Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 3804, Bl. 1-6
Die Information der Staatssicherheit für die Politbüro-Mitglieder schildert die ersten Reaktionen aus der DDR-Bevölkerung auf die Schließung der Grenze zur Tschechoslowakei am 3. Oktober 1989.
Am 7. Oktober 1989 beging die DDR ihren 40. Jahrestag. Während die Funktionäre der Staatspartei SED den "Republikgeburtstag" feierten, gab es eine zunehmend wachsende Protestbewegung. Die Friedliche Revolution war in vollem Gang: Tausende DDR-Bürgerinnen und -Bürger forderten auf der Straße grundlegende Reformen. Um die Feierlichkeiten abzusichern startete die Staatssicherheit die Aktion "Jubiläum 40".
Verschärfend hinzu kam die Fluchtwelle, die die Feierlichkeiten zu überschatten drohte. Im September waren etwa 6.000 DDR-Bürgerinnen und -Bürger in die bundesdeutsche Botschaft in Prag geflüchtet. Um die Situation zu bereinigen, hatte die SED-Führung am 30.September die Zustimmung zu ihrer Ausreise gegeben. Doch kaum waren sie in der Bundesrepublik angekommen, füllte sich das Botschaftsgelände mit neuen Flüchtlingen, diesmal 7.600 Personen. Daraufhin entschied Generalsekretär Erich Honecker am 3. Oktober, die Grenze zur Tschechoslowakei schließen zu lassen.
Über die Reaktionen in der Bevölkerung dazu berichtete am folgenden Tag die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) der Staatssicherheit. Die meisten Ausreisewilligen waren zum Übergang im sächsischen Bad Schandau gefahren. Da dieser Ort in der Nähe von Dresden liegt, sammelten sich dort viele von ihnen. Denn es war bekannt geworden, dass die Züge mit den Personen, die Prag bereits erreicht hatten und nun in die Bundesrepublik ausreisen durften, über den Dresdner Hauptbahnhof fahren sollten. Die Volkspolizei löste die Menschenansammlungen teilweise mit Gewalt auf.
Ministerium für Staatssicherheit
Vielfach wird die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, daß es sich dabei nur um eine zeitlich eng begrenzte Maßnahme handele.
Wiederholt wird argumentiert, dem Staat sei angesichts der verantwortungslosen Haltung der BRD-Regierung und der unhaltbaren Situation in der BRD-Botschaft in Prag kein anderer Ausweg mehr geblieben. Gleichzeitig wird jedoch mit Verärgerung festgestellt, daß diese Entscheidung wiederum diejenigen benachteilige, die ordentlich arbeiten und fest zu ihrem Staat stehen.
Nahezu übereinstimmend wird der Standpunkt vertreten, mit dieser Entscheidung kläre man nicht das Gesamtproblem des massenhaften Verlassens der DDR, insbesondere durch Jugendliche und Jungerwachsene. Diese Erscheinung wird als besorgniserregend charakterisiert, verbunden mit immer zwingender formulierten Forderungen, die im Innern der DDR liegenden Ursachen aufzudecken und zu beseitigen.
In zahlreichen Meinungsäußerungen unterschiedlichster Personenkreise wird eine ablehnende Haltung zu den Maßnahmen der Regierung der DDR bekundet.
Das widerspiegelt sich in solchen Argumenten wie
In Einzelfällen wurde unter Bezugnahme auf die getroffene Entscheidung geäußert, aus der SED, aus anderen befreundeten Parteien und Massenorganisationen auszutreten und einen Antrag auf ständige Ausreise zu stellen.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
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Schilderung der Ereignisse in Dresden zwischen dem 3. und 8. Oktober 1989 durch den Leiter der BVfS Dokument, 5 Seiten
Wochenübersicht Nr. 40/89 vom 2. Oktober 1989 Dokument, 36 Seiten
Wochenübersicht Nr. 41/89 vom 9. Oktober 1989 Dokument, 31 Seiten
Wochenübersicht Nr. 43/89 vom 23. Oktober 1989 Dokument, 25 Seiten