Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 3708, Bl. 10-13
Im Herbst 1988 wurden Schüler der Carl-von-Ossietzky-Schule in Berlin-Pankow der Schule verwiesen, weil sie sich offen gegen Militärparaden und Rechtsextremismus in der DDR ausgesprochen hatten. Am 30. September verkündete die Schulleitung den Betroffenen in der Aula der Ossietzky-Schule, dass gegen sie ein Relegierungsverfahren laufe.
Am 30. September 1988 wurden vier Schüler der Carl-von-Ossietzky-Schule im Ost-Berliner Stadtteil Pankow der Schule verwiesen, weil sie sich offen gegen Militärparaden ausgesprochen und vor dem Rechtsextremismus in der DDR gewarnt hatten. Zwei weitere Klassenkameraden wurden an andere Schulen versetzt, zwei erhielten einen Verweis. Die Betroffenen wurden durch ein systematisches Zusammenspiel von Schule, Leitung der Freien Deutschen Jugend (FDJ) und Elternrat gemaßregelt und gedemütigt. Anders als viele ähnliche Fälle wurde dieser Vorgang jedoch öffentlich. Die sogenannte Ossietzky-Affäre schlug hohe Wellen. Der Mut der Schüler rief eine Welle der Solidarität hervor.
Der vorliegende Bericht der Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) fasst die Ereignisse in der Carl-von-Ossietzky-Schule zusammen, die für vier Jugendliche letztlich zu FDJ- und Schulausschluss führten. Am 30. September 1988 inszenierte die Schulleitung die Relegierung der Schüler in der Aula der Carl-von-Ossietzky-Schule. Der Schulleiter ließ die Betroffenen nacheinander vortreten und verkündete, dass nun ein Relegierungsverfahren eingeleitet würde. Nacheinander mussten die Relegierten die Aula verlassen. Das Dokument stammt aus der Anlage zur "Information 465/88", in der die ZAIG die Partei- und Staatsführung über diese Veranstaltung zur Ossietzky-Affäre in der Berliner Zionskirche unterrichtete.
Anlage 3 zur Information Nr. 465/88
Am 22.09.88 (noch bevor alle Elterngespräche durchgeführt sind) werden die Schüler Kai, Katja, Philipp, [anonymisiert] und Benjamin in dieser Reihenfolge aus dem Unterricht geholt. An den nun folgenden Befragungen im Sekretariat nehmen der Direktor, die jeweiligen Klassenleiter, 2 Vertreter der GOL, die Parteisekretärin und drei weitere Personen teil, die den Schülern nicht vorgestellt werden. Zwei der den Schülern unbekannten Personen protokollieren. Am nächsten Tag werden auf die gleiche Weise [anonymisiert] und [anonymisiert] befragt. Die Befragung wird nach Aussage aller Schüler in einer scharfen Form durchgeführt, sie dürfen nicht aussprechen, haben das Gefühl, provoziert zu werden, es wird von ihnen verlangt, daß sie sich von den von ihnen geäußerten Meinungen in Zukunft distanzieren. Sie werden auf die Aufnahmebedingungen für die EOS verwiesen.
Am 26.09.88 wird Benjamin für zwei Tage beurlaubt, damit die "Lage sich beruhigt und die Schulleitung sich über weitere Maßnahmen klarwerden kann". Der Direktor spricht in Benjamins Klasse davon, daß Benjamin eine "Mängelphilosophie" vertrete und eine "nicht negative Lösung" für Benjamin nicht mehr denkbar sei. Es gäbe kein Problem "Unterschriftensammlung" mehr, sondern nur noch ein Problem "Benjamin". Die einzige Möglichkeit für Benjamin wäre, alles zurückzunehmen.
Die Schüler Katja, Philipp, [anonymisiert], [anonymisiert], [anonymisiert] und Kai schreiben einen Brief an den Direktor, in dem sie mitteilen, daß sie das Gefühl haben, daß Benjamin für Meinungen bestraft werden soll, die sie mitgetragen haben, über die sie weiter diskutieren wollen und für die sie mit Benjamin gemeinsam die Konsequenzen tragen wollen.
Am 27.09. wird der Brief dem Direktor übergeben. Auf einer der Sitzungen der GOL, die inzwischen in kurzen Abständen auch während des Unterrichts tagt, wird vom Direktor der Brief verlesen.
Strafprozessrechtlich zulässige Möglichkeit der offiziellen Kontaktaufnahme mit Verdächtigen, Zeugen und anderen Personen noch vor Einleitung eines Ermittlungsverfahrens (strafprozessuales Prüfungsstadium). Verdächtige konnten gemäß § 95 StPO/1968 zur Befragung zugeführt werden (Zuführung). Vom MfS wurde die B. gelegentlich als demonstrative Maßnahme zur Einschüchterung Oppositioneller genutzt, gegen die aus politischen Gründen kein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden sollte.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
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Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 3708, Bl. 10-13
Im Herbst 1988 wurden Schüler der Carl-von-Ossietzky-Schule in Berlin-Pankow der Schule verwiesen, weil sie sich offen gegen Militärparaden und Rechtsextremismus in der DDR ausgesprochen hatten. Am 30. September verkündete die Schulleitung den Betroffenen in der Aula der Ossietzky-Schule, dass gegen sie ein Relegierungsverfahren laufe.
Am 30. September 1988 wurden vier Schüler der Carl-von-Ossietzky-Schule im Ost-Berliner Stadtteil Pankow der Schule verwiesen, weil sie sich offen gegen Militärparaden ausgesprochen und vor dem Rechtsextremismus in der DDR gewarnt hatten. Zwei weitere Klassenkameraden wurden an andere Schulen versetzt, zwei erhielten einen Verweis. Die Betroffenen wurden durch ein systematisches Zusammenspiel von Schule, Leitung der Freien Deutschen Jugend (FDJ) und Elternrat gemaßregelt und gedemütigt. Anders als viele ähnliche Fälle wurde dieser Vorgang jedoch öffentlich. Die sogenannte Ossietzky-Affäre schlug hohe Wellen. Der Mut der Schüler rief eine Welle der Solidarität hervor.
Der vorliegende Bericht der Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) fasst die Ereignisse in der Carl-von-Ossietzky-Schule zusammen, die für vier Jugendliche letztlich zu FDJ- und Schulausschluss führten. Am 30. September 1988 inszenierte die Schulleitung die Relegierung der Schüler in der Aula der Carl-von-Ossietzky-Schule. Der Schulleiter ließ die Betroffenen nacheinander vortreten und verkündete, dass nun ein Relegierungsverfahren eingeleitet würde. Nacheinander mussten die Relegierten die Aula verlassen. Das Dokument stammt aus der Anlage zur "Information 465/88", in der die ZAIG die Partei- und Staatsführung über diese Veranstaltung zur Ossietzky-Affäre in der Berliner Zionskirche unterrichtete.
Anlage 3 zur Information Nr. 465/88
Es wird über Relegierung und FDJ-Ausschluß gesprochen. Der FDJ-Ausschluß wird von der GOL für Benjamin, Katja, Philipp und Kai empfohlen.
Am 28.09.88 wird das für diesen Tag angesetzte Polenforum abgesetzt. Den sieben Schülern wird mitgeteilt, daß die für den 29.09. angekündigten Aussprachen mit der GOL nicht stattfinden werden. Statt dessen werden außerordentliche Mitgliederversammlungen der FDJ für die Klassen Kais, Katjas, Philipps und Benjamins von der GOL festgelegt.
Auf den am 29.09. nacheinander stattfindenden Mitgliederversammlungen werden Ausschlußverfahren aus der FDJ durchgeführt. An den Versammlungen nehmen 1 Vertreter der Kreisleitung der FDJ, des Patenbetriebes, des Elternaktivs, 2 Vertreter der GOL, der jeweilige Klassenleiter, der Direktor, die Parteisekretärin und ein Gast teil. Philipp, Kai und Katja werden auf ihren jeweiligen FDJ-Versammlungen aus der FDJ ausgeschlossen. In Benjamins Klasse, auf die ebenfalls massiver Druck ausgeübt wird, kann der FDJ-Ausschluß nicht durchgeführt werden, da die notwendige 2/3-Mehrheit nicht erreicht wird. Mehrere der gegen den Ausschluß stimmenden Schüler brechen in Tränen aus. Der Vertreter der Kreisleitung der FDJ spricht von "antisozialistischer Plattformbildung im Blauhemd". Man bemühe sich, um jeden zu kämpfen (z.B. um Grabschänder, Skinheads u.a.), aber in diesem Fall müßte die Trennung von eindeutig staatsfeindlichen Schülern erfolgen. In keiner der Klassen können die von den Ausschlußverfahren betroffenen Schüler ausführlich Stellung nehmen. Ihre Einwände werden abgetan.
Am 30.09.88 findet in der Aula der Schule eine außerordentliche Schulversammlung statt. Die Schüler müssen einzeln vortreten. Philipp, Kai, Katja und Benjamin wird nacheinander mitgeteilt, daß gegen sie ein Relegierungsverfahren eingeleitet wurde.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
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Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 3708, Bl. 10-13
Im Herbst 1988 wurden Schüler der Carl-von-Ossietzky-Schule in Berlin-Pankow der Schule verwiesen, weil sie sich offen gegen Militärparaden und Rechtsextremismus in der DDR ausgesprochen hatten. Am 30. September verkündete die Schulleitung den Betroffenen in der Aula der Ossietzky-Schule, dass gegen sie ein Relegierungsverfahren laufe.
Am 30. September 1988 wurden vier Schüler der Carl-von-Ossietzky-Schule im Ost-Berliner Stadtteil Pankow der Schule verwiesen, weil sie sich offen gegen Militärparaden ausgesprochen und vor dem Rechtsextremismus in der DDR gewarnt hatten. Zwei weitere Klassenkameraden wurden an andere Schulen versetzt, zwei erhielten einen Verweis. Die Betroffenen wurden durch ein systematisches Zusammenspiel von Schule, Leitung der Freien Deutschen Jugend (FDJ) und Elternrat gemaßregelt und gedemütigt. Anders als viele ähnliche Fälle wurde dieser Vorgang jedoch öffentlich. Die sogenannte Ossietzky-Affäre schlug hohe Wellen. Der Mut der Schüler rief eine Welle der Solidarität hervor.
Der vorliegende Bericht der Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) fasst die Ereignisse in der Carl-von-Ossietzky-Schule zusammen, die für vier Jugendliche letztlich zu FDJ- und Schulausschluss führten. Am 30. September 1988 inszenierte die Schulleitung die Relegierung der Schüler in der Aula der Carl-von-Ossietzky-Schule. Der Schulleiter ließ die Betroffenen nacheinander vortreten und verkündete, dass nun ein Relegierungsverfahren eingeleitet würde. Nacheinander mussten die Relegierten die Aula verlassen. Das Dokument stammt aus der Anlage zur "Information 465/88", in der die ZAIG die Partei- und Staatsführung über diese Veranstaltung zur Ossietzky-Affäre in der Berliner Zionskirche unterrichtete.
Anlage 3 zur Information Nr. 465/88
Die Schüler werden beurlaubt und müssen den Raum verlassen. Philipp geht schweigend. Ebenso Benjamin. Kai bittet ums Wort, soll aber nicht reden. Er sagt trotzdem, daß er alles als sehr ungerecht empfindet. Dann wird er von zwei Schülern aus dem Raum gebracht. Danach muß Katja gehen.
Jemand meldet sich und sagt, daß man mit dem Ausschluß aus der FDJ keinen Schulausschluß gewollt habe. Diese Erklärung bekräftigen viele Schüler durch Beifall. Zahlreiche Mitschüler der Betroffenen weinen. [anonymisiert] muß vortreten. Ihm wird ein Verweis erteilt. Er sagt, daß er sich für diese Schule schämt. Wenn er sich für diese Schule schämt, sagt der Direktor, könne er auch gehen. Auch [anonymisiert] geht. [anonymisiert] wird die Erteilung eines Verweises und die Umschulung mitgeteilt. Auch er geht.
Rekonstruktion des Textes an der "Speakers corner", da Original nicht mehr vorhanden
In wenigen Wochen ist es soweit. Auf den Straßen Berlins werden riesige Geschosse aufgefahren, todbringende Waffen zur Schau gestellt. Die Panzer rollen in einer Zeit über die Straßen, da gerade vertrauensbildende Maßnahmen eine gemeinsame Sicherheit schaffen sollen. In einer solchen Zeit ist das öffentliche Vorführen militärischer Stärke, das laute Bekunden der Abschreckung schädlich für die politische Schönwetter-Phase, die vielleicht historisch sein könnte. Es paßt auch nicht in die Friedenspolitik der DDR. Dem internationalen Ansehen der DDR sowie dem gesamten Friedensprozeß würde ein Verzicht auf die Militärparade am 07.10. gut tun.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
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Bericht des IM "Ilona" zu den Aushängen in der Carl-von-Ossietzky-Schule Dokument, 3 Seiten
Schreiben des Ersten Sekretärs des FDJ-Zentralrats zu den Ereignissen an der Carl-von-Ossietzky-Schule Dokument, 8 Seiten
Maßnahmeplan zur Relegierung von Schülern der Carl-von-Ossietzky-Schule Dokument, 9 Seiten
Poster gegen Militärparaden an der "Speakers' Corner" der Carl-von-Ossietzky-Schule Dokument, 1 Seite