Signatur: BStU, MfS, BV Dresden, Leiter, Nr. 10167, Bl. 1-5
In Dresden kam es seit dem 3. Oktober 1989 zu heftigen Krawallen. Ausreisewillige versuchten am Hauptbahnhof auf durchfahrende Züge aufzuspringen, die dort mit Botschaftsbesetzern aus Prag in Richtung Bundesrepublik durchfahren sollten. Der Chef der Staatssicherheit in Dresden, Horst Böhm, schildert in einem Bericht an den SED-Funktionär Hans Modrow seine Sicht auf die gewaltsamen Zusammenstöße von Demonstranten und Volkspolizei.
Im Oktober 1989 spitzte sich die politische Krise in der DDR zu. Die Fluchtwelle über Ungarn und die Tschechoslowakei hatte dramatische Ausmaße angenommen. Seit September 1989 sahen sich SED und MfS einer wachsenden und sich organisierenden Oppositionsbewegung in der DDR gegenüber. Während sich die Machthaber zum 40. Jahrestag der Staatsgründung selbst feierten, protestierten tausende Menschen in Dresden, Leipzig, Plauen und anderen Städten gegen das Regime.
In Dresden war es seit dem 3. Oktober zu heftigen Zusammenstößen gekommen, ausgelöst durch die Sperrung der Grenze zur Tschechoslowakei und das Zusammenströmen von Ausreisewilligen in der Elbestadt. Insgesamt wurden über 1.300 Personen festgenommen. Die Dresdner Ereignisse wurden zum Startschuss der Revolution: Zum ersten und einzigen Mal in diesem Herbst kam es zu größerer Gewaltanwendung von beiden Seiten. Erst auf Initiative von Kirchenleuten wurde schließlich eine friedliche Lösung für den Konflikt gefunden. Mit Hans Modrow als 1. Bezirkssekretär der SED in Dresden stand den Demonstranten auf der anderen Seite ein Funktionär gegenüber, der nach einigem Zögern einen solchen Schlichtungsversuch auch ohne Billigung aus Ost-Berlin riskierte.
Der Leiter der Dresdner Staatssicherheit, Horst Böhm, war mit der neuen Linie nicht einverstanden und ganz entschieden dagegen, vor der Bürgerbewegung zurückzuweichen. Er missbilligte Modrows Kompromissbereitschaft. Wahrscheinlich hatte ihn Modrow gerade deshalb unmittelbar danach angewiesen, seine eigene Sicht der Ereignisse darzustellen. Das Ergebnis – die Sicht des vor Ort verantwortlichen Stasi-Funktionärs auf die erste Phase der Revolution – ist im vorliegenden Dokument nachzulesen.
In seinem Bericht stellt Böhm aber auch fest, dass die massiven Polizeieinsätze auch gegen friedliche Demonstranten die Sympathien für das Neue Forum noch erheblich verstärkten. Selbst "progressive Kräfte" (also Anhänger des Regimes) würden zunehmend Zweifel daran äußern. Im Anschluss an seinen kurzen Bericht, macht Böhm eine Reihe von Vorschlägen für das weitere Vorgehen, die faktisch darauf hinauslaufen, zur alten, repressiven Linie zurück zu kehren: "Alles muss möglichst im Keime erstickt werden."
[handschriftliche Ergänzung: Ex. AUG/K]
Bezirksverwaltung für Staatssicherheit
Leiter
Dresden, 9. Oktober 1989
[Stempel: Vertrauliche Verschlußsache
VVS—o002
BVfS Ddn—Nr.:[handschriftliche Ergänzung: 136/89]
[handschriftliche Ergänzung: 3.] Ausf. Bl./[manuell durchgestrichen: S.] [handschriftliche Ergänzung: 1] bis [handschriftliche Ergänzung: 5]]
[Kürzel unleserlich]
Entsprechend des Auftrages des 1. Sekretärs der SED-Bezirksleitung und Vorsitzenden der Bezirkseinsatzleitung Genossen Modrow vom 08.10.1989 wird die Lageentwicklung für die Zeit vom 03. — 08.10.1989 eingeschätzt. Aus der Sicht der Aufgabenstellungen der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit werden die nachfolgend genannten Schlußfolgerungen für die Gewährleistung der staatlichen Sicherheit im Bezirk Dresden unterbreitet.
Wie bekannt, haben sich seit längerer Zeit bis zum 03.10.89 eine Reihe Probleme entwickelt und angestaut, die auch die stabile Gewährleistung der staatlichen Sicherheit tangieren, die u.a. in den Analysen und Informationen von 03.07.1989 über
sowie in den in der Bezirkseinsatzleitung behandelten Lageeinschätzungen zu Plänen und Absichten des Gegners und innerer, feindlich-negativer Kräfte enthalten sind.
Nachdem es Mitte September 1989 einer erheblichen Anzahl sich in der UVR aufhaltender DDR-Bürger durch die unter Bruch internationaler Vereinbarungen getroffenen Entscheidungen der UVR ermöglicht wurde, rechtliche Regelungen der DDR zu durchbrechen sowie der im Interesse humanitärer Lösungen der in der BRD-Botschaft in Prag sich aufhaltender DDR-Bürger, über das Territorium der DDR ungehindert in die BRD zu gelangen, hat sich die politisch-operative Lage im Innere der DDR durch die zügellose Hetze und Verleumdungscampagne des Gegners und die massiven Einmischungsversuche verschärft. Diese Lage erfuhr am 03.10.1989 in gewisser Weise eine Zuspitzung und einen qualitativen Umschlag als bekannt wurde bzw. über die feindlichen Westmedien verkündet wurde, daß die sich erneut in großer Zahl in der BRD-Botschaft in Prag aufhaltenden DDR-Bürger innerhalb kurzer Zeit zum zweitenmal über das Territorium der DDR in die BRD gelangen konnten.
Unmittelbarer Auslöser für die Vorkommnisse am 03.10.1989 auf dem Hauptbahnhof in Dresden war u.a., daß die am 03.10.1989 nachmittags von den Grenzorganen in Bad Schandau und anderen Grenzübergangsstellen ausgesetzten Personen, die bereits in Bad Schandau renitent und aggressiv ob der getroffenen zentralen Entscheidung in Erscheinung traten, nach Dresden zurückgeführt wurden und mit ausreisenden Personen aus der Republik, die auf Grund der Aussetzung des visafreien Reiseverkehrs nicht weiterreisen konnten, im Konzentrationspunkt Dresden zusammentrafen.
Bezirkseinsatzleitungen waren wie die Kreiseinsatzleitungen Teil der regionalen Kommandostruktur des Nationalen Verteidigungsrates. Ursprüngliche Absicht war die Einrichtung von Koordinierungs- und Befehlsorganen für den inneren Notstand in allen Bezirken, gründend auf den unmittelbaren Erfahrungen des 17. Juni 1953. Tatsächlich entwickelten sich die BEL zu einem Planungsgremium für den Mobilmachungs- und Kriegsfall. Nicht nur die direkte Steuerung der bewaffneten Organe, sondern besonders die staatliche, wirtschaftliche, infrastrukturelle und gesellschaftliche Vorbereitung des Landes auf eine solche Situation stand im Mittelpunkt der BEL-Tätigkeit seit den 60er Jahren. 1957 begann der systematische Aufbau der BEL.
Mitglieder der BEL waren die 1. Bezirkssekretäre der SED als Vorsitzende; die Vorsitzenden der Räte der Bezirke; die Leiter der Abteilungen für Sicherheitsfragen in den SED-Bezirksleitungen als BEL-Sekretäre; die Chefs der Bezirksbehörden der Volkspolizei; die Leiter der Bezirksverwaltungen des MfS; die Chefs der Wehrbezirkskommandos der NVA sowie von 1966 bis 1968 die Vorsitzenden der Bezirkswirtschaftsräte. Zunächst oblag den Chefs der Bezirksdirektionen der Volkspolizei die Stabsarbeit der BEL. Mit deren zunehmend militärischer Ausrichtung übernahmen 1965 die Chefs der NVA-Wehrbezirkskommandos diese Aufgabe. Interne Angelegenheiten des MfS waren nicht Gegenstand der BEL-Beratungen. Weil dort die gemeinsame Koordinierung aller Sicherheitsorgane abgestimmt wurde, erhielten aber auch die Leiter der BV Aufträge zur Umsetzung von BEL-Beschlüssen. Die Aufgaben der BEL wurden in Direktiven und Statuten festgelegt. Mit Befehl 16/89 des NVR-Vorsitzenden Egon Krenz vom 29.11.1989 stellten die BEL ihre Tätigkeit ein.
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
Regime, auch Regimeverhältnisse, bezeichnet die Gesamtheit der Verhältnisse und Lebensbedingungen eines Landes oder geographischen Raumes (z. B. politische Entwicklungen, administrative Strukturen, kulturelle Besonderheiten, behördliche Sicherheitsvorkehrungen), deren Kenntnis für ein effektives und unauffälliges nachrichtendienstliches Handeln notwendig war. Mit diesen Kenntnissen sollten vor allem das IM-Netz im Westen und der grenzüberschreitende Agentenreiseverkehr geschützt werden.
So sollten IM im Westeinsatz wissen, wie die bundesdeutsche Spionageabwehr arbeitete, wie streng Meldeformalitäten in Hotels gehandhabt wurden, wie man sich als durchschnittlicher Bundesbürger verhielt usw. Die Abteilung VI der HV A hatte die Aufgabe, systematisch Informationen über das Regime im Operationsgebiet zu sammeln und in der SIRA-Teildatenbank 13 nachzuweisen.
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Signatur: BStU, MfS, BV Dresden, Leiter, Nr. 10167, Bl. 1-5
In Dresden kam es seit dem 3. Oktober 1989 zu heftigen Krawallen. Ausreisewillige versuchten am Hauptbahnhof auf durchfahrende Züge aufzuspringen, die dort mit Botschaftsbesetzern aus Prag in Richtung Bundesrepublik durchfahren sollten. Der Chef der Staatssicherheit in Dresden, Horst Böhm, schildert in einem Bericht an den SED-Funktionär Hans Modrow seine Sicht auf die gewaltsamen Zusammenstöße von Demonstranten und Volkspolizei.
Im Oktober 1989 spitzte sich die politische Krise in der DDR zu. Die Fluchtwelle über Ungarn und die Tschechoslowakei hatte dramatische Ausmaße angenommen. Seit September 1989 sahen sich SED und MfS einer wachsenden und sich organisierenden Oppositionsbewegung in der DDR gegenüber. Während sich die Machthaber zum 40. Jahrestag der Staatsgründung selbst feierten, protestierten tausende Menschen in Dresden, Leipzig, Plauen und anderen Städten gegen das Regime.
In Dresden war es seit dem 3. Oktober zu heftigen Zusammenstößen gekommen, ausgelöst durch die Sperrung der Grenze zur Tschechoslowakei und das Zusammenströmen von Ausreisewilligen in der Elbestadt. Insgesamt wurden über 1.300 Personen festgenommen. Die Dresdner Ereignisse wurden zum Startschuss der Revolution: Zum ersten und einzigen Mal in diesem Herbst kam es zu größerer Gewaltanwendung von beiden Seiten. Erst auf Initiative von Kirchenleuten wurde schließlich eine friedliche Lösung für den Konflikt gefunden. Mit Hans Modrow als 1. Bezirkssekretär der SED in Dresden stand den Demonstranten auf der anderen Seite ein Funktionär gegenüber, der nach einigem Zögern einen solchen Schlichtungsversuch auch ohne Billigung aus Ost-Berlin riskierte.
Der Leiter der Dresdner Staatssicherheit, Horst Böhm, war mit der neuen Linie nicht einverstanden und ganz entschieden dagegen, vor der Bürgerbewegung zurückzuweichen. Er missbilligte Modrows Kompromissbereitschaft. Wahrscheinlich hatte ihn Modrow gerade deshalb unmittelbar danach angewiesen, seine eigene Sicht der Ereignisse darzustellen. Das Ergebnis – die Sicht des vor Ort verantwortlichen Stasi-Funktionärs auf die erste Phase der Revolution – ist im vorliegenden Dokument nachzulesen.
In seinem Bericht stellt Böhm aber auch fest, dass die massiven Polizeieinsätze auch gegen friedliche Demonstranten die Sympathien für das Neue Forum noch erheblich verstärkten. Selbst "progressive Kräfte" (also Anhänger des Regimes) würden zunehmend Zweifel daran äußern. Im Anschluss an seinen kurzen Bericht, macht Böhm eine Reihe von Vorschlägen für das weitere Vorgehen, die faktisch darauf hinauslaufen, zur alten, repressiven Linie zurück zu kehren: "Alles muss möglichst im Keime erstickt werden."
VVS Ddn. o002 - 136/89
Unter beiden Personengruppen befand sich eine hohe Anzahl Personen, die sich mit Gedanken und Absichten der Besetzung der Botschaften der BRD in sozialistischen Ländern bzw. des ungesetzlichen Verlassens der DDR beschäftigten. Diese Personen wurden in ihrer Aggressivität, Verärgerung und der Ablehnung der gesellschaftlichen Verhältnisse der DDR bestärkt.
Von Grenzübergangsstellen des Bezirkes zurückgeführte Personen verließen Dresden nicht sofort. Hier trafen sie auf Personen, die auch aus anderen Bezirken über Dresden in die CSSR und nach Ungarn ausreisen wollten, aber in Dresden aus dem Reiseverkehr herausgelöst waren.
Als am 04.10.1989 durch Mitteilungen in den Westmedien bekanntgegeben wurde, daß die Fahrtroute der aus der Prager BRD-Botschaft "befreiten" DDR-Bürger auf ihrer "Fahrt in die Freiheit" über Dresden führt, führte dies bei den aus dem Reisestrom herausgelösten und sich noch in Dresden aufhältigen DDR-Bürgern sowie bei den in Dresden in hoher Anzahl konzentrierten Antragstellern und anderen negativen Kräften zu weiteren Unmutsäußerungen.
Nicht unberücksichtigt darf bleiben, daß ca. 60 % der am 03. und 04.10.1989 aus dem Reisestrom herausgelösten Personen aus anderen Bezirken, darunter ein hoher Anteil Leipziger waren, die die Erfahrungen feindlich-negativen Wirkens von dort in Dresden am Abend des 04.10.1989 vordemonstrierten und dadurch die Dresdner feindlich-negativen Elemente ermutigt wurden. So sind u.a. die Ausschreitungen am 04.10.1989 vor und im Hauptbahnhof Dresden zu erklären. Die mit hoher Öffentlichtkeitswirksamkeit vorgetragenen feindlich-negativen Aktivitäten ermutigten auch andere negative Kräfte.
Der am Abend vom 04. zum 05.10.1989 bekannte Vandalismus hatte eine hohe Öffentlichkeitswirksamkeit. Die Mehrzahl der Menschen in Dresden verurteilte diesen Vandalismus, und die Handlungen der Sicherheitsorgane, besonders auch der Genossen der DVP, fanden Zustimmung und Anerkennung. In diese Situation hinein ist einzuordnen die gegenwärtige Haltung der ev. Kirche und Initiatoren und Anhänger der "Neuen Forum"-Leute, stärker gewaltlose Formen des Widerstandes zu initiieren, indem sie die Notwendigkeit gewaltlosen Widerstandes propagieren durch einerseits Verurteilung des Vandalismus, aber andererseits verstärkter Propagierung der Beseitigung der Ursachen der Unzufriedenheit unter der Bevölkerung durch Reformen und Änderung der Politik der SED und Regierung, wodurch die Zusammensetzung der Demonstranten und Ansammlungen in den letzten beiden Tagen verschoben wurde. Die Aktionen verloren an Aggressivität und physischer Gewaltanwendung und gewannen ihren zunehmend staatsfeindlichen Charakter in Form von Sprechchören, Plakaten, Schmierereien, anonymen Anrufen und passivem Widerstand gegen Maßnahmen der Schutz- und Sicherheitsorgane (also: Während am 04. und 05.10.1989 im Vordergrund Zusammenrottungen feindlich-negativer Elemente und aggressives, vandales Verhalten stand, haben sich in den letzten beiden Tagen "politisch-gewaltlose" Demonstrationen entwickelt, die in ihrem Inhalt, Ausmaß, Umfang, Dauer die staatliche Sicherheit und Ordnung ebenso erheblich beeinträchtigen.).
Straftaten gegen die staatliche Ordnung
Straftaten gegen die staatliche Ordnung waren Straftatbestände des 8. Kapitels des StGB/1968. Insbesondere der 2. Abschnitt ("Straftaten gegen die staatliche und öffentliche Ordnung") enthält politische Strafnormen, die für die strafrechtliche Untersuchungstätigkeit der Staatssicherheit (Untersuchungsorgan) von großer Bedeutung waren.
Das gilt vor allem für § 213 ("Ungesetzlicher Grenzübertritt"), der in der Honecker-Ära Grundlage von rund der Hälfte aller MfS-Ermittlungsverfahren war. Auch § 214 ("Beeinträchtigung staatlicher und gesellschaftlicher Tätigkeit") spielte, vor allem im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Ausreiseantragstellern, in den 80er Jahren eine immer wichtigere Rolle.
Ähnliches gilt für § 219 ("Ungesetzliche Verbindungsaufnahme") und § 220 ("Öffentliche Herabwürdigung der staatlichen Ordnung"), die die ähnlichen, aber schwerer wiegenden Strafnormen aus dem 2. Kapitel des StGB/1968 § 100 ("Staatsfeindliche Verbindungen", ab 1979 "Landesverräterische Agententätigkeit") und § 106 ("Staatsfeindliche Hetze") weitgehend verdrängten (Staatsverbrechen).
Die Kirchen gerieten nicht selten unter Verdacht, gegen die politischen Verhältnisse in der DDR zu opponieren. Das lag an ihrer weitgehenden Eigenständigkeit, an der christlichen Botschaft, die von den kommunistischen Ideologen als konkurrierendes Sinn- und Erklärungsangebot abgelehnt wurde, sowie an ihrem Beharren auf Mitsprache und Gestaltungsanspruch in gesellschaftlichen Fragen. Im Auftrag der SED wurde daher das MfS tätig, um die von den Kirchen ausgehenden vermeintlichen und tatsächlichen Gefahren für das politisch-ideologische System der DDR abzuwehren.
Die SED-Kirchenpolitik war in den vier Jahrzehnten der DDR Wandlungen unterworfen. In den 50er Jahren führte die SED mehrfach einen offenen Kirchenkampf. Dieser richtete sich u. a. gegen die kirchliche Jugend- und Studentenarbeit, v. a. bei der Einführung der Jugendweihe, sowie gegen karitative Einrichtungen wie die Bahnhofsmissionen. Mehrere Religionsgemeinschaften wurden verboten und deren Anhänger verfolgt.
Die SED war zudem bestrebt, die Verlesung von solchen Hirtenbriefen und Kanzelabkündigungen zu unterbinden, in denen sozialethische, gesellschaftskritische oder politische Fragen aufgegriffen wurden. Von der Polizei und dem MfS wurden kirchliche Einrichtungen durchsucht und Literatur beschlagnahmt. Neben kirchlichen Mitarbeitern wurden unter Mitwirkung des MfS auch Pfarrer – zwischen 1950 und 1960 mindestens 140 – inhaftiert.
Ab den 60er Jahren beschränkte sich die SED zunehmend darauf, durch eine rigorose Auslegung der Veranstaltungsordnung unerwünschte kirchliche Aktivitäten zu behindern. Das offizielle Eindringen in kirchliche Räume wie im November 1987, als es nachts in der Zionsgemeinde in Ostberlin zu Durchsuchungen und Festnahmen kam, war in den 70er und 80er Jahren eher untypisch, weil dies die Staat-Kirche-Beziehungen erheblich belastete. Vor allem seit 1978 bemühte sich die SED, ein Stillhalteabkommen zwischen Kirchenleitungen und Staat zu respektieren.
Das MfS versuchte aber stets, indirekt Einfluss auf kirchliche Entscheidungen zu nehmen. Dies und die verdeckte Informationsbeschaffung zählten zu den Hauptbetätigungsfeldern des MfS im Rahmen der von der SED konzipierten Kirchenpolitik. Die Informationsbeschaffung erfolgte mittels Observation, IM-Einsatz und auf dem Weg der sog. Gesprächsabschöpfung. Dabei gelang es in Einzelfällen auch, Christen in kirchlichen Leitungspositionen als IM zu gewinnen.
So arbeitete der thüringische Kirchenjurist und Oberkirchenrat Gerhard Lotz seit 1955 mit dem MfS als IM "Karl" zusammen. Durch die Positionierung eines Offiziers im besonderen Einsatz im Konsistorium in Magdeburg, Detlev Hammer, der ab 1974 juristischer, dann Oberkonsistorialrat war, vermochte es das MfS, einen hauptamtlichen Mitarbeiter innerhalb der Leitungsstruktur der provinzsächsischen Kirche zu platzieren. Außerdem hatte das MfS gegenüber den Kirchen dann tätig zu werden, wenn Verdachtsmomente dafür vorlagen, dass die Kirchen über den ihnen von der SED zugewiesenen religiös-kultischen Bereich hinaus tätig wurden.
Dementsprechend observierte das MfS Kirchengemeinden und Pfarrer, die – wie es beim MfS hieß – im Rahmen der "Partnerschaftsarbeit" Besuchskontakt zu Kirchengemeinden in der Bundesrepublik unterhielten. Das MfS legte hierzu OV an und ermittelte gegen die Organisatoren der Zusammenkünfte.
Als Ziele der MfS-Aufklärung galten ebenso kirchliche Synoden und Basistreffen, auf denen grundsätzlich die potenzielle Gefahr bestand, dass Kritik an den Verhältnissen in der DDR geübt werden würde. In das Blickfeld des MfS rückten die evangelischen Kirchen insbesondere ab Mitte der 70er Jahre: Zunächst rief die auch unter nichtkirchlichen Jugendlichen an Attraktivität gewinnende kirchliche Jugendarbeit, dann die Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsarbeit unter dem Dach der Kirche den Argwohn des MfS hervor.
Insgesamt war das MfS nur eine von mehreren Institutionen des SED-Staates, die im Rahmen der SED-Kirchenpolitik tätig wurden. Im Zusammenspiel mit ihnen versuchte das MfS, die Kirchen zu kontrollieren und zu disziplinieren.
In Auswertung der kirchenpolitischen Kampagnen der 50er Jahre und bestärkt durch konzeptionelle Arbeiten, drängte die SED-Führung ab Anfang der 80er Jahre zunehmend auf ein koordiniertes Vorgehen. Die vom MdI und den Abteilungen für Inneres erstellten Rapportmeldungen, Berichte und Personeneinschätzungen zu Gottesdiensten und kirchlichen Mitarbeitern wurden vereinbarungsgemäß dem MfS zur Verfügung gestellt und bildeten häufig den Grundstock jener Berichte und Personencharakteristiken, die sich in den Beständen des MfS wiederfinden.
Bereits vor Gründung des MfS hatte bei der Deutschen Verwaltung des Innern in der Abteilung K 5 das Referat C 3 existiert. Als Aufgabenbeschreibung wurde die "Aufklärung und Bekämpfung der kirchlichen Feindtätigkeit" genannt. Ab 1950 bestand im MfS zunächst die Abteilung V, die sich ab 1953 Hauptabteilung V nannte und 1964 im Zuge einer Umstrukturierung zur Hauptabteilung XX wurde.
Innerhalb dieser Organisationsstruktur zeichnete die Abt. 4 für die "Bearbeitung" der Kirchen verantwortlich. 1988 gliedert sich diese in sechs Fachreferate, wobei je eins für die evangelischen Kirchen, die katholische Kirche sowie die Religionsgemeinschaften und Sekten zuständig war. Ein Referat widmete sich Operativen Vorgängen. Als Schwerpunkt der Arbeit wurde die "Bekämpfung der politischen Untergrundtätigkeit" benannt. Zwei weitere Referate nahmen koordinierende Funktionen wahr.
Neben der Hauptabteilung XX/4 stützte sich das MfS bei der Bekämpfung und Infiltration der Kirchen auf die Zuarbeit verschiedener Hauptabteilungen und Abteilungen - so u. a. auf die Dienste der HV A bei der "Aufklärung" von westlichen Partnergemeinden und Pfarrern, die die kirchliche Friedensarbeit in den ostdeutschen Gemeinden unterstützten. Im Fall der Inhaftierung kirchlicher Mitarbeiter übernahm die Hauptabteilung IX als Untersuchungsorgan den Vorgang.
Hinzu kamen andere institutionalisierte Formen der "Bearbeitung". Als politisch-ideologische fungierte ab 1958 das Referat Familienforschung, das Verwicklungen missliebiger Kirchenvertreter in das NS-Regime aufdecken oder konstruieren sollte, um die so Diffamierten unter Druck setzen zu können. Angesiedelt war es beim Deutschen Zentralarchiv in Potsdam. Es verwaltete verschiedene aus NS-Beständen stammende Unterlagen und wertete sie aus. Dabei handelte es sich um eine verdeckt arbeitende Einrichtung des MfS.
Um den steigenden Informationsbedarf – unter Berücksichtigung der Spezifik kirchlicher und religiöser Angelegenheiten – zu decken und um Sonderaufträge u. a. auch im Ausland ausführen zu können, etablierte das MfS 1960 die sog. Auswertungsgruppe, die dem Referat V zugeordnet wurde. In einem konspirativen Objekt in Berlin-Pankow ("Institut Wandlitz") arbeiteten hauptamtliche IM und mehrere OibE zusammen.
Seine "Absicherung" fand das Vorgehen des MfS gegenüber den Kirchen durch ein umfangreiches Netz von OibE und IM, die das MfS im Staatssekretariat für Kirchenfragen und in den Kirchenabteilungen der DDR-Bezirke unterhielt. 1989 gab es im Staatssekretariat drei OibE; zudem berichtete der persönliche Referent und Büroleiter der Staatssekretäre Hans Seigewasser und Klaus Gysi, Horst Dohle, ab 1975 als IM "Horst" dem MfS. Insgesamt aber gelang es dem MfS nicht, die Kirchen umfassend zu unterwandern.
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
Regime, auch Regimeverhältnisse, bezeichnet die Gesamtheit der Verhältnisse und Lebensbedingungen eines Landes oder geographischen Raumes (z. B. politische Entwicklungen, administrative Strukturen, kulturelle Besonderheiten, behördliche Sicherheitsvorkehrungen), deren Kenntnis für ein effektives und unauffälliges nachrichtendienstliches Handeln notwendig war. Mit diesen Kenntnissen sollten vor allem das IM-Netz im Westen und der grenzüberschreitende Agentenreiseverkehr geschützt werden.
So sollten IM im Westeinsatz wissen, wie die bundesdeutsche Spionageabwehr arbeitete, wie streng Meldeformalitäten in Hotels gehandhabt wurden, wie man sich als durchschnittlicher Bundesbürger verhielt usw. Die Abteilung VI der HV A hatte die Aufgabe, systematisch Informationen über das Regime im Operationsgebiet zu sammeln und in der SIRA-Teildatenbank 13 nachzuweisen.
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Signatur: BStU, MfS, BV Dresden, Leiter, Nr. 10167, Bl. 1-5
In Dresden kam es seit dem 3. Oktober 1989 zu heftigen Krawallen. Ausreisewillige versuchten am Hauptbahnhof auf durchfahrende Züge aufzuspringen, die dort mit Botschaftsbesetzern aus Prag in Richtung Bundesrepublik durchfahren sollten. Der Chef der Staatssicherheit in Dresden, Horst Böhm, schildert in einem Bericht an den SED-Funktionär Hans Modrow seine Sicht auf die gewaltsamen Zusammenstöße von Demonstranten und Volkspolizei.
Im Oktober 1989 spitzte sich die politische Krise in der DDR zu. Die Fluchtwelle über Ungarn und die Tschechoslowakei hatte dramatische Ausmaße angenommen. Seit September 1989 sahen sich SED und MfS einer wachsenden und sich organisierenden Oppositionsbewegung in der DDR gegenüber. Während sich die Machthaber zum 40. Jahrestag der Staatsgründung selbst feierten, protestierten tausende Menschen in Dresden, Leipzig, Plauen und anderen Städten gegen das Regime.
In Dresden war es seit dem 3. Oktober zu heftigen Zusammenstößen gekommen, ausgelöst durch die Sperrung der Grenze zur Tschechoslowakei und das Zusammenströmen von Ausreisewilligen in der Elbestadt. Insgesamt wurden über 1.300 Personen festgenommen. Die Dresdner Ereignisse wurden zum Startschuss der Revolution: Zum ersten und einzigen Mal in diesem Herbst kam es zu größerer Gewaltanwendung von beiden Seiten. Erst auf Initiative von Kirchenleuten wurde schließlich eine friedliche Lösung für den Konflikt gefunden. Mit Hans Modrow als 1. Bezirkssekretär der SED in Dresden stand den Demonstranten auf der anderen Seite ein Funktionär gegenüber, der nach einigem Zögern einen solchen Schlichtungsversuch auch ohne Billigung aus Ost-Berlin riskierte.
Der Leiter der Dresdner Staatssicherheit, Horst Böhm, war mit der neuen Linie nicht einverstanden und ganz entschieden dagegen, vor der Bürgerbewegung zurückzuweichen. Er missbilligte Modrows Kompromissbereitschaft. Wahrscheinlich hatte ihn Modrow gerade deshalb unmittelbar danach angewiesen, seine eigene Sicht der Ereignisse darzustellen. Das Ergebnis – die Sicht des vor Ort verantwortlichen Stasi-Funktionärs auf die erste Phase der Revolution – ist im vorliegenden Dokument nachzulesen.
In seinem Bericht stellt Böhm aber auch fest, dass die massiven Polizeieinsätze auch gegen friedliche Demonstranten die Sympathien für das Neue Forum noch erheblich verstärkten. Selbst "progressive Kräfte" (also Anhänger des Regimes) würden zunehmend Zweifel daran äußern. Im Anschluss an seinen kurzen Bericht, macht Böhm eine Reihe von Vorschlägen für das weitere Vorgehen, die faktisch darauf hinauslaufen, zur alten, repressiven Linie zurück zu kehren: "Alles muss möglichst im Keime erstickt werden."
VVS Ddn. o002 - 136/89
Diese Änderungen hatten auch Auswirkungen auf das Stimmungsbild der Bevölkerung in zweierlei Richtung:
a) Der Einfluß der Leute des "Neuen Forum" ist sprunghaft angestiegen, was u.a. seinen Ausdruck findet in den in erheblichem Umfang betriebenen gedeckten und offenen Unterschriftensammlungen für die Teilnahme an den staatsfeindlichen Forderungen der Linie "Neues Forum", an der Erarbeitung und Verlesung von Resolutionen und Erklärungen, vor allem im künstlerischen Bereich und
b) daß die anfänglich breiteste Zustimmung für das konsequente Handeln der Sicherheitsorgane umzuschlagen beginnt in eine zunehmende Ablehnung, da die Maßnahmen zu keinem sichtbaren Erfolg führen. Hinzu kommt, daß die politische Offensive mit den derzeitigen feindlichen Erscheinungen bekämpft und entgegengetreten werden muß, dies bisher noch nicht genügend entfaltet wurde und wirksam ist und der politische Kampf zur Bekämpfung der jetzigen gegnerischen Vorgehensweise verstärkt notwendig ist.
Daraus resultiert eine nicht zu übersehende gewisse Verunsicherung auch progressiver Kräfte in unserer Bevölkerung. Außerdem ist die innere Grundhaltung nicht weniger Menschen geprägt auch davon, daß sie zu wenig sichtbare Zeichen für dauerhafte Änderungen, offensichtlicher Mängel in der Versorgung, im Dienstleistungsbereich, im Gesundheitswesen und auf anderen Gebieten spüren. Damit verbunden ist die Zunahme der Meinungen, daß die feindlich-negativen Erscheinungen (Fluchtbewegung, Ausreisebestrebungen, Unmutsäußerungen verschiedenster Art) vorrangig in inneren Entwicklungsproblemen lägen und zu suchen seien.
Die Entwicklung der Lage besonders heute (09.10.89) und am 10.10.1989 hängt wesentlich davon ab, wie das mit dem Oberbürgermeister vereinbarte Gespräch verläuft und wie darüber in den 4
festgelegten Kirchen am 09.10.1989, 20.00 Uhr informiert wird und darauf die Teilnehmer reagieren. Es ist mit hohem Zuspruch und Teilnahme zu rechnen.
Es wird vorgeschlagen:
1.
An den heute in 4 großen Dresdner Kirchen stattfindenden "Informationsveranstaltungen" sollten jeweils verantwortliche Mitarbeiter des Staatsapparates und ausgewählte qualifizierte Kräfte eingesetzt werden und teilnehmen mit der Aufgabenstellung,
eine objektive Information der Teilnehmer über das Gespräch der "Abgeordneten" mit dem Oberbürgermeister zu gewährleisten und
im positiven Sinne Einfluß zu nehmen.
Die Kirchen gerieten nicht selten unter Verdacht, gegen die politischen Verhältnisse in der DDR zu opponieren. Das lag an ihrer weitgehenden Eigenständigkeit, an der christlichen Botschaft, die von den kommunistischen Ideologen als konkurrierendes Sinn- und Erklärungsangebot abgelehnt wurde, sowie an ihrem Beharren auf Mitsprache und Gestaltungsanspruch in gesellschaftlichen Fragen. Im Auftrag der SED wurde daher das MfS tätig, um die von den Kirchen ausgehenden vermeintlichen und tatsächlichen Gefahren für das politisch-ideologische System der DDR abzuwehren.
Die SED-Kirchenpolitik war in den vier Jahrzehnten der DDR Wandlungen unterworfen. In den 50er Jahren führte die SED mehrfach einen offenen Kirchenkampf. Dieser richtete sich u. a. gegen die kirchliche Jugend- und Studentenarbeit, v. a. bei der Einführung der Jugendweihe, sowie gegen karitative Einrichtungen wie die Bahnhofsmissionen. Mehrere Religionsgemeinschaften wurden verboten und deren Anhänger verfolgt.
Die SED war zudem bestrebt, die Verlesung von solchen Hirtenbriefen und Kanzelabkündigungen zu unterbinden, in denen sozialethische, gesellschaftskritische oder politische Fragen aufgegriffen wurden. Von der Polizei und dem MfS wurden kirchliche Einrichtungen durchsucht und Literatur beschlagnahmt. Neben kirchlichen Mitarbeitern wurden unter Mitwirkung des MfS auch Pfarrer – zwischen 1950 und 1960 mindestens 140 – inhaftiert.
Ab den 60er Jahren beschränkte sich die SED zunehmend darauf, durch eine rigorose Auslegung der Veranstaltungsordnung unerwünschte kirchliche Aktivitäten zu behindern. Das offizielle Eindringen in kirchliche Räume wie im November 1987, als es nachts in der Zionsgemeinde in Ostberlin zu Durchsuchungen und Festnahmen kam, war in den 70er und 80er Jahren eher untypisch, weil dies die Staat-Kirche-Beziehungen erheblich belastete. Vor allem seit 1978 bemühte sich die SED, ein Stillhalteabkommen zwischen Kirchenleitungen und Staat zu respektieren.
Das MfS versuchte aber stets, indirekt Einfluss auf kirchliche Entscheidungen zu nehmen. Dies und die verdeckte Informationsbeschaffung zählten zu den Hauptbetätigungsfeldern des MfS im Rahmen der von der SED konzipierten Kirchenpolitik. Die Informationsbeschaffung erfolgte mittels Observation, IM-Einsatz und auf dem Weg der sog. Gesprächsabschöpfung. Dabei gelang es in Einzelfällen auch, Christen in kirchlichen Leitungspositionen als IM zu gewinnen.
So arbeitete der thüringische Kirchenjurist und Oberkirchenrat Gerhard Lotz seit 1955 mit dem MfS als IM "Karl" zusammen. Durch die Positionierung eines Offiziers im besonderen Einsatz im Konsistorium in Magdeburg, Detlev Hammer, der ab 1974 juristischer, dann Oberkonsistorialrat war, vermochte es das MfS, einen hauptamtlichen Mitarbeiter innerhalb der Leitungsstruktur der provinzsächsischen Kirche zu platzieren. Außerdem hatte das MfS gegenüber den Kirchen dann tätig zu werden, wenn Verdachtsmomente dafür vorlagen, dass die Kirchen über den ihnen von der SED zugewiesenen religiös-kultischen Bereich hinaus tätig wurden.
Dementsprechend observierte das MfS Kirchengemeinden und Pfarrer, die – wie es beim MfS hieß – im Rahmen der "Partnerschaftsarbeit" Besuchskontakt zu Kirchengemeinden in der Bundesrepublik unterhielten. Das MfS legte hierzu OV an und ermittelte gegen die Organisatoren der Zusammenkünfte.
Als Ziele der MfS-Aufklärung galten ebenso kirchliche Synoden und Basistreffen, auf denen grundsätzlich die potenzielle Gefahr bestand, dass Kritik an den Verhältnissen in der DDR geübt werden würde. In das Blickfeld des MfS rückten die evangelischen Kirchen insbesondere ab Mitte der 70er Jahre: Zunächst rief die auch unter nichtkirchlichen Jugendlichen an Attraktivität gewinnende kirchliche Jugendarbeit, dann die Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsarbeit unter dem Dach der Kirche den Argwohn des MfS hervor.
Insgesamt war das MfS nur eine von mehreren Institutionen des SED-Staates, die im Rahmen der SED-Kirchenpolitik tätig wurden. Im Zusammenspiel mit ihnen versuchte das MfS, die Kirchen zu kontrollieren und zu disziplinieren.
In Auswertung der kirchenpolitischen Kampagnen der 50er Jahre und bestärkt durch konzeptionelle Arbeiten, drängte die SED-Führung ab Anfang der 80er Jahre zunehmend auf ein koordiniertes Vorgehen. Die vom MdI und den Abteilungen für Inneres erstellten Rapportmeldungen, Berichte und Personeneinschätzungen zu Gottesdiensten und kirchlichen Mitarbeitern wurden vereinbarungsgemäß dem MfS zur Verfügung gestellt und bildeten häufig den Grundstock jener Berichte und Personencharakteristiken, die sich in den Beständen des MfS wiederfinden.
Bereits vor Gründung des MfS hatte bei der Deutschen Verwaltung des Innern in der Abteilung K 5 das Referat C 3 existiert. Als Aufgabenbeschreibung wurde die "Aufklärung und Bekämpfung der kirchlichen Feindtätigkeit" genannt. Ab 1950 bestand im MfS zunächst die Abteilung V, die sich ab 1953 Hauptabteilung V nannte und 1964 im Zuge einer Umstrukturierung zur Hauptabteilung XX wurde.
Innerhalb dieser Organisationsstruktur zeichnete die Abt. 4 für die "Bearbeitung" der Kirchen verantwortlich. 1988 gliedert sich diese in sechs Fachreferate, wobei je eins für die evangelischen Kirchen, die katholische Kirche sowie die Religionsgemeinschaften und Sekten zuständig war. Ein Referat widmete sich Operativen Vorgängen. Als Schwerpunkt der Arbeit wurde die "Bekämpfung der politischen Untergrundtätigkeit" benannt. Zwei weitere Referate nahmen koordinierende Funktionen wahr.
Neben der Hauptabteilung XX/4 stützte sich das MfS bei der Bekämpfung und Infiltration der Kirchen auf die Zuarbeit verschiedener Hauptabteilungen und Abteilungen - so u. a. auf die Dienste der HV A bei der "Aufklärung" von westlichen Partnergemeinden und Pfarrern, die die kirchliche Friedensarbeit in den ostdeutschen Gemeinden unterstützten. Im Fall der Inhaftierung kirchlicher Mitarbeiter übernahm die Hauptabteilung IX als Untersuchungsorgan den Vorgang.
Hinzu kamen andere institutionalisierte Formen der "Bearbeitung". Als politisch-ideologische fungierte ab 1958 das Referat Familienforschung, das Verwicklungen missliebiger Kirchenvertreter in das NS-Regime aufdecken oder konstruieren sollte, um die so Diffamierten unter Druck setzen zu können. Angesiedelt war es beim Deutschen Zentralarchiv in Potsdam. Es verwaltete verschiedene aus NS-Beständen stammende Unterlagen und wertete sie aus. Dabei handelte es sich um eine verdeckt arbeitende Einrichtung des MfS.
Um den steigenden Informationsbedarf – unter Berücksichtigung der Spezifik kirchlicher und religiöser Angelegenheiten – zu decken und um Sonderaufträge u. a. auch im Ausland ausführen zu können, etablierte das MfS 1960 die sog. Auswertungsgruppe, die dem Referat V zugeordnet wurde. In einem konspirativen Objekt in Berlin-Pankow ("Institut Wandlitz") arbeiteten hauptamtliche IM und mehrere OibE zusammen.
Seine "Absicherung" fand das Vorgehen des MfS gegenüber den Kirchen durch ein umfangreiches Netz von OibE und IM, die das MfS im Staatssekretariat für Kirchenfragen und in den Kirchenabteilungen der DDR-Bezirke unterhielt. 1989 gab es im Staatssekretariat drei OibE; zudem berichtete der persönliche Referent und Büroleiter der Staatssekretäre Hans Seigewasser und Klaus Gysi, Horst Dohle, ab 1975 als IM "Horst" dem MfS. Insgesamt aber gelang es dem MfS nicht, die Kirchen umfassend zu unterwandern.
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
Regime, auch Regimeverhältnisse, bezeichnet die Gesamtheit der Verhältnisse und Lebensbedingungen eines Landes oder geographischen Raumes (z. B. politische Entwicklungen, administrative Strukturen, kulturelle Besonderheiten, behördliche Sicherheitsvorkehrungen), deren Kenntnis für ein effektives und unauffälliges nachrichtendienstliches Handeln notwendig war. Mit diesen Kenntnissen sollten vor allem das IM-Netz im Westen und der grenzüberschreitende Agentenreiseverkehr geschützt werden.
So sollten IM im Westeinsatz wissen, wie die bundesdeutsche Spionageabwehr arbeitete, wie streng Meldeformalitäten in Hotels gehandhabt wurden, wie man sich als durchschnittlicher Bundesbürger verhielt usw. Die Abteilung VI der HV A hatte die Aufgabe, systematisch Informationen über das Regime im Operationsgebiet zu sammeln und in der SIRA-Teildatenbank 13 nachzuweisen.
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