Signatur: BStU, MfS, AOP, Nr. 11806/85, Bd. 36, Bl. 117-118
Als die Stasi über ihre Abhöreinrichtungen in Wolf Biermanns Wohnung den Text eines neuen Liedes mitschrieb, verstand sie ihn falsch. So wurde aus dem Sekretär des Dichters Goethe mit dem Namen Eckermann im Stasiprotokoll ein Henkersmann.
Wolf Biermann, Sohn einer kommunistischen Arbeiterfamilie aus Hamburg, siedelte 1953 als Schüler in die DDR über. Er hielt den Staat für das bessere Deutschland. Dort nahm er ein Studium am Berliner Ensemble, dem von Bertolt Brecht gegründeten Theater, auf. Mit seinen Liedern und Gedichten, die er bald zu schreiben begann, geriet er zunehmend in Konflikt mit der strengen Linie der Staatspartei SED. 1965 verhängte das Politbüro ein totales Auftrittsverbot gegen den Künstler. Darüber hinaus hörte die Staatssicherheit Biermanns Wohnung und Telefongespräche ab, las seine Briefe und setzte auch Spitzel auf ihn an.
Die Stasi hörte fast alles, was Biermann in seinen Zimmern sang, mit, doch nicht immer verstand sie den Künstler richtig. Als Biermann die berufsmäßigen Lauscher in seiner Ballade literarisch beschrieb und sie mit Goethes Sekretär Eckermann verglich, erkannte der diensthabende Stasi-Offizier nicht, worum es ging. Er schrieb vom Band ab, so wie er es verstand. Der Sekretär Goethes, Eckermann, bekannt dafür, dem großen Dichter überallhin zu folgen und alles aufzuschreiben, wurde im Stasiprotokoll zum "Henkersmann".
HA XX/1, Gen. Brosche
Berlin, 17. März 1967
26/ B/19/66/ 59e-Ed
Vertrauliche Dienstsache
Informationsbericht
Auszug aus einem GI-Bericht vom 15. März 1967
Wolf B. singt:
Die Stasi ist mein Henkersmann
"Mensch, wie fühl´ ich mich verbunden
mit den armen Stasihunden,
die bei Schnee und Regengüssen
mühsam auf mich achten müssen.
Die ein Mikrofon einbauten,
um zu hören all die lauten
Lieder mit sehr leisen Flüchen
auf dem Klo und in der Küchen.
Brüder von der Sicherheit,
ihr allein kennt all mein Leid.
Ihr allein könnt Zeugnis geben,
wie mein ganzes Menschenstreben
leidenschaftlich, zart und wild
unsrer großen Sache nützt.
...... verschollen
wann wir fest auf Tonband rollen
und ich weiß ja, hin und wieder
singt im Bett ihr meine Lieder
Dankbar rechne ich euch´s an.
Die Stasi ist mein Henker - (o.ä.)
die Stasi ist mein Henker –
die Stasi ist mein Henkersmann,
Komm ich nachts allein einmal
müd’ aus meinem Bierlokal
und es würden mir auflauern
irgendwelche groben Bauern,
die mich aus - was weiß ich für –
Gründen schnappten vor der Tür.
Sowas wäre ausgeschlossen,
wenn die grauen Kampfgenossen
würden von der Stasi Hürden setzen
mich vor Mord und Diebstahl retten.
Denn die westlichen Gazetten
würden solch Verbrechen - wetten –
Ulbricht in die Schuhe schieben,
was sie ja besonders lieben.
Dabei sind wir Kommunisten
wirklich keine Anarchisten.
Terror - individueller -
ist nach Marx ein grober Fehler.
Die Stasi ist, was will ich mehr
mein getreuer Leibwäch-,
mein getreuer Leibwäch-,
mein getreuer Leibwächter.
Hauptabteilung XX (Staatsapparat, Kultur, Kirchen, Untergrund)
Die Hauptabteilung XX bildete den Kernbereich der politischen Repression und Überwachung der Staatssicherheit. In Struktur und Tätigkeit passte sie sich mehrfach an die sich wandelnden Bedingungen der Herrschaftssicherung an. Die Diensteinheit ging 1964 durch Umbenennung aus der Hauptatbeilung V hervor, die ihrerseits in den Abteilungen V und VI (1950–1953) ihre Vorläufer hatte.
Die Hauptabteilung XX und die ihr nachgeordneten Abteilungen XX in den Bezirksverwaltungen (Linie XX) sowie entsprechende Arbeitsbereiche in den KD überwachten wichtige Teile des Staatsapparates (u. a. Justiz, Gesundheitswesen und bis 1986 das Post- und Fernmeldewesen), die Blockparteien und Massenorganisationen, den Kultur- und Sportbereich, die Medien und die Kirchen sowie SED-Sonderobjekte und Parteibetriebe. Federführend war die Hauptabteilung XX auch bei der Bekämpfung der "politischen Untergrundtätigkeit" (PUT), also der Opposition.
Ab der zweiten Hälfte der 50er Jahre und verstärkt seit dem Beginn der Entspannungspolitik fühlte sich das SED-Regime zunehmend durch die "politisch-ideologische Diversion" (PiD) bedroht. Die Schwächung der "Arbeiter-und-Bauern-Macht" durch "ideologische Aufweichung und Zersetzung" galt als Hauptinstrument des Westens bei der Unterminierung der DDR. Auch bei der Bekämpfung der PiD hatte die Hauptabteilung XX innerhalb des MfS die Federführung.
Das Erstarken der Bürgerrechtsbewegung (Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsgruppen) in der DDR führte in den 80er Jahren zu einem weiteren Bedeutungszuwachs der Linie XX. In der DA 2/85 bestätigte Minister Mielke dementsprechend die Federführung der Hauptabteilung XX bei der Bekämpfung der PUT.
Im Verlauf der fast 40-jährigen Entwicklung der Hauptabteilung XX veränderte sich ihre Struktur mehrfach. In der Endphase verfügte sie über neun operative Abteilungen und vier Funktionalorgane der Leitung (Sekretariat, Arbeitsgruppe der Leitung, Koordinierungsgruppe des Leiters, Auswertungs- und Kontrollgruppe).
Die Hauptabteilung V lag ab 1953 zunächst im unmittelbaren Anleitungsbereich von Mielke in seiner Eigenschaft als 1. Stellvertreter des Staatssicherheitschefs. Ab 1955 war der stellvertretende Minister Bruno Beater und 1964–1974 der stellv. Minister Fritz Schröder auf der Ebene der MfS-Leitung für die Hauptabteilung XX zuständig. Beide waren zuvor selbst (Beater 1953–1955, Schröder 1955–1963) Leiter der Hauptabteilung V. Seit 1975 gehörte die Hauptabteilung XX zum Verantwortungsbereich von Mielkes Stellvertreter Rudi Mittig. Von 1964 bis zur Auflösung des MfS leitete Kienberg die Hauptabteilung XX. Ihm standen seit 1965 zwei Stellvertreter zur Seite.
1954 waren in der Hauptabteilung V insgesamt 139 Mitarbeiter beschäftigt. Im Herbst 1989 verfügte die Hauptabteilung XX über 461 Mitarbeiter, von denen mehr als 200 als IM-führende Mitarbeiter eingesetzt waren.
In den 15 Bezirksverwaltungen waren auf der Linie XX im Oktober 1989 insgesamt knapp 1.000 Kader und damit auf der gesamten Linie XX fast 1.500 hauptamtliche Mitarbeiter im Einsatz. Gleichzeitig konnte allein die Hauptabteilung XX mit etwas mehr als 1.500 IM auf einen überdurchschnittlich hohen Bestand an inoffiziellen Kräften zurückgreifen. Ihrem Aufgabenprofil entsprechend spiegelt sich nicht zuletzt in der Entwicklung der Hauptabteilung XX auch die Geschichte von Opposition, Widerstand und politischer Dissidenz in der DDR. Im Herbst 1989 wurden von der Diensteinheit 31 Operative Vorgänge (10 Prozent aller Operativen Vorgänge im Berliner Ministeriumsbereich) und 59 Operative Personenkontrollen (8,7 Prozent) bearbeitet.
Operative Beobachtung
Die Beobachtung zählte zu den konspirativen Ermittlungsmethoden, die in der Regel von operativen Diensteinheiten in Auftrag gegeben und von hauptamtlichen Mitarbeitern der Linie VIII (Hauptabteilung VIII) durchgeführt wurden. Dabei wurden sog. Zielpersonen (Beobachtungsobjekte genannt) über einen festgelegten Zeitraum beobachtet, um Hinweise über Aufenthaltsorte, Verbindungen, Arbeitsstellen, Lebensgewohnheiten und ggf. strafbare Handlungen herauszufinden. Informationen aus Beobachtungen flossen in Operative Personenkontrollen, Operative Vorgänge oder Sicherheitsüberprüfungen ein. Im westlichen Ausland wurden Beobachtungen meist von IM unter falscher Identität ausgeführt.
Von 1950 bis 1968 geltende Bezeichnung für die gewöhnlichen inoffiziellen Mitarbeiter, in den ersten Jahren auch nur Informatoren genannt. 1968 wurden die GI überwiegend zu IMS. GI dienten vor allem der allgemeinen Informationsbeschaffung. Sie wurden dabei auch zunehmend zur Sicherung von Institutionen, zur Feststellung der Bevölkerungsstimmung, zur Überprüfung verdächtiger Personen, zur Verhinderung von Republikfluchten oder auch bei Ermittlungen und Fahndungen eingesetzt.
Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet wurde. Die zuletzt 13 Hauptabteilungen wurden durch Einzelleiter geführt. Die weiter untergliederten und nach dem Linienprinzip tätigen HA waren für komplexe, abgegrenzte Bereiche operativ zuständig und federführend verantwortlich. Der Zuschnitt der Zuständigkeitsbereiche war an Ressorts oder geheimdienstlichen Praktiken (z. B. Verkehrswesen, Beobachtung, Funkspionage) orientiert.
Der Operative Vorgang (OV) war ein registrierpflichtiger Vorgang und Sammelbegriff für Einzel- bzw. Gruppenvorgänge (Registrierung, TV und ZOV). Er wurde angelegt, um im Rahmen von verdeckten, aber zum Teil auch offenen Ermittlungen gegen missliebige Personen vorgehen zu können (Anweisung 14/52 vom 10.9.1952: Vorgangsordnung; 1976 durch Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" neu geregelt).
Ausgangspunkt des OV waren zumeist Hinweise auf, aus MfS-Sicht, strafrechtlich relevante Tatbestände (in der Regel Verstöße gegen die in der DDR geltenden politischen Normen), die es zu überprüfen galt. Bestandteil der nach einem klaren Abfolgeprinzip zu erstellenden OV waren "Maßnahmepläne" und ggf. in ihnen enthaltene Maßnahmen der Zersetzung, die vor allem dann zur Anwendung gelangten, wenn eine Inhaftierung aus taktischen Erwägungen als nicht opportun galt.
Im OV ermittelte das MfS nicht nur gegen die betreffende Person, es wurden auch Erkundigungen zum familiären Umfeld, zum Freundes- und Kollegenkreis u. ä. eingeholt. Konnten Delikte keinen Personen unmittelbar zugeordnet werden (z. B. Flugblätter, Losungen, anonyme Briefe), wurde ein OV gegen unbekannt eröffnet. Darin wurden die nach den Vorstellungen des MfS potenziell als Urheber in Frage kommenden Personen dahingehend überprüft, ob ihnen die "Tat" nachzuweisen war.
Häufig ging dem OV eine Operative Personenkontrolle (OPK) voraus. OV waren mit Vorschlägen zur Ahndung der nachgewiesenen Straftatverletzungen (z. B. Ermittlungsverfahren; Anwerbung; Zersetzungsmaßnahmen) bzw. bei Nicht-Bestätigung des Ausgangsverdachts durch Einstellen der Bearbeitung abzuschließen.
Signatur: BStU, MfS, AOP, Nr. 11806/85, Bd. 36, Bl. 117-118
Als die Stasi über ihre Abhöreinrichtungen in Wolf Biermanns Wohnung den Text eines neuen Liedes mitschrieb, verstand sie ihn falsch. So wurde aus dem Sekretär des Dichters Goethe mit dem Namen Eckermann im Stasiprotokoll ein Henkersmann.
Wolf Biermann, Sohn einer kommunistischen Arbeiterfamilie aus Hamburg, siedelte 1953 als Schüler in die DDR über. Er hielt den Staat für das bessere Deutschland. Dort nahm er ein Studium am Berliner Ensemble, dem von Bertolt Brecht gegründeten Theater, auf. Mit seinen Liedern und Gedichten, die er bald zu schreiben begann, geriet er zunehmend in Konflikt mit der strengen Linie der Staatspartei SED. 1965 verhängte das Politbüro ein totales Auftrittsverbot gegen den Künstler. Darüber hinaus hörte die Staatssicherheit Biermanns Wohnung und Telefongespräche ab, las seine Briefe und setzte auch Spitzel auf ihn an.
Die Stasi hörte fast alles, was Biermann in seinen Zimmern sang, mit, doch nicht immer verstand sie den Künstler richtig. Als Biermann die berufsmäßigen Lauscher in seiner Ballade literarisch beschrieb und sie mit Goethes Sekretär Eckermann verglich, erkannte der diensthabende Stasi-Offizier nicht, worum es ging. Er schrieb vom Band ab, so wie er es verstand. Der Sekretär Goethes, Eckermann, bekannt dafür, dem großen Dichter überallhin zu folgen und alles aufzuschreiben, wurde im Stasiprotokoll zum "Henkersmann".
Oder nehmen wir zum Beispiel
meinen sexuellen Freistil.
Meine Art, die so fatal war
und für meine Frau 'ne Qual war.
Wem nützt diese ungeheuer
dumme Lust auf Abenteuer.
Seit ich weiß, daß die Genossen
wachsam sind ist ausgeschlossen,
daß sie schamlos meine Pfläumen
pflücken von diversen Bäumen.
Wenn ich müßte ja riskier'n,
was sie alles registrier'n
und dann meiner Frau servier'n
sowas würde mich genier'n.
Also spring ich nie zur Seiten,
spare Nerven, Kraft und Zeiten.
Diese aufgesparte Glut
kommt dann meinem Werk zugut.
Kurz gesagt, die Sicherheit
sichert mir die Ewig-,
sichert mir die Ewig-,
sichert mir die Ewigkeit.
Ach, mein Herz wird doch beklommen,
solltet ihr mal plötzlich kommen.
Kämet ihr in eurer raschen
Art, Genossen, um zu kaschen.
Sei's zu Haus bei meinem Weib
meinen armen, nackten Leib
ohne menschliches Erbarmen
grade wenn wir uns umarmen.
Oder irgendwo und -wann,
mit dem Teufel Havemann. - Oh!
Wenn wir singen oder g'rad
Kognak hätten, das war' schad'.
Ach, bedenkt, wie sind wir fest.
Trabt nach ost, fliegt nicht nach west.
Darf nicht singen, darf nicht schrein.
Darf nicht, was ich bin auch sein.
Holtet ihr mich also noch
rein in schwarzen KZ's Loch.
Ach, für mich war das doch was.
Nichts als ein verschärfter,
nichts als ein verschärfter,
nichts als ein verschärfter Knast,"
B. spricht; "Nachbemerkung und Zurücknahme"
Er singt wieder:
"Doch, wie will ich auf die Spitze,
treiben meine Galgenwitze.
Gott weiß, es gibt schöneres,
als g'rad eure Schnauzen.
Schön're Löcher gibt es auch,
als das Loch von Bautzen."
F.d.R.d.A.:
Der Operative Vorgang (OV) war ein registrierpflichtiger Vorgang und Sammelbegriff für Einzel- bzw. Gruppenvorgänge (Registrierung, TV und ZOV). Er wurde angelegt, um im Rahmen von verdeckten, aber zum Teil auch offenen Ermittlungen gegen missliebige Personen vorgehen zu können (Anweisung 14/52 vom 10.9.1952: Vorgangsordnung; 1976 durch Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" neu geregelt).
Ausgangspunkt des OV waren zumeist Hinweise auf, aus MfS-Sicht, strafrechtlich relevante Tatbestände (in der Regel Verstöße gegen die in der DDR geltenden politischen Normen), die es zu überprüfen galt. Bestandteil der nach einem klaren Abfolgeprinzip zu erstellenden OV waren "Maßnahmepläne" und ggf. in ihnen enthaltene Maßnahmen der Zersetzung, die vor allem dann zur Anwendung gelangten, wenn eine Inhaftierung aus taktischen Erwägungen als nicht opportun galt.
Im OV ermittelte das MfS nicht nur gegen die betreffende Person, es wurden auch Erkundigungen zum familiären Umfeld, zum Freundes- und Kollegenkreis u. ä. eingeholt. Konnten Delikte keinen Personen unmittelbar zugeordnet werden (z. B. Flugblätter, Losungen, anonyme Briefe), wurde ein OV gegen unbekannt eröffnet. Darin wurden die nach den Vorstellungen des MfS potenziell als Urheber in Frage kommenden Personen dahingehend überprüft, ob ihnen die "Tat" nachzuweisen war.
Häufig ging dem OV eine Operative Personenkontrolle (OPK) voraus. OV waren mit Vorschlägen zur Ahndung der nachgewiesenen Straftatverletzungen (z. B. Ermittlungsverfahren; Anwerbung; Zersetzungsmaßnahmen) bzw. bei Nicht-Bestätigung des Ausgangsverdachts durch Einstellen der Bearbeitung abzuschließen.
Abgehörtes Telefoninterview von Wolf Biermann mit dem NDR Dokument, 7 Seiten
Brief von Wolf Biermann an Robert Havemann Dokument, 10 Seiten
Pressekonferenz Wolf Biermanns nach seiner Ausbürgerung Dokument, 4 Seiten
Stasi-Aufzeichnung der Stellungnahme eines Brigadiers zu einer Rede, die er in Torgelow während des Volksauftsandes hielt Dokument, 8 Seiten