Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 3804, Bl. 1-6
Die Information der Staatssicherheit für die Politbüro-Mitglieder schildert die ersten Reaktionen aus der DDR-Bevölkerung auf die Schließung der Grenze zur Tschechoslowakei am 3. Oktober 1989.
Am 7. Oktober 1989 beging die DDR ihren 40. Jahrestag. Während die Funktionäre der Staatspartei SED den "Republikgeburtstag" feierten, gab es eine zunehmend wachsende Protestbewegung. Die Friedliche Revolution war in vollem Gang: Tausende DDR-Bürgerinnen und -Bürger forderten auf der Straße grundlegende Reformen. Um die Feierlichkeiten abzusichern startete die Staatssicherheit die Aktion "Jubiläum 40".
Verschärfend hinzu kam die Fluchtwelle, die die Feierlichkeiten zu überschatten drohte. Im September waren etwa 6.000 DDR-Bürgerinnen und -Bürger in die bundesdeutsche Botschaft in Prag geflüchtet. Um die Situation zu bereinigen, hatte die SED-Führung am 30.September die Zustimmung zu ihrer Ausreise gegeben. Doch kaum waren sie in der Bundesrepublik angekommen, füllte sich das Botschaftsgelände mit neuen Flüchtlingen, diesmal 7.600 Personen. Daraufhin entschied Generalsekretär Erich Honecker am 3. Oktober, die Grenze zur Tschechoslowakei schließen zu lassen.
Über die Reaktionen in der Bevölkerung dazu berichtete am folgenden Tag die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) der Staatssicherheit. Die meisten Ausreisewilligen waren zum Übergang im sächsischen Bad Schandau gefahren. Da dieser Ort in der Nähe von Dresden liegt, sammelten sich dort viele von ihnen. Denn es war bekannt geworden, dass die Züge mit den Personen, die Prag bereits erreicht hatten und nun in die Bundesrepublik ausreisen durften, über den Dresdner Hauptbahnhof fahren sollten. Die Volkspolizei löste die Menschenansammlungen teilweise mit Gewalt auf.
Information erhalten auch die Gen. Stoph, Axen, Dohlus, Hager, Herrmann, Kleiber, Krenz, Mittag, Tisch, Dickel, H. Krolikowski und Herger sowie Keßler und Schabowski
[handschriftliche Ergänzung: 06.10.89 x][Manuell abgehakt]
Ministerium für Staatssicherheit [handschriftliche Ergänzung: Hon]
Streng geheim!
Um Rückgabe wird gebeten!
Nr. 438/89
Berlin, den [handschriftliche Ergänzung: 04.10.89]
5 Blatt
[handschriftliche Ergänzung: 1.] Exemplar
[Kürzel unleserlich]
[manuell abgehakt]
INFORMATION
über
erste Hinweise auf Reaktionen und Verhaltensweisen von Personenkreisen in der DDR im Zusammenhang mit der zeitweiligen Aussetzung des paß- und visafreien Verkehrs zwischen der DDR und der CSSR für die Bürger der DDR
Nach dem MfS vorliegenden ersten Hinweisen über Reaktionen von Bürgern der DDR löste die Entscheidung der Regierung der DDR über die zeitweilige Aussetzung des paß- und visafreien Verkehrs zwischen der DDR und der CSSR für Bürger der DDR spontan sehr differenzierte Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen aus.
Eine Reihe progressiver Kräfte befürwortet die eingeleiteten Maßnahmen, zeigt sich jedoch überrascht, daß eine derartig "unpopuläre" Entscheidung unmittelbar vor dem 40. Jahrestag der DDR getroffen wurde. Teilweise wird betont, sie wäre bereits zu einem früheren Zeitpunkt notwendig gewesen.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
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Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 3804, Bl. 1-6
Die Information der Staatssicherheit für die Politbüro-Mitglieder schildert die ersten Reaktionen aus der DDR-Bevölkerung auf die Schließung der Grenze zur Tschechoslowakei am 3. Oktober 1989.
Am 7. Oktober 1989 beging die DDR ihren 40. Jahrestag. Während die Funktionäre der Staatspartei SED den "Republikgeburtstag" feierten, gab es eine zunehmend wachsende Protestbewegung. Die Friedliche Revolution war in vollem Gang: Tausende DDR-Bürgerinnen und -Bürger forderten auf der Straße grundlegende Reformen. Um die Feierlichkeiten abzusichern startete die Staatssicherheit die Aktion "Jubiläum 40".
Verschärfend hinzu kam die Fluchtwelle, die die Feierlichkeiten zu überschatten drohte. Im September waren etwa 6.000 DDR-Bürgerinnen und -Bürger in die bundesdeutsche Botschaft in Prag geflüchtet. Um die Situation zu bereinigen, hatte die SED-Führung am 30.September die Zustimmung zu ihrer Ausreise gegeben. Doch kaum waren sie in der Bundesrepublik angekommen, füllte sich das Botschaftsgelände mit neuen Flüchtlingen, diesmal 7.600 Personen. Daraufhin entschied Generalsekretär Erich Honecker am 3. Oktober, die Grenze zur Tschechoslowakei schließen zu lassen.
Über die Reaktionen in der Bevölkerung dazu berichtete am folgenden Tag die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) der Staatssicherheit. Die meisten Ausreisewilligen waren zum Übergang im sächsischen Bad Schandau gefahren. Da dieser Ort in der Nähe von Dresden liegt, sammelten sich dort viele von ihnen. Denn es war bekannt geworden, dass die Züge mit den Personen, die Prag bereits erreicht hatten und nun in die Bundesrepublik ausreisen durften, über den Dresdner Hauptbahnhof fahren sollten. Die Volkspolizei löste die Menschenansammlungen teilweise mit Gewalt auf.
Ministerium für Staatssicherheit
Vielfach wird die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, daß es sich dabei nur um eine zeitlich eng begrenzte Maßnahme handele.
Wiederholt wird argumentiert, dem Staat sei angesichts der verantwortungslosen Haltung der BRD-Regierung und der unhaltbaren Situation in der BRD-Botschaft in Prag kein anderer Ausweg mehr geblieben. Gleichzeitig wird jedoch mit Verärgerung festgestellt, daß diese Entscheidung wiederum diejenigen benachteilige, die ordentlich arbeiten und fest zu ihrem Staat stehen.
Nahezu übereinstimmend wird der Standpunkt vertreten, mit dieser Entscheidung kläre man nicht das Gesamtproblem des massenhaften Verlassens der DDR, insbesondere durch Jugendliche und Jungerwachsene. Diese Erscheinung wird als besorgniserregend charakterisiert, verbunden mit immer zwingender formulierten Forderungen, die im Innern der DDR liegenden Ursachen aufzudecken und zu beseitigen.
In zahlreichen Meinungsäußerungen unterschiedlichster Personenkreise wird eine ablehnende Haltung zu den Maßnahmen der Regierung der DDR bekundet.
Das widerspiegelt sich in solchen Argumenten wie
In Einzelfällen wurde unter Bezugnahme auf die getroffene Entscheidung geäußert, aus der SED, aus anderen befreundeten Parteien und Massenorganisationen auszutreten und einen Antrag auf ständige Ausreise zu stellen.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
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Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 3804, Bl. 1-6
Die Information der Staatssicherheit für die Politbüro-Mitglieder schildert die ersten Reaktionen aus der DDR-Bevölkerung auf die Schließung der Grenze zur Tschechoslowakei am 3. Oktober 1989.
Am 7. Oktober 1989 beging die DDR ihren 40. Jahrestag. Während die Funktionäre der Staatspartei SED den "Republikgeburtstag" feierten, gab es eine zunehmend wachsende Protestbewegung. Die Friedliche Revolution war in vollem Gang: Tausende DDR-Bürgerinnen und -Bürger forderten auf der Straße grundlegende Reformen. Um die Feierlichkeiten abzusichern startete die Staatssicherheit die Aktion "Jubiläum 40".
Verschärfend hinzu kam die Fluchtwelle, die die Feierlichkeiten zu überschatten drohte. Im September waren etwa 6.000 DDR-Bürgerinnen und -Bürger in die bundesdeutsche Botschaft in Prag geflüchtet. Um die Situation zu bereinigen, hatte die SED-Führung am 30.September die Zustimmung zu ihrer Ausreise gegeben. Doch kaum waren sie in der Bundesrepublik angekommen, füllte sich das Botschaftsgelände mit neuen Flüchtlingen, diesmal 7.600 Personen. Daraufhin entschied Generalsekretär Erich Honecker am 3. Oktober, die Grenze zur Tschechoslowakei schließen zu lassen.
Über die Reaktionen in der Bevölkerung dazu berichtete am folgenden Tag die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) der Staatssicherheit. Die meisten Ausreisewilligen waren zum Übergang im sächsischen Bad Schandau gefahren. Da dieser Ort in der Nähe von Dresden liegt, sammelten sich dort viele von ihnen. Denn es war bekannt geworden, dass die Züge mit den Personen, die Prag bereits erreicht hatten und nun in die Bundesrepublik ausreisen durften, über den Dresdner Hauptbahnhof fahren sollten. Die Volkspolizei löste die Menschenansammlungen teilweise mit Gewalt auf.
Bürger älterer Jahrgänge äußerten die Befürchtung, daß die neuen Reisebeschränkungen Anlaß für Tumulte, Unruhen und Widerstandshandlungen größeren Ausmaßes sein könnten.
Hinlänglich bekannte feindliche, oppositionelle Kräfte fühlen sich in ihrer Haltung bekräftigt, gegenüber dem Staat verstärkten Druck zur Durchsetzung ihrer Forderung nach Gewährleistung eines "freien Reiseverkehrs für alle DDR-Bürger" auszuüben.
Ergänzend zu vorgenannten ersten Reaktionen wird nachstehend auf einige Vorkommnisse, die im Zusammenhang mit der Durchsetzung der angewiesenen Maßnahmen bedeutsam erscheinen, hingewiesen.
Grenzübergangsstelle Bad Schandau:
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
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Schilderung der Ereignisse in Dresden zwischen dem 3. und 8. Oktober 1989 durch den Leiter der BVfS Dokument, 5 Seiten
Wochenübersicht Nr. 40/89 vom 2. Oktober 1989 Dokument, 36 Seiten
Wochenübersicht Nr. 41/89 vom 9. Oktober 1989 Dokument, 31 Seiten
Wochenübersicht Nr. 43/89 vom 23. Oktober 1989 Dokument, 25 Seiten