Reaktion der Bevölkerung auf das SED-SPD-Grundsatzpapier
Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 4230, Bl. 1-9
Im Grundsatzpapier „Streit der Ideologien und gemeinsame Sicherheit“ hielten SED und SPD ihren gemeinsamen Willen zur friedlichen Koexistenz beider deutscher Staaten fest. Die Reaktionen auf das Papier in der DDR dokumentierte die Stasi in einem Bericht an die MfS-Führung.
Während einer Phase verschärfter Spannungen zwischen Ost und West begannen SPD und SED einen historisch bedeutsamen Dialog. Von 1984 bis 1989 diskutierten die Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED und die Grundwertekommission der SPD intensiv über weltanschauliche und politische Grundsatzfragen. Die Gespräche mündeten 1987 in der gemeinsamen Erklärung „Streit der Ideologien und gemeinsame Sicherheit“. Sie zeigt den gemeinsamen Willen beider Parteien zur friedlichen Koexistenz zweier deutscher Staaten.
Das sogenannte SED-SPD-Grundsatzpapier wurde in den Monaten nach seiner Vorstellung am 27. August 1987 sowohl im Osten als auch im Westen diskutiert. Am 24. September 1987 fasste die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) die Reaktionen der DDR-Bevölkerung zusammen.
Das MfS vermerkt in diesem Dokument, dass die Tendenz in dem Papier grundsätzlich Anklang findet, sowohl bei den SED-Funktionären als auch in der Bevölkerung. Einige bezweifelten, dass die SPD so ein Papier mit verfasst hätte, wäre sie in der Regierung. Es würde die Frage aufgeworfen, ob die Feststellungen nicht "im Widerspruch zur marxistisch-leninistischen Theorie" stünden.
Metadaten
- Diensteinheit:
- Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe
- Datum:
- 24.9.1987
Diese Informationspolitik müßte ihrer Meinung nach unter Nutzung der in der DDR vorhandenen Medienbreite differenzierter erfolgen und gezielter auf zu erwartende Angriffe des Gegners offensiv reagieren.
In Einzelfällen wird die Meinung vertreten, man müsse sich auf eine völlig neue Denkweise einstellen. Die DDR werde nicht umhinkommen, noch mehr "Informationsreisen" in die BRD zu gestatten, damit sich "auch der einfache DDR-Bürger" ein objektives Bild vom Leben in der BRD machen könne. Auch werde sich auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens eine "weitere Öffnung" erforderlich machen.
Erste Reaktionen feindlich-negativer Personen, insbesondere im Sinne politischer Untergrundtätigkeit wirkender Kräfte, zum Dokument beinhalten insbesondere Meinungsäußerungen zu den Problemen Abbau von Feindbildern sowie Friedens- und Reformfähigkeit beider Gesellschaftssysteme, wobei diese Aussagen als Rechtfertigung und Bestätigung ihrer bisherigen politischen Grundhaltung und für ihre feindlich-negativen Aktivitäten angesehen werden. Seitens dieser Kräfte werden "günstige Bedingungen" gesehen, ihre hinlänglich bekannten Ziele weiter zu verfolgen. Von einzelnen Exponenten politischer Untergrundtätigkeit wird die Auffassung vertreten, die SPD würde in dem Dokument auf die parlamentarische Demokratie, deren Grundwerte und den Pluralismus orientieren, während die SED nur "ihren Anspruch auf die Macht der Arbeiterklasse" formuliere. Beide Parteien gingen wie selbstverständlich davon aus, daß im friedlichen Wettstreit der Systeme die eine oder andere Seite "gewinnen" werde und würden nicht sehen, daß es vielleicht noch ganz andere Vorstellungen zur gesellschaftlichen Entwicklung gibt. Die Aussagen im Dokument müßten ihrer Auffassung nach "jeden strammen Funktionär" erschüttern, denn ihm würden von "Kindesbeinen an die heiligen Marx'schen und Lenin'schen Thesen eingetrichtert" und dies entspreche nicht mehr dem, was in dem Dokument stehe. Auch könne nun dieses "Papier" für den einzelnen zum Anlaß genommen werden, "seine Rechte einzuklagen".
[Teil des Absatzes ist handschriftlich markiert.]