Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 4246, Bl. 1-11
Das Inkrafttreten einer neuen und in Teilen restriktiveren Reiseverordnung im Januar 1989 löste in der DDR eine Welle an Kritik aus. Die Staatssicherheit wertete die empörten Reaktionen aus der Bevölkerung für die Partei- und Staatsführung aus.
Seit dem Mauerbau im Jahr 1961 durften DDR-Bürgerinnen und -Bürger in den Westen nur unter bestimmten Bedingungen reisen. Die wichtigsten waren: Rentenalter, Dienstreise oder eine Genehmigung wegen einer "dringenden Familienangelegenheit" (zum Beispiel der "runde Geburtstag" eines engen Verwandten). Für den "normalen" berufstätigen DDR-Bürger war letzteres fast die einzige Möglichkeit für eine derartige Reise. Ursprünglich sehr restriktiv gehandhabt, nahm die Zahl die Reisegenehmigungen in den 80er Jahren stetig zu. 1988 durften immerhin 1,4 Millionen Menschen mit einer solchen Begründung in den Westen fahren.
Die Stasi hatte dagegen erhebliche Bedenken: Sie fürchtete, dass die Reisenden als Spione angeworben werden könnten, auf jeden Fall aber wären sie "feindlichen ideologischen Einflüssen" ausgesetzt. Und der Reiseverkehr brachte eine Menge Arbeit: von der Überprüfung der Antragsteller bis zur Überwachung der Rückkehrer.
Mit dem KSZE-Abschlussdokument unterzeichnete die DDR-Führung im Januar 1989 auch ein klares Bekenntnis zur Reisefreiheit. So sah sich der SED-Staat gezwungen, der bis dahin undurchschaubaren Praxis der Reisegenehmigungen eine rechtliche Form zu geben. Deshalb wurde im Machtapparat eine "Reiseverordnung" ausgearbeitet. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) nutzte die Gelegenheit, um Regelungen durchzusetzen, die den Reiseverkehr verringern sollten. Nachdem die neue Reiseverordnung in Kraft trat, zeigten sich die Folgen: Bürgern, die zuvor noch hatten fahren dürfen, wurde jetzt eine solche Genehmigung versagt. Ihr Antrag wurde von der Volkspolizei nicht einmal entgegengenommen. Die Empörung darüber war beträchtlich.
Die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) der Staatssicherheit berichtete Ende Januar 1989 der Partei- und Staatsführung darüber in eher beschwichtigender Form. In dem vorliegenden Bericht sammelte die ZAIG Reaktionen aus der Bevölkerung zu der neuen "Reiseverordnung", die überwiegend kritisch ausfielen.
stelle für Werktätige, die eine Privatreise in das nichtsozialistische Ausland beantragt haben, wegfällt bzw. nur in Ausnahmefällen erforderlich ist. Das stelle für sie eine erhebliche Erleichterung dar, zumal es in zurückliegender Zeit häufig Unsicherheiten bei der Handhabung von derartigen Zustimmungen gegeben habe. Einschränkend verweisen sie aber auch darauf, daß die Notwendigkeit einer solchen Zustimmung eine gewisse disziplinierende Wirkung auf eine Reihe von Werktätigen gehabt hätte. Häufig wird von ihnen auch darauf aufmerksam gemacht, daß sie im Zusammenhang mit beabsichtigten Privatreisen in zunehmendem Maße auch mit kurzfristigen und nicht geplanten Urlaubsforderungen der Werktätigen konfrontiert werden, die negative Auswirkungen auf die kontinuierliche Gestaltung von Arbeitsprozessen haben können.
Eine große Rolle in Meinungsäußerungen von Pädagogen spielten anfänglich ausgeprägte Erwartungen, daß bisher für sie geltende Einschränkungen im Reiseverkehr in das nichtsozialistische Ausland aufgehoben werden. In den gesetzlichen Regelungen seien ihrer Meinung nach keine einschränkenden Bestimmungen für ihren Bereich enthalten, so daß sie die gleichen Rechte wie andere DDR-Bürger in Anspruch nehmen könnten. Ergangene zentrale Orientierungen, Privatreisen in das nichtsozialistische Ausland nur in der Ferien- bzw. Urlaubszeit zu beantragen und auch zu genehmigen, stoßen bei ihnen im breiten Umfang auf Unverständnis und Ablehnung. Dazu argumentieren sie, die eigentlichen Reiseanlässe würden dadurch völlig unberücksichtigt bleiben; familiäre Jubiläen fänden nun einmal auch während der Schulzeit statt.
Mitarbeiter aus dem Bereich Gesundheitswesen bewerten die in der Reiseverordnung enthaltene Möglichkeit des Anforderns einer schriftlichen Zustimmung der Arbeitsstelle bei Anträgen auf Privatreisen durch die Deutsche Volkspolizei als eine unerträgliche Bevormundung. Nach wie vor sei man, so äußern sie sich, der Ermessenswillkür der Staatsorgane ausgesetzt.
Die AIG entstanden mit der Einführung des einheitlichen Auswertungs- und Informationssystems 1965 aus den in den Bezirksverwaltungen und zentralen operativen Diensteinheiten des MfS schon bestehenden Informationsgruppen. In ihrem Zuständigkeitsbereich oblag ihnen die Bewertung und Selektion von Informationen, die Gewährleistung des Informationsflusses und die Fertigung der Berichte für die Partei- und Staatsfunktionäre. Die AIG unterstanden der fachlichen Anleitung und Kontrolle der ZAIG. 1978/79 wurden sie zu Auswertungs- und Kontrollgruppen erweitert.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 4246, Bl. 1-11
Das Inkrafttreten einer neuen und in Teilen restriktiveren Reiseverordnung im Januar 1989 löste in der DDR eine Welle an Kritik aus. Die Staatssicherheit wertete die empörten Reaktionen aus der Bevölkerung für die Partei- und Staatsführung aus.
Seit dem Mauerbau im Jahr 1961 durften DDR-Bürgerinnen und -Bürger in den Westen nur unter bestimmten Bedingungen reisen. Die wichtigsten waren: Rentenalter, Dienstreise oder eine Genehmigung wegen einer "dringenden Familienangelegenheit" (zum Beispiel der "runde Geburtstag" eines engen Verwandten). Für den "normalen" berufstätigen DDR-Bürger war letzteres fast die einzige Möglichkeit für eine derartige Reise. Ursprünglich sehr restriktiv gehandhabt, nahm die Zahl die Reisegenehmigungen in den 80er Jahren stetig zu. 1988 durften immerhin 1,4 Millionen Menschen mit einer solchen Begründung in den Westen fahren.
Die Stasi hatte dagegen erhebliche Bedenken: Sie fürchtete, dass die Reisenden als Spione angeworben werden könnten, auf jeden Fall aber wären sie "feindlichen ideologischen Einflüssen" ausgesetzt. Und der Reiseverkehr brachte eine Menge Arbeit: von der Überprüfung der Antragsteller bis zur Überwachung der Rückkehrer.
Mit dem KSZE-Abschlussdokument unterzeichnete die DDR-Führung im Januar 1989 auch ein klares Bekenntnis zur Reisefreiheit. So sah sich der SED-Staat gezwungen, der bis dahin undurchschaubaren Praxis der Reisegenehmigungen eine rechtliche Form zu geben. Deshalb wurde im Machtapparat eine "Reiseverordnung" ausgearbeitet. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) nutzte die Gelegenheit, um Regelungen durchzusetzen, die den Reiseverkehr verringern sollten. Nachdem die neue Reiseverordnung in Kraft trat, zeigten sich die Folgen: Bürgern, die zuvor noch hatten fahren dürfen, wurde jetzt eine solche Genehmigung versagt. Ihr Antrag wurde von der Volkspolizei nicht einmal entgegengenommen. Die Empörung darüber war beträchtlich.
Die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) der Staatssicherheit berichtete Ende Januar 1989 der Partei- und Staatsführung darüber in eher beschwichtigender Form. In dem vorliegenden Bericht sammelte die ZAIG Reaktionen aus der Bevölkerung zu der neuen "Reiseverordnung", die überwiegend kritisch ausfielen.
In wachsendem Maße treten vor allem solche Personen mit Meinungsäußerungen zur Reiseverordnung in Erscheinung, die bereits "in dringenden Familienangelegenheiten" ausgereist waren, bei denen aber nach den gültigen Regelungen keine Voraussetzungen mehr zur Genehmigung von Privatreisen nach dem nichtsozialistischen Ausland bestehen. In zunehmend unsachlicher, z.T. aggressiver Form, oft verbunden mit gegenüber Angehörigen der Deutschen Volkspolizei heftig vorgetragenen Vorwürfen der Engstirnigkeit und Herzlosigkeit, bringen diese Personen ihre Enttäuschung und ablehnende Haltung zu der erlassenen Rechtsvorschrift zum Ausdruck, Vielfach wird das auch mit der Forderung nach entsprechenden Änderungen der Verordnung verbunden.
Diese Reaktionen beziehen sich inhaltlich vor allem - und das macht den absoluten Schwerpunkt auch der Vorsprachen bzw. Eingaben von Bürgern bei den zuständigen Staatsorganen aus - auf die verbindliche Auslegung von Verwandtschaftsverhältnissen im Sinne der Verordnung. Insbesondere die Festlegung, daß Ehepartner zu bzw. von angeheirateten Verwandten nicht gleichermaßen antragsberechtigt sind, stößt mehrheitlich auf massive Ablehnung.
In diesem Zusammenhang werden in beachtlichem Umfang Auffassungen vertreten, daß
sich die Reisemöglichkeiten für Bürger verschlechtert hätten, jetzt könnten weniger Bürger reisen als früher,
humanitäre Probleme bei dieser Regelung nicht ausreichend berücksichtigt worden wären,
die gesetzlichen Bestimmungen durch die Angehörigen der Deutschen Volkspolizei willkürlich ausgelegt würden; man sehe einen Widerspruch zu den Regelungen des Familiengesetzbuches der DDR.
Die AIG entstanden mit der Einführung des einheitlichen Auswertungs- und Informationssystems 1965 aus den in den Bezirksverwaltungen und zentralen operativen Diensteinheiten des MfS schon bestehenden Informationsgruppen. In ihrem Zuständigkeitsbereich oblag ihnen die Bewertung und Selektion von Informationen, die Gewährleistung des Informationsflusses und die Fertigung der Berichte für die Partei- und Staatsfunktionäre. Die AIG unterstanden der fachlichen Anleitung und Kontrolle der ZAIG. 1978/79 wurden sie zu Auswertungs- und Kontrollgruppen erweitert.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 4246, Bl. 1-11
Das Inkrafttreten einer neuen und in Teilen restriktiveren Reiseverordnung im Januar 1989 löste in der DDR eine Welle an Kritik aus. Die Staatssicherheit wertete die empörten Reaktionen aus der Bevölkerung für die Partei- und Staatsführung aus.
Seit dem Mauerbau im Jahr 1961 durften DDR-Bürgerinnen und -Bürger in den Westen nur unter bestimmten Bedingungen reisen. Die wichtigsten waren: Rentenalter, Dienstreise oder eine Genehmigung wegen einer "dringenden Familienangelegenheit" (zum Beispiel der "runde Geburtstag" eines engen Verwandten). Für den "normalen" berufstätigen DDR-Bürger war letzteres fast die einzige Möglichkeit für eine derartige Reise. Ursprünglich sehr restriktiv gehandhabt, nahm die Zahl die Reisegenehmigungen in den 80er Jahren stetig zu. 1988 durften immerhin 1,4 Millionen Menschen mit einer solchen Begründung in den Westen fahren.
Die Stasi hatte dagegen erhebliche Bedenken: Sie fürchtete, dass die Reisenden als Spione angeworben werden könnten, auf jeden Fall aber wären sie "feindlichen ideologischen Einflüssen" ausgesetzt. Und der Reiseverkehr brachte eine Menge Arbeit: von der Überprüfung der Antragsteller bis zur Überwachung der Rückkehrer.
Mit dem KSZE-Abschlussdokument unterzeichnete die DDR-Führung im Januar 1989 auch ein klares Bekenntnis zur Reisefreiheit. So sah sich der SED-Staat gezwungen, der bis dahin undurchschaubaren Praxis der Reisegenehmigungen eine rechtliche Form zu geben. Deshalb wurde im Machtapparat eine "Reiseverordnung" ausgearbeitet. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) nutzte die Gelegenheit, um Regelungen durchzusetzen, die den Reiseverkehr verringern sollten. Nachdem die neue Reiseverordnung in Kraft trat, zeigten sich die Folgen: Bürgern, die zuvor noch hatten fahren dürfen, wurde jetzt eine solche Genehmigung versagt. Ihr Antrag wurde von der Volkspolizei nicht einmal entgegengenommen. Die Empörung darüber war beträchtlich.
Die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) der Staatssicherheit berichtete Ende Januar 1989 der Partei- und Staatsführung darüber in eher beschwichtigender Form. In dem vorliegenden Bericht sammelte die ZAIG Reaktionen aus der Bevölkerung zu der neuen "Reiseverordnung", die überwiegend kritisch ausfielen.
Zu dieser Problematik wurden bereits mehrfach durch den genannten Personenkreis Rechtsanwälte konsultiert, um sich zur gültigen Auslegung von Verwandtschaftsverhältnissen beraten zu lassen.
Es mehren sich insbesondere in jüngster Zeit Versuche derartiger Personen, Druck auf die staatlichen Organe zur Genehmigung ihrer Reiseanträge auszuüben. Wiederholt wurden von ihnen bei Ablehnung ihres Antrages angedroht
das Verfassen von Eingaben an zentrale Partei- und Staatsorgane,
der Austritt aus der SED bzw. aus befreundeten Parteien die Nichtteilnahme an der Kommunalwahl sowie
die Niederlegung von gesellschaftlichen Funktionen bzw.
die Nichtteilnahme an gesellschaftlichen Aktivitäten.
Vereinzelt äußern Bürger in diesem Zusammenhang auch die Absicht, einen Antrag auf ständige Ausreise aus der DDR stellen zu wollen.
Vorliegenden Hinweisen zufolge schlägt die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Verordnung anfänglich festzustellende abwartende Haltung von Antragstellern auf ständige Ausreise seit ihrer Inkraftsetzung in zunehmend negative Meinungen und Haltungen um.
Grundsätzlich ist festzustellen, daß die überwiegende Mehrheit dieser Personen nach wie vor an der Absicht, die DDR zu verlassen, festhält, auch wenn die in der Verordnung genannten Gründe für die Genehmigung einer ständigen Ausreise bei ihnen nicht gegeben sind.
Personen, die sich auf der Grundlage der genannten humanitären Gründe Chancen auf eine Genehmigung ihrer Anträge auf ständige Ausreise ausrechnen, verhalten sich in der Regel diszipliniert und korrekt in den Gesprächen mit den Vertretern der Abteilungen Inneres.
Die AIG entstanden mit der Einführung des einheitlichen Auswertungs- und Informationssystems 1965 aus den in den Bezirksverwaltungen und zentralen operativen Diensteinheiten des MfS schon bestehenden Informationsgruppen. In ihrem Zuständigkeitsbereich oblag ihnen die Bewertung und Selektion von Informationen, die Gewährleistung des Informationsflusses und die Fertigung der Berichte für die Partei- und Staatsfunktionäre. Die AIG unterstanden der fachlichen Anleitung und Kontrolle der ZAIG. 1978/79 wurden sie zu Auswertungs- und Kontrollgruppen erweitert.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
Übersicht zur Entwicklung der Bereiche Reiseverkehr, ständige Ausreise und Republikflucht Dokument, 4 Seiten
Referat Erich Mielkes vor den Leitern der operativen Diensteinheiten zum Vorgehen gegen Ausreisewillige Audio, 1 Stunde, 48 Minuten, 36 Sekunden
Reaktionen der Bevölkerung zur Fluchtwelle aus der DDR Dokument, 8 Seiten
Schreiben Mielkes zur neuen Reiseverordnung Dokument, 3 Seiten