Signatur: BArch, MfS, BV Berlin, Abt. XX, Nr. 11386, Bl. 371-373
Nachdem im Herbst 1987 rechtsextreme Skins ein Punkkonzert der Zionskirche überfallen hatten, versuchte die Stasi, die Neonazi-Szene der DDR unter Kontrolle zu halten. Die Bezirksverwaltung Berlin berichtete im Januar 1988, wie sich die Maßnahmen gegen Skinheads bisher auf die lokale Szene auswirkten.
Am Abend des 17. Oktobers 1987 überfielen rechtsextreme Skinheads ein Punkkonzert in der Ost-Berliner Zionskirche. Neben der Punkband "Die Firma" spielte auf dem Konzert auch "Element of Crime" aus West-Berlin. Als die Konzertbesucherinnen und -besucher die vollbesetzte Kirche verließen, schlugen etwa 30 angetrunkene Neonazis aus Ost- und West-Berlin auf sie ein. Dabei brüllten sie faschistische Parolen wie "Juden raus", "Kommunistenschweine" und "Sieg Heil!". Anwesende Volkspolizisten registrierten das Geschehen, hielten sich aber im Hintergrund und griffen erst ein, nachdem ein Notruf eingegangen war.
Bei den anschließenden Ermittlungen arbeiteten Staatssicherheit und Volkspolizei eng zusammen. Der Überfall auf die Zionskirche zeigte, dass es trotz der geleugneten Existenz von Rechtsextremismus in der DDR eine gewaltbereite Neonazi-Szene gab. Da westliche Medien bereits einen Tag später über den Vorfall berichteten, konnten auch die DDR-Medien dieses Ereignis nicht mehr stillschweigend übergehen. Für die Gerichtsverfahren stimmte sich die Staatssicherheit eng mit der Justiz der DDR ab. Im ersten Prozess erhielten die vier Hauptangeklagten zunächst unerwartet niedrige Strafen zwischen einem und zwei Jahren Haft. Nachdem es Proteste gegen die Urteile gegeben hatte, forderte die Generalstaatsanwaltschaft in Abstimmung mit dem Obersten Gericht der DDR in den Berufungsverhandlungen ein höheres Strafmaß. Die Neonazis aus Ost-Berlin erhielten schließlich Haftstrafen bis zu vier Jahren.
Die MfS-Bezirksverwaltung Berlin berichtete am 29. Januar 1988, dass es seit dem 8. Januar keine Vorkommnisse mit Skinheads mehr gegeben hätte. Die hohen Strafen der vier am Überfall auf die Zionskirche beteiligten Neonazis hätten auf die Szene abschreckend gewirkt. Auch die verstärkten Maßnahmen von Volkspolizei und Staatssicherheit hätten die Skinheads dazu gebracht "alles zu unterlassen, was sie in das Blickfeld der Schutz- und Sicherheitsorgane rücken könnte". Ein großer Teil der Skinheads passte dem Bericht zufolge auch sein Äußeres an die neuen Umstände an. Die Neonazis würden zunehmend auf bekannte Erkennungszeichen, wie Bomberjacken, Springerstiefel und Glatze, verzichten. Mit diesem gemäßigteren Auftreten und Erscheinungsbild würden sie auch wieder öfter Zutritt zu Gaststätten und Jugendklubs erlangen.
der größere Teil, zu dem ebenfalls zum harten und ideologisch verfestigten Kern gehörende Skinheads zählen, versucht, sich den Maßnahmen des Staates anzupassen.
Die Uniformteile (Bomberjacken, Schnürstiefel) werden weggelassen und der extrem kurze Haarschnitt verschwindet.
(Der "Schwarzmarktpreis" von Bomberjacken ist von 800,- M auf nur noch 300,- M gesunken.)
Verbunde mit ruhigerem Verhalten gelingt es diesen Skinheads, wieder in Jugendklubs und Gaststätten eingelassen werden. Als Beispiel dafür kann die am 24.01.1988 durchgeführte Veranstaltungen im Klub 2000 in Berlin-Marzahn gesehen werden. An dieser Veranstaltung, die ohne Vorkomnisse ablief, waren mindestens 20 Skinheads beteiligt. Die Gesamtteilnehmerzahl betrug etwa 70 Personen.
3. Über eingeleitete Maßnahmen zur Realisierung des gesellschaftlichen Einflusses sind bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt für ganz Berlin keine Aussagen möglich. In den einzelnen Stadtbezirken werden, unter Mitwirkung der Kreisdienststellen, vorrangig die in den AG 10/78 tätigen Organe, wie Volksbildung, Berufsbildung, Inneres, VPI, Kultur, FDJ, wirksam.
Aus unserer Sicht muß eingeschätzt werden, daß dieses Tätigwerden aber noch zu langsam und ohne die erforderliche Konsequenz erfolgt. Er ist bei den gesellschaftlichen Erziehungsträgern eine gewisse Unsicherheit dahingehend festzustellen, wie sie mit den Skinheads sprechen sollen, welche Argumente sie anführen können.
Verstärkt ist ein Nachlassen bei den eingeleiteten Maßnahmen im Bereich der Jugendklubs festzustellen. Durch die entsprechenden Funktionäre tauchen wieder die bereits früher gestellten Fragen auf, wie
- wo sollen die Skinheads hin, wenn wir sie abweisen,
- wer soll mit ihnen arbeiten, wenn das nicht in den Jugenklubs erfolgt,
- wer gilt als Skinhead, woran wir der Skinhead erkannt, der abgewiesen werden soll (das uniformierte Aussehen wird als Kriterium nicht akzeptiert, da diese Funktionäre es als Modeerscheinung bezeichnen).
Im Zusammenhang mit dem Versuch, auszuweichen, ziehen sich die Skinheads stärker aus der Öffentlichkeit zurück und gehen in Häuser (Keller und Böden, Gemeinschaftsräume) oder direkt in Wohnungen.
Zur Wahrnehmung der gesellschaftlichen Einflußnahme sollten in solchen Fällen insbesondere die HGL, WPO, WBA und ABV Verantwortung übertragen bekommen.
Die Kreisdienststellen waren neben den Objektdienststellen die territorial zuständigen Diensteinheiten. Sie waren entsprechend den regionalen Gegebenheiten unterschiedlich strukturiert und personell ausgestattet. Einige verfügten über ein Referat zur komplexen Spionageabwehr oder zur Sicherung der Volkswirtschaft und andere nur über spezialisierte Mitarbeiter in diesen Bereichen. Ihre Aufgaben waren die Kontrolle der Wirtschaft, des Verkehrswesens, des Staatsapparates, des Gesundheitswesens, der kulturellen Einrichtungen, der Volksbildung, ggf. von Einrichtungen des Hoch- und Fachschulwesens, wissenschaftlich-technischer Einrichtungen sowie die Überwachung besonders interessierender Personenkreise.
Die Kreisdienststellen waren maßgeblich an den Genehmigungsverfahren für dienstliche bzw. private Auslandsreisen beteiligt, führten Sicherheitsüberprüfungen durch und erstellten Stimmungs- und Lageberichte. Zur Realisierung der Aufgaben bedurfte es einer engen Zusammenarbeit mit den Partnern des POZW, insbesondere mit der Volkspolizei, den Räten und anderen Einrichtungen der Kreise. Die Kreisdienststellen unterhielten ständige Verbindungen zu den SED Kreisleitungen. Zwei Drittel der hauptamtlichen Mitarbeiter der Kreisdienststellen waren operativ tätig. Die Kreisdienststellen führten 50 Prozent der IM und bearbeiteten etwa 60 Prozent der OV zu einzelnen Personen oder Gruppen.
Die Kreisdienststellen gliederten sich in 2 bis 16 Fachreferate sowie das Referat Auswertung und Information (ZAIG) und die Wache/Militärische Sicherungsgruppe. In jeder Kreisdienststelle gab es einen Offizier, der teilweise oder ganz (IM-führender Mitarbeiter/XV) für die Belange der HV A vor Ort zuständig war.
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Signatur: BArch, MfS, BV Berlin, Abt. XX, Nr. 11386, Bl. 371-373
Nachdem im Herbst 1987 rechtsextreme Skins ein Punkkonzert der Zionskirche überfallen hatten, versuchte die Stasi, die Neonazi-Szene der DDR unter Kontrolle zu halten. Die Bezirksverwaltung Berlin berichtete im Januar 1988, wie sich die Maßnahmen gegen Skinheads bisher auf die lokale Szene auswirkten.
Am Abend des 17. Oktobers 1987 überfielen rechtsextreme Skinheads ein Punkkonzert in der Ost-Berliner Zionskirche. Neben der Punkband "Die Firma" spielte auf dem Konzert auch "Element of Crime" aus West-Berlin. Als die Konzertbesucherinnen und -besucher die vollbesetzte Kirche verließen, schlugen etwa 30 angetrunkene Neonazis aus Ost- und West-Berlin auf sie ein. Dabei brüllten sie faschistische Parolen wie "Juden raus", "Kommunistenschweine" und "Sieg Heil!". Anwesende Volkspolizisten registrierten das Geschehen, hielten sich aber im Hintergrund und griffen erst ein, nachdem ein Notruf eingegangen war.
Bei den anschließenden Ermittlungen arbeiteten Staatssicherheit und Volkspolizei eng zusammen. Der Überfall auf die Zionskirche zeigte, dass es trotz der geleugneten Existenz von Rechtsextremismus in der DDR eine gewaltbereite Neonazi-Szene gab. Da westliche Medien bereits einen Tag später über den Vorfall berichteten, konnten auch die DDR-Medien dieses Ereignis nicht mehr stillschweigend übergehen. Für die Gerichtsverfahren stimmte sich die Staatssicherheit eng mit der Justiz der DDR ab. Im ersten Prozess erhielten die vier Hauptangeklagten zunächst unerwartet niedrige Strafen zwischen einem und zwei Jahren Haft. Nachdem es Proteste gegen die Urteile gegeben hatte, forderte die Generalstaatsanwaltschaft in Abstimmung mit dem Obersten Gericht der DDR in den Berufungsverhandlungen ein höheres Strafmaß. Die Neonazis aus Ost-Berlin erhielten schließlich Haftstrafen bis zu vier Jahren.
Die MfS-Bezirksverwaltung Berlin berichtete am 29. Januar 1988, dass es seit dem 8. Januar keine Vorkommnisse mit Skinheads mehr gegeben hätte. Die hohen Strafen der vier am Überfall auf die Zionskirche beteiligten Neonazis hätten auf die Szene abschreckend gewirkt. Auch die verstärkten Maßnahmen von Volkspolizei und Staatssicherheit hätten die Skinheads dazu gebracht "alles zu unterlassen, was sie in das Blickfeld der Schutz- und Sicherheitsorgane rücken könnte". Ein großer Teil der Skinheads passte dem Bericht zufolge auch sein Äußeres an die neuen Umstände an. Die Neonazis würden zunehmend auf bekannte Erkennungszeichen, wie Bomberjacken, Springerstiefel und Glatze, verzichten. Mit diesem gemäßigteren Auftreten und Erscheinungsbild würden sie auch wieder öfter Zutritt zu Gaststätten und Jugendklubs erlangen.
Zu spüren ist auch, daß durch die DVP bei der Realisierung der notwendigen Maßnahmen nachgelassen wird. In der gegenwärtigen Situation ruft das Unruhe und Unsicherheit bei den Bürgern hervor (Anlage 2, Informationen). Andererseits spüren auch die Skinheads ein solches Nachlassen.
Ober den in der Information der Abt. XX/7 genannten Sachverhalt wurde die Abteilung Sicherheit der SED-BL informiert.
4. Eingeleitete Ermittlungsverfahren seit dem 17.10.1987:
36 EV gesamt, davon
4 EV gegen Unbekannt und
32 EV gegen 4 Personen.
5. Seit dem 17.12.1987 wurden durch die VP 226 Zuführungen, davon 9 Personen doppelt, vorgenommen. Das sind lediglich 7 Personen mehr als in der Information vom 08.01.1988. Die 7 Zuführungen wurden um Zusammenhang mit 1 Vorkommnis um Jugendklub "Maxim Gorki" realisiert. (Anlage)
6. Als neues Erkennungszeichen soll bei den Skinheads das Tragen einer Baseballmütze gelten.
Schiemenz
Hauptmann
Erstes Stadium des Strafverfahrens, steht formal unter Leitung des Staatsanwaltes (§ 87 StPO/1968). Die eigentlichen Ermittlungen werden von den staatlichen Untersuchungsorganen (Polizei, MfS, Zoll) durchgeführt (§ 88 StPO/1968) und vom Staatsanwalt beaufsichtigt (§ 89 StPO/1968).
Tatsächlich waren für die Ermittlungen des MfS lediglich die zuvor vom MfS ausgewählten Staatsanwälte der Abteilungen IA zuständig, die gemäß MfS-internen Regelungen keine Einsicht in Unterlagen oder Ermittlungen, die nicht der StPO entsprachen, bekommen durften. Faktisch gab es daher eine doppelte Aktenführung in der zuständigen Linie IX: den internen Untersuchungsvorgang und die für Staatsanwaltschaft und Gericht bestimmte Gerichtsakte und somit keine wirksame staatsanwaltschaftliche Aufsicht über die MfS-Ermittlungen. Einleitung wie auch Einstellung des Ermittlungsverfahrens konnten selbständig von den Untersuchungsorganen verfügt werden (§§ 98, 141 StPO/1968).
Mit dem Ermittlungsverfahren verbunden waren Eingriffe in die persönliche Freiheit Beschuldigter durch die Untersuchungsorgane wie die Beschuldigten- und Zeugenvernehmung, die Durchsuchung, die Beschlagnahme, die Festnahme oder die Untersuchungshaft. In der Tätigkeit des MfS stellte das Ermittlungsverfahren einen besonders wirksamen Teil des repressiven Vorgehens gegen politische Gegner dar.
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Informationsbedarf zur Einschätzung über die in der DDR existierenden Skinheads Dokument, 4 Seiten
Information der BV Berlin zum Neonazi-Überfall auf ein Punkkonzert in der Zionskirche Dokument, 5 Seiten
Lageeinschätzung zum Stand der Bekämpfung des politisch-motivierten Rowdytums im 1. Halbjahr 1988 Dokument, 6 Seiten
Einschätzung über die in der DDR existierenden Skinheads Dokument, 13 Seiten