Signatur: BStU, MfS, HA I, Nr. 5753, Bl. 2-5
Im April 1989 hob SED-Generalsekretär Erich Honecker den Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze auf. Er reagierte damit auch auf eine Aussage seines Verteidigungsministers, einen solchen Befehl habe es nie gegeben.
Das Verlangen vieler Bürger, die DDR für immer zu verlassen, war ein unlösbares Problem für die SED-Diktatur. Die Brutalität der Verhältnisse an der innerdeutschen Grenze wurde deutlich an den Todesopfern, die sie forderten. Todesfälle an der Grenze lösten in West und Ost Empörung aus, auch weil es der neuen Entspannung in den Beziehungen zwischen den beiden Blöcken Ende der 1980er Jahre eklatant widersprach.
SED-Generalsekretär Erich Honecker, der politisch ohnehin durch Gorbatschows Politik von Glasnost und Perestroika geschwächt war, kam so unter Druck, dass er sich zu einer einschneidenden Veränderung des Grenzregiments gezwungen sah: Der Schießbefehl wurde faktisch aufgehoben.
Die Weisung Honeckers, den Schießbefehl aufzuheben, erfolgte mündlich, in einem Gespräch mit Egon Krenz, dem ZK-Sekretär für Sicherheit. Krenz informierte darüber den stellvertretenden Verteidigungsminister, Generaloberst Fritz Streletz am 2. April 1989. Der wiederum setzte die verantwortlichen Befehlshaber von Grenztruppen und Nationaler Volksarmee in Kenntnis.
Dies geht aus dem vorliegenden Gesprächsprotokoll hervor. Streletz unterrichtete den Chef der Grenztruppen, Generaloberst Klaus-Dieter Baumgarten, den Chef der Politischen Verwaltung der Nationalen Volksarmee, Generalleutnant Günter Lorenz, und den Chef des Stabes Generalmajor Dieter Teichmann.
Das Ende der Schüsse an der Mauer ist im Dokument etwas verklausuliert formuliert. Honecker lasse ausrichten: "Wenn der Minister für Nationale Verteidigung sagt, daß kein Schießbefehl existiert, dann darf man auch an der Staatssgrenze nicht schießen oder der Verteidigungsminister verliert an Glaubwürdigkeit." Verständlich ist das nur vor dem Hintergrund, dass dieser Minister, Heinz Kessler, in einem Interview behauptet hatte: "Es hat nie - nie! - einen Schießbefehl gegeben." (in: "Die Zeit" vom 30.9.1988) Nun erklärte Honecker: "Es darf nicht auf fliehende Menschen geschossen werden, wenn es keinen Schießbefehl gibt."
Grenztruppen
Der Deutschen Demokratischen Republik
Stellvertreter des Chefs und Chef des Stabes
O.U., den 04.04.1989
Niederschrift
über die Rücksprache beim Minister für Nationale Verteidigung, i.V. Generaloberst Streletz, am 03.04.1989
An der Rücksprache nahmen teil:
(1) Stellvertreter des Ministers und Chef der Grenztruppen; Generaloberst Baumgarten
(2) Stellvertreter des Chefs und Chef der Politischen Verwaltung; Generalleutnant Lorenz
(3) Stellvertreter des Chefs und Chef des Stabes; Generalmajor Teichmann
Unter Bezugnahme auf eine telefonische Rücksprache mit dem Mitglied des Politbüros, Genossen E. Krenz, am 02.04.1989 zur Entwicklung der Lage an der Staatsgrenze führte Generaloberst Streletz aus:
1. Der Generalsekretär unserer Partei hat seine Unzufriedenheit über die Entwicklung der Lage an der Staatsgrenze zum Ausdruck gebracht. Obwohl in den Grenztruppen 48.000 Mann (?) zur Verfügung stehen, kommt es zu solchen schwerwiegenden Vorkommnissen - wie in den letzten Tagen - und es wird die Frage gestellt
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Signatur: BStU, MfS, HA I, Nr. 5753, Bl. 2-5
Im April 1989 hob SED-Generalsekretär Erich Honecker den Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze auf. Er reagierte damit auch auf eine Aussage seines Verteidigungsministers, einen solchen Befehl habe es nie gegeben.
Das Verlangen vieler Bürger, die DDR für immer zu verlassen, war ein unlösbares Problem für die SED-Diktatur. Die Brutalität der Verhältnisse an der innerdeutschen Grenze wurde deutlich an den Todesopfern, die sie forderten. Todesfälle an der Grenze lösten in West und Ost Empörung aus, auch weil es der neuen Entspannung in den Beziehungen zwischen den beiden Blöcken Ende der 1980er Jahre eklatant widersprach.
SED-Generalsekretär Erich Honecker, der politisch ohnehin durch Gorbatschows Politik von Glasnost und Perestroika geschwächt war, kam so unter Druck, dass er sich zu einer einschneidenden Veränderung des Grenzregiments gezwungen sah: Der Schießbefehl wurde faktisch aufgehoben.
Die Weisung Honeckers, den Schießbefehl aufzuheben, erfolgte mündlich, in einem Gespräch mit Egon Krenz, dem ZK-Sekretär für Sicherheit. Krenz informierte darüber den stellvertretenden Verteidigungsminister, Generaloberst Fritz Streletz am 2. April 1989. Der wiederum setzte die verantwortlichen Befehlshaber von Grenztruppen und Nationaler Volksarmee in Kenntnis.
Dies geht aus dem vorliegenden Gesprächsprotokoll hervor. Streletz unterrichtete den Chef der Grenztruppen, Generaloberst Klaus-Dieter Baumgarten, den Chef der Politischen Verwaltung der Nationalen Volksarmee, Generalleutnant Günter Lorenz, und den Chef des Stabes Generalmajor Dieter Teichmann.
Das Ende der Schüsse an der Mauer ist im Dokument etwas verklausuliert formuliert. Honecker lasse ausrichten: "Wenn der Minister für Nationale Verteidigung sagt, daß kein Schießbefehl existiert, dann darf man auch an der Staatssgrenze nicht schießen oder der Verteidigungsminister verliert an Glaubwürdigkeit." Verständlich ist das nur vor dem Hintergrund, dass dieser Minister, Heinz Kessler, in einem Interview behauptet hatte: "Es hat nie - nie! - einen Schießbefehl gegeben." (in: "Die Zeit" vom 30.9.1988) Nun erklärte Honecker: "Es darf nicht auf fliehende Menschen geschossen werden, wenn es keinen Schießbefehl gibt."
Wichtig ist, daß die Führung des Kommandos der Grenztruppen die Ursachen dieser Vorkommnisse gründlicher als bisher auswertet und dafür Sorge trägt, daß sich so etwas nicht wiederholt.
2. Zur Anwendung der Schußwaffe an der Staatsgrenze:
Wenn der Minister für Nationale Verteidigung sagt, daß kein Schießbefehl existiert, dann darf man auch an der Staatsgrenze nicht schießen oder der Verteidigungsminister verliert an Glaubwürdigkeit.
Es darf nicht auf fliehende Menschen geschossen werden, wenn es keinen Schießbefehl gibt.
Es muß durchgesetzt werden, daß nur dann geschossen wird, wenn Leib und Leben der Grenzsoldaten gefährdet werden.
3. Es sollte geprüft werden, an der Staatsgrenze mehr und tiefere Gräben, mehr und bessere Hindernisse aufzubauen, damit keiner mit Fahrzeug durchbrechen kann.
Diese Anlagen sollten so aufgebaut werden, daß sie vom Gegner nicht einsehbar sind. Auch die Blumenkastensperren an den Grenzübergangsstellen bieten kein schönes Bild und sollten kulturvoller gestaltet werden.
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