Signatur: BStU, MfS, HA VII, Nr. 1333, Bl. 192-196
Das Reaktorunglück in Tschernobyl erschwerte den Absatz von DDR-Lebensmitteln. Der Export in die Bundesrepublik brach ein, und auch die Verbraucher in der DDR zögerten beim Kauf frischer Ware.
Der Super-GAU am 26. April 1986 war der bis dahin schwerste nukleare Unfall bei der zivilen Nutzung der Kernkraft. Die unkontrolliert entwichene Radioaktivität war immens, und die Langzeitfolgen der Strahlenbelastung halten bis heute an.
Für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) bedeutete Tschernobyl eine Herausforderung: Unmittelbar musste der politische und ideologische Schaden für die SED-Diktatur begrenzt werden. Das Credo "Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen" wirkte nach dem Reaktorunglück hohl. Das eigene ehrgeizige Kernenergieprogramm verlor merklich an Vertrauen, basierten die Reaktoren doch ebenfalls auf sowjetischer Technik.
Zudem erhielt die ostdeutsche Anti-Atomkraft-Bewegung Zulauf. Weil sie in Opposition zur Kernenergiepolitik, zur Umweltpolitik und zur Informationspolitik der SED-Führung stand, wollte die Staatssicherheit sie nun konsequent bekämpfen.
Auch der Wirtschaft der DDR drohte Schaden. Der Außenhandel war für die DDR von großer Bedeutung. Nur durch den Verkauf von Waren ins westliche Ausland ließen sich dringend benötigte Devisen erwirtschaften. In der Bundesrepublik, einem der wichtigsten Handelspartner der DDR, reagierte man jedoch geschockt auf das Reaktorunglück – und mied Waren aus dem Osteuropa. Vor allem Lebensmittel aus der DDR, die zuvor gerne importiert worden waren, galten nun als gefährlich.
Die Stasi verzeichnete die Folgen genau. So verweigerte nun eine West-Berliner Molkerei die für den gesamten Monat Mai 1986 vereinbarte Abnahme von Frischmilch. Der DDR entgingen allein dadurch knapp 325.000 Valutaeinheiten. Das wären heute inflationsbereinigt etwa 286.000 Euro.
Gleichzeitig ließen auch die Bürger der DDR die Finger von frischen Lebensmitteln. Gemüse und Milch verkamen zu Ladenhütern. Milchpulver hingegen war mehr als üblich gefragt, so dass aus der verschmähten Frischmilch rasch Nachschub an Trockenmilch produziert wurde. So verbesserte Tschernobyl absurderweise die Versorgungslage in der DDR: Die Tage und Wochen bis Ende Mai 1986 waren vielleicht der einzige Zeitraum ihres Bestehens, in denen die Staatssicherheit von einem Überangebot in den Kaufhallen berichten konnte.
Gleichzeitig wurde festgelegt, daß im Einzelhandel mit größter Sorgfalt darauf geachtet wird, daß der Frischegrad und die Qualitätsbestimmungen ständig eingehalten und überwacht werden.
Der Export von Rohmilch wurde auf Wunsch des Käufers (Meierei-Zentrale Berlin/West) aus den Molkereien Nauen und Brandenurg am 2.5.1986 eingestellt und noch nicht wieder aufgenommen. Vor Wiederaufnahme der Lieferungen fordert die o.g. westberliner Molkerei auf Weisung des Senats von Berlin/West die Übersendung von Proben.
Es kann davon ausgegangen werden, daß ab 1. Juni 1986 der Export von Rohmilch wieder aufgenommen wird.
Der Ausfall beläuft sich auf etwa 325 TVE.
Über eine mögliche Nachlieferung müssen mit der Wiederaufnahme der Lieferung Verhandlungen geführt werden.
Der Export von Sauermilchquark in die BRD wurde durch den Käufer (Primovo, Berlin/West) in der Zeit vom 5. bis 15.5.1986 unterbrochen. Der Auslieferungsrückstand wird bis 30.6.1986 ausgeglichen.
Zur Zeit beläuft sich der wertmäßige Rückstand auf ca. 200 TVE.
Auf Weisung des zuständigen Landwirtschaftsministeriums in Marokko wurde die Auswahl von Zuchtfärsen für dieses Land eingestellt und auf weitere Lieferungen verzichtet.
Der Ausfall beläuft sich auf 855 Zuchtfärsen mit etwa 1,0 Mio VM.
Die Lieferungen von Kaninchenfleisch nach Österreich wurden am 19.5.1986 eingestellt.
Der Ausfall beläuft sich auf ca. 400 TVM.
Ein Termin zur Wiederaufnahme der Lieferungen konnte noch nicht vereinbart werden.
Eine gleiche Situation ergibt sich für Lieferungen von lebenden Kaninchen nach Italien.
Der Lieferrückstand beläuft sich auf ca. 150 TVM.
Ebenso lehnt der Käufer die Übernahme yon Fleischteilen für Italien ab.
Der Ausfall beläuft sich auf ca. 200 TVM.
Weitere Lieferungen von lebenden Schlachtbullen nach dem Libanon, Saudiarabien, Ägypten und von Schweinefleisch für Jugoslawien über Drittländer wurden vorübergehend unterbrochen und werden nach Beibringung einer Bestätigung über die einwandfreie Beschaffenheit der Ware am 1. Juni 1986 wieder aufgenommen. Der durch die vorübergehende Einstellung aufgetretene Rückstand wird im wesentlichen bis zum 30.6.1986 und grundsätzlich im Verlauf des Monats Juli 1985 aufgeholt, so daß daraus keine wertmäßig zu beziffernden Verluste entstehen werden.
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet wurde. Die zuletzt 13 Hauptabteilungen wurden durch Einzelleiter geführt. Die weiter untergliederten und nach dem Linienprinzip tätigen HA waren für komplexe, abgegrenzte Bereiche operativ zuständig und federführend verantwortlich. Der Zuschnitt der Zuständigkeitsbereiche war an Ressorts oder geheimdienstlichen Praktiken (z. B. Verkehrswesen, Beobachtung, Funkspionage) orientiert.
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Signatur: BStU, MfS, HA VII, Nr. 1333, Bl. 192-196
Das Reaktorunglück in Tschernobyl erschwerte den Absatz von DDR-Lebensmitteln. Der Export in die Bundesrepublik brach ein, und auch die Verbraucher in der DDR zögerten beim Kauf frischer Ware.
Der Super-GAU am 26. April 1986 war der bis dahin schwerste nukleare Unfall bei der zivilen Nutzung der Kernkraft. Die unkontrolliert entwichene Radioaktivität war immens, und die Langzeitfolgen der Strahlenbelastung halten bis heute an.
Für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) bedeutete Tschernobyl eine Herausforderung: Unmittelbar musste der politische und ideologische Schaden für die SED-Diktatur begrenzt werden. Das Credo "Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen" wirkte nach dem Reaktorunglück hohl. Das eigene ehrgeizige Kernenergieprogramm verlor merklich an Vertrauen, basierten die Reaktoren doch ebenfalls auf sowjetischer Technik.
Zudem erhielt die ostdeutsche Anti-Atomkraft-Bewegung Zulauf. Weil sie in Opposition zur Kernenergiepolitik, zur Umweltpolitik und zur Informationspolitik der SED-Führung stand, wollte die Staatssicherheit sie nun konsequent bekämpfen.
Auch der Wirtschaft der DDR drohte Schaden. Der Außenhandel war für die DDR von großer Bedeutung. Nur durch den Verkauf von Waren ins westliche Ausland ließen sich dringend benötigte Devisen erwirtschaften. In der Bundesrepublik, einem der wichtigsten Handelspartner der DDR, reagierte man jedoch geschockt auf das Reaktorunglück – und mied Waren aus dem Osteuropa. Vor allem Lebensmittel aus der DDR, die zuvor gerne importiert worden waren, galten nun als gefährlich.
Die Stasi verzeichnete die Folgen genau. So verweigerte nun eine West-Berliner Molkerei die für den gesamten Monat Mai 1986 vereinbarte Abnahme von Frischmilch. Der DDR entgingen allein dadurch knapp 325.000 Valutaeinheiten. Das wären heute inflationsbereinigt etwa 286.000 Euro.
Gleichzeitig ließen auch die Bürger der DDR die Finger von frischen Lebensmitteln. Gemüse und Milch verkamen zu Ladenhütern. Milchpulver hingegen war mehr als üblich gefragt, so dass aus der verschmähten Frischmilch rasch Nachschub an Trockenmilch produziert wurde. So verbesserte Tschernobyl absurderweise die Versorgungslage in der DDR: Die Tage und Wochen bis Ende Mai 1986 waren vielleicht der einzige Zeitraum ihres Bestehens, in denen die Staatssicherheit von einem Überangebot in den Kaufhallen berichten konnte.
Für die Realisierung weiterer Exportverträge forderte eine Reihe von Käufern aus Brasilien, Griechenland und anderen westlichen Ländern Bescheinigungen, in denen attestiert wird, daß die zugesicherten Gebrauchswerteigenschaften durch radioaktive Substanzen weder beeinträchtigt noch gemindert wurden. Diese Bescheinigungen wurden übermittelt.
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet wurde. Die zuletzt 13 Hauptabteilungen wurden durch Einzelleiter geführt. Die weiter untergliederten und nach dem Linienprinzip tätigen HA waren für komplexe, abgegrenzte Bereiche operativ zuständig und federführend verantwortlich. Der Zuschnitt der Zuständigkeitsbereiche war an Ressorts oder geheimdienstlichen Praktiken (z. B. Verkehrswesen, Beobachtung, Funkspionage) orientiert.
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Bericht zur radioaktiven Strahlenbelastung in der DDR nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl Dokument, 7 Seiten
Bericht über die Havarie im Kernkraftwerk Tschernobyl Dokument, 3 Seiten
Übergabe von Materialien an den KGB wegen der Havarie in Tschernobyl Dokument, 1 Seite
Schäden in der Produktion von Röntgenfilmen wegen des Reaktorunglückes in Tschernobyl Dokument, 2 Seiten