Signatur: BArch, MfS, AU, Nr. 11554/78, Bd. 14, Bl. 117-119
Der Schriftsteller Jürgen Fuchs war ein Vertreter der Jenaer Kulturopposition, den die Stasi intensiv überwachte. Wegen eines Vortrags von SED-kritischen Texten wurde er 1975 auf Betreiben des Disziplinarausschusses der Friedrich-Schiller-Universität Jena kurz vor dem Examen vom Psychologiestudium exmatrikuliert.
Der Schriftsteller und Sozialpsychologe Jürgen Fuchs (1950-1999) engagierte sich politisch und literarisch für eine freie Rede in der DDR. Er beschäftigte sich früh mit marxistischen Werken und setzte sich in seinen literarischen Texten kritisch mit den Verhältnissen in der DDR auseinander.
Mit SED-kritischen Lyrik- und Prosawerken, die er während seiner Studienzeit verfasste, fiel er der Stasi bereits Anfang der 70er-Jahre auf. Wegen seiner angeblich "sozialismusfeindlichen Anschauungen" und "verleumderischen literarischen Arbeiten" folgten 1975 der Parteiausschluss und die Exmatrikulation vom Psychologiestudium kurz vor seinem Examen.
Am 19. November 1976 wurde Jürgen Fuchs wegen seines Engagements bei den Protesten gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns verhaftet. Bis zu seiner erzwungenen Ausbürgerung am 26. August 1977 befand er sich neun Monate in Untersuchungshaft im Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen. Während seiner Haft war er neben langwierigen täglichen Vernehmungen auch den Schikanen eines vom MfS instruierten Zellenspitzels ausgesetzt. Die Erfahrungen seiner Stasi-Haft und der Verhöre durch MfS-Mitarbeiter verarbeitete Jürgen Fuchs in seinem Werk "Vernehmungsprotokolle". Diese veröffentlichte er 1977 zunächst als Artikelserie in DER SPIEGEL und später als Buch.
Auch nach seiner Entlassung und der Abschiebung nach West-Berlin ließ die Stasi nicht von Fuchs ab. Im Gegenteil - sie intensivierte sogar die bestehenden Überwachungsmaßnahmen gegen den Schriftsteller und sein Umfeld. Der ehemalige DDR-Häftling Fuchs publizierte weiterhin und prangerte Missstände in der DDR an. Von West-Berlin aus unterstützte er mithilfe seiner neuen Kontakte zu westlichen Medien und linken politischen Kreisen Oppositionsbewegungen in der DDR, Polen und der ČSSR. Das alles machte ihn in den Augen des MfS zu einem gefährlichen Staatsfeind. Die Stasi überwachte nicht nur jede seiner öffentlichen Aktionen, sondern drang auch in sein Privatleben ein und versuchte ihm und seiner Familie mit "Zersetzungsmaßnahmen" zu schaden.
Am 15. Juni 1975 tagte der Disziplinarausschuss der Friedrich-Schiller-Universität Jena und beschloss die Exmatrikulation von Jürgen Fuchs. Wegen "Schädigung des Ansehens der Universität in der Öffentlichkeit" wurde der Student der Psychologie nur wenige Wochen vor dem Abschluss seines Examens vom Studium ausgeschlossen. Der Grund für das Disziplinarverfahren war Fuchs‘ Auftritt bei einer Kulturveranstaltung am 7. Februar 1975 in Bad Köstritz. Dort hatte er einige Prosastücke mit angeblich "klassenfeindliche[r] Tendenz" vorgetragen.
Friedrich-Schiller-Universität
Disziplinarausschuß für Studierende
Protokoll
über die mündliche Verhandlung vom 17.06.1975 in dem Disziplinarverfahren gegen den Studenten der Sektion Psychologie
Jürgen Fuchs
wegen Schädigung des Ansehens der Universität in der Öffentlichkeit.
Es erschienen:
Herr Prof.Dr.habil.Paul als stellv. Vorsitzender
Herr Prof.Dr.Hiebsch - Direktor der Sektion Psychologie
Herr Prof.Fischer - Direktor EAW
Herr Dr.Wächter - 1. FDJ-Sekretär der FDJ-HSGL
Herr Dr.Ludwig - Vertreter der UGL
Fräulein Otto - FDJ-Sekretär der Sektion
Fräulein Söllner - FDJ-Sekretär der Gruppe
Herr Fuchs als Beschuldigter
Der Vorsitzende trug den Antrag der Sektion Psychologie auf Einleitung eines Disziplinarverfahrens vor und wies darauf hin, daß es im Disziplinarverfahren nicht darum gehe, mit dem Beschuldigten über inhaltliche Fragen seiner schriftstellerischen Erzeugnisse zu diskutieren. Das sei hinlänglich aus verschiedenem Anlaß in der Sektion geschehen. Aufgabe des Disziplinarverfahrens sei es, darüber zu entscheiden, ob das, was der Beschuldigte geschrieben und in der Öffentlichkeit vorgetragen habe, mit dem Status eines Studenten einer sozialistischen Universität vereinbar sei.
Sektionsdirektor Hiebsch informierte über das durchgeführte Parteiverfahren, formulierte seinen und den Sektionsstandpunkt dahin, daß es der Arbeiterklasse nicht zugemutet werden könne, solche klassenfeindlichen Angriffe hinzunehmen.
Der Beschuldigte erklärte dazu, daß er den Sektionsdirektor Hiebsch das Recht abspreche, im Namen der Arbeiterklasse zu reden. Im übrigen hätten die Genossen in der Parteigruppe eine offizielle Meinung geäußert, die mit ihrer privaten Meinung nicht übereinstimme.
Die Mitglieder des Disziplinarausschusses verurteilten das Auftreten des Beschuldigten, insbesondere seine Äußerung gegen Prof.Dr.Hiebsch. Sie legten ihren Standpunkt dar, daß nach dem, was schwarz auf weiß vorliegt, entschieden werden müsse. Sie kritisierten weiter die überhebliche Haltung des Beschuldigten, der für sich in Anspruch nahm, allein Recht zu haben, ohne sich zu bemühen, die Meinung der ektion und des Disziplinarausschusses selbstkritisch zu überdenken.
Nach geheimer Beratung verkündete der Vorsitzende folgenden Beschluß des Disziplinarausschusses:
Der Student der Sektion Psychologie
Jürgen Fuchs
wird wegen Schädigung des Ansehens der Universität in der Öffentlichkeit
zeitweilig
vom Studium an allen Universitäten und Hochschulen der DDR ausgeschlossen. Der Beschuldigte wurde über das ihm zustehende Rechtsmittel belehrt.
[Unterschrift: Paul]
Prof. Dr. Paul
[Unterschrift: Dittrich]
Dittrich
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
Untersuchungshaft ist eine freiheitsentziehende Zwangsmaßnahme zur Sicherung des Strafverfahrens. Die Untersuchungshaft begann nach der Verkündung des Haftbefehls durch einen Richter und endete mit der Überstellung in den Strafvollzug nach Erlangung der Rechtskraft einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, selten auch mit der Freilassung.
Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft waren ein dringender Tatverdacht sowie entweder Fluchtverdacht oder Verdunklungsgefahr (§ 112 StPO/1949, § 141 StPO/1952, § 122 StPO/1968). Der Vollzug der Untersuchungshaft war gesetzlich mit nur einem StPO-Paragraphen geregelt (§ 116 StPO/1949, § 147 StPO/1952, § 130 StPO/1968), alles Weitere in internen Ordnungen. Er erfolgte für Beschuldigte, deren Ermittlungsverfahren von der Staatssicherheit geführt wurden, in MfS-Untersuchungshaftanstalten in Berlin bzw. den Bezirksstädten der DDR.
Die Haftbedingungen waren dort von Willkür, völliger Isolation und daraus resultierender Desorientierung der Häftlinge gekennzeichnet. Für den Vollzug der Untersuchungshaft war im MfS die Linie XIV (Abt. XIV) zuständig; die Vernehmungen oblagen den Untersuchungsführern der Linie IX (HA IX).
Zersetzung war eine Methode der verdeckten Bekämpfung von Personen und Personengruppen, die vom MfS als "feindlich-negativ" angesehen wurden. Ziel der Zersetzung war laut der hier einschlägigen Richtlinie zur Bearbeitung Operativer Vorgänge von 1976, gegnerische Kräfte zu zersplittern, zu lähmen, zu desorganisieren und sie untereinander und von der Umwelt zu isolieren. "Feindliche" Handlungen sollten so vorbeugend verhindert, eingeschränkt oder unterbunden werden.
Ziele der Zersetzung waren zumeist staatsunabhängige Friedens-,Ökologie- und Menschenrechtsgruppen, Ausreiseantragsteller, aktive Christen sowie Personen und Organisationen im Operationsgebiet, die das MfS der politischen Untergrundtätigkeit gegen die DDR verdächtigte.
Gegen einzelne Personen gerichtete Maßnahmen der Zersetzung waren gemäß Richtlinie 1/76 etwa die "systematische Diskreditierung des öffentlichen Rufes, des Ansehens und des Prestiges auf der Grundlage miteinander verbundener wahrer, überprüfbarer diskreditierender sowie unwahrer, glaubhafter, nicht widerlegbarer und damit ebenfalls diskreditierender Angaben" oder die "systematische Organisierung beruflicher und gesellschaftlicher Misserfolge zur Untergrabung des Selbstvertrauens".
In Gruppierungen versuchte das MfS Misstrauen, Neid, Rivalitäten und gegenseitige Verdächtigung zu erzeugen und sie im Zusammenwirken mit anderen Staatsorganen durch Arbeitsplatzbindungen, Berufsverbote, Einberufungen zum Wehrdienst oder Zwangsausbürgerungen zu paralysieren. Die Zersetzung entfaltete ihre Wirksamkeit häufig durch den kombinierten Einsatz unterschiedlicher Maßnahmen in einer längerwährenden Aktion.
Die von Jürgen Fuchs als "leiser Terror" bezeichnete Zersetzung galt laut Richtlinie als "relativ selbständige Art des Abschlusses Operativer Vorgänge" und diente somit als Ersatz für Strafverfolgungsmaßnahmen, die in der Honecker-Ära insbesondere bei der Bekämpfung von Oppositionellen aus Gründen der internationalen Reputation häufig politisch nicht mehr opportun waren.
Vor der Umsetzung von Maßnahmen der Zersetzung waren entsprechende Pläne detailliert auszuarbeiten, die vom Leiter der jeweiligen HA, selbständigen Abteilung oder BV oder im Falle von Organisationen, Gruppen oder herausgehobenen Persönlichkeiten vom Minister oder seinem zuständigen Stellvertreter bestätigt werden mussten.
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Signatur: BArch, MfS, AU, Nr. 11554/78, Bd. 14, Bl. 117-119
Der Schriftsteller Jürgen Fuchs war ein Vertreter der Jenaer Kulturopposition, den die Stasi intensiv überwachte. Wegen eines Vortrags von SED-kritischen Texten wurde er 1975 auf Betreiben des Disziplinarausschusses der Friedrich-Schiller-Universität Jena kurz vor dem Examen vom Psychologiestudium exmatrikuliert.
Der Schriftsteller und Sozialpsychologe Jürgen Fuchs (1950-1999) engagierte sich politisch und literarisch für eine freie Rede in der DDR. Er beschäftigte sich früh mit marxistischen Werken und setzte sich in seinen literarischen Texten kritisch mit den Verhältnissen in der DDR auseinander.
Mit SED-kritischen Lyrik- und Prosawerken, die er während seiner Studienzeit verfasste, fiel er der Stasi bereits Anfang der 70er-Jahre auf. Wegen seiner angeblich "sozialismusfeindlichen Anschauungen" und "verleumderischen literarischen Arbeiten" folgten 1975 der Parteiausschluss und die Exmatrikulation vom Psychologiestudium kurz vor seinem Examen.
Am 19. November 1976 wurde Jürgen Fuchs wegen seines Engagements bei den Protesten gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns verhaftet. Bis zu seiner erzwungenen Ausbürgerung am 26. August 1977 befand er sich neun Monate in Untersuchungshaft im Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen. Während seiner Haft war er neben langwierigen täglichen Vernehmungen auch den Schikanen eines vom MfS instruierten Zellenspitzels ausgesetzt. Die Erfahrungen seiner Stasi-Haft und der Verhöre durch MfS-Mitarbeiter verarbeitete Jürgen Fuchs in seinem Werk "Vernehmungsprotokolle". Diese veröffentlichte er 1977 zunächst als Artikelserie in DER SPIEGEL und später als Buch.
Auch nach seiner Entlassung und der Abschiebung nach West-Berlin ließ die Stasi nicht von Fuchs ab. Im Gegenteil - sie intensivierte sogar die bestehenden Überwachungsmaßnahmen gegen den Schriftsteller und sein Umfeld. Der ehemalige DDR-Häftling Fuchs publizierte weiterhin und prangerte Missstände in der DDR an. Von West-Berlin aus unterstützte er mithilfe seiner neuen Kontakte zu westlichen Medien und linken politischen Kreisen Oppositionsbewegungen in der DDR, Polen und der ČSSR. Das alles machte ihn in den Augen des MfS zu einem gefährlichen Staatsfeind. Die Stasi überwachte nicht nur jede seiner öffentlichen Aktionen, sondern drang auch in sein Privatleben ein und versuchte ihm und seiner Familie mit "Zersetzungsmaßnahmen" zu schaden.
Am 15. Juni 1975 tagte der Disziplinarausschuss der Friedrich-Schiller-Universität Jena und beschloss die Exmatrikulation von Jürgen Fuchs. Wegen "Schädigung des Ansehens der Universität in der Öffentlichkeit" wurde der Student der Psychologie nur wenige Wochen vor dem Abschluss seines Examens vom Studium ausgeschlossen. Der Grund für das Disziplinarverfahren war Fuchs‘ Auftritt bei einer Kulturveranstaltung am 7. Februar 1975 in Bad Köstritz. Dort hatte er einige Prosastücke mit angeblich "klassenfeindliche[r] Tendenz" vorgetragen.
Friedrich-Schiller-Universität
Disziplinarausschuß für Studierende
In dem Verfahren
gegen den Studenten der Sektion Psychologie
Jürgen Fuchs
hat der Disziplinarausschuß für Studierende an der Friedrich-Schiller-Universität auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 17.06.1975 durch
Herrn Prof.Dr.habil.Paul als stellv. Vorsitzenden
Herrn Prof.Dr.Hiebsch - Direktor der Sektion Psychologie
Herrn Prof.Fischer - Direktor EAW
Herrn Dr.Wächter - 1. FDJ-Sekretär der FDJ-HSGL
Herrn Dr.Ludwig - Vertreter der UGL
Fräulein Otto - FDJ-Sekretär der Sektion
Fräulein Söllner - FDJ-Sekretär der Gruppe
beschlossen:
Jürgen Fuchs
wird wegen Schädigung des Ansehens der Universität in der Öffentlichkeit
zeitweilig
vom Studium an allen Universitäten und Hochschulen der DDR ausgeschlossen.
Begründung:
Der Beschuldigte steht kure vor Abschluß seines Studiums an der Sektion Psychologie. Er betätigt sich seit einiger Zeit schriftstellerisch. Am 07.02.1975 hat er einige Prosastücke auf einer öffentlichen Veranstaltung des Kulturbundes der DDR in Bad Köstritz vorgetragen. Diese Prosastücke, die dem Disziplinarausschuß vorlagen und zu den Akten genommen wurden, waren eine ausgesprochene klassenfeindliche Tendenz. Sie verunglimpfen die sozialistische Gesellschaftsordnung in der DDR auf eine schmutzige Weise. In den danach geführten Aussprachen - Partei- und FDJ-Verfahren - nahm Fuchs eine uneinsichtige überhebliche Position ein. Er erkannte nicht an, in seinen literarischen Erzeugnissen den Standpunkt des Klassenfeindes vertreten zu haben.
Der Direktor der Sektion Psychologie hat ein Disziplinarverfahren beantragt, das vom Rektor am 28.05.1975 eröffnet wurde. In der heute durchgeführten Beratung wurde der Beschuldigte gehört. Auf die eindringlichen Vorhaltungen der Mitglieder des Disziplinarausschusses über die politische Wertung seiner Prosastücke reagierte er wiederum überheblich. Er verstieg sich sogar zu der Äußerung, er spreche Prof.Hiebsch das Recht ab, im Namen der Arbeiterklasse aufzutreten.
Der Disziplinarausschuß ist der Auffassung, daß die Prosastücke eine Geisteshaltung offenbaren, die es ausschließt, dem Beschuldigten sein Studium beenden zu lassen.
bitte wenden!
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
Untersuchungshaft ist eine freiheitsentziehende Zwangsmaßnahme zur Sicherung des Strafverfahrens. Die Untersuchungshaft begann nach der Verkündung des Haftbefehls durch einen Richter und endete mit der Überstellung in den Strafvollzug nach Erlangung der Rechtskraft einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, selten auch mit der Freilassung.
Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft waren ein dringender Tatverdacht sowie entweder Fluchtverdacht oder Verdunklungsgefahr (§ 112 StPO/1949, § 141 StPO/1952, § 122 StPO/1968). Der Vollzug der Untersuchungshaft war gesetzlich mit nur einem StPO-Paragraphen geregelt (§ 116 StPO/1949, § 147 StPO/1952, § 130 StPO/1968), alles Weitere in internen Ordnungen. Er erfolgte für Beschuldigte, deren Ermittlungsverfahren von der Staatssicherheit geführt wurden, in MfS-Untersuchungshaftanstalten in Berlin bzw. den Bezirksstädten der DDR.
Die Haftbedingungen waren dort von Willkür, völliger Isolation und daraus resultierender Desorientierung der Häftlinge gekennzeichnet. Für den Vollzug der Untersuchungshaft war im MfS die Linie XIV (Abt. XIV) zuständig; die Vernehmungen oblagen den Untersuchungsführern der Linie IX (HA IX).
Zersetzung war eine Methode der verdeckten Bekämpfung von Personen und Personengruppen, die vom MfS als "feindlich-negativ" angesehen wurden. Ziel der Zersetzung war laut der hier einschlägigen Richtlinie zur Bearbeitung Operativer Vorgänge von 1976, gegnerische Kräfte zu zersplittern, zu lähmen, zu desorganisieren und sie untereinander und von der Umwelt zu isolieren. "Feindliche" Handlungen sollten so vorbeugend verhindert, eingeschränkt oder unterbunden werden.
Ziele der Zersetzung waren zumeist staatsunabhängige Friedens-,Ökologie- und Menschenrechtsgruppen, Ausreiseantragsteller, aktive Christen sowie Personen und Organisationen im Operationsgebiet, die das MfS der politischen Untergrundtätigkeit gegen die DDR verdächtigte.
Gegen einzelne Personen gerichtete Maßnahmen der Zersetzung waren gemäß Richtlinie 1/76 etwa die "systematische Diskreditierung des öffentlichen Rufes, des Ansehens und des Prestiges auf der Grundlage miteinander verbundener wahrer, überprüfbarer diskreditierender sowie unwahrer, glaubhafter, nicht widerlegbarer und damit ebenfalls diskreditierender Angaben" oder die "systematische Organisierung beruflicher und gesellschaftlicher Misserfolge zur Untergrabung des Selbstvertrauens".
In Gruppierungen versuchte das MfS Misstrauen, Neid, Rivalitäten und gegenseitige Verdächtigung zu erzeugen und sie im Zusammenwirken mit anderen Staatsorganen durch Arbeitsplatzbindungen, Berufsverbote, Einberufungen zum Wehrdienst oder Zwangsausbürgerungen zu paralysieren. Die Zersetzung entfaltete ihre Wirksamkeit häufig durch den kombinierten Einsatz unterschiedlicher Maßnahmen in einer längerwährenden Aktion.
Die von Jürgen Fuchs als "leiser Terror" bezeichnete Zersetzung galt laut Richtlinie als "relativ selbständige Art des Abschlusses Operativer Vorgänge" und diente somit als Ersatz für Strafverfolgungsmaßnahmen, die in der Honecker-Ära insbesondere bei der Bekämpfung von Oppositionellen aus Gründen der internationalen Reputation häufig politisch nicht mehr opportun waren.
Vor der Umsetzung von Maßnahmen der Zersetzung waren entsprechende Pläne detailliert auszuarbeiten, die vom Leiter der jeweiligen HA, selbständigen Abteilung oder BV oder im Falle von Organisationen, Gruppen oder herausgehobenen Persönlichkeiten vom Minister oder seinem zuständigen Stellvertreter bestätigt werden mussten.
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Gutachten über die literarischen Werke von Jürgen Fuchs Dokument, 18 Seiten
Maßnahmeplan im Ermittlungsverfahren gegen Jürgen Fuchs Dokument, 3 Seiten
Interne Stellungnahme des MfS zu Jürgen Fuchs’ Artikelserie in der Zeitschrift DER SPIEGEL Dokument, 7 Seiten
Vernehmungsprotokoll und Aktenvermerk zur Verweigerung einer Aussage von Jürgen Fuchs Dokument, 3 Seiten