED-Zentralkomitees fiel, konnte die Staatssicherheit seinen Verlauf nicht offen und pauschal kritisieren. Dennoch macht der vorliegende Stasi-Bericht deutlich, dass diese Veranstaltung aus Sicht der Geheimpolizei geradezu aufrührerischen Charakter hatte. So seien in einigen kritischen Redebeiträgen sichtbar grundlegende Positionen der DDR-Staatsmacht angegriffen und der Kongress genutzt worden, um subversive Ziele zu propagieren.
Als besonders negativ bewertete die Stasi einen Brief der in Ost und West erfolgreichen Schriftstellerin Christa Wolf, die dem Kongress ferngeblieben war. Wolf setzte sich darin für die Wiederaufnahme der im Jahr 1979 aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossenen Autoren ein.
Die Staatssicherheit mutmaßte, dass von dem Kongress eine Signalwirkung für weitere Aktivitäten ausgehen werde, um die "Dialogbereitschaft des Staates zu testen". Es sollten Schlussfolgerungen für die politisch-operative Arbeit gezogen werden, um einen "störungsfreien" Ablauf der für 1988 angesetzten kulturpolitischen Veranstaltungen zu gewährleisten.
Beginnend mit der Diskussion im Plenum sowie in den Gesprächen in den Arbeitsgruppen wurden folgende Tendenzen sichtbar:
- Es sei an der Zeit, die "staatliche Zensur" aufzuheben.
Die Aufsichts- und Genehmigungspflicht des Staates auf literarische Erzeugnisse müsse abgeschafft werden.
- Die Informations- und Medienpolitik in der DDR entspreche nicht den Erfordernissen der Gegenwart und müsse verändert werden.
Schriftstellern müsse die Möglichkeit gegeben sein, über alles zu schreiben, was sie bewegt; die Veröffentlichung dieser literarischen Arbeiten habe uneingeschränkt zu erfolgen.
- Die Notwendigkeit der Verbreiterung der Demokratie sei vorhanden. Es gelte, neue staatsunabhängige Strukturen im kulturell-künstlerischen Bereich zu schaffen, um die Produktivität zu erhöhen, dabei könne man sich nicht mehr aus dem neuen Denken heraushalten.
- Die Umweltschutzpolitik der DDR sei unzureichend und muß entsprechend der Sitution reorganisiert werden.
- Die im Zusammenhang mit den staatlichen Maßnahmen gegen Biermann getroffenen Entscheidungen seien zu überdenken, die Wiederaufnahme ausgeschlossener Schriftsteller in den Schriftstellerverband stehe auf der Tagesordnung.
Diese genannten Absichten und Forderungen werden sowohl von mehrfach in der Vergangenheit operativ in Erscheinung getretenen Schriftstellern und Autoren, aber auch zunehmend von jüngeren Mitgliedern des Schriftstellerverbandes, wie
Hein , Christoph
Ber1in
Teschke, Holger
Berlin
Liebmann, Irina
Berlin
Griebner, Reinhard
Berlin
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
Signatur: BStU, MfS, HA XX, Nr. 4808, Bl. 12-23
In einer Auswertung des X. Schriftstellerkongresses dokumentierte die Staatssicherheit kritische Äußerungen der Rednerinnen und Redner. Sie vermutete, dass der Kongress nicht nur bei den Literaturschaffenden den Auftakt für "staatsunabhängige Strukturen" und oppositionelle Aktivitäten bilden könnte.
Literatinnen und Literaten litten in der DDR unter der Bevormundung durch das SED-Regime. Gegen die Zensur regte sich in den 80er Jahren vermehrt offene Kritik. Die zuständige Kulturabteilung des Zentralkomitees der SED, die dem Chefideologen und Politbüromitglied Kurt Hager unterstand, lehnte Lockerungen ab. Der X. DDR-Schriftstellerkongress, der am 24. November 1987 in Gegenwart von Generalsekretär Erich Honecker und sechs weiteren SED-Politbüromitgliedern begann, zeigte aber auf, dass diese harte Linie zunehmend offen kritisiert wurde. Die Staatssicherheit schenkte einzelnen kritischen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Kongresses und ihrer Meinung nach "feindlich-negativen Kräften" besondere Beachtung.
Bereits im Vorfeld des Kongresses machten verschiedene Autorinnen und Autoren deutlich, dass sie eine staatliche Bevormundung nicht mehr widerspruchslos hinnehmen würden. Häufig kamen sie in diesem Zusammenhang auch auf den Aderlass durch die Abwanderung von Schriftstellerinnen und Schriftstellern aus der DDR zu sprechen.
Da der Schriftstellerkongress in die Verantwortung der Kulturabteilung des SED-Zentralkomitees fiel, konnte die Staatssicherheit seinen Verlauf nicht offen und pauschal kritisieren. Dennoch macht der vorliegende Stasi-Bericht deutlich, dass diese Veranstaltung aus Sicht der Geheimpolizei geradezu aufrührerischen Charakter hatte. So seien in einigen kritischen Redebeiträgen sichtbar grundlegende Positionen der DDR-Staatsmacht angegriffen und der Kongress genutzt worden, um subversive Ziele zu propagieren.
Als besonders negativ bewertete die Stasi einen Brief der in Ost und West erfolgreichen Schriftstellerin Christa Wolf, die dem Kongress ferngeblieben war. Wolf setzte sich darin für die Wiederaufnahme der im Jahr 1979 aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossenen Autoren ein.
Die Staatssicherheit mutmaßte, dass von dem Kongress eine Signalwirkung für weitere Aktivitäten ausgehen werde, um die "Dialogbereitschaft des Staates zu testen". Es sollten Schlussfolgerungen für die politisch-operative Arbeit gezogen werden, um einen "störungsfreien" Ablauf der für 1988 angesetzten kulturpolitischen Veranstaltungen zu gewährleisten.
bekundet. Sie befinden sich damit in Übereinstimmung mit Denk- und Verhaltensweisen von solchen, auf dem Kongreß nicht anwesenden Autoren, wie
Mensching, Steffen
Berlin
Schwarz, Klaus-Peter
Berlin
Schmidt, Kathrin
Berlin.
Es ist davon auszugehen, daß die Arbeitsmöglichkeiten der Westjournalisten während der Diskussion im Plenum, bereits vor Kongreßbeginn DDR-Schriftstellern und Autoren bekannt waren und dieser Umstand offensichtlich bei der inhaltlichen Vorbereitung auf die jeweiligen Diskussionsbeiträge einkalkuliert wurde.
So wurden u.a. durch den hinlänglich operativ bekannten
Rathenow, Lutz
Berlin
seine Kontaktpartner im Operationsgebiet, Journalisten und Inspiratoren politischer Untergrundtätigkeit gezielt auf Diskussionsbeiträge negativer bis feindlicher Personen hingewiesen.
Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang das Auftreten des Schriftstellers
Günter de Bruyn
Berlin
im Plenum des Kongresses. In seinem Diskussionsbeitrag brachte er eindeutig gegen die Politik der Partei gerichtete Positionen zum Ausdruck. So vertrat er den Standpunkt, daß, wenn sich an der Kulturpolitik der Partei nichts ändere, Schriftsteller oder Journalisten wie bisher keine Möglichkeiten hätten, Veränderungen in der Gesellschaft herbeizuführen. De.Bruyn forderte die Abschaffung der "Zensur" in der DDR, die mit dem Begriff "Druckgenehmigung durch den Staat" umschrieben werde. Die Verantwortung für die Herausgabe von Büchern müsse künftig nur noch bei den Autoren und ihren Verlagen liegen. Gegenwärtig sei es in unserer Gesellschaft so, daß durch die Literatur nur solche Fehler und Irrtümer genannt werden dürften, die schon beseitigt seien. Das schädige das Ansehen der Gesellschaft, nähre Zweifel an ihrer Reformfähigkeit und beraube sie der Antriebskraft der Kritik.
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
Mit Operationsgebiet bezeichnete das MfS zusammenfassend alle Länder, in denen bzw. gegen die es geheimdienstliche Aktionen durchführte. Zumeist waren damit die Bundesrepublik Deutschland und Westberlin gemeint, der Begriff konnte aber auch jedes andere westliche oder neutrale Land einschließen. Aufgrund besonderer innenpolitischer Entwicklungen galten 1968/69 auch die Tschechoslowakei, spätestens seit den 70er Jahren faktisch Rumänien und in den 80er Jahren auch Polen als Operationsgebiet.
Signatur: BStU, MfS, HA XX, Nr. 4808, Bl. 12-23
In einer Auswertung des X. Schriftstellerkongresses dokumentierte die Staatssicherheit kritische Äußerungen der Rednerinnen und Redner. Sie vermutete, dass der Kongress nicht nur bei den Literaturschaffenden den Auftakt für "staatsunabhängige Strukturen" und oppositionelle Aktivitäten bilden könnte.
Literatinnen und Literaten litten in der DDR unter der Bevormundung durch das SED-Regime. Gegen die Zensur regte sich in den 80er Jahren vermehrt offene Kritik. Die zuständige Kulturabteilung des Zentralkomitees der SED, die dem Chefideologen und Politbüromitglied Kurt Hager unterstand, lehnte Lockerungen ab. Der X. DDR-Schriftstellerkongress, der am 24. November 1987 in Gegenwart von Generalsekretär Erich Honecker und sechs weiteren SED-Politbüromitgliedern begann, zeigte aber auf, dass diese harte Linie zunehmend offen kritisiert wurde. Die Staatssicherheit schenkte einzelnen kritischen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Kongresses und ihrer Meinung nach "feindlich-negativen Kräften" besondere Beachtung.
Bereits im Vorfeld des Kongresses machten verschiedene Autorinnen und Autoren deutlich, dass sie eine staatliche Bevormundung nicht mehr widerspruchslos hinnehmen würden. Häufig kamen sie in diesem Zusammenhang auch auf den Aderlass durch die Abwanderung von Schriftstellerinnen und Schriftstellern aus der DDR zu sprechen.
Da der Schriftstellerkongress in die Verantwortung der Kulturabteilung des SED-Zentralkomitees fiel, konnte die Staatssicherheit seinen Verlauf nicht offen und pauschal kritisieren. Dennoch macht der vorliegende Stasi-Bericht deutlich, dass diese Veranstaltung aus Sicht der Geheimpolizei geradezu aufrührerischen Charakter hatte. So seien in einigen kritischen Redebeiträgen sichtbar grundlegende Positionen der DDR-Staatsmacht angegriffen und der Kongress genutzt worden, um subversive Ziele zu propagieren.
Als besonders negativ bewertete die Stasi einen Brief der in Ost und West erfolgreichen Schriftstellerin Christa Wolf, die dem Kongress ferngeblieben war. Wolf setzte sich darin für die Wiederaufnahme der im Jahr 1979 aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossenen Autoren ein.
Die Staatssicherheit mutmaßte, dass von dem Kongress eine Signalwirkung für weitere Aktivitäten ausgehen werde, um die "Dialogbereitschaft des Staates zu testen". Es sollten Schlussfolgerungen für die politisch-operative Arbeit gezogen werden, um einen "störungsfreien" Ablauf der für 1988 angesetzten kulturpolitischen Veranstaltungen zu gewährleisten.
Nach seiner Meinung verletze diese Praxis die Würde und das Selbstbewußtsein der Autoren, die Leser würden bevormundet, die Schreiber entmündigt und manche von ihnen würden dazu getrieben, das Land zu verlassen. Darüber hinaus entstehe hier eine Zone der Rechtsunsicherheit.
Ähnliche Auffassungen zur Veränderrung der gesellschaftlichen und staatlichen Einflußnahme auf die Literatur wurden auch von dem Schriftsteller
vertreten. Er stellte folgende "Thesen als Diskussionsgrundlage:
- Literatur müsse die Probleme der Gesellschaft bloßlegen
- die Verlage sollten selbständig ohne staatliche Bevormundung entscheiden
- Veröffentlichungen über Literatur, Literaturwissenschaft und -kritik würden mehr Öffentlichkeit benötigen.
In der gleichen Arbeitsgruppe behauptete der Autor
Dieter Mucke
Halle,
daß die Mehrheit der DDR-Bürger parteilos sei, aber eine Minderheit (gemeint sind Parteimitglieder) es sich anmaße, über die Mehrheit zu herrschen.
Der Schriftsteller
Manfred Jendryschik
Leipzig
machte in demagogischer Art und Weise Äußerungen zur Überwindung der leitungsmäßigen Identität von Partei und Staat und forderte darüber hinaus:
- die Zulassung allgemeiner Reisemöglichkeiten
- Wegfall der Subventionen für Grundnahrungsmittel im Tausch gegen Westreisen.
Die Nachwuchsautoren
Holger Teschke
und
Reinhard Griebner
sprachen sich gegen das
"Vergessen und Verschweigen von Irrtümern im Sozialismus"
aus.
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
Einschätzung der HA XX zum X. Schriftstellerkongress der DDR Dokument, 3 Seiten
Information über Aktivitäten des Verbands Deutscher Schriftsteller (VS) in Vorbereitung des X. Schriftstellerkongresses Dokument, 2 Seiten
Ergänzende Information über den bundesdeutschen Verband deutscher Schriftsteller Dokument, 2 Seiten
Bericht der BV Berlin zu Gruppengesprächen im Schriftstellerverband der DDR Dokument, 3 Seiten