Signatur: BStU, MfS, HA IX, Tb, Nr. 212-219
Am 23. September 1955 fand vor dem Obersten Gericht der DDR in Berlin ein Geheimprozess gegen Elli Barczatis und Karl Laurenz wegen Spionage für die Organisation Gehlen statt. Er war einer von mehreren Prozessen gegen tatsächliche oder vermeintliche Agentinnen und Agenten des westdeutschen Nachrichtendienstes in den 50er Jahren. Im Anschluss an die Vernehmung der beiden Angeklagten trug Staatsanwalt Wolfgang Lindner sein Plädoyer vor.
Elli Barczatis wurde Anfang der 50er Jahre vermutlich ohne ihr Wissen zur Informantin für die Organisation Gehlen, die Vorläuferin des Bundesnachrichtendienstes (BND). Der westdeutsche Geheimdienst nutzte sie als Quelle in Ost-Berlin, ohne sie offiziell in diese Tätigkeit einzuweihen. Von April 1950 bis Januar 1953 war Barczatis die Chefsekretärin des Ministerpräsidenten der DDR, Otto Grotewohl. Kurz zuvor ging sie eine Liebesbeziehung mit dem Journalisten und Übersetzer Karl Laurenz ein, der nach seinem Bruch mit der SED und den daraus resultierenden beruflichen Schwierigkeiten begonnen hatte, für die Organisation Gehlen zu spionieren. Unter dem Vorwand, Material für seine journalistische Arbeit zu sammeln, ließ er sich von Barczatis mit internen Informationen aus dem Büro des Ministerpräsidenten versorgen.
Anfang 1951 wurde das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) durch den Tipp einer ehemaligen Kollegin von Barczatis, die später als Geheimer Informator (GI) für das MfS arbeitete, auf die beiden aufmerksam. Nach ersten Ermittlungen eröffnete die Stasi am 26. Juni 1951 wegen Spionageverdachts den Gruppenvorgang "Sylvester" gegen Barczatis und Laurenz. Dieser Schritt erfolgte, wenn sich ein Verdacht gegen mehrere Personen wegen "feindlicher Tätigkeit" erhärtete. In der Folgezeit unternahm die Stasi in enger Zusammenarbeit mit der sowjetischen Geheimpolizei weitere Schritte gegen Barczatis und Laurenz. Dazu gehörten Observierungen, Telefonüberwachungen und Briefkontrollen. Im Januar 1953 wurde Barczatis zu einem Parteilehrgang nach Potsdam delegiert. Danach erhielt sie zwar wieder eine Anstellung im Amt des Ministerpräsidenten, jedoch nicht mehr als persönliche Sekretärin Grotewohls, sondern in der Eingabenbearbeitung. Vermutlich veranlasste das MfS diese Versetzung, da es bereits seit 1953 von der Weitergabe interner Informationen aus dem Büro des Ministerpräsidenten an die Organisation Gehlen durch Barczatis bzw. Laurenz wusste. Am 4. März 1955 wurden die beiden verhaftet. Die Festnahme fiel in die Endphase der "Konzentrierten Schläge", die die Stasi im Nachgang des Aufstandes vom 17. Juni 1953 durchgeführt hatte. Diese Aktion symbolisierte einen Strategiewechsel des MfS bei der Verfolgung tatsächlicher oder vermeintlicher Agentinnen und Agenten westlicher Geheimdienste, insbesondere der Organisation Gehlen.
Am 23. September 1955 kam es vor dem 1. Strafsenat des Obersten Gerichts der DDR in Berlin-Mitte zum Prozess wegen Spionagetätigkeit. Generalstaatsanwalt Ernst Melsheimer war für die Anklage zuständig. Obwohl Barczatis spätestens mit dem Ende ihrer Tätigkeit für Grotewohl Anfang 1953 nur noch wenige nachrichtendienstlich verwertbare Berichte an Laurenz lieferte, verurteilte das Gericht beide Angeklagten zum Tode. Am 23. November 1955 wurden sie in der Untersuchungshaftanstalt I in Dresden durch das Fallbeil hingerichtet.
Von fast fünfzehn Stunden Verhandlung sind circa fünf als Tonbandaufnahmen im Archiv des BStU überliefert. Beim vorliegenden Ausschnitt handelt es sich um das Plädoyer des Staatsanwalts Wolfgang Lindner.
Nach der Vernehmung der beiden Angeklagten äußert sich Lindner in einer abschließenden Rede zum Inhalt der Verhandlung und trägt seine Urteilsforderung vor. Das Plädoyer des Staatsanwalts ist durchdrungen von SED-Propaganda und ideologischen Kampfbegriffen. Unter dem Vorwurf der Zusammenarbeit mit "imperialistischen Kriegshetzern" und "amerikanischen Monopolkapitalisten" beschuldigt er Barczatis und Laurenz der "Boykotthetze" nach Artikel 6 der DDR-Verfassung. Abschließend fordert er die Todesstrafe für beide Angeklagten, was zu einer hörbar entsetzten Reaktion von Elli Barczatis führt.
[Staatsanwalt Lindner:]
Die Verbrechen, die die Angeklagten gemeinsam begangen haben, sind Verbrechen nach dem Artikel 6 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik. Und im Ziffer II steht: "Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen, Mordhetze gegen demokratische Politiker, Bekundung von Glaubens-, Rassen-, Völkerhass, militaristischer Propaganda sowie Kriegshetze und alle sonstigen Handlungen, die sich gegen die Gleichberechtigung richten, sind Verbrechen im Sinne des Strafgesetzbuches." Und wer wegen dieser Verbrechen bestraft wird, wird nach den Richtlinien des Strafgesetzbuches, wonach auf solche Verbrechen die höchste Strafe steht, v- verurteilt werden. Das wussten die Angeklagten Vo- - im Voraus.
Sie haben Boykotthetze betrieben. Sie haben Mitteilungen über Vorgänge in der Deutschen Demokratischen Republik an den Feind, an den Feind der Deutschen Demokratischen Republik, an die imperialistischen Kriegshetzer, an die Monopolkapitalisten, selbstverständlich an die von ihnen beauftragten, gelenkt, geleiteten Spionageorganisationen haben sie weitergegeben. Aber sie wussten, was das für Organisationen sind. Sie wussten, dass diese Organisationen bezahlt werden von dem Gelde der amerikanischen Monopolkapitalisten, nicht von ihrem Gelde wiederum von Steuergroschen, die sie den Werktätigen aus den Knochen geschunden haben, aber über die sie eben, weil sie die Macht im Staate haben, über die sie verfügen, dieses Geld wird- - wurde zur Verfügung gestellt, um ganz besonders in der Deu- - in der Bundesrepublik, in Westdeutschland und Br- - dem Brückenkopf, in Westberlin Organisationen aufzuziehen, die den Auftrag haben, die Entwicklung der Deutschen Demokratischen Republik zu hemmen, die Wirtschaft zu unterminieren und andere Staaten von dem wirklichen- - und anderen Menschen von dem wirklichen Inhalt und von den Tatsachen der Deutschen Demokratischen Republik zu desinformieren. Sodass sie letzten Endes zu Feinden unserer Republik, zu Feinden der Menschen der Deutschen Demokratischen Republik leben, zu Feinden aller Menschen, die eben zu diesen- - in dieser Zeit in ihren Ländern den Sozialismus aufbauen. Und mit diesem Feind haben sie sich verbunden, haben ihnen die Möglichkeiten gegeben, durch Lieferung von Informationen über Tatsachen in der Deutschen Demokratischen Republik, die sie, wie diese Organisation, wie die Angeklagten beide wussten, nicht etwa dazu benutzten, um unseren Menschen über Schwierigkeiten hinweg zu helfen - die sie ihnen bereiteten - sondern um diese Schwierigkeiten zu vergrößern; eben zu boykottieren.
Und das was sie noch getan haben ist aber auch Kriegshetze, denn wenn man den Feind unterstützt in seinem Bestreben uns zu schaden, im Kalten Kriege zu schaden und darüber hinaus den heißen Krieg anzufachen. Und den beiden Angeklagten war bewusst, was für Bestrebungen in - von der- - von den Imperialisten aus den Vereinigten Staaten von Amerika ausgehen. Es war ihnen bewusst, wer zu diesen Monopolkapitalisten, zu diesen Imperialisten, zu diesen Kriegshetzern steht und hält in Westdeutschland. Und sie wussten, dass diese Organisationen nicht etwa Organisationen des Humanismus sind, sondern dass diese Organisationen diesen, dieser Kriegshetze, die Rüstungsindustriellen, denn - die ideo- - den id-ideologischen Vorbereitung des heißen Krieges - äh - vorbereiten helfen und zwar die ideologischen Vorbereitungen, ähm - damit sie ideologische Vorbereitungen treffen können. Das wussten die Angeklagten beide ganz genau: sie lasen aus der Zeitung. Sie waren informiert. Sie haben - ähm - in innerbetrieblichen Schulungen, staatspolitischen Schulungen haben sie darüber zur Genüge erfahren.
Wer sich nicht überzeugen lassen will und wer bewusst und vorsätzlich zum Feind übergeht und sein Land und sein Volk verrät - der verdient keine andere Strafe als die aus dem Artikel 6 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik.
Ich beantrage wegen erwiesener Verbrechen nach diesem Gesetz, gegen - äh - den Angeklagten [blättert Papiere um] Laurenz, Karl, geboren am 11.09.1905, die Todesstrafe. [Luftschnappen im Hintergrund]
Ich beantrage nach diesem Gesetz wegen erwiesener Verbrechen gegen die Angeklagte [Elli Barczatis beginnt zu schluchzen, erstickt es vermutlich mittels Taschentuch] Barczatis, Elli, Helene, geboren am 07.01.1912, die Todesstrafe. [Elli Barczatis schreit auf]
Die Angeklagten, den Angeklagten ist das Vermögen einzuziehen.
[Elli Barczatis weint und schluchzt laut]
Haft im MfS
Die in der DDR herrschende diffuse Furcht vor dem Staatssicherheitsdienst hatte verschiedene Gründe. Die Angst, einfach abgeholt werden zu können und dann für unbestimmte Zeit zu verschwinden, spielte dabei eine nicht geringe Rolle. Reale Grundlage für diese Angst war das zwar geheime, aber zumindest durch Gerüchte und Vermutungen sehr präsente Haftsystem des MfS.
Schwerpunkt dieses Haftsystems waren 15 Untersuchungshaftanstalten (UHA) auf der Ebene der MfS-Bezirksverwaltungen. Außerdem gab es noch zwei UHA auf Ministeriumsebene in Ostberlin: in der Genslerstraße in Hohenschönhausen (UHA I) und in der Magdalenenstraße in Lichtenberg (UHA II). Das bekannteste MfS-Gefängnis war jedoch die Strafvollzugsanstalt Bautzen II, ein altes Gerichtsgefängnis in Bautzens Innenstadt. Formal betrachtet, unterstand dieses häufig als MfS-Sonderhaftanstalt bezeichnete Gefängnis jedoch der Verwaltung Strafvollzug des DDR-Innenministeriums (MdI); faktisch entschied hier jedoch das MfS über alle wichtigen Fragen, von der Auswahl der Angestellten bis zur Einweisung der Häftlinge.
Das größte MfS-Gefängnis war gleichzeitig das unbekannteste: In Berlin-Hohenschönhausen befand sich unmittelbar neben der Untersuchungshaftanstalt das sog. Lager X, ein Haftarbeitslager für bis zu 900 männliche Strafgefangene. Es existierte von Anfang der 50er bis Mitte der 70er Jahre. Weiterhin gab es in allen Untersuchungshaftanstalten des MfS eigene Strafgefangenenarbeitskommandos (SGAK).
Es gilt also zu unterscheiden zwischen Untersuchungshaft und Strafvollzug. Nur ein kleiner Teil der MfS-Untersuchungshäftlinge kam nach einer rechtskräftigen Verurteilung auch in den Strafvollzug des MfS. In Bautzen II wurden bekannte politische Häftlinge untergebracht, aber auch Gefangene, die wegen schwerwiegender Spionagevorwürfe verurteilt worden waren. Ins Lager X und in die SGAK der Untersuchungshaftanstalten wurden nur verhältnismäßig wenige politische Gefangene überstellt; hier wurden die Gefangenen vor allem für die Verrichtung von Arbeiten für das MfS eingesetzt und daher auch unter dem Gesichtspunkt beruflicher Qualifikation ausgewählt.
Dennoch wurden diese beiden Möglichkeiten wegen der - im Vergleich zum normalen Strafvollzug - besseren Haftbedingungen auch als Belohnung für besonders kooperative Häftlinge genutzt, gleichermaßen wegen der besonderen Geheimhaltung, aber auch zur Isolierung von straffällig gewordenen MfS-Mitarbeitern oder Funktionären aus Politik und Wirtschaft.
Das Hauptinteresse des MfS richtete sich auf die Untersuchungshaft. Hier führte das MfS in eigener Zuständigkeit strafprozessuale Ermittlungsverfahren durch und brachte die Beschuldigten in den eigenen Untersuchungshaftanstalten unter. Parallel zur normalen Untersuchungshaft, für die in der DDR seit 1952 nicht mehr die Justizverwaltung, sondern die Verwaltung Strafvollzug des MdI zuständig war, existierte hier ein paralleles Haftsystem für Beschuldigte, die vom MfS als Feinde eingestuft worden waren. Das gesonderte System umfasste nicht nur die Haftanstalten und die für die Ermittlungen zuständigen MfS-Mitarbeiter, sondern es erstreckte sich auch auf die Staatsanwaltschaften und Gerichte.
Für die Aufsicht in den vom MfS geführten Ermittlungsverfahren waren allein Staatsanwälte der Abteilungen I bzw. I A der General- bzw. Bezirksstaatsanwaltschaften zuständig, die vom MfS "bestätigt" worden waren. Das Gleiche galt für die für MfS-Fälle zuständigen Haftrichter. Formal wurden die Anforderungen der Strafprozessordnung zwar gewahrt, faktisch war jedoch das dort normierte System der Unterordnung der Ermittler unter die Staatsanwaltschaft sowie die Unabhängigkeit der Gerichte auf den Kopf gestellt (Justiz, Verhältnis des MfS zur).
Die Zuständigkeit für den Vollzug der Untersuchungshaft und den Strafvollzug lag im MfS bei der Abteilung XIV des Ministeriums sowie den ihr nachgeordneten Abteilungen XIV der Bezirksverwaltungen (Linie XIV). Für die Durchführung des Ermittlungsverfahrens waren die Hauptabteilung IX des Ministeriums sowie die ihr nachgeordneten Abteilungen IX der Bezirksverwaltungen (Linie IX), die im Außenkontakt als MfS-Untersuchungsabteilung firmierten, zuständig. Die Linien IX und XIV lagen im unmittelbaren Anleitungsbereich des Ministers für Staatssicherheit.
Die Haftbedingungen wandelten sich im Laufe der Zeit. Herrschten in den frühen 50er Jahren sehr einfache, an sowjetischen Verhältnissen orientierte, mitunter brutale Unterbringungs- und Umgangsformen vor - erinnert sei hier an das Kellergefängnis in Berlin-Hohenschönhausen, das sog. U-Boot -, besserten sich die materiellen Bedingungen danach langsam, aber kontinuierlich.
Von Häftlingen, die sowohl MfS- als auch MdI-Untersuchungshaftanstalten kennengelernt haben, werden die materiellen Unterbringungsbedingungen, also Zellenausstattung, Hygiene, Verpflegung etc. beim MfS regelmäßig als deutlich besser bezeichnet; innerhalb des MfS gab es ein Gefälle von der Ministeriumsebene zu den UHA der Bezirksverwaltungen. Umgekehrt wurden jedoch die Umgangsregeln beim MfS als unmenschlicher als beim MdI bezeichnet.
Beim MfS galt ein absolutes Primat der Sicherheit: Häftlinge wurden strikt voneinander getrennt; zwar gab es nicht nur Einzelhaft, aber es kam zu keinen zufälligen Begegnungen von Häftlingen untereinander. Sämtliche Kontakte wurden von der Untersuchungsabteilung gesteuert.
Die Häftlinge wurden außerhalb der Vernehmungen nicht mehr mit ihrem Namen, sondern nur mit einer Nummer angesprochen. MfS-Mitarbeitern war jede Kommunikation mit Häftlingen, die über das unbedingt dienstlich Erforderliche hinausging, streng verboten - schließlich hätten so Informationen vom MfS an die als Feinde betrachteten Häftlinge abfließen können. Alle eigentlich normalen Rechte von Inhaftierten, wie Besuchs-, Schreib-, Lese- oder Einkaufserlaubnis, Freigang, Versorgung mit Zigaretten, Kaffee oder Ähnliches, wurden als besondere Belohnung behandelt und von den Vernehmungsoffizieren zur gezielten Steuerung der Aussagebereitschaft eingesetzt.
Häftlinge fühlten sich so meist sehr schnell einem übermächtigen, weder durchschau- noch berechenbaren Apparat ohnmächtig ausgeliefert. Spezielle Methoden, wie die konspirative und überraschende Festnahme, die Einlieferung in geschlossenen Fahrzeugen, die Vermeidung jeglichen Sichtkontakts zu Orientierungspunkten außerhalb des Gefängnisses, die Wegnahme von Uhren und das Verbot von Schreibzeug und Aufzeichnungen in den Zellen, führten bei den Häftlingen oft zu einem Gefühl der räumlichen und zeitlichen Desorientierung.
Hinzu kam ein ausgeklügeltes Spitzelsystem unter den Häftlingen. Die Untersuchungsabteilungen sammelten gezielt Informationen unter den Häftlingen mit Hilfe angeworbener Zuträger, die zunächst als Kammeragenten (KA), später als Zelleninformatoren (ZI) bezeichnet wurden. Sie sollten von ihren Mithäftlingen jene Informationen erlangen, die diese in den Vernehmungen nicht preisgegeben hatten. Insbesondere in den 70er und 80er Jahren sollten sie Häftlinge oft aber auch nur in Gespräche zu bestimmten Themen oder Zusammenhängen verwickeln, die dann von der Untersuchungsabteilung mittels versteckter Abhöreinrichtungen in den Zellen aufgezeichnet und ausgewertet wurden.
Bei den Häftlingen führten diese Bedingungen häufig zu einem Gefühl psychischer Einkreisung, des Ausgeliefertseins und dem Schwinden jeglichen Widerstandsgeistes. Ohnehin hatten die meisten Häftlinge das berechtigte Empfinden einer extrem ungerechten Behandlung. Schließlich war seit Anfang der 60er Jahre die überwiegende Zahl Gefangener lediglich wegen ihrer Bestrebungen, die DDR in Richtung Westen zu verlassen, inhaftiert worden. Sie fühlten sich in ihrem Handeln im Einklang mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und diversen auch von der DDR unterzeichneten völkerrechtlichen Abkommen.
Eine weitere Häftlingsgruppe bildeten Menschen, die durch unerschrockene Wahrnehmung von oder Forderung nach politischen Rechten in den Augen der herrschenden Partei zu einer Gefahr für das Ansehen oder die Existenz der DDR geworden waren. Nur einem sehr kleinen Teil der Häftlinge wurden tatsächliche Staatsverbrechen zur Last gelegt.
Außerdem gab es neben den politischen Gefangenen auch noch Beschuldigte, denen gewöhnliche unpolitische Delikte angelastet wurden, die aber unter besonderer Geheimhaltung ermittelt und verhandelt werden sollten. Eine Rechtsgrundlage für den Betrieb von Untersuchungshaftanstalten durch das MfS gab es nicht. Der Strafvollzug des MfS widersprach seit Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes 1968 ausdrücklich der geltenden Rechtslage. Die strafprozessuale Ermittlungstätigkeit des MfS war erst seit 1968 in der Strafprozessordnung explizit geregelt, fand aber auch vorher statt.
Eine besondere Bedeutung hatten die MfS-Haftanstalten auch für die Praxis des Häftlingsfreikaufs durch die Bundesrepublik. Seitens der DDR wurden die konkreten Freikaufaktionen vom MfS koordiniert und durchgeführt. Sämtliche freigekauften Häftlinge durchliefen kurz vor ihrer Entlassung in die Bundesrepublik daher noch die MfS-Untersuchungshaftanstalt Karl-Marx-Stadt, in der die letzten Formalitäten erledigt wurden und von wo aus die Busse in die Bundesrepublik abfuhren.
Von 1950 bis 1968 geltende Bezeichnung für die gewöhnlichen inoffiziellen Mitarbeiter, in den ersten Jahren auch nur Informatoren genannt. 1968 wurden die GI überwiegend zu IMS. GI dienten vor allem der allgemeinen Informationsbeschaffung. Sie wurden dabei auch zunehmend zur Sicherung von Institutionen, zur Feststellung der Bevölkerungsstimmung, zur Überprüfung verdächtiger Personen, zur Verhinderung von Republikfluchten oder auch bei Ermittlungen und Fahndungen eingesetzt.
Staatsverbrechen waren im StEG/1957 (§§ 13-27) und in Kapitel 2 des StGB/1968 (§§ 96-111) beschriebene politische Straftaten, die in die Zuständigkeit des MfS als strafrechtliches Untersuchungsorgan (HA IX) fielen, weil eine staatsfeindliche Absicht und/oder eine staatsgefährdende Wirkung unterstellt wurden.
Zu den Staatsverbrechen zählten diktaturspezifisch kodifizierte "klassische" politische Straftaten wie Hochverrat und Spionagedelikte sowie als Meinungs- und Organisationsdelikte definierte Handlungen (Staatsfeindliche Hetze, Staatsfeindliche Gruppenbildung), die in demokratischen Staaten als Ausübung von Grundrechten gelten würden, außerdem unterschiedliche Handlungen oder Unterlassungen, bei denen den Tätern eine staatsfeindlich motivierte Schädigungsabsicht unterstellt wurde (Diversion, Sabotage).
Die als Staatsverbrechen bezeichneten Straftatbestände stehen überwiegend in sowjetischer Rechtstradition und gehen letztlich auf Artikel 58 des StGB der RSFSR ("Konterrevolutionäre Verbrechen") zurück. Bis Februar 1958 wurden sie von DDR-Gerichten in Ermangelung konkreter strafrechtlicher Regelungen pauschal mit Hilfe von Artikel VI der Verfassung von 1949 ("Boykott- und Kriegshetze") geahndet.
Staatsverbrechen galten als schwere Straftaten; bei einigen Tatbeständen (Hochverrat, Spionage, Terror, Diversion, Sabotage) umfasste der Strafrahmen bis 1987 auch die Todesstrafe.
Schlusswort von Karl Laurenz im Geheimprozess gegen ihn und Elli Barczatis wegen Spionage Audio, 10 Minuten, 46 Sekunden
Sitzungsbericht von Staatsanwalts Wolfgang Lindner über die Hauptverhandlung gegen Elli Barczatis und Karl Laurenz Dokument, 1 Seite
Anklageschrift gegen Karl Laurenz und Elli Barczatis Dokument, 19 Seiten
Eröffnung des Geheimprozesses gegen Elli Barczatis und Karl Laurenz wegen Spionage Audio, 4 Minuten, 7 Sekunden