Signatur: BStU, MfS, SdM, Nr. 1201, Bl. 134-136
Mit großen Sorgen beobachtete die SED die Ereignisse rund um den ungarischen Volksaufstand. In dem Entwurf eines Briefes an die MfS-Parteiorganisationen rief ZK-Sicherheitssekretär Erich Honecker die Staatssicherheit zu erhöhter Wachsamkeit auf. Der Minister für Staatssicherheit Ernst Wollweber reagierte mit ausführlichen Anmerkungen auf die Verbesserung seines Entwurfs.
Am 23. Oktober 1956 forderten Studenten der Budapester Universitäten auf einer Großdemonstration bürgerliche Freiheitsrechte, ein parlamentarisches Regierungssystem und nationale Unabhängigkeit. Sie bekundeten damit ihre Sympathie für einen Arbeiteraufstand in Polen drei Monate zuvor. Zudem verlangten die Demonstranten die Rückkehr von Imre Nagy als Ministerpräsident. Er hatte das Land von 1953 bis 1955 regiert und dabei einige Reformen angestoßen.
Dieser Volksaufstand in Ungarn vom Herbst 1956 löste beim Ministerium für Staatssicherheit (MfS) Unruhe aus. Die Erinnerungen an den Volksaufstand in der DDR vom 17. Juni 1953 waren noch frisch und die ostdeutsche Geheimpolizei wollte um jeden Preis verhindern, dass die explosive Stimmung auf das eigene Land übersprang. Die SED-Parteizeitung "Neues Deutschland" sprach schon am 25. Oktober von einem "Putsch konterrevolutionärer Elemente". Die DDR-Führung versuchte die Bevölkerung durch sozialpolitisches Entgegenkommen zu beruhigen und das MfS wollte die Bürger durch Abschreckung disziplinieren.
Im vorliegenden Brief antwortet der Minister für Staatssicherheit, Ernst Wollweber, dem ZK-Sicherheitssekretär, Erich Honecker, auf den Entwurf eines Schreibens an alle MfS-Parteiorganisationen.
29.11.1956
An den
Genossen Erich Honecker
Werter Genosse Honecker!
Zum Entwurf des Briefes an alle Parteiorganisationen des Ministeriums für Staatssicherheit folgendes:
Zuerst allgemeine Bemerkungen. Im Brief sind eine Reihe überflüssiger
Feststellungen, die zwar nicht falsch sind, aber zu allgemein.
Z.B. auf Seite 4 ..eine Hauptschwäche besteht vor allem darin, oder auf Seite 5 ..ein außerordentlicher Mangel besteht gegenwärtig vor allen Dingen noch darin..usw.. Der Entwurf muß also meiner Ansicht nach mehr umgestellt werden von verbessern, verstärken usw. auf ändern, und zwar durch Hinweise, wie ändern. Dazu folgendes: Es ist nach meiner Ansicht richtig, auszugehen von den Feststellungen des Genossen Ulbricht während der 29. Tagung und der im Bericht des Politbüros vorliegenden Formulierung über die Staatssicherheit.
Es muß im Zentrum die Aufgabe gestellt werden, daß in der jetzigen Zeit es darauf ankommt, die Republik zu jeder Zeit, an jedem Ort gegen jede Art der Provokation zu sichern. Daß also die Organe der Staatssicherheit insbesondere durch die Parteiarbeit auf jenes höchstmögliche Maß der Kampffähigkeit gebracht werden, die diese Aufgabe erfordert.
Im Brief muß nach meiner Ansicht sehr stark zum Ausdruck kommen, daß das Kriterium zur Beurteilung jedes Mitarbeiters der Staatssicherheit darin besteht, wie er die Arbeit mit den Informatoren durchführt, welche Nachrichten er bringt, die die Absichten des Feindes und die feindlichen Umtriebe aufdecken. Im tschekistischen Teil der Staatssicherheit hängt alles davon ab, wie die Mitarbeiter mit den Informatoren arbeiten, und natürlich, welche Informatoren sie haben.
In den militärischen Formationen der Staatssicherheit kommt es darauf 1 an, ein solches daß der Einsatzbereitschaft, der Verteilung und des Einsatzes der Kräfte zu erreichen, daß man imstande ist, jeden Provokationsversuch im Keime zu ersticken. Darauf muß der Brief eingestellt sein.
1971 hervorgegangen aus dem Büro der Leitung. Seine Aufgaben waren
Zur Legitimation der DDR-Geheimpolizei diente eine spezifische Ausformung der marxistisch-leninistischen Ideologie, die rückblickend als "Tschekismus" bezeichnet werden kann. Das MfS konstruierte damit ein normatives Gefüge, dessen Begriffskern die Berufung auf die 1917 von den Bolschewiki gegründete sowjetische Geheimpolizei Tscheka (oder ČK – russ.: Außerordentliche Allrussische Kommission zur Bekämpfung von Konterrevolution, Spekulation und Sabotage) war.
Daraus leitete das MfS einen Katalog von Funktionen, Selbstzuschreibungen und Verhaltensmaßgaben für die Mitarbeiter ab. Im Vokabular der Staatssicherheit tauchte der Begriff als Bezeichnung für die Mitarbeiter ("Tschekisten") sowie als daraus abgeleitetes Adjektiv ("tschekistisch ") auf. Elemente der "tschekistischen" Ideologie waren:
Aus dieser Ideologie ergab sich das normative Leitbild der "tschekistischen Persönlichkeit" für die Formung und seelisch-moralische Orientierung der MfS-Mitarbeiter als Weltanschauungskämpfer. Im Mittelpunkt standen die "tiefen Gefühle des Hasses, des Abscheus, der Abneigung und Unerbittlichkeit" als "entscheidende Grundlage für den leidenschaftlichen und unversöhnlichen Kampf gegen den Feind".
Hinzu kamen soldatische Tugenden wie bedingungslose Einsatzbereitschaft, Härte, Standhaftigkeit, Mut und Opferbereitschaft und geheimdienstliche Kompetenzen wie die Fähigkeit zur Konspiration und zur Verkörperung von operativen Legenden, die an die maskuline Kampf- und Gewaltkultur aus der Epoche der Bürgerkriege in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts anknüpften.
Diese Kombination aus Leidenschaft, Prinzipientreue und Härte wurde personifiziert in der kulthaften Überhöhung des asketisch-revolutionären Tscheka-Vorsitzenden Feliks Dzierżyński (1877–1926), dessen (nicht belegtes) Zitat: "Tschekist sein kann nur ein Mensch mit kühlem Kopf, heißem Herzen und sauberen Händen" die wohl meistzitierte Formel der "tschekistischen" Ideologie war. Sie diente der Erziehung zur "bewussten Disziplin".
Zugleich diente dieser Kult als normatives Widerlager zur Alltagskultur der geheimen Sicherheitsbürokratie, in der sich das elitäre Selbstverständnis der "Genossen erster Kategorie" (Wilhelm Zaisser 1953) in einem Gemenge von Machtbewusstsein, Privilegienwirtschaft und einer Neigung zu periodischen Alkoholexzessen niederschlug.
Historisch betrachtet war die "tschekistische" Ideologie im MfS von den Anfängen an Grundlage der inneren Verfassung, gewann jedoch als explizites Leitbild erst infolge der halbherzigen Entstalinisierung nach 1956 an Bedeutung, als Stalin und seine Leitsätze wie der von der "ständigen Verschärfung des Klassenkampfes" nicht mehr benutzt werden konnten. Die damit auch in der Sowjetunion einhergehende Dzierżyński-Renaissance führte in der DDR zur öffentlichen Aufwertung, deren Höhepunkt die Feierlichkeiten anlässlich des 100. Geburtstages Dzierżyńskis 1977 bildeten.
Bis zum Beginn der kritischen vergangenheitspolitischen Debatten in der Sowjetunion 1985/86 gewann der Tscheka-Kult zudem neben der Traditionsarbeit zum kommunistischen Antifaschismus im MfS weiter an Bedeutung. Beide dienten als Surrogat für die verblassende Sinnstiftung unter den MfS-Mitarbeitern, denen es an persönlichen Kampferfahrungen fehlte und die die sukzessive Begrenzung ihrer "außerordentlichen" Legitimation in der täglichen Verfolgungspraxis (sinkende Strafmaße, Freikauf von Häftlingen, Tätigkeit westlicher Medien von der DDR aus usw.) verarbeiten mussten.
In den Rettungs- und Rechtfertigungsversuchen im und nach dem Herbst 1989 rückten SED/PDS und MfS-Führung schnell ab von der "tschekistischen" Ideologie. Der Versuch, einen entstalinisierten "sauberen Tschekismus" zu etablieren, blieb die Ausnahme. An ihre Stelle trat ein Etatismus, der das MfS als Element "normaler" Staatlichkeit legitimierte.
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Signatur: BStU, MfS, SdM, Nr. 1201, Bl. 134-136
Mit großen Sorgen beobachtete die SED die Ereignisse rund um den ungarischen Volksaufstand. In dem Entwurf eines Briefes an die MfS-Parteiorganisationen rief ZK-Sicherheitssekretär Erich Honecker die Staatssicherheit zu erhöhter Wachsamkeit auf. Der Minister für Staatssicherheit Ernst Wollweber reagierte mit ausführlichen Anmerkungen auf die Verbesserung seines Entwurfs.
Am 23. Oktober 1956 forderten Studenten der Budapester Universitäten auf einer Großdemonstration bürgerliche Freiheitsrechte, ein parlamentarisches Regierungssystem und nationale Unabhängigkeit. Sie bekundeten damit ihre Sympathie für einen Arbeiteraufstand in Polen drei Monate zuvor. Zudem verlangten die Demonstranten die Rückkehr von Imre Nagy als Ministerpräsident. Er hatte das Land von 1953 bis 1955 regiert und dabei einige Reformen angestoßen.
Dieser Volksaufstand in Ungarn vom Herbst 1956 löste beim Ministerium für Staatssicherheit (MfS) Unruhe aus. Die Erinnerungen an den Volksaufstand in der DDR vom 17. Juni 1953 waren noch frisch und die ostdeutsche Geheimpolizei wollte um jeden Preis verhindern, dass die explosive Stimmung auf das eigene Land übersprang. Die SED-Parteizeitung "Neues Deutschland" sprach schon am 25. Oktober von einem "Putsch konterrevolutionärer Elemente". Die DDR-Führung versuchte die Bevölkerung durch sozialpolitisches Entgegenkommen zu beruhigen und das MfS wollte die Bürger durch Abschreckung disziplinieren.
Im vorliegenden Brief antwortet der Minister für Staatssicherheit, Ernst Wollweber, dem ZK-Sicherheitssekretär, Erich Honecker, auf den Entwurf eines Schreibens an alle MfS-Parteiorganisationen.
Daß durch die Parteiorganisationen der Kampf geführt wird gegen jeden Versuch einer Liberalisierung, die zur Schwächung der staatlich notwendigen Kontrolle und der Wachsamkeit führt, daß die Mitarbeiter der Staatssicherheit nicht dulden, daß sich liberalistische Tendenzen im staatlichen Leben durchsetzen, die für die staatliche Sicherheit bei der Lage der DDR nicht zulässig sind.
Stark muß hervorgehoben werden, daß der Kampf gegen Schwankungen geführt wird in bestimmten Situationen. [handschriftlich durchgestrichen: Wenn auch] Bei einem nicht großen sondern nur kleinen Teil der Mitarbeiter der Staatssicherheit gab es Schwankungen zur Zeit, als in Ungarn die Konterrevolution wütete. Die Zuverlässigkeit des Mittarbeiters der Staatssicherheit darf nicht abhängig sein von Situationen, sondern muß in jeder Situation gegeben sein. Die bedingungslose Hingabe an die Erfüllung seiner Aufgabe müßte herausgearbeitet werden. Es müßte zum Ausdruck kommen, daß man nicht einer organisierten Gerüchtemacherei, der Desinformation zum Opfer fallen darf, sondern Nachrichten überprüfen muß auf ihre Richtigkeit und Maßnahmen einleiten. Es kommt nicht nur darauf an, daß die zuständige Kreis- oder Bezirksleitung oder das Zentralkomitee informiert wird, über das, was man gemeldet bekommt, sondern daß sie richtig und nicht leichtfertig informiert werden durch Überprüfung der Meldungen. Dabei kommt es darauf an, daß diese Informationen der Parteileitungen durch die Organe der Staatssicherheit sich beschränkt auf die Lage in dem betreffenden Gebiet, Stimmungen, Einschätzung der feindlichen Möglichkeiten, Konzentrationen feindlicher Elemente usw. und sich nicht bezieht auf operative Maßnahmen, die im einzelnen nur die Organe der Staatssicherheit zu treffen haben und für deren Durchführung verantwortlich sind.
Zum Schluß der Hinweis, daß, wenn man schon von der internationalen Lage ausgeht, man natürlich das Aktuelle mit hineinziehen muß, und das ist die Zuspitzung insbesondere zwischen Syrien und Irak und der Türkei. Hinter dem Irak stehen die Engländer und hinter der Türkei stehen die Amerikaner. Aber ich bezweifle, daß es überhaupt richtig ist, auszugehen von der internationalen Lage, die sich sehr schnell verändert. Ich bin vielmehr der Meinung, daß man ausgehen soll vom 29. Plenum, eben von den Äußerungen der Genossen Ulbricht und Schirdewan. Der Hinweis auf die Direktive 1/56 ist richtig, aber das kann
Gemäß MfS-Definition war Desinformation die bewusste Verbreitung von den Tatsachen grundsätzlich oder teilweise widersprechenden Informationen. Ziel der Desinformation war es, Personen, Institutionen und politische Vorhaben im Westen zu diskreditieren und dadurch zu schwächen, zu isolieren oder zu Fall zu bringen, ferner Entscheidungen zu beeinflussen sowie die westliche Seite über Handlungen oder Zustände im Osten (z. B. politische und wirtschaftliche Probleme, Maßnahmen gegen Regimekritiker usw.) zu täuschen. Hierfür wurden plausibel erscheinende Informationen und gefälschte Dokumente verdeckt über Lancierungskanäle im Westen verbreitet. Auch Pressekampagnen und Veröffentlichungen in der DDR dienten der Desinformation. Die Desinformation galt als Spielwiese von Wolf. Zuständig war vor allem die Abteilung X der HV A, deren Mitarbeiter sich entsprechende Inhalte ausdachten und in konkrete Aktionen umsetzten.
1971 hervorgegangen aus dem Büro der Leitung. Seine Aufgaben waren
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Mit großen Sorgen beobachtete die SED die Ereignisse rund um den ungarischen Volksaufstand. In dem Entwurf eines Briefes an die MfS-Parteiorganisationen rief ZK-Sicherheitssekretär Erich Honecker die Staatssicherheit zu erhöhter Wachsamkeit auf. Der Minister für Staatssicherheit Ernst Wollweber reagierte mit ausführlichen Anmerkungen auf die Verbesserung seines Entwurfs.
Am 23. Oktober 1956 forderten Studenten der Budapester Universitäten auf einer Großdemonstration bürgerliche Freiheitsrechte, ein parlamentarisches Regierungssystem und nationale Unabhängigkeit. Sie bekundeten damit ihre Sympathie für einen Arbeiteraufstand in Polen drei Monate zuvor. Zudem verlangten die Demonstranten die Rückkehr von Imre Nagy als Ministerpräsident. Er hatte das Land von 1953 bis 1955 regiert und dabei einige Reformen angestoßen.
Dieser Volksaufstand in Ungarn vom Herbst 1956 löste beim Ministerium für Staatssicherheit (MfS) Unruhe aus. Die Erinnerungen an den Volksaufstand in der DDR vom 17. Juni 1953 waren noch frisch und die ostdeutsche Geheimpolizei wollte um jeden Preis verhindern, dass die explosive Stimmung auf das eigene Land übersprang. Die SED-Parteizeitung "Neues Deutschland" sprach schon am 25. Oktober von einem "Putsch konterrevolutionärer Elemente". Die DDR-Führung versuchte die Bevölkerung durch sozialpolitisches Entgegenkommen zu beruhigen und das MfS wollte die Bürger durch Abschreckung disziplinieren.
Im vorliegenden Brief antwortet der Minister für Staatssicherheit, Ernst Wollweber, dem ZK-Sicherheitssekretär, Erich Honecker, auf den Entwurf eines Schreibens an alle MfS-Parteiorganisationen.
man nicht so en Passant machen. Aus der Direktive 1/56 müßte man insbesondere das in den Vordergrund stellen, was gesagt ist zur Erhöhung der Kampffähigkeit der Organe der Staatssicherheit.
Es scheint mir, daß die Genossen, die den Brief entworfen haben, zu sehr davon ausgegangen sind, als müßte auf alle Hauptfragen und Hauptaufgaben hingewiesen werden. Darauf kommt es aber meiner Ansicht nach gar nicht an, sondern nur das Entscheidende zu nennen.
Du wirst natürlich sagen, was soll das für ein Brief werden, wenn schon die Kritik zum Entwurf über 2 Seiten lang ist, aber Du wolltest meine Kritik hören.
Mit sozialistischem Gruß!
[Unterschrift]
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Entwurf für einen Brief Erich Honeckers an die Parteiorganisationen des MfS Dokument, 7 Seiten
Rede von Minister Erich Mielke zum 8. Jahrestag des Ministeriums für Staatssicherheit Audio, 1 Stunde, 25 Minuten, 51 Sekunden
Analyse zum Volksaufstand im Bezirk Karl-Marx-Stadt Dokument, 74 Seiten
Notizen aus der Politbürositzung zur Schürer-Mittag-Kontroverse Dokument, 29 Seiten