Signatur: BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 699, Bl. 20
Noch bis 1953 gab es in der DDR antijüdische Tendenzen. Das änderte sich bis spätestens Anfang der 80er Jahre. Das SED-Regime wollte nun die Sympathien von Menschen jüdischen Glaubens im In- und Ausland gewinnen. Dafür griff die Regierung sogar in Bauprojekte ein.
Ab Mitte der 80er entwickelte die DDR-Führung ein zunehmendes Interesse an ihren jüdischen Bürgerinnen und Bürgern. Grund dafür waren handfeste wirtschaftliche Interessen. Das SED-Regime wollte jüdische Lobbyisten in den Vereinigten Staaten als Fürsprecher für sich gewinnen, um sich Vorteile im Außenhandel zu verschaffen. Die neue Akzentuierung zeigte sich auch im Alltag des Arbeiter- und Bauernstaates: Ab 1985 wurden jüdische Widerstandskämpfer und Opfer geehrt.
Ein weiteres Beispiel für den veränderten Kurs gegenüber den Bürgern jüdischen Glaubens stellte der direkte Eingriff in die Berliner Verkehrsplanung zu Gunsten des Erhalts des den jüdischen Friedhof an der Herbert-Baum-Straße in Berlin-Weißensee dar. Wie in diesem Dokument ersichtlich, berichtete die Stasi im März 1983 von erste Proteste gegen den Abriss des Friedhofs. 1986 ordnete die SED-Führung den Baustopp an und gewann so das Wohlwollen des Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde in der Bundesrepublik, Heinz Galinski. Johannes Hildebrandt
[Handschriftlich: XX/4/1191/83
XX/AKG/K/1013/03]
Berlin, den 9.3.1983
[Handschriftlich: XX/AKG/1622/83]
Nr. 30/83
gef. 6 Exemplare
1. Exemplar
[Handschriftlich: I II II XX/4
Gen. Sprotte]
Information über kirchlich-negative Kreise
Durch eine zuverlässige Quelle wurde bekannt:
Der Pfarrer der Sophiengemeinde Berlin-Mitte, Hildebrandt, leitet seit längerer Zeit einen speziellen Arbeitskreis über jüdische Geschichte und Entwicklung des Zionismus. Im Zusammenhang mit der Leitung des Arbeitskreises unterhält Hildebrandt enge Verbindung zum Vorstand der Jüdischen Gemeinde Berlin.
Gegenüber der Quelle äußerte sich Hildebrand entrüstet über die Absicht von "offiziellen Stellen" mitten durch den jüdischen Friedhof in Weissensee eine 6-spurige Straße zu bauen. Mit dem Argument, daß es sich um den größten jüdischen Friedhof Europas handelt, der unbedingt erhalten bleiben muß, habe sich Hildebrandt an den stellvertretenden Bürgermeister von Berlin-Weissensee, Hofmann, gewandt. Von Hofmann habe Hildebrandt eine abschlägige Antwort bekommen.
Nach Meinung von Hildebrandt müsse man die Jüdische Gemeinde aufgrund ihrer zahlenmäßig schwachen Mitglieder aktiv unterstützen.
Hildebrandt vertrat die Auffassung, daß gerade die Deutschen an den Juden viel gutzumachen hätten und es dürfe kein Preis zu hoch sein, den jüdischen Friedhof in Weissensee in seiner jetzigen Form zu erhalten.
Hildebrandt äußerte, nichts unversucht zu lassen, um den Bau einer Umgehungsstraße durchzusetzen.
Die Äußerungen Hildebrandts wurden von der Quelle so verstanden, daß Hildebrandt im Rahmen seiner Gemeinde und seines Arbeitskreises Mitglieder zu aktivieren versucht, um dann mit geeigneten Eingaben bei den zuständigen staatlichen Stellen vorstellig zu werden.
Nach Auskunft der KD Weißensee ist tatsächlich eine Verlängerung der Artur-Becker-Straße in Richtung Weißensee geplant, die dieses Gebiet tangieren würde. Inwieweit hierzu bereits Abstimmungen mit der Jüdischen Gemeinde erfolgt sind, ist jedoch nicht bekannt.
Hauptabteilung XVIII (Volkswirtschaft)
Nach dem Vorbild der "Verwaltung für Wirtschaft" in der sowjetischen Hauptverwaltung für Staatssicherheit erhielt das am 8.2.1950 gebildete MfS eine Einrichtung, die zunächst unter der Bezeichnung Abteilung III bzw. Hauptabteilung III agierte. Vorläufer war die von Mielke geleitete Hauptverwaltung zum Schutz der Volkswirtschaft im MdI. Die Kernaufgaben bestanden in der Sabotageabwehr, im Schutz des Volkseigentums und in der Überwachung der Betriebe. Für die SAG Wismut wurde 1951 eine separate Struktureinheit, die Objektverwaltung "W" gegründet.
1955 wurde die systematische Überprüfung von Leitungskadern (später Sicherheitsüberprüfungen), 1957 der Aufbau des Informantennetzes, die Zusammenarbeit mit staatlichen Leitern und Parteisekretären, der Aufbau von Operativgruppen und Objektdienststellen sowie die Gewinnung von IM für Schlüsselpositionen in wirtschaftsleitenden Organen, Betrieben und Institutionen etabliert. Mit der Auflösung der Abteilung VI erhielt die HA III den Auftrag zur Sicherung volkswirtschaftlicher Maßnahmen auf dem Gebiet der Landesverteidigung.
1964 erfolgte im Zusammenhang mit den Reformen in der DDR-Volkswirtschaft die Umbenennung der HA III in HA XVIII. Die neue Struktur basierte auf dem Produktionsprinzip, das zunächst auf die führenden Wirtschaftszweige Bau und Industrie fokussiert war. Andere Wirtschaftsobjekte wurden nach dem Territorialprinzip von den Kreisdienststellen bearbeitet. Der HA XVIII in der Zentrale entsprachen gemäß dem Linienprinzip auf der Bezirksebene die Abteilungen XVIII der Bezirksverwaltungen. Sicherungsschwerpunkte waren vor allem Außenhandel, Wissenschaft und Technik sowie die Verteidigungsindustrie. Mit der Richtlinie 1/82 wurde der Akzent auf die Gewährleistung der inneren Stabilität verschoben. Strukturelle Auswirkungen hatte insbesondere die Hochtechnologie Mikroelektronik. 1983 wurde die für den Bereich KoKo zuständige AG BKK aus der für den Außenhandel zuständigen Abteilung 7 der HA XVIII herausgelöst.
Zuletzt wies die Organisationsstruktur 6 Arbeitsbereiche und 62 Referate auf. Sie diente vor allem der Aufklärung gegnerischer Geheimdienste ("Arbeit im und nach dem Operationsgebiet"), der inneren Abwehrarbeit in den Betrieben und Institutionen, der Gewährleistung der inneren Stabilität, der Wahrung von Sicherheit, Ordnung und Geheimnisschutz sowie der Unterstützung der Wirtschaft durch "effektivitäts- und leistungsfördernde Maßnahmen". Leiter der HA XVIII waren Knoppe (1950–1953), Hofmann (1953–1957), Weidauer (1957–1963), Mittig (1964–1974) und Kleine (1974–1989). Der hauptamtliche Mitarbeiterbestand stieg 1954–1989 von 93 auf 646, auf der gesamten Linie XVIII waren es zuletzt 1623. 1989 arbeiteten für die Linie XVIII ca. 11.000 IM.
1978 wurden die AIG der Bezirksverwaltungen mit der Integration des Kontrollwesens in Auswertungs- und Kontrollgruppen umgewandelt. Analog zur ZAIG waren die AKG jetzt das Funktionalorgan der Leiter der BV mit den Aufgaben Auswertung und Information, Planung, Überprüfung und Kontrolle, Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen und Weisungen sowie EDV. Darüber hinaus wurden die AKG auch für Öffentlichkeitsarbeit zuständig, die im Ministerium noch bis 1985 der Abteilung Agitation bzw. der Arbeitsgruppe Öffentliche Verbindungen zugeordnet war. 1979 wurden auch in den meisten selbständigen Abteilungen und Hauptabteilungen der MfS-Zentrale AKG gebildet. Die AKG unterstanden den Leitern der jeweiligen Diensteinheit, wurden aber fachlich von der ZAIG angeleitet.
Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet wurde. Die zuletzt 13 Hauptabteilungen wurden durch Einzelleiter geführt. Die weiter untergliederten und nach dem Linienprinzip tätigen HA waren für komplexe, abgegrenzte Bereiche operativ zuständig und federführend verantwortlich. Der Zuschnitt der Zuständigkeitsbereiche war an Ressorts oder geheimdienstlichen Praktiken (z. B. Verkehrswesen, Beobachtung, Funkspionage) orientiert.
Die Kreisdienststellen waren neben den Objektdienststellen die territorial zuständigen Diensteinheiten. Sie waren entsprechend den regionalen Gegebenheiten unterschiedlich strukturiert und personell ausgestattet. Einige verfügten über ein Referat zur komplexen Spionageabwehr oder zur Sicherung der Volkswirtschaft und andere nur über spezialisierte Mitarbeiter in diesen Bereichen. Ihre Aufgaben waren die Kontrolle der Wirtschaft, des Verkehrswesens, des Staatsapparates, des Gesundheitswesens, der kulturellen Einrichtungen, der Volksbildung, ggf. von Einrichtungen des Hoch- und Fachschulwesens, wissenschaftlich-technischer Einrichtungen sowie die Überwachung besonders interessierender Personenkreise.
Die Kreisdienststellen waren maßgeblich an den Genehmigungsverfahren für dienstliche bzw. private Auslandsreisen beteiligt, führten Sicherheitsüberprüfungen durch und erstellten Stimmungs- und Lageberichte. Zur Realisierung der Aufgaben bedurfte es einer engen Zusammenarbeit mit den Partnern des POZW, insbesondere mit der Volkspolizei, den Räten und anderen Einrichtungen der Kreise. Die Kreisdienststellen unterhielten ständige Verbindungen zu den SED Kreisleitungen. Zwei Drittel der hauptamtlichen Mitarbeiter der Kreisdienststellen waren operativ tätig. Die Kreisdienststellen führten 50 Prozent der IM und bearbeiteten etwa 60 Prozent der OV zu einzelnen Personen oder Gruppen.
Die Kreisdienststellen gliederten sich in 2 bis 16 Fachreferate sowie das Referat Auswertung und Information (ZAIG) und die Wache/Militärische Sicherungsgruppe. In jeder Kreisdienststelle gab es einen Offizier, der teilweise oder ganz (IM-führender Mitarbeiter/XV) für die Belange der HV A vor Ort zuständig war.
Quelle war eine zentrale IM-Kategorie der Hauptverwaltung A. Als Quelle wurden im sogenannten Operationsgebiet tätige inoffizielle Mitarbeiter bezeichnet, die in der Lage waren, an geheime Informationen über Aktivitäten und Absichten sowie Ressourcen und interne Lagebedingungen gegnerischer Einrichtungen zu gelangen.
Es wurden zwei Typen von Quellen unterschieden:
Zuletzt besaß die HV A (einschließlich der ihr nachgeordneten Abteilungen XV der BV) in der Bundesrepublik und Westberlin 133 A-Quellen und 449 O-Quellen.
Übersicht der Abteilung XX der Bezirksverwaltung Berlin über jüdische Einrichtungen Dokument, 15 Seiten
Information über den Besuch des Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin Heinz Galinski beim Staatssekretär für Kirchenfragen Klaus Gysi Dokument, 3 Seiten
Brief von Heinz Galinski, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, an Erich Honecker Dokument, 2 Seiten
Information zum MfS-Bauvorhaben in der Wittlicher Straße mit Lageplan Dokument, 11 Seiten