Signatur: BArch, MfS, HA I, Nr. 1410, Bl. 66-70
Mit dem Mauerbau im Jahr 1961 reagierte die DDR auch auf die anhaltende Fluchtbewegung der eigenen Bevölkerung in die Bundesrepublik und nach West-Berlin. Die Errichtung der Mauer, als Zäsur der deutschen Nachkriegsgeschichte, prägte in geradezu ikonischer Weise die Wahrnehmung der deutsch-deutschen Teilung, mithin des Kalten Krieges. Der Ausbau und die Sicherung der Grenzanlagen wurden bis zum Ende der DDR wesentlicher Bestandteil ihrer Sicherheitsarchitektur. Der Stasi kam hierbei eine Schlüsselrolle zu.
Nach dem Bau der Mauer wurden Fluchtversuche an der deutsch-deutschen Grenze zur Bundesrepublik ebenfalls nahezu unmöglich gemacht. Weitere Maßnahmen waren die Überwachung der eigenen Bevölkerung und die Absicherung der an der Grenze eingesetzten Grenzsoldaten durch Sicherheitsüberprüfungen und den Einsatz von IM. Auch die für die Produktion der Grenzanlagen sowie die Lieferung von Ausrüstungsgegenständen der Grenztruppen zuständigen VEB wurden durch das MfS überwacht.
Zu diesen Betrieben zählte der VEB Chemiewerk Kapen (VEB CWK) in der Nähe von Dessau. Dieser war "[…] Alleinhersteller von Spreng- und Sperrmitteln für die Sicherung der Staatsgrenze West", so die Stasi 1984. Insbesondere aufgrund der Herstellung der Splittermine SM-70 für die Grenzanlagen der DDR (nicht eingesetzt an der Berliner Mauer), kam der Überwachung des Betriebes seitens der BVfS Halle und deren Diensteinheiten besondere Bedeutung zu. Die SM-70 war eine Selbstschussanlage und wurde an die Grenzzäune mit Streurichtung in DDR-Gebiet montiert.
Zu einem besonderen Vorkommnis kam es am 30. März 1976 an einer Grenzanlage nahe Wendisch Lieps im heutigen Landkreis Ludwigslust-Parchim und früheren Bezirk Schwerin. Dem in der BRD lebenden Handwerker und ehemaligen DDR-Häftling Michael Gartenschläger gelang es, eine solche SM-70 an der deutsch-deutschen Grenze zu demontieren. Gartenschläger war 1971 nach zehn Jahren Haft von der Bundesrepublik freigekauft worden. Mit dem Abbau der Mine wollte er deren Existenz, die seitens der DDR geleugnet wurde, belegen. Insbesondere sollten jedoch die Konstruktion und Wirkung der Splittermine aufgedeckt werden, weil hierüber im Westen bis dato kaum Wissen vorhanden war.
Zur Vorbereitung der Demontage hatten Gartenschläger und seine Helfer an gleicher Stelle bereits in der Nacht vom 27. auf den 28. März eine SM-70 aus sicherer Entfernung gezielt zur Detonation gebracht. Dieser Testlauf blieb zunächst in Ost und West unerkannt. Erst einige Tage später erfuhr die Stasi davon, nämlich als sie darüber informiert wurde, dass in unmittelbarer Nähe eine Splittermine abhandengekommen war. Michael Gartenschläger und seine Begleiter hatten ihr eigentliches Vorhaben am 30. März 1976 in die Tat umgesetzt.
Fast vier Wochen später listete das Ministerium für Staatssicherheit bereits vorgenommene sowie noch durchzuführende Maßnahmen zur Verhinderung ähnlicher Taten auf. Bei einem weiteren Versuch im Grenzgebiet bei Wendisch Lieps eine SM-70 von der Grenzanlage zu demontieren, wurde Gartenschläger am 30. April 1976 von einem Einsatzkommando der HA I des MfS erschossen.
- Einleitung von Maßnahmen zur Veränderung des Systems am Gerät 501 durch den Einsatz von 2 Wartungsgruppen der Grenztruppe mit dem Ziel, die angebrachten Minen SM 70 zu sichern und die bisher durch den Gegner aufgeklärte Sicherung einer Veränderung zu unterziehen.
- Einsatz von [durchgestrichen: 6][handschriftliche Ergänzung: Grenz-]Aufklärern in der Schwerpunktrichtung, als Horchposten zum rechtzeitigen Erkennen provokatorischer Handlungen und zur Beschaffung von Informationen über Bewegungsablauf im unmittelbaren Vorfeld.
- Einsatz von ausgewählten Kräften der Grenztruppe mit der Aufgabe, feindwärts der Sperranlage während der Tageszeit Handlungen des Gegners zu erkennen und Maßnahmen der Identifizierung vorzubereiten.
- Aufbau einer Nachrichtenverbindung zum Standort der IME-Gruppe zum operativen Mitarbeiter im Führungspunkt im [durchgestrichen: 61.][handschriftliche Ergänzung: Grenz-]Abschnitt und zum Führungspunkt zur Arbeitsgruppe am Sitz der Unterabteilung.
Folgende weitere Maßnahmen sind vorgesehen:
- Zur wirksamen Bekämpfung und Ergreifung der Täter erscheint es zweckmäßig, die Bearbeitung des vermutlichen Täters Gartenschläger durch OSL Booth mit den Maßnahmen, die von der Arbeitsgruppe durchgeführt werden, eng zu koordinieren und weitesgehend unter Einhaltung der Konspiration abzustimmen.
- Beginnend mit dem 25.04.1976, 21:00 Uhr bis 03:00 Uhr des nachfolgendes Tages nach der Schaffung von 3 notwendigen Gassen in der Anlage 501.
Einsatz von 2 Postenpaaren der Abteilung Äußere Abwehr unter Führung eines operativen Mitarbeiters feindwärts der Anlage 501 mit dem Ziel, der Festnahme oder Vernichtung der Täter.
- Zur Gewährleistung von evtl. notwendiger militärischer Unterstützung und Deckung der feindwärts eingesetzten Kräfte sowie zur Sicherung der geschaffenen Gassen kommen, während der Tages- und Nachtzeit weitere 2 Postenpaare der Abt. Äußere Abwehr freundwärts der Sperranlagen zum Einsatz.
Hauptabteilung I (NVA und Grenztruppen)
Die Hauptabteilung I war zuständig für die Überwachung des Ministeriums für Nationale Verteidigung sowie der nachgeordneten Führungsorgane, Truppen und Einrichtungen einschließlich der Grenztruppen der DDR. Armeeintern trug die Hauptabteilung I die Bezeichnung "Verwaltung 2000". Ihre Mitarbeiter wurden als Verbindungsoffiziere bezeichnet. Der Armeeführung war die Hauptabteilung I jedoch weder unterstellt noch rechenschaftspflichtig.
Die Hauptabteilung I ging im Dezember 1951 aus den Abteilungen VII a, VII b und VII c hervor. Seit 1956 (Gründung der Nationalen Volksarmee) trugen ihre Struktureinheiten die taktische Bezeichnung des Truppenteils bzw. der Einheit, für deren abwehrmäßige Sicherung sie zuständig waren. Der Mauerbau 1961 und die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht 1962 sorgten für Zäsuren in der Arbeit der Hauptabteilung I.
Von 1956 bis 1961 war die Hauptabteilung I außerdem für die Überwachung der Bereitschaftspolizei zuständig und von 1958 bis 1986 für das Wachregiment des MfS. Die Arbeit der Hauptabteilung I umfasste folgende Aufgaben:
Der Leiter der Hauptabteilung I unterstand einem Ministerstellvertreter, zuletzt Gerhard Neiber. Leiter der Hauptabteilung I waren 1950-1953 Heinz Gronau, 1953-1955 Ottomar Pech, 1955-1981 Karl Kleinjung und ab 1981 Manfred Dietze. Der Verantwortungsbereich der Hauptabteilung I umfasste 1986 knapp 300.000 Soldaten und Zivilbeschäftigte. Hierfür waren ihr 1989 2.223 Planstellen zugeteilt, darunter jede 2. Stelle für IM-führende Mitarbeiter. Die Hauptabteilung I verfügte über 13 Planstellen für Offiziere im besonderen Einsatz (OibE). 1987 führte die Hauptabteilung I 22.585 Inoffizielle Mitarbeiter (IM) und Gesellschaftliche Mitarbeiter für Sicherheit (GMS). Zu den Informanten zählten nicht nur Militärangehörige oder Zivilbeschäftigte. Die Zahl der IM, die die Hauptabteilung I im Westen führte, lag unter 150. Die Bearbeitung von Operativen Vorgängen (OV) und Operativen Personenkontrollen (OPK) war vergleichsweise gering. Sie betrug 1988 59 OV und 312 OPK.
Operative Mitarbeiter
Operative Mitarbeiter des MfS waren Hauptamtliche Mitarbeiter, die IM und OibE führten, in MfS-Dokumenten auch als vorgangsführende Mitarbeiter oder IM-führende Mitarbeiter (umgangssprachlich Führungsoffiziere) bezeichnet, von denen es im MfS zuletzt etwa 12.000 bis 13.000 gab. Sie waren für eine Region oder Institution, für bestimmte Personenkreise oder spezifische Sachfragen zuständig und hatten die Sicherheitslage in ihrem Verantwortungsbereich zu beurteilen.
Es wurde von ihnen erwartet, dass sie insbesondere durch Rekrutierung und Einsatz von IM die "staatliche Sicherheit und die gesellschaftliche Entwicklung" vorbeugend sicherten. Verdächtige Personen waren in Operativen Vorgängen oder Operativen Personenkontrollen zu "bearbeiten", Personengruppen mit besonderen Befugnissen mit Sicherheitsüberprüfungen unter Kontrolle zu halten. Bei der Erfüllung ihrer Aufgaben sollten sie das politisch-operative Zusammenwirken mit anderen staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen nutzen.
Als Abwehr wurden alle geheimpolizeilichen Aktivitäten zur Sicherung der politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Stabilität der DDR und des kommunistischen Bündnissystems bezeichnet, die nach dem Verständnis des MfS durch feindliche Angriffe gefährdet waren. Maßnahmen zur Bekämpfung westlicher Spionage und politischer Opposition galten somit ebenso als Abwehr wie etwa die Sicherung von Produktivität und Anlagensicherheit in den Betrieben sowie die Verhinderung von Republikflucht und Ausreisen. Demgemäß waren die meisten operativen Arbeitsbereiche des MfS ganz überwiegend mit Abwehr befasst.
Inoffizielle Mitarbeiter (IM) waren das wichtigste Instrument des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), um primär Informationen über Bürger, die Gesellschaft, ihre Institutionen und Organisationen der DDR oder im Ausland zu gewinnen. Unter Umständen hatten IM auf Personen oder Ereignisse in der DDR steuernden Einfluss zu nehmen.
In der DDR-Gesellschaft hießen sie "Spitzel", "Denunzianten" oder "Kundschafter". Mit der deutschen Einheit hat sich die Bezeichnung Inoffizieller Mitarbeiter des MfS für die heimlichen Zuträger etabliert. Sie lieferten u. a. Informationen über Stimmungen und Meinungen in der Bevölkerung.
Die SED-Führung wollte stets über die konkrete Situation und Lage in der DDR unterrichtet sein. Die IM hatten den Auftrag, "staatsgefährdende" Bestrebungen zu ermitteln, was beim MfS "politisch ideologische Diversion" bzw. "politische Untergrundtätigkeit" hieß. Der Bogen hierfür war weit gespannt und reichte von einer privaten Meinungsäußerung bis hin zu politischen Aktivitäten. Überdies sollten sie, wenn auch selten, direkt auf gesellschaftliche Entwicklungen oder einzelne Personen einwirken.
Die IM waren das wichtigste Repressionsinstrument in der DDR. IM wurden auf bestimmte Schwerpunkte angesetzt, von denen tatsächliche oder vermeintliche Gefahren ausgehen konnten. Diese Objekte und Territorien, Bereiche oder Personen waren so zahlreich, dass die geheimpolizeiliche Durchdringung tendenziell den Charakter einer flächendeckenden Überwachung annahm.
Die Anzahl der vom MfS geführten inoffiziellen Mitarbeiter umfasste im Jahre 1989 ungefähr 189.000 IM, darunter 173.000 IM der Abwehrdiensteinheiten, ferner 13.400 IM in der DDR und 1.550 IM in der Bundesrepublik, die von der Hauptverwaltung A geführt wurden, sowie diverse andere wie Zelleninformatoren usw. Auf 89 DDR-Bürger kam somit ein IM. In der Zeit von 1950 bis 1989 gab es insgesamt ca. 620.000 IM.
Die Entwicklung des IM-Netzes ist nicht allein von einem kontinuierlichen Anstieg geprägt, sondern verweist auf besondere Wachstumsphasen in Zeiten innergesellschaftlicher Krisen wie dem 17. Juni 1953 oder am Vorabend des Mauerbaus. Im Zuge der deutsch-deutschen Entspannungspolitik wurde das IM-Netz ebenfalls erweitert. So umfasste es Mitte der 70er Jahre – hochgerechnet – über 200.000 IM. Angesichts wachsender oppositioneller Bewegungen hatte es in den 80er Jahren gleichfalls ein hohes Niveau.
Die flächendeckende Überwachung der Gesellschaft fiel regional recht unterschiedlich aus. Im Land Brandenburg, das die Bezirke Cottbus, Frankfurt (Oder) und Potsdam vereint, war sie stärker als in Thüringen. Die höchste IM-Dichte wies der ehemalige Bezirk Cottbus auf.
Das MfS operierte formal nach territorialen Gesichtspunkten und Sicherungsbereichen, setzte jedoch operative Schwerpunkte in der geheimpolizeilichen Arbeit. Bezogen auf das Gesamtministerium lagen diese – sowohl auf Kreis-, als auch auf Bezirks- und Hauptabteilungsebene – bei der Volkswirtschaft, der Spionageabwehr und auf der "politischen Untergrundtätigkeit", der "Bearbeitung " von oppositionellen Milieus und den Kirchen.
Die Motive zur Kooperation mit dem MfS waren überwiegend ideeller, seltener materieller Natur, noch seltener war Erpressung der Grund. Die Kooperation währte durchschnittlich sechs bis zehn Jahre oder länger. Augenfällig ist, dass darunter nicht wenige soziale Aufsteiger waren. Der Anteil von weiblichen IM lag in der DDR bei 17 Prozent, in der Bundesrepublik bei 28 Prozent. Über die Hälfte der IM war Mitglied der SED. Von den 2,3 Mio. Mitgliedern der Partei ausgehend, waren 4 bis 5 Prozent zuletzt inoffiziell aktiv, d. h. jedes zwanzigste SED-Mitglied.
Das MfS differenzierte IM nach Kategorien: Gesellschaftliche Mitarbeiter für Sicherheit, IM zur Sicherung und Durchdringung des Verantwortungsbereichs, IM im besonderen Einsatz, Führungs-IM und IM zur Sicherung der Konspiration und des Verbindungswesens. Die wichtigste Kategorie waren IM mit "Feindverbindungen" bzw. solche, die Personen zu "bearbeiten" hatten, die "im Verdacht der Feindtätigkeit" standen. Im Laufe der 80er Jahre nahm der Anteil von IM in der Kategorie IMB bis Dezember 1988 auf rund 3.900 zu.
Der Anteil von Bundesbürgern oder Ausländern unter den IM des MfS betrug nicht einmal 2 Prozent. 1989 waren mindestens 3.000 Bundesbürger inoffiziell im Dienste des MfS, zusätzlich mehrere Hundert Ausländer. In der Zeit von 1949 bis 1989 waren insgesamt mindestens 12.000 Bundesbürger und Westberliner IM.
Die operativen Ziele des MfS waren über die gesamte Bundesrepublik Deutschland verteilt. Darüber hinaus gab es Schwerpunkte in Europa, im Nahen Osten und Asien, nachgeordnet auch in Afrika und Lateinamerika. Nachrichtendienstliche Schwerpunkte waren vor allem die Wissenschafts- und Technikspionage, erst danach die politische und mit etwas Abstand die Militärspionage. Die Bundesrepublik Deutschland wurde folglich vor allem als Ressource zur Systemstabilisierung genutzt.
Die politische Spionage diente vornehmlich dazu, die politische Gefährdungslage des herrschenden Systems in der DDR bestimmen zu können. Dieses Profil deutet an, dass die Spionage der Bewahrung des Status quo dienen sollte. Von einer Unterwanderung der Bundesrepublik war die Geheimpolizei zahlenmäßig weit entfernt. Vielmehr waren ihre inoffiziellen Mitarbeiter damit beschäftigt, das DDR-System zu stabilisieren.
Konspiration war das Grundprinzip der nachrichtendienstlichen und geheimpolizeilichen Arbeit des MfS, das den Einsatz von inoffiziellen Kräften und anderen verdeckten Mitteln und Methoden sowie die weitgehende Geheimhaltung der eigenen Tätigkeit auch gegenüber anderen DDR-Organen und dem SED-Parteiapparat beinhaltet. Eine besondere Rolle spielt die Konspiration bei den Verhaltensregeln für IM, GMS, HIM, OibE und Führungsoffiziere, welche über die inoffiziellen Beziehungen zum MfS zu schweigen bzw. inoffizielle Handlungen für das MfS geheimzuhalten, zu tarnen oder zu verschleiern hatten.
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Signatur: BArch, MfS, HA I, Nr. 1410, Bl. 66-70
Mit dem Mauerbau im Jahr 1961 reagierte die DDR auch auf die anhaltende Fluchtbewegung der eigenen Bevölkerung in die Bundesrepublik und nach West-Berlin. Die Errichtung der Mauer, als Zäsur der deutschen Nachkriegsgeschichte, prägte in geradezu ikonischer Weise die Wahrnehmung der deutsch-deutschen Teilung, mithin des Kalten Krieges. Der Ausbau und die Sicherung der Grenzanlagen wurden bis zum Ende der DDR wesentlicher Bestandteil ihrer Sicherheitsarchitektur. Der Stasi kam hierbei eine Schlüsselrolle zu.
Nach dem Bau der Mauer wurden Fluchtversuche an der deutsch-deutschen Grenze zur Bundesrepublik ebenfalls nahezu unmöglich gemacht. Weitere Maßnahmen waren die Überwachung der eigenen Bevölkerung und die Absicherung der an der Grenze eingesetzten Grenzsoldaten durch Sicherheitsüberprüfungen und den Einsatz von IM. Auch die für die Produktion der Grenzanlagen sowie die Lieferung von Ausrüstungsgegenständen der Grenztruppen zuständigen VEB wurden durch das MfS überwacht.
Zu diesen Betrieben zählte der VEB Chemiewerk Kapen (VEB CWK) in der Nähe von Dessau. Dieser war "[…] Alleinhersteller von Spreng- und Sperrmitteln für die Sicherung der Staatsgrenze West", so die Stasi 1984. Insbesondere aufgrund der Herstellung der Splittermine SM-70 für die Grenzanlagen der DDR (nicht eingesetzt an der Berliner Mauer), kam der Überwachung des Betriebes seitens der BVfS Halle und deren Diensteinheiten besondere Bedeutung zu. Die SM-70 war eine Selbstschussanlage und wurde an die Grenzzäune mit Streurichtung in DDR-Gebiet montiert.
Zu einem besonderen Vorkommnis kam es am 30. März 1976 an einer Grenzanlage nahe Wendisch Lieps im heutigen Landkreis Ludwigslust-Parchim und früheren Bezirk Schwerin. Dem in der BRD lebenden Handwerker und ehemaligen DDR-Häftling Michael Gartenschläger gelang es, eine solche SM-70 an der deutsch-deutschen Grenze zu demontieren. Gartenschläger war 1971 nach zehn Jahren Haft von der Bundesrepublik freigekauft worden. Mit dem Abbau der Mine wollte er deren Existenz, die seitens der DDR geleugnet wurde, belegen. Insbesondere sollten jedoch die Konstruktion und Wirkung der Splittermine aufgedeckt werden, weil hierüber im Westen bis dato kaum Wissen vorhanden war.
Zur Vorbereitung der Demontage hatten Gartenschläger und seine Helfer an gleicher Stelle bereits in der Nacht vom 27. auf den 28. März eine SM-70 aus sicherer Entfernung gezielt zur Detonation gebracht. Dieser Testlauf blieb zunächst in Ost und West unerkannt. Erst einige Tage später erfuhr die Stasi davon, nämlich als sie darüber informiert wurde, dass in unmittelbarer Nähe eine Splittermine abhandengekommen war. Michael Gartenschläger und seine Begleiter hatten ihr eigentliches Vorhaben am 30. März 1976 in die Tat umgesetzt.
Fast vier Wochen später listete das Ministerium für Staatssicherheit bereits vorgenommene sowie noch durchzuführende Maßnahmen zur Verhinderung ähnlicher Taten auf. Bei einem weiteren Versuch im Grenzgebiet bei Wendisch Lieps eine SM-70 von der Grenzanlage zu demontieren, wurde Gartenschläger am 30. April 1976 von einem Einsatzkommando der HA I des MfS erschossen.
- Prüfung von Möglichkeiten des Einsatzes operativ-technischer Geräte zur Unterstützung der feindwärts der Sperranlage eingesetzten Kräfte.
(Horchgeräte, Restlichtaufheller und andere Geräte, die die Annäherung von Personen anzeigen.)
- Einführung weiterer 6 - 8 Kämpfer der Abt. Äußere Abwehr zur Erhöhung der Postendichte und zur Realisierung der gestellten Aufgabe sowie der Einsatz von ausgebildeten Scharfschützen feindwärts als auch freundwärts der Sperranlage während der Tages- u. Nachtzeit.
- Zur Erhöhung der Wirksamkeit und Breite der [durchgestrichen: Sperranlagen][handschriftliche Ergänzung: Wirdungsbereiches] im Schwerpunkt des SiA 12 sollte geprüft werden, inwieweit weitere Kräfte der Abt. Äußere Abwehr für den Einsatz zur Verfügung gestellt werden könnten.
Dadurch könnten auch andere gefährdete Abschnitte, die mit der gegenwärtigen Anzahl von Kämpfern nicht gesichert werden können, unter Kontrolle genommen werden.
- Im Zusammenwirken mit dem Kommandeur des GKN und GR-6 ist zu prüfen, inwieweit die Maßnahmen der Grenztruppe aus Anlaß der Angriffe vom 01.04. bis 23.04.1976 im Interesse zur Durchführung unserer Maßnahmen noch aufrechterhalten werden müssen und zweckmäßig sind.
- Im Zusammenwirken mit den Offz. für Pionierwesen sind Festlegungen zu treffen, die das Entwenden von Minen weitesgehend erschweren bzw. größeren Zeit- und Kraftaufwand erfordern. (Anbringen von Konterschrauben, Abschirmung des 2poligen Zündkabel usw.)
Tyra
OSL
Hauptabteilung I (NVA und Grenztruppen)
Die Hauptabteilung I war zuständig für die Überwachung des Ministeriums für Nationale Verteidigung sowie der nachgeordneten Führungsorgane, Truppen und Einrichtungen einschließlich der Grenztruppen der DDR. Armeeintern trug die Hauptabteilung I die Bezeichnung "Verwaltung 2000". Ihre Mitarbeiter wurden als Verbindungsoffiziere bezeichnet. Der Armeeführung war die Hauptabteilung I jedoch weder unterstellt noch rechenschaftspflichtig.
Die Hauptabteilung I ging im Dezember 1951 aus den Abteilungen VII a, VII b und VII c hervor. Seit 1956 (Gründung der Nationalen Volksarmee) trugen ihre Struktureinheiten die taktische Bezeichnung des Truppenteils bzw. der Einheit, für deren abwehrmäßige Sicherung sie zuständig waren. Der Mauerbau 1961 und die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht 1962 sorgten für Zäsuren in der Arbeit der Hauptabteilung I.
Von 1956 bis 1961 war die Hauptabteilung I außerdem für die Überwachung der Bereitschaftspolizei zuständig und von 1958 bis 1986 für das Wachregiment des MfS. Die Arbeit der Hauptabteilung I umfasste folgende Aufgaben:
Der Leiter der Hauptabteilung I unterstand einem Ministerstellvertreter, zuletzt Gerhard Neiber. Leiter der Hauptabteilung I waren 1950-1953 Heinz Gronau, 1953-1955 Ottomar Pech, 1955-1981 Karl Kleinjung und ab 1981 Manfred Dietze. Der Verantwortungsbereich der Hauptabteilung I umfasste 1986 knapp 300.000 Soldaten und Zivilbeschäftigte. Hierfür waren ihr 1989 2.223 Planstellen zugeteilt, darunter jede 2. Stelle für IM-führende Mitarbeiter. Die Hauptabteilung I verfügte über 13 Planstellen für Offiziere im besonderen Einsatz (OibE). 1987 führte die Hauptabteilung I 22.585 Inoffizielle Mitarbeiter (IM) und Gesellschaftliche Mitarbeiter für Sicherheit (GMS). Zu den Informanten zählten nicht nur Militärangehörige oder Zivilbeschäftigte. Die Zahl der IM, die die Hauptabteilung I im Westen führte, lag unter 150. Die Bearbeitung von Operativen Vorgängen (OV) und Operativen Personenkontrollen (OPK) war vergleichsweise gering. Sie betrug 1988 59 OV und 312 OPK.
Als Abwehr wurden alle geheimpolizeilichen Aktivitäten zur Sicherung der politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Stabilität der DDR und des kommunistischen Bündnissystems bezeichnet, die nach dem Verständnis des MfS durch feindliche Angriffe gefährdet waren. Maßnahmen zur Bekämpfung westlicher Spionage und politischer Opposition galten somit ebenso als Abwehr wie etwa die Sicherung von Produktivität und Anlagensicherheit in den Betrieben sowie die Verhinderung von Republikflucht und Ausreisen. Demgemäß waren die meisten operativen Arbeitsbereiche des MfS ganz überwiegend mit Abwehr befasst.
Inoffizielle Mitarbeiter (IM) waren das wichtigste Instrument des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), um primär Informationen über Bürger, die Gesellschaft, ihre Institutionen und Organisationen der DDR oder im Ausland zu gewinnen. Unter Umständen hatten IM auf Personen oder Ereignisse in der DDR steuernden Einfluss zu nehmen.
In der DDR-Gesellschaft hießen sie "Spitzel", "Denunzianten" oder "Kundschafter". Mit der deutschen Einheit hat sich die Bezeichnung Inoffizieller Mitarbeiter des MfS für die heimlichen Zuträger etabliert. Sie lieferten u. a. Informationen über Stimmungen und Meinungen in der Bevölkerung.
Die SED-Führung wollte stets über die konkrete Situation und Lage in der DDR unterrichtet sein. Die IM hatten den Auftrag, "staatsgefährdende" Bestrebungen zu ermitteln, was beim MfS "politisch ideologische Diversion" bzw. "politische Untergrundtätigkeit" hieß. Der Bogen hierfür war weit gespannt und reichte von einer privaten Meinungsäußerung bis hin zu politischen Aktivitäten. Überdies sollten sie, wenn auch selten, direkt auf gesellschaftliche Entwicklungen oder einzelne Personen einwirken.
Die IM waren das wichtigste Repressionsinstrument in der DDR. IM wurden auf bestimmte Schwerpunkte angesetzt, von denen tatsächliche oder vermeintliche Gefahren ausgehen konnten. Diese Objekte und Territorien, Bereiche oder Personen waren so zahlreich, dass die geheimpolizeiliche Durchdringung tendenziell den Charakter einer flächendeckenden Überwachung annahm.
Die Anzahl der vom MfS geführten inoffiziellen Mitarbeiter umfasste im Jahre 1989 ungefähr 189.000 IM, darunter 173.000 IM der Abwehrdiensteinheiten, ferner 13.400 IM in der DDR und 1.550 IM in der Bundesrepublik, die von der Hauptverwaltung A geführt wurden, sowie diverse andere wie Zelleninformatoren usw. Auf 89 DDR-Bürger kam somit ein IM. In der Zeit von 1950 bis 1989 gab es insgesamt ca. 620.000 IM.
Die Entwicklung des IM-Netzes ist nicht allein von einem kontinuierlichen Anstieg geprägt, sondern verweist auf besondere Wachstumsphasen in Zeiten innergesellschaftlicher Krisen wie dem 17. Juni 1953 oder am Vorabend des Mauerbaus. Im Zuge der deutsch-deutschen Entspannungspolitik wurde das IM-Netz ebenfalls erweitert. So umfasste es Mitte der 70er Jahre – hochgerechnet – über 200.000 IM. Angesichts wachsender oppositioneller Bewegungen hatte es in den 80er Jahren gleichfalls ein hohes Niveau.
Die flächendeckende Überwachung der Gesellschaft fiel regional recht unterschiedlich aus. Im Land Brandenburg, das die Bezirke Cottbus, Frankfurt (Oder) und Potsdam vereint, war sie stärker als in Thüringen. Die höchste IM-Dichte wies der ehemalige Bezirk Cottbus auf.
Das MfS operierte formal nach territorialen Gesichtspunkten und Sicherungsbereichen, setzte jedoch operative Schwerpunkte in der geheimpolizeilichen Arbeit. Bezogen auf das Gesamtministerium lagen diese – sowohl auf Kreis-, als auch auf Bezirks- und Hauptabteilungsebene – bei der Volkswirtschaft, der Spionageabwehr und auf der "politischen Untergrundtätigkeit", der "Bearbeitung " von oppositionellen Milieus und den Kirchen.
Die Motive zur Kooperation mit dem MfS waren überwiegend ideeller, seltener materieller Natur, noch seltener war Erpressung der Grund. Die Kooperation währte durchschnittlich sechs bis zehn Jahre oder länger. Augenfällig ist, dass darunter nicht wenige soziale Aufsteiger waren. Der Anteil von weiblichen IM lag in der DDR bei 17 Prozent, in der Bundesrepublik bei 28 Prozent. Über die Hälfte der IM war Mitglied der SED. Von den 2,3 Mio. Mitgliedern der Partei ausgehend, waren 4 bis 5 Prozent zuletzt inoffiziell aktiv, d. h. jedes zwanzigste SED-Mitglied.
Das MfS differenzierte IM nach Kategorien: Gesellschaftliche Mitarbeiter für Sicherheit, IM zur Sicherung und Durchdringung des Verantwortungsbereichs, IM im besonderen Einsatz, Führungs-IM und IM zur Sicherung der Konspiration und des Verbindungswesens. Die wichtigste Kategorie waren IM mit "Feindverbindungen" bzw. solche, die Personen zu "bearbeiten" hatten, die "im Verdacht der Feindtätigkeit" standen. Im Laufe der 80er Jahre nahm der Anteil von IM in der Kategorie IMB bis Dezember 1988 auf rund 3.900 zu.
Der Anteil von Bundesbürgern oder Ausländern unter den IM des MfS betrug nicht einmal 2 Prozent. 1989 waren mindestens 3.000 Bundesbürger inoffiziell im Dienste des MfS, zusätzlich mehrere Hundert Ausländer. In der Zeit von 1949 bis 1989 waren insgesamt mindestens 12.000 Bundesbürger und Westberliner IM.
Die operativen Ziele des MfS waren über die gesamte Bundesrepublik Deutschland verteilt. Darüber hinaus gab es Schwerpunkte in Europa, im Nahen Osten und Asien, nachgeordnet auch in Afrika und Lateinamerika. Nachrichtendienstliche Schwerpunkte waren vor allem die Wissenschafts- und Technikspionage, erst danach die politische und mit etwas Abstand die Militärspionage. Die Bundesrepublik Deutschland wurde folglich vor allem als Ressource zur Systemstabilisierung genutzt.
Die politische Spionage diente vornehmlich dazu, die politische Gefährdungslage des herrschenden Systems in der DDR bestimmen zu können. Dieses Profil deutet an, dass die Spionage der Bewahrung des Status quo dienen sollte. Von einer Unterwanderung der Bundesrepublik war die Geheimpolizei zahlenmäßig weit entfernt. Vielmehr waren ihre inoffiziellen Mitarbeiter damit beschäftigt, das DDR-System zu stabilisieren.
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Bildbericht zur Situation im Sicherungsabschnitt 12 des GR 6 am 1.4.76, wo durch Streifenposten das Fehlen einer Schützenmine vom Typ SM-70 festgestellt wurde Dokument, 12 Seiten
Aktennotiz von einem besonderen Vorkommnis an der Staatsgrenze Dokument, 2 Seiten
Anschauungsskizzen zu Aufbau und Funktionsweise der Splittermine SM-70 Dokument, 5 Seiten
Dissertation: Die Abwehr von Terror- und anderen politisch-operativ bedeutsamen Gewaltakten gegen Grenzsicherungskräfte an der Staatsgrenze der DDR Dokument, 462 Seiten