MfS-Presseabteilung Informationsmaterial 2/1988: Menschenrechte
Signatur: BStU, MfS, HA PS, Nr. 3924, Bl. 1-61
Ende der 80er Jahre forderten immer mehr Bürgerinnen und Bürger in der DDR ihre Menschenrechte ein. Die Stasi reagierte darauf unter anderem mit einer Informationsbroschüre, in der es Stellung zum Thema bezog.
Am 10. Dezember 1948 verkündete die Generalversammlung der Vereinten Nationen (UN) die UN-Menschenrechtscharta, bekannt als Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEM). Ein Jahr später erhielt die Deutsche Demokratische Republik (DDR) ihre erste Verfassung. Sie orientierte sich inhaltlich stark an den Bestimmungen der UN. In der Realität war der stalinistisch geprägte Osten Deutschlands in den 1950er Jahren weit vom Wortlaut der Verfassung entfernt. 1968 stimmten die Bürger der DDR in einem Referendum einer umfassend überarbeiteten neuen DDR-Verfassung zu. Sie hatte sich im Vergleich zur Vorgängerin auch auf dem Papier weiter von den internationalen Menschenrechtsstandards entfernt.
Dennoch fanden sich auch dort einige Grundsätze, die den Bürgern grundlegende Menschenrechte garantierten. Darunter fielen etwa das Recht auf Würde und Freiheit der Persönlichkeit, die Gewissensfreiheit, das Recht auf politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Mitgestaltung. Auch ein Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit sah die zweite Verfassung der DDR vor.
Im sozialistische Alltag jedoch galten diese Rechte nur unter dem Vorbehalt, dass sie auf Linie der alleinregierenden Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) lagen. Dieser Grundsatz bestimmte auch die Arbeit der DDR-Geheimpolizei, der Stasi. Für sie waren Wünsche und Vorgaben der Staatspartei SED bei der täglichen Arbeit wichtiger als die Einhaltung von Menschenrechten. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) war zwar bei weitem nicht für alle Menschenrechtsverletzungen in der DDR verantwortlich. Als "Schild und Schwert" der Partei spielte es aber in vielen Fällen eine Schlüsselrolle.
Im Zweifel brach die Geheimpolizei nicht nur die Bestimmungen der UN-Menschenrechtscharta (AEM), sondern auch die der Verfassung der DDR. Das übersteigerte Sicherheitsbedürfnis der SED-Führung war die Legitimation dafür. Menschenrechte einzuhalten war für das MfS dann von Bedeutung, wenn die DDR internationalem Druck zu Gunsten von Devisengeschäften nachgab.
Dieser Druck wuchs vor allem ab Mitte der 1970er Jahre. Im September 1973 trat die DDR der UN bei. Außerdem war die DDR in die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), in der sich Ost- und Westmächte um Verständigung bemühten, eingebunden. Bei der Konferenz in Helsinki verpflichteten sich die Teilnehmer am 1. August 1975, durch Unterzeichnung der Schlussakte, die Einhaltung der Menschenrechte in ihren Staaten zu gewährleisten. Für die DDR-Regierung ging es jedoch vordergründig um internationale Anerkennung und das Mitmischen auf der Weltbühne der Politik. Das Politbüro der SED passte in keinem Fall das innerstaatliche Recht und die Rechtspraxis in der DDR den Erfordernissen der Schlussakte von Helsinki an.
Viele DDR-Bürger aber versprachen sich eine Liberalisierung in der Politik und forderten individuelle Rechte ein. Helsinki war dafür zwar keine Initialzündung, aber eine Ermutigung. Internationale Menschenrechtsorganisationen und der UN-Menschenrechtsausschuss kritisierten die DDR wiederholt wegen der Verletzung der Bestimmungen.
Dieser Widerspruch trat immer offener zu Tage. Die DDR-Führung und damit auch Staatssicherheit reagierten darauf mit einer eigenen Strategie. Sie zielte u.a. darauf westliche Menschenrechtsverletzungen anzuprangern und damit die Aufmerksamkeit von der DDR wegzulenken. Das konnte jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass das MfS im Auftrag der SED die Überwachung der eigenen Bürger immer weiter perfektionierte. Es verfolgte Abweichungen als Angriff auf den Sozialismus. Wer Menschenrechte in der DDR einforderte, musste mit Repressionen rechnen. Die so erzeugte Furcht in der Bevölkerung war Teil des Kontrollsystems der Staatssicherheit.
Ende der 80er Jahre erreichte die Diskussion über Menschenrechte in der DDR einen neuen Höhepunkt. Das MfS sah sich gezwungen darauf zu reagieren und brachte im Juni 1988 eine Informationsbroschüre heraus, in der es Stellung zum Thema bezog.
Metadaten
- Urheber:
- MfS
- Datum:
- Juni 1988
- Rechte:
- BStU
Welches sind die Menschenrechte?
Die Menschenrechte werden von Gesellschaftswissenschaftlern und Politikern nicht immer einheitlich klassifiziert. Möglich sind u.a. Unterscheidungen nach dem Objekt, also nach dem Gegenstand, den sie betreffen; bzw. nach dem Subjekt, also den Personen oder Personengruppen, die die Rechte beanspruchen.
Nach dem Kriterium des Objektes unterscheiden wir zwischen
- den politischen Rechten (die Rechte, die sich auf die Teilnahme des Bürgers am Leben des Staates und der Gesellschaft beziehen - z.B. Wahlrecht);
- den Persönlichkeits- oder Bürgerrechten (die Rechte, die dem Bürger persönliche Freiheit und Integrität und die für seine Selbstverwirklichung nötige Souveränität gewähren - z.B. das Recht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit);
- den ökonomischen Menschenrechten (zu denen das Recht auf Arbeit und auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit und das Recht auf "Verfügen über Güter" gezählt werden. Letzteres ist eine Formulierung, die wiederum kompromißhaft, verschiedene Interpretationsmöglichkeiten zuläßt);
- den sozialen Rechten (z.B. die Rechte auf Wohnung, Kleidung, Nahrung, Erholung und Gesundheitsschutz);
- den kulturellen Rechten (die dem Menschen die Möglichkeit auf kulturelle Selbstverwirklichung und Inanspruchnahme kultureller Leistungen einräumen - z.B. das Recht auf Bildung).
Dieses System der Menschenrechte entspricht weitgehend den sozialistischen Auffassungen und wurde sinngemäß erstmalig in der Verfassung eines sozialistischen Landes (Verfassung der UdSSR vom 05.12.1936) verankert. Es liegt den internationalen Konventionen über Menschenrechte zugrunde und wird heute allgemein weltweit anerkannt, wenn auch nicht gleichermaßen verwirklicht.
In Bezug auf das Subjekt der Menschenrechte wird zwischen individuellen und kollektiven Menschenrechten unterschieden. Letztere wurden erstmals vom sozialistischen Staat fixiert.
Das Subjekt der individuellen Menschenrechte ist das Individuum. Das gilt auch dann, wenn eine Menschengruppe in den Genuß eines gegebenen Rechtes gelangt, wie z.B. im Falle des Rechts auf Vereinigungs- oder Bekenntnisfreiheit.