Signatur: BStU, MfS, BV Suhl, BdL, Nr. 1351, Bl. 1-7
Die MfS-Bezirksverwaltung Suhl erarbeitete Anfang Februar 1980 einen Maßnahmeplan. In Zusammenarbeit mit anderen "staatlichen Organen" der DDR wollte man Störungen des Wasunger Karnevals durch unangepasste Jugendliche verhindern.
Der traditionsreiche Wasunger Karneval wurde Mitte der 1970er Jahre zu einem beliebten Reiseziel unangepasster Jugendlicher. Sie wollten dem grauen DDR-Alltag entfliehen und suchten in der thüringischen Provinz ein paar Tage voller Spaß, Alkohol und Abwechslung. Die selbsternannten "Kunden" wurden dabei durch die Stasi systematisch überwacht, wie aufgefundene Unterlagen, Fotografien und Filme dokumentieren.
Aus der gesamten DDR reisten Jugendliche in die thüringische Provinz. Ihre Ausrüstung bestand oft nur aus einigen Flaschen Bier und einer Decke. Wer die Kontrollpunkte der Transport- und Volkspolizei passieren konnte und es bis Wasungen schaffte, übernachtete dort, wo er konnte: in Schlafsälen, in Kellern, in Scheunen oder auf Dachböden. In der Besuchermenge bildeten die "Kunden" eine Gruppe, die sich deutlich von dem traditionellen Karnevalsumzug abhob. Statt Prinzenkostüm oder Narrenkappe trugen sie lange Haare, Bärte, Jeans und Parka.
Das Hauptaugenmerk des MfS lag darauf "negativ-dekadente" Jugendliche möglichst gar nicht bis Wasungen kommen zu lassen. Die unter anderem für die Überwachung von Jugendlichen zuständige Abteilung XX übernahm hierbei die Federführung. Das MfS arbeitete eng mit der Volkspolizei sowie mit dem Rat des Kreises in Meiningen und dem Rat der Gemeinde in Wasungen zusammen. Einsetzen wollte die MfS-Bezirksverwaltung Suhl Mitarbeiter der Abteilungen II (Spionageabwehr), VI (Passkontrolle, Tourismus, Reiseverkehr), VII (Ministerium des Innern), VIII (Festnahme, Beobachtung, Durchsuchung, Fahndung), IX (Untersuchungsorgan), XIX (Verkehr, Post und Nachrichtenwesen) sowie der Kreisdienststelle Meiningen.
Personen, die durch die Geheimpolizei in "Operativen Personenkontrollen" und "Operativen Vorgängen" registriert waren, wollten MfS-Mitarbeiter für die Zeit des Wasunger Karnevals "unter Kontrolle" halten, um sie von "Demonstrativhandlungen" abzubringen. Zugleich sollten etwaige Fluchtversuche über die nicht weit entfernte innerdeutsche Grenze verhindert sowie bundesdeutsche Besucher und Journalisten überwacht werden, die regelmäßig an dem närrischen Treiben in Wasungen teilnahmen.
Unterzeichnet ist der Maßnahmeplan vom Leiter der Bezirksverwaltung Suhl, Generalmajor Heinz Pommer.
Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Suhl
Leiter
9. Februar 1980
Vertrauliche Verschlußsache
Uul 002 Nr. 13/80
1. Ausf., 7 Blatt
Maßnahmeplan zur vorbeugenden Verhinderung und Bearbeitung von Erscheinungen der politischen Untergrundtätigkeit in Vorbereitung und Durchführung des "Wasunger Karnevals" in der Zeit vom 15.2.80 bis 20.2.80
Die politisch-operativen Sicherungsmaßnahmen zur Verhinderung und Bearbeitung von Erscheinungen der politischen Untergrundtätigkeit in Vorbereitung und Durchführung des "Wasunger Karnevals" 1980 sind auf der Grundlage der VVS 5/66, 8/78 und 42/78 des Genossen Minister mit dem Ziel
durchzuführen.
Zur Durchsetzung und Koordinierung aller politisch-operativen Maßnahmen wird in der Zeit vom 15.2.1980, 08.00 Uhr, bis 20.2.1980, 08.00 Uhr unter Leitung meines Stellvertreters Operativ, Oberstleutnant Dr. Mangold, ein operativer Einsatzstab in der Bezirksverwaltung gebildet.
Eine selbständige Abteilung ist eine Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet und durch militärische Einzelleiter geführt wurde. Die weiter untergliederten Abteilungen prägten Linien aus (z. B. Abt. XIV; Linienprinzip) oder blieben auf die Zentrale beschränkt (z. B. Abt. X). Die eng umrissenen Zuständigkeiten mit operativer Verantwortung und Federführung orientierten sich an geheimdienstlichen Praktiken (Telefonüberwachung) oder Arbeitsfeldern (Bewaffnung, chemischer Dienst).
Als Abwehr wurden alle geheimpolizeilichen Aktivitäten zur Sicherung der politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Stabilität der DDR und des kommunistischen Bündnissystems bezeichnet, die nach dem Verständnis des MfS durch feindliche Angriffe gefährdet waren. Maßnahmen zur Bekämpfung westlicher Spionage und politischer Opposition galten somit ebenso als Abwehr wie etwa die Sicherung von Produktivität und Anlagensicherheit in den Betrieben sowie die Verhinderung von Republikflucht und Ausreisen. Demgemäß waren die meisten operativen Arbeitsbereiche des MfS ganz überwiegend mit Abwehr befasst.
Aufklärung hatte innerhalb des MfS unterschiedliche Bedeutungen: Sie wird zur Bezeichnung des Tätigkeitsbereiches der Auslandsspionage verwendet, die überwiegend von der HV A getragen wurde, die teilweise auch kurz als Aufklärung bezeichnet wird. Darüber hinaus findet der Begriff Verwendung bei der Bezeichnung von Sachverhaltsermittlungen (Aufklärung eines Sachverhalts) und von Überprüfungen der Eignung von IM-Kandidaten (Aufklärung des Kandidaten).
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
1956 entstanden durch Umbenennung der Abteilung Allgemeines. Aufgaben des Büros der Leitung waren unter anderem
Die Durchsuchung von Wohnungen, Räumen oder Personen war eine strafprozessuale Maßnahme im Ermittlungsverfahren zum Zwecke der Festnahme oder Verhaftung Verdächtiger bzw. zum Auffinden von Beweismaterial (§§ 108–119 StPO/1968). Eine Durchsuchung musste vom Staatsanwalt bzw. konnte bei Gefahr im Verzuge auch von den Untersuchungsorganen angeordnet werden und bedurfte einer richterlichen Bestätigung binnen 48 Stunden (§ 121 StPO/1968). Die Durchsuchung oblag eigentlich den Untersuchungsorganen, formal im MfS also der Linie IX (Hauptabteilung IX). Tatsächlich wurden sie aber regulär von Mitarbeitern der Linie VIII (Hauptabteilung VIII) durchgeführt.
Die Durchsuchung Verhafteter und vorläufig Festgenommener konnte ohne staatsanwaltliche Anordnung durchgeführt werden und bedurfte keiner richterlichen Bestätigung (§ 109 StPO/1968); sie wurde im MfS von den – formal nicht zuständigen – Mitarbeitern der Linie XIV (Abteilung XIV) durchgeführt. Außerhalb des Ermittlungsverfahrens war die Durchsuchung von Personen und Sachen durch Polizei und MfS polizeirechtlich geregelt (§ 13 VP-Gesetz). Vom MfS wurden die Möglichkeiten der Durchsuchung und Beschlagnahme auch außerhalb des jeweiligen strafprozessualen Ermittlungsverfahrens für geheimdienstliche Zwecke genutzt. Jenseits jeglicher rechtlicher Regelungen führten operative Diensteinheiten des MfS, vor allem die Linie VIII (Hauptabteilung VIII), auch konspirative Wohnungsdurchsuchungen durch.
Die Kreisdienststellen waren neben den Objektdienststellen die territorial zuständigen Diensteinheiten. Sie waren entsprechend den regionalen Gegebenheiten unterschiedlich strukturiert und personell ausgestattet. Einige verfügten über ein Referat zur komplexen Spionageabwehr oder zur Sicherung der Volkswirtschaft und andere nur über spezialisierte Mitarbeiter in diesen Bereichen. Ihre Aufgaben waren die Kontrolle der Wirtschaft, des Verkehrswesens, des Staatsapparates, des Gesundheitswesens, der kulturellen Einrichtungen, der Volksbildung, ggf. von Einrichtungen des Hoch- und Fachschulwesens, wissenschaftlich-technischer Einrichtungen sowie die Überwachung besonders interessierender Personenkreise.
Die Kreisdienststellen waren maßgeblich an den Genehmigungsverfahren für dienstliche bzw. private Auslandsreisen beteiligt, führten Sicherheitsüberprüfungen durch und erstellten Stimmungs- und Lageberichte. Zur Realisierung der Aufgaben bedurfte es einer engen Zusammenarbeit mit den Partnern des POZW, insbesondere mit der Volkspolizei, den Räten und anderen Einrichtungen der Kreise. Die Kreisdienststellen unterhielten ständige Verbindungen zu den SED Kreisleitungen. Zwei Drittel der hauptamtlichen Mitarbeiter der Kreisdienststellen waren operativ tätig. Die Kreisdienststellen führten 50 Prozent der IM und bearbeiteten etwa 60 Prozent der OV zu einzelnen Personen oder Gruppen.
Die Kreisdienststellen gliederten sich in 2 bis 16 Fachreferate sowie das Referat Auswertung und Information (ZAIG) und die Wache/Militärische Sicherungsgruppe. In jeder Kreisdienststelle gab es einen Offizier, der teilweise oder ganz (IM-führender Mitarbeiter/XV) für die Belange der HV A vor Ort zuständig war.
Der Begriff Untersuchungsorgan (russ.: sledstwennyj organ) ist sowjetischen Ursprungs und verdrängte in der DDR in den frühen 50er Jahren allmählich den traditionellen deutschen Begriff Ermittlungsbehörde. Untersuchungsorgane hatten laut Strafprozessordnung (StPO) der DDR die Befugnisse polizeilicher Ermittlungsbehörden und unterstanden bei der Bearbeitung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens de jure der Aufsicht des Staatsanwaltes (§§ 95-98 StPO/1952, §§ 87-89 StPO/1968).
Während anfangs das MfS insgesamt als Untersuchungsorgan galt, wurden später zumeist nur noch jene Bereiche, die strafrechtliche Ermittlungsverfahren durchführten, also die HA IX in der Berliner MfS-Zentrale und die fachlich nachgeordneten Abt. IX der BV, als Untersuchungsorgan bezeichnet. Neben den Untersuchungsorganen des MfS gab es in der DDR die Untersuchungsorgane des MdI (Kriminalpolizei) und der Zollverwaltung bzw. ihres Vorläufers Amt für Zoll und Kontrolle des Warenverkehrs (Zollfahndungsdienst). Bis 1953 übten auch die Kommissionen für staatliche Kontrolle in Wirtschaftsstrafverfahren die Funktionen von Untersuchungsorganen aus.
aktuelle Seite 1
Zur Seite 2 wechseln
Zur Seite 3 wechseln
Zur Seite 4 wechseln
Zur Seite 5 wechseln
Zur Seite 6 wechseln
Zur Seite 7 wechseln
Signatur: BStU, MfS, BV Suhl, BdL, Nr. 1351, Bl. 1-7
Die MfS-Bezirksverwaltung Suhl erarbeitete Anfang Februar 1980 einen Maßnahmeplan. In Zusammenarbeit mit anderen "staatlichen Organen" der DDR wollte man Störungen des Wasunger Karnevals durch unangepasste Jugendliche verhindern.
Der traditionsreiche Wasunger Karneval wurde Mitte der 1970er Jahre zu einem beliebten Reiseziel unangepasster Jugendlicher. Sie wollten dem grauen DDR-Alltag entfliehen und suchten in der thüringischen Provinz ein paar Tage voller Spaß, Alkohol und Abwechslung. Die selbsternannten "Kunden" wurden dabei durch die Stasi systematisch überwacht, wie aufgefundene Unterlagen, Fotografien und Filme dokumentieren.
Aus der gesamten DDR reisten Jugendliche in die thüringische Provinz. Ihre Ausrüstung bestand oft nur aus einigen Flaschen Bier und einer Decke. Wer die Kontrollpunkte der Transport- und Volkspolizei passieren konnte und es bis Wasungen schaffte, übernachtete dort, wo er konnte: in Schlafsälen, in Kellern, in Scheunen oder auf Dachböden. In der Besuchermenge bildeten die "Kunden" eine Gruppe, die sich deutlich von dem traditionellen Karnevalsumzug abhob. Statt Prinzenkostüm oder Narrenkappe trugen sie lange Haare, Bärte, Jeans und Parka.
Das Hauptaugenmerk des MfS lag darauf "negativ-dekadente" Jugendliche möglichst gar nicht bis Wasungen kommen zu lassen. Die unter anderem für die Überwachung von Jugendlichen zuständige Abteilung XX übernahm hierbei die Federführung. Das MfS arbeitete eng mit der Volkspolizei sowie mit dem Rat des Kreises in Meiningen und dem Rat der Gemeinde in Wasungen zusammen. Einsetzen wollte die MfS-Bezirksverwaltung Suhl Mitarbeiter der Abteilungen II (Spionageabwehr), VI (Passkontrolle, Tourismus, Reiseverkehr), VII (Ministerium des Innern), VIII (Festnahme, Beobachtung, Durchsuchung, Fahndung), IX (Untersuchungsorgan), XIX (Verkehr, Post und Nachrichtenwesen) sowie der Kreisdienststelle Meiningen.
Personen, die durch die Geheimpolizei in "Operativen Personenkontrollen" und "Operativen Vorgängen" registriert waren, wollten MfS-Mitarbeiter für die Zeit des Wasunger Karnevals "unter Kontrolle" halten, um sie von "Demonstrativhandlungen" abzubringen. Zugleich sollten etwaige Fluchtversuche über die nicht weit entfernte innerdeutsche Grenze verhindert sowie bundesdeutsche Besucher und Journalisten überwacht werden, die regelmäßig an dem närrischen Treiben in Wasungen teilnahmen.
Unterzeichnet ist der Maßnahmeplan vom Leiter der Bezirksverwaltung Suhl, Generalmajor Heinz Pommer.
1. Führung und Einsatz der Kräfte
1.1. Der Leiter der Abteilung XX ist verantwortlich für die Verwirklichung der federführenden Rolle bei der vorbeugenden Verhinderung negativ-feindlicher Handlungen durch negativ-dekadente Jugendliche, die ständige Beurteilung der Lage im politischen Untergrund und die Koordinierung aller erforderlichen Maßnahmen mit anderen Bezirksverwaltungen.
Die Führung von IM, die überörtlich zum Einsatz gelangen, erfolgt durch die Genossen
Verantw. Leiter der Abteilung XX
1.2. Im Einsatzzeitraum wird in der KD Meiningen eine Einsatzgruppe in Stärke 1 : 7 gebildet.
Verantw. Leiter der KD Meiningen
1.3. Als Verbindungsoffiziere für das Zusammenwirken mit den eingesetzten Kräften der VP und dem Transportpolizeiamt werden
eingesetzt.
Verantw.
1.4. Die Abteilung VIII/1 hat die notwendigen Einsatzkräfte in Bereitschaft zu halten, die auf gesonderte Festlegung des Leiters des ZOS zum Einsatz zu bringen sind.
Für die Spezialkommission der Abteilung IX wird Hausbereitschaft angewiesen.
Verantw.
1.5. Während der Zeit des Einsatzes ist von den Leitern der KD Meiningen und der Abteilung XIX für alle Mitarbeiter Hausbereitschaft anzuweisen und zu gewährleisten, dass kurzfristig die volle Einsatzbereitschaft der Diensteinheit hergestellt werden kann.
Verantw.
Abteilung IX (Untersuchungsorgan)
1950 entstanden; 1953 Aufwertung zur Hauptabteilung IX (HA IX). Die HA IX war die für strafrechtliche Ermittlungen zuständige Diensteinheit (Strafverfolgung). Sie hatte wie die nachgeordneten Abteilung IX in den Bezirksverwaltung (BV) (Linie IX) die Befugnisse eines Untersuchungsorgans, d. h. einer kriminalpolizeilichen Ermittlungsbehörde. Ursprünglich vor allem für die sog. Staatsverbrechen zuständig, befasste sie sich in der Honecker-Ära überwiegend mit Straftaten gegen die staatliche Ordnung, vor allem mit Fällen "ungesetzlichen Grenzübertritts" und Delikten, die mit Ausreisebegehren zu tun hatten. Nach StPO der DDR standen auch die Ermittlungsverfahren der Linie IX unter Aufsicht der Staatsanwaltschaft, in der Praxis arbeitete das MfS hier jedoch weitgehend eigenständig.
Die HA IX und die Abt. IX der BV waren berechtigt, Ermittlungsverfahren einzuleiten sowie Festnahmen, Vernehmungen, Durchsuchungen, Beschlagnahmen und andere strafprozessuale Handlungen vorzunehmen sowie verpflichtet, diese Verfahren nach einer bestimmten Frist - meist durch die Übergabe an die Staatsanwaltschaft zur Anklageerhebung - zum Abschluss zu bringen (Untersuchungsvorgang). Daneben führte sie Vorermittlungen zur Feststellung von Ursachen und Verantwortlichen bei Großhavarien (industriellen Störfällen), Flugblättern widerständigen Inhalts, öffentlichen Protesten u. ä. (Vorkommnisuntersuchung, Sachverhaltsprüfung).
Die HA IX gehörte zeit ihres Bestehens zum Anleitungsbereich Mielkes, in den ersten Jahren in seiner Funktion als Staatssekretär und 1. stellv. Minister, ab 1957 als Minister. Ihre Leiter waren Alfred Karl Scholz (1950-1956), Kurt Richter (1956-1964), Walter Heinitz (1964-1973) und Rolf Fister (1973-1989).
1953 bestand die HA IX aus drei Abteilungen, die für Spionagefälle, Fälle politischer "Untergrundtätigkeit" und die Anleitung der Abt. IX der BV zuständig waren. Durch Ausgliederungen entstanden weitere Abteilungen, so u. a. für Wirtschaftsdelikte, Militärstraftaten, Delikte von MfS-Angehörigen und Fluchtfälle. Ende 1988 bestand die HA IX aus zehn Untersuchungsabteilungen sowie der Auswertungs- und Kontrollgruppe (AKG) und der AGL (Arbeitsgruppe des Ministers (AGM)) mit insgesamt 489 Mitarbeitern. Auf der Linie IX arbeiteten 1 225 hauptamtliche Mitarbeiter.
Die Linie IX wirkte eng mit den Abteilung XIV (Haft) und der Linie VIII (Hauptabteilung VIII (Beobachtung, Ermittlung)), die für die Durchführung der Festnahmen zuständig waren, zusammen. Bei der juristischen Beurteilung von Operativen Vorgängen (OV) wurde die HA IX von den geheimdienstlich arbeitenden Diensteinheiten häufig einbezogen.
Eine selbständige Abteilung ist eine Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet und durch militärische Einzelleiter geführt wurde. Die weiter untergliederten Abteilungen prägten Linien aus (z. B. Abt. XIV; Linienprinzip) oder blieben auf die Zentrale beschränkt (z. B. Abt. X). Die eng umrissenen Zuständigkeiten mit operativer Verantwortung und Federführung orientierten sich an geheimdienstlichen Praktiken (Telefonüberwachung) oder Arbeitsfeldern (Bewaffnung, chemischer Dienst).
1950 entstanden; 1958 Aufwertung zur HA VIII.
1950 entstanden; 1959 Aufwertung zur HA VII.
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
1956 entstanden durch Umbenennung der Abteilung Allgemeines. Aufgaben des Büros der Leitung waren unter anderem
Die Durchsuchung von Wohnungen, Räumen oder Personen war eine strafprozessuale Maßnahme im Ermittlungsverfahren zum Zwecke der Festnahme oder Verhaftung Verdächtiger bzw. zum Auffinden von Beweismaterial (§§ 108–119 StPO/1968). Eine Durchsuchung musste vom Staatsanwalt bzw. konnte bei Gefahr im Verzuge auch von den Untersuchungsorganen angeordnet werden und bedurfte einer richterlichen Bestätigung binnen 48 Stunden (§ 121 StPO/1968). Die Durchsuchung oblag eigentlich den Untersuchungsorganen, formal im MfS also der Linie IX (Hauptabteilung IX). Tatsächlich wurden sie aber regulär von Mitarbeitern der Linie VIII (Hauptabteilung VIII) durchgeführt.
Die Durchsuchung Verhafteter und vorläufig Festgenommener konnte ohne staatsanwaltliche Anordnung durchgeführt werden und bedurfte keiner richterlichen Bestätigung (§ 109 StPO/1968); sie wurde im MfS von den – formal nicht zuständigen – Mitarbeitern der Linie XIV (Abteilung XIV) durchgeführt. Außerhalb des Ermittlungsverfahrens war die Durchsuchung von Personen und Sachen durch Polizei und MfS polizeirechtlich geregelt (§ 13 VP-Gesetz). Vom MfS wurden die Möglichkeiten der Durchsuchung und Beschlagnahme auch außerhalb des jeweiligen strafprozessualen Ermittlungsverfahrens für geheimdienstliche Zwecke genutzt. Jenseits jeglicher rechtlicher Regelungen führten operative Diensteinheiten des MfS, vor allem die Linie VIII (Hauptabteilung VIII), auch konspirative Wohnungsdurchsuchungen durch.
Inoffizielle Mitarbeiter (IM) waren das wichtigste Instrument des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), um primär Informationen über Bürger, die Gesellschaft, ihre Institutionen und Organisationen der DDR oder im Ausland zu gewinnen. Unter Umständen hatten IM auf Personen oder Ereignisse in der DDR steuernden Einfluss zu nehmen.
In der DDR-Gesellschaft hießen sie "Spitzel", "Denunzianten" oder "Kundschafter". Mit der deutschen Einheit hat sich die Bezeichnung Inoffizieller Mitarbeiter des MfS für die heimlichen Zuträger etabliert. Sie lieferten u. a. Informationen über Stimmungen und Meinungen in der Bevölkerung.
Die SED-Führung wollte stets über die konkrete Situation und Lage in der DDR unterrichtet sein. Die IM hatten den Auftrag, "staatsgefährdende" Bestrebungen zu ermitteln, was beim MfS "politisch ideologische Diversion" bzw. "politische Untergrundtätigkeit" hieß. Der Bogen hierfür war weit gespannt und reichte von einer privaten Meinungsäußerung bis hin zu politischen Aktivitäten. Überdies sollten sie, wenn auch selten, direkt auf gesellschaftliche Entwicklungen oder einzelne Personen einwirken.
Die IM waren das wichtigste Repressionsinstrument in der DDR. IM wurden auf bestimmte Schwerpunkte angesetzt, von denen tatsächliche oder vermeintliche Gefahren ausgehen konnten. Diese Objekte und Territorien, Bereiche oder Personen waren so zahlreich, dass die geheimpolizeiliche Durchdringung tendenziell den Charakter einer flächendeckenden Überwachung annahm.
Die Anzahl der vom MfS geführten inoffiziellen Mitarbeiter umfasste im Jahre 1989 ungefähr 189.000 IM, darunter 173.000 IM der Abwehrdiensteinheiten, ferner 13.400 IM in der DDR und 1.550 IM in der Bundesrepublik, die von der Hauptverwaltung A geführt wurden, sowie diverse andere wie Zelleninformatoren usw. Auf 89 DDR-Bürger kam somit ein IM. In der Zeit von 1950 bis 1989 gab es insgesamt ca. 620.000 IM.
Die Entwicklung des IM-Netzes ist nicht allein von einem kontinuierlichen Anstieg geprägt, sondern verweist auf besondere Wachstumsphasen in Zeiten innergesellschaftlicher Krisen wie dem 17. Juni 1953 oder am Vorabend des Mauerbaus. Im Zuge der deutsch-deutschen Entspannungspolitik wurde das IM-Netz ebenfalls erweitert. So umfasste es Mitte der 70er Jahre – hochgerechnet – über 200.000 IM. Angesichts wachsender oppositioneller Bewegungen hatte es in den 80er Jahren gleichfalls ein hohes Niveau.
Die flächendeckende Überwachung der Gesellschaft fiel regional recht unterschiedlich aus. Im Land Brandenburg, das die Bezirke Cottbus, Frankfurt (Oder) und Potsdam vereint, war sie stärker als in Thüringen. Die höchste IM-Dichte wies der ehemalige Bezirk Cottbus auf.
Das MfS operierte formal nach territorialen Gesichtspunkten und Sicherungsbereichen, setzte jedoch operative Schwerpunkte in der geheimpolizeilichen Arbeit. Bezogen auf das Gesamtministerium lagen diese – sowohl auf Kreis-, als auch auf Bezirks- und Hauptabteilungsebene – bei der Volkswirtschaft, der Spionageabwehr und auf der "politischen Untergrundtätigkeit", der "Bearbeitung " von oppositionellen Milieus und den Kirchen.
Die Motive zur Kooperation mit dem MfS waren überwiegend ideeller, seltener materieller Natur, noch seltener war Erpressung der Grund. Die Kooperation währte durchschnittlich sechs bis zehn Jahre oder länger. Augenfällig ist, dass darunter nicht wenige soziale Aufsteiger waren. Der Anteil von weiblichen IM lag in der DDR bei 17 Prozent, in der Bundesrepublik bei 28 Prozent. Über die Hälfte der IM war Mitglied der SED. Von den 2,3 Mio. Mitgliedern der Partei ausgehend, waren 4 bis 5 Prozent zuletzt inoffiziell aktiv, d. h. jedes zwanzigste SED-Mitglied.
Das MfS differenzierte IM nach Kategorien: Gesellschaftliche Mitarbeiter für Sicherheit, IM zur Sicherung und Durchdringung des Verantwortungsbereichs, IM im besonderen Einsatz, Führungs-IM und IM zur Sicherung der Konspiration und des Verbindungswesens. Die wichtigste Kategorie waren IM mit "Feindverbindungen" bzw. solche, die Personen zu "bearbeiten" hatten, die "im Verdacht der Feindtätigkeit" standen. Im Laufe der 80er Jahre nahm der Anteil von IM in der Kategorie IMB bis Dezember 1988 auf rund 3.900 zu.
Der Anteil von Bundesbürgern oder Ausländern unter den IM des MfS betrug nicht einmal 2 Prozent. 1989 waren mindestens 3.000 Bundesbürger inoffiziell im Dienste des MfS, zusätzlich mehrere Hundert Ausländer. In der Zeit von 1949 bis 1989 waren insgesamt mindestens 12.000 Bundesbürger und Westberliner IM.
Die operativen Ziele des MfS waren über die gesamte Bundesrepublik Deutschland verteilt. Darüber hinaus gab es Schwerpunkte in Europa, im Nahen Osten und Asien, nachgeordnet auch in Afrika und Lateinamerika. Nachrichtendienstliche Schwerpunkte waren vor allem die Wissenschafts- und Technikspionage, erst danach die politische und mit etwas Abstand die Militärspionage. Die Bundesrepublik Deutschland wurde folglich vor allem als Ressource zur Systemstabilisierung genutzt.
Die politische Spionage diente vornehmlich dazu, die politische Gefährdungslage des herrschenden Systems in der DDR bestimmen zu können. Dieses Profil deutet an, dass die Spionage der Bewahrung des Status quo dienen sollte. Von einer Unterwanderung der Bundesrepublik war die Geheimpolizei zahlenmäßig weit entfernt. Vielmehr waren ihre inoffiziellen Mitarbeiter damit beschäftigt, das DDR-System zu stabilisieren.
Die Kreisdienststellen waren neben den Objektdienststellen die territorial zuständigen Diensteinheiten. Sie waren entsprechend den regionalen Gegebenheiten unterschiedlich strukturiert und personell ausgestattet. Einige verfügten über ein Referat zur komplexen Spionageabwehr oder zur Sicherung der Volkswirtschaft und andere nur über spezialisierte Mitarbeiter in diesen Bereichen. Ihre Aufgaben waren die Kontrolle der Wirtschaft, des Verkehrswesens, des Staatsapparates, des Gesundheitswesens, der kulturellen Einrichtungen, der Volksbildung, ggf. von Einrichtungen des Hoch- und Fachschulwesens, wissenschaftlich-technischer Einrichtungen sowie die Überwachung besonders interessierender Personenkreise.
Die Kreisdienststellen waren maßgeblich an den Genehmigungsverfahren für dienstliche bzw. private Auslandsreisen beteiligt, führten Sicherheitsüberprüfungen durch und erstellten Stimmungs- und Lageberichte. Zur Realisierung der Aufgaben bedurfte es einer engen Zusammenarbeit mit den Partnern des POZW, insbesondere mit der Volkspolizei, den Räten und anderen Einrichtungen der Kreise. Die Kreisdienststellen unterhielten ständige Verbindungen zu den SED Kreisleitungen. Zwei Drittel der hauptamtlichen Mitarbeiter der Kreisdienststellen waren operativ tätig. Die Kreisdienststellen führten 50 Prozent der IM und bearbeiteten etwa 60 Prozent der OV zu einzelnen Personen oder Gruppen.
Die Kreisdienststellen gliederten sich in 2 bis 16 Fachreferate sowie das Referat Auswertung und Information (ZAIG) und die Wache/Militärische Sicherungsgruppe. In jeder Kreisdienststelle gab es einen Offizier, der teilweise oder ganz (IM-führender Mitarbeiter/XV) für die Belange der HV A vor Ort zuständig war.
Der Begriff Untersuchungsorgan (russ.: sledstwennyj organ) ist sowjetischen Ursprungs und verdrängte in der DDR in den frühen 50er Jahren allmählich den traditionellen deutschen Begriff Ermittlungsbehörde. Untersuchungsorgane hatten laut Strafprozessordnung (StPO) der DDR die Befugnisse polizeilicher Ermittlungsbehörden und unterstanden bei der Bearbeitung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens de jure der Aufsicht des Staatsanwaltes (§§ 95-98 StPO/1952, §§ 87-89 StPO/1968).
Während anfangs das MfS insgesamt als Untersuchungsorgan galt, wurden später zumeist nur noch jene Bereiche, die strafrechtliche Ermittlungsverfahren durchführten, also die HA IX in der Berliner MfS-Zentrale und die fachlich nachgeordneten Abt. IX der BV, als Untersuchungsorgan bezeichnet. Neben den Untersuchungsorganen des MfS gab es in der DDR die Untersuchungsorgane des MdI (Kriminalpolizei) und der Zollverwaltung bzw. ihres Vorläufers Amt für Zoll und Kontrolle des Warenverkehrs (Zollfahndungsdienst). Bis 1953 übten auch die Kommissionen für staatliche Kontrolle in Wirtschaftsstrafverfahren die Funktionen von Untersuchungsorganen aus.
Der Zentrale Operativstab (ZOS) wurde 1970 gegründet. Seine Aufgaben waren der Betrieb des operativen Lagezentrums mit 24-Stunden-Dienst zur Entgegennahme, Aufbereitung und Weiterleitung von Meldungen/Informationen und Führung der Gesamtübersicht zur Sicherheitslage und bestimmten Vorkommnissen (Bomben- und Sprengstoffanschläge, Brandlegungen, Überfälle, Geiselnahmen, Attentate, Erpressungen, Havarien, Vorkommnisse an der Grenze, "staatsfeindliche Hetze", Demonstrationen/Demonstrativhandlungen usw.) wie auch Durchführung von sichernden Aktionen und Einsätzen anlässlich herausragender Ereignisse der Partei- und Staatsführung.
Zur Seite 1 wechseln
aktuelle Seite 2
Zur Seite 3 wechseln
Zur Seite 4 wechseln
Zur Seite 5 wechseln
Zur Seite 6 wechseln
Zur Seite 7 wechseln
"Maßnahmeplan" zur "Gewährung von Sicherheit und Ordnung" während des Wasunger Karnevals 1989 Dokument, 5 Seiten
Fernschreiben an die "Stellvertreter Operativ" der MfS-Bezirksverwaltungen zum Wasunger Karneval 1978 Dokument, 1 Seite
Einschätzung der "Wirksamkeit der Zuführungspunkte" während des Wasunger Karnevals 1989 Dokument, 2 Seiten
"Operative Information" der MfS-Kreisdienststelle in Oranienburg zum Wasunger Karneval Dokument, 1 Seite