Signatur: BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 12478, Bl. 24-41
Im Jahr 1983 handelten der Chef der Abteilung Kommerzielle Koordinierung (KoKo), Alexander Schalck-Golodkowski, und der bayerische Ministerpräsident, Franz Josef Strauß, einen Milliardenkredit aus, der die DDR vor dem Staatsbankrott bewahrte. Die im Ministerium für Staatssicherheit (MfS) für die Überwachung der Volkswirtschaft zuständige Hauptabteilung XVIII analysierte die Risiken und Probleme des Volkswirtschaftsplans 1983.
Anfang der 80er Jahre herrschte weltweit eine wirtschaftliche Krisenstimmung. Brisant war die Situation in den Ostblockstaaten. Die Versorgungslage der Bevölkerung war kritisch, die hohen Schulden im Ausland trieben die sozialistischen Staaten zunehmend in den Ruin. Polen erklärte sich bereits 1981 für bankrott, die DDR stand unmittelbar davor. Allein zur Finanzierung ihrer Verbindlichkeiten im Ausland benötigte sie dringend weitere Devisen und neue Kredite, die ihr aber westliche Banken inzwischen verwehrten.
Umso überraschter war die Öffentlichkeit auf beiden Seiten der Mauer, als am 1. Juli 1983 ein westdeutsches Bankenkonsortium unter der Führung der Bayerischen Landesbank der DDR einen Milliardenkredit gewährte. Eingefädelt und vorbereitet hatten ihn der bayerische Ministerpräsident, Franz Josef Strauß, und der Chef der Abteilung KoKo im Ministerium für Außenhandel der DDR, Alexander Schalck-Golodkowski.
Auf Kosten des inländischen Konsums und damit der Versorgung der Bevölkerung verordnete die SED-Führung Ende 1982 eine drastische Drosselung der Importe und eine massive Steigerung der Exporte. Es ging um schnelle Geschäfte, um so viel Export wie möglich – von Grundnahrungsmitteln wie Butter und Fleisch genauso wie von Produkten, die im Westen absatzfähig waren.
Erich Honecker äußerte sich im November des Jahres in einer Politbürositzung folgendermaßen: "Das Entscheidende ist, dass unsere Wirtschaft das produziert, was abgesetzt werden kann und daß nicht auf Lager produziert wird". Investitionen an den maroden Produktionsanlagen hatten bei diesen Planungen keine Priorität. Vorrangiges Ziel war die zügige Ausweitung der Produktion für den Westexport mit Hilfe von Neuanlagen, die umfangreiche Beschaffung von Devisen und die Suche nach neuen Geldgebern. Entsprechend waren die SED-Vorgaben für das Jahr 1983. Erneut wies die HA XVIII in ihren Berichten ausführlich auf die schwierige Lage hin und betonte Risiken, Probleme und "irreale" Vorgaben des Volkswirtschaftsplans 1983. In der vorliegenden Information betont die HA XVIII, dass für den Planvorschlag 1983 "außerordentliche Maßnahmen notwendig" seien.
- Die Investitionskraft der DDR ließ in den vergangenen Jahren die Amortisation und Modernisierung der technischen Anlagen der Industrie nicht im vollen Umfang zu. Deshalb müssen gegenwärtig entgegen den Normativen zur Gewährleistung der technischen Sicherheit 99 Anlagen auf der Grundlage von Sonderregelungen und 55 Anlagen auf der Grundlage von Ausnahmegenehmigungen betrieben werden. Es handelt sich dabei vor allem um Betriebe der Energiewirtschaft, der Chemie und der Metallurgie, insbesondere in den Bezirken Halle und Leipzig.
Die Gefahr von Bränden, Havarien und Störungen auch größeren Ausmaßes wächst im Jahr [Unterstreichung: 1983], weil die materiellen Möglichkeiten nicht ausreichen, [Unterstreichung: die dringend erforderlichen Ersatzinvestitionen vorzunehmen.]
Diese Probleme erfordern es, daß die zuständigen Staats-, wirtschaftsleitenden- und Kontrollorgane die vorbeugende Kontrolle und Überwachung verstärken, um mögliche Gefährdungssituationen rechtzeitig zu erkennen und schädigende Ereignisse zu verhindern.
c) Für die stabile Versorgung der Bevölkerung liegen die Risikofaktoren vor allem in der Sicherung des Volumens und der Struktur des Warenfonds. Die Hauptfrage ist, die festgelegte Warenbereitstellung für den Warenfonds der Bevölkerung uneingeschränkt durchzusetzen. Hierzu gibt es die notwendigen Aufträge der Regierung an die Minister. Wird diese Aufgabe nicht konsequent gelöst, dann verschärfen sich die bereits bestehenden Risikofaktoren für die Versorgung weiter.
- Im Jahr 1982 mußten in großem Umfang planmäßige Bestände des Großhandels versorgungswirksam gemacht werden. Die Reserven sind weitgehend verbraucht. Das trifft auch für den Einzelhandel zu. So betragen gegenwärtig die Warenbestände bei Waren des täglichen Bedarfs nur 79 % zum Plan.
Hauptabteilung XVIII (Volkswirtschaft)
Nach dem Vorbild der "Verwaltung für Wirtschaft" in der sowjetischen Hauptverwaltung für Staatssicherheit erhielt das am 8.2.1950 gebildete MfS eine Einrichtung, die zunächst unter der Bezeichnung Abteilung III bzw. Hauptabteilung III agierte. Vorläufer war die von Mielke geleitete Hauptverwaltung zum Schutz der Volkswirtschaft im MdI. Die Kernaufgaben bestanden in der Sabotageabwehr, im Schutz des Volkseigentums und in der Überwachung der Betriebe. Für die SAG Wismut wurde 1951 eine separate Struktureinheit, die Objektverwaltung "W" gegründet.
1955 wurde die systematische Überprüfung von Leitungskadern (später Sicherheitsüberprüfungen), 1957 der Aufbau des Informantennetzes, die Zusammenarbeit mit staatlichen Leitern und Parteisekretären, der Aufbau von Operativgruppen und Objektdienststellen sowie die Gewinnung von IM für Schlüsselpositionen in wirtschaftsleitenden Organen, Betrieben und Institutionen etabliert. Mit der Auflösung der Abteilung VI erhielt die HA III den Auftrag zur Sicherung volkswirtschaftlicher Maßnahmen auf dem Gebiet der Landesverteidigung.
1964 erfolgte im Zusammenhang mit den Reformen in der DDR-Volkswirtschaft die Umbenennung der HA III in HA XVIII. Die neue Struktur basierte auf dem Produktionsprinzip, das zunächst auf die führenden Wirtschaftszweige Bau und Industrie fokussiert war. Andere Wirtschaftsobjekte wurden nach dem Territorialprinzip von den Kreisdienststellen bearbeitet. Der HA XVIII in der Zentrale entsprachen gemäß dem Linienprinzip auf der Bezirksebene die Abteilungen XVIII der Bezirksverwaltungen. Sicherungsschwerpunkte waren vor allem Außenhandel, Wissenschaft und Technik sowie die Verteidigungsindustrie. Mit der Richtlinie 1/82 wurde der Akzent auf die Gewährleistung der inneren Stabilität verschoben. Strukturelle Auswirkungen hatte insbesondere die Hochtechnologie Mikroelektronik. 1983 wurde die für den Bereich KoKo zuständige AG BKK aus der für den Außenhandel zuständigen Abteilung 7 der HA XVIII herausgelöst.
Zuletzt wies die Organisationsstruktur 6 Arbeitsbereiche und 62 Referate auf. Sie diente vor allem der Aufklärung gegnerischer Geheimdienste ("Arbeit im und nach dem Operationsgebiet"), der inneren Abwehrarbeit in den Betrieben und Institutionen, der Gewährleistung der inneren Stabilität, der Wahrung von Sicherheit, Ordnung und Geheimnisschutz sowie der Unterstützung der Wirtschaft durch "effektivitäts- und leistungsfördernde Maßnahmen". Leiter der HA XVIII waren Knoppe (1950–1953), Hofmann (1953–1957), Weidauer (1957–1963), Mittig (1964–1974) und Kleine (1974–1989). Der hauptamtliche Mitarbeiterbestand stieg 1954–1989 von 93 auf 646, auf der gesamten Linie XVIII waren es zuletzt 1623. 1989 arbeiteten für die Linie XVIII ca. 11.000 IM.
Signatur: BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 12478, Bl. 24-41
Im Jahr 1983 handelten der Chef der Abteilung Kommerzielle Koordinierung (KoKo), Alexander Schalck-Golodkowski, und der bayerische Ministerpräsident, Franz Josef Strauß, einen Milliardenkredit aus, der die DDR vor dem Staatsbankrott bewahrte. Die im Ministerium für Staatssicherheit (MfS) für die Überwachung der Volkswirtschaft zuständige Hauptabteilung XVIII analysierte die Risiken und Probleme des Volkswirtschaftsplans 1983.
Anfang der 80er Jahre herrschte weltweit eine wirtschaftliche Krisenstimmung. Brisant war die Situation in den Ostblockstaaten. Die Versorgungslage der Bevölkerung war kritisch, die hohen Schulden im Ausland trieben die sozialistischen Staaten zunehmend in den Ruin. Polen erklärte sich bereits 1981 für bankrott, die DDR stand unmittelbar davor. Allein zur Finanzierung ihrer Verbindlichkeiten im Ausland benötigte sie dringend weitere Devisen und neue Kredite, die ihr aber westliche Banken inzwischen verwehrten.
Umso überraschter war die Öffentlichkeit auf beiden Seiten der Mauer, als am 1. Juli 1983 ein westdeutsches Bankenkonsortium unter der Führung der Bayerischen Landesbank der DDR einen Milliardenkredit gewährte. Eingefädelt und vorbereitet hatten ihn der bayerische Ministerpräsident, Franz Josef Strauß, und der Chef der Abteilung KoKo im Ministerium für Außenhandel der DDR, Alexander Schalck-Golodkowski.
Auf Kosten des inländischen Konsums und damit der Versorgung der Bevölkerung verordnete die SED-Führung Ende 1982 eine drastische Drosselung der Importe und eine massive Steigerung der Exporte. Es ging um schnelle Geschäfte, um so viel Export wie möglich – von Grundnahrungsmitteln wie Butter und Fleisch genauso wie von Produkten, die im Westen absatzfähig waren.
Erich Honecker äußerte sich im November des Jahres in einer Politbürositzung folgendermaßen: "Das Entscheidende ist, dass unsere Wirtschaft das produziert, was abgesetzt werden kann und daß nicht auf Lager produziert wird". Investitionen an den maroden Produktionsanlagen hatten bei diesen Planungen keine Priorität. Vorrangiges Ziel war die zügige Ausweitung der Produktion für den Westexport mit Hilfe von Neuanlagen, die umfangreiche Beschaffung von Devisen und die Suche nach neuen Geldgebern. Entsprechend waren die SED-Vorgaben für das Jahr 1983. Erneut wies die HA XVIII in ihren Berichten ausführlich auf die schwierige Lage hin und betonte Risiken, Probleme und "irreale" Vorgaben des Volkswirtschaftsplans 1983. In der vorliegenden Information betont die HA XVIII, dass für den Planvorschlag 1983 "außerordentliche Maßnahmen notwendig" seien.
Es darf nicht zugelassen werden, daß jetzt Produktions- und Lieferrückstände der Industrie eintreten, weil diese sofort auf die Versorgung der Bevölkerung durchschlagen.
- [Unterstreichung: Zur Sicherung der Zahlungsbilanz] wurden 1982 [Unterstreichung: in bedeutendem Umfang Waren für den Warenfonds der Bevölkerung nicht planmäßig bereitgestellt bzw. durch Beschlüsse abverfügt.] Dabei handelte es sich vor allem um qualitativ hochwertige Erzeugnisse, deren Export sofort bargeldwirksam wurde, für die aber gleichzeitig auf dem Inlandmarkt ein großer nicht ausreichend befriedigter Bedarf besteht. Als Folge dieser Maßnahmen standen nicht genügend Waren für die Bevölkerung zur Verfügung. Bis zum 31.10.1982 erhöhten sich die Geldeinnahmen der Bevölkerung um 2,74.Mrd Mark, während der Einzelhandelsumsatz nur um 375 Mio Mark stieg. Bei der Kompliziertheit der Zahlungsbilanz muß im Jahr 1983 mit noch größeren Eingriffen in den Warenfonds gerechnet werden. Daraus entsteht die Gefahr, daß die Werktätigen, wie bereits 1982, ihre Geldeinnahmen nicht realisieren können und der Leistungswille negativ beeinflußt wird.
Es wird ein sicherheitspolitischer Schwerpunkt für das gesamte Jahr 1983 sein, den Warenfonds, seine Bildung und Verwendung unter ständiger Kontrolle zu halten und notwendige operative Eingriffe im Risiko kalkulierbar zu halten.
Ausgehend von den Festlegungen der Parteiführung und der Regierung wird gegenwärtig überall in der Wirtschaft an der weiteren Sicherung der Planzielstellungen 1983 gearbeitet. Dieser Prozeß muß in seiner Gesamtheit ständig weiter verfolgt werden, um neu auftretende Schwerpunkte für die sicherheitspolitische Arbeit rechtzeitig zu erkennen und das Erforderliche zu veranlassen.
Hauptabteilung XVIII (Volkswirtschaft)
Nach dem Vorbild der "Verwaltung für Wirtschaft" in der sowjetischen Hauptverwaltung für Staatssicherheit erhielt das am 8.2.1950 gebildete MfS eine Einrichtung, die zunächst unter der Bezeichnung Abteilung III bzw. Hauptabteilung III agierte. Vorläufer war die von Mielke geleitete Hauptverwaltung zum Schutz der Volkswirtschaft im MdI. Die Kernaufgaben bestanden in der Sabotageabwehr, im Schutz des Volkseigentums und in der Überwachung der Betriebe. Für die SAG Wismut wurde 1951 eine separate Struktureinheit, die Objektverwaltung "W" gegründet.
1955 wurde die systematische Überprüfung von Leitungskadern (später Sicherheitsüberprüfungen), 1957 der Aufbau des Informantennetzes, die Zusammenarbeit mit staatlichen Leitern und Parteisekretären, der Aufbau von Operativgruppen und Objektdienststellen sowie die Gewinnung von IM für Schlüsselpositionen in wirtschaftsleitenden Organen, Betrieben und Institutionen etabliert. Mit der Auflösung der Abteilung VI erhielt die HA III den Auftrag zur Sicherung volkswirtschaftlicher Maßnahmen auf dem Gebiet der Landesverteidigung.
1964 erfolgte im Zusammenhang mit den Reformen in der DDR-Volkswirtschaft die Umbenennung der HA III in HA XVIII. Die neue Struktur basierte auf dem Produktionsprinzip, das zunächst auf die führenden Wirtschaftszweige Bau und Industrie fokussiert war. Andere Wirtschaftsobjekte wurden nach dem Territorialprinzip von den Kreisdienststellen bearbeitet. Der HA XVIII in der Zentrale entsprachen gemäß dem Linienprinzip auf der Bezirksebene die Abteilungen XVIII der Bezirksverwaltungen. Sicherungsschwerpunkte waren vor allem Außenhandel, Wissenschaft und Technik sowie die Verteidigungsindustrie. Mit der Richtlinie 1/82 wurde der Akzent auf die Gewährleistung der inneren Stabilität verschoben. Strukturelle Auswirkungen hatte insbesondere die Hochtechnologie Mikroelektronik. 1983 wurde die für den Bereich KoKo zuständige AG BKK aus der für den Außenhandel zuständigen Abteilung 7 der HA XVIII herausgelöst.
Zuletzt wies die Organisationsstruktur 6 Arbeitsbereiche und 62 Referate auf. Sie diente vor allem der Aufklärung gegnerischer Geheimdienste ("Arbeit im und nach dem Operationsgebiet"), der inneren Abwehrarbeit in den Betrieben und Institutionen, der Gewährleistung der inneren Stabilität, der Wahrung von Sicherheit, Ordnung und Geheimnisschutz sowie der Unterstützung der Wirtschaft durch "effektivitäts- und leistungsfördernde Maßnahmen". Leiter der HA XVIII waren Knoppe (1950–1953), Hofmann (1953–1957), Weidauer (1957–1963), Mittig (1964–1974) und Kleine (1974–1989). Der hauptamtliche Mitarbeiterbestand stieg 1954–1989 von 93 auf 646, auf der gesamten Linie XVIII waren es zuletzt 1623. 1989 arbeiteten für die Linie XVIII ca. 11.000 IM.
Sicherheitspolitischer Standpunkt zum Ansatz für den Volkswirtschaftsplan 1983 Dokument, 16 Seiten
Schreiben Gerhard Schürers an Erich Honecker mit Überlegungen zum Volkswirtschaftsplan 1989 Dokument, 14 Seiten
"Zum Stand der Arbeit an der Staatlichen Aufgabe 1989 und einigen sich dabei abzeichnenden Problemen" Dokument, 11 Seiten
Notizen aus der Politbürositzung zur Schürer-Mittag-Kontroverse Dokument, 29 Seiten