Signatur: BStU, MfS, BV Gera, AOP, Nr. 564/83, Bl. 138-140
Mit einem selbstgebauten Ballon gelang zwei Familien im im September 1979 die Flucht aus der DDR. Die Staatssicherheit war den "Tätern" auf der Spur gewesen, konnte die Flucht aber nicht verhindern.
Am 20. Juli 1979 fand ein Jäger im Grenzgebiet des DDR-Kreises Lobenstein einen Heißluftballon. Er meldete seinen Fund sofort den Behörden. Schnell wurde klar, dass hier jemand versucht hatte, die Republik unerlaubt in Richtung Westen zu verlassen. Die Stasi war sofort alarmiert und begann zu ermitteln.
Anfangs ging man davon aus, dass der Ballon erst nur einige Tage im Wald gelegen hatte. Bei der Befragung von Zeugen stellte sich jedoch heraus, dass der Ballon bereits am 3. Juli gesehen worden war. Auch die Grenztruppen hatten den Feuerschein am Himmel gesehen, der Beobachtung jedoch keine Bedeutung beigemessen.
In jener Nacht hatte Peter Strelzyk aus dem thüringischen Pößneck mit seiner Frau und den beiden Söhnen versucht, die Grenze zu Bayern von Norden in Richtung Süden zu überwinden. Das Fluggerät, das Strelzyk gemeinsam mit seinem Bekannten Günter Wetzel konstruiert und gebaut hatte, war jedoch zu früh gesunken und noch vor der Grenze, auf dem Gebiet der DDR, wieder gelandet. Wetzel, der ebenfalls mit seiner Frau und den gemeinsamen Kindern die DDR verlassen wollte, war vor dem Fluchtversuch aus der Sache ausgestiegen. Der Ballon, schon die zweite gemeinsame Konstruktion, war zu klein geraten und hätte die beiden Familien nicht tragen können. Nun, nach dem gescheiterten Fluchtversuch, entschlossen sich Strelzyk und Wetzel, einen dritten Ballon zu konstruieren – diesmal einen, der groß genug war, um acht Personen sicher in den Westen zu tragen.
Die Stasi versuchte inzwischen, aufgrund der an der Landestelle des zurückgelassenen Ballons gefundenen Hinweise, die Konstrukteure zu finden. Die Ballonhülle war aus 850 Quadratmeter Stoff gefertigt. Die Beschaffung einer solchen Menge hätte beim Kauf auffallen müssen. Aber aufgrund der Mangelwirtschaft in der DDR musste der Stoff über einen langen Zeitraum in vielen kleinen Posten gekauft werden. So konnte sich später keine Verkäuferin an eine bestimmte Person erinnern. Auch am Landeplatz zurückgelassene Medikamente für eine Schilddrüsenerkrankung brachten keine Erkenntnisse. Allein 800.000 Rezepte wurden im Bezirk Gera geprüft – ohne eine heiße Spur zu finden.
Mitte August ging die Stasi mit einer Fahndung an die Öffentlichkeit: Sie ließ in der Zeitung "Volkswacht" die am Landeplatz zurückgelassenen Gegenstände – ein Barometer, ein Taschenmesser und eine Wasserpumpenzange – abbilden und bat um zweckdienliche Hinweise. Doch auch dies blieb ohne Ergebnis.
In der Zwischenzeit nähten und bauten die Familien Strelzyk und Wetzel einen neuen, größeren Ballon (aus 1.200 Quadratmetern Stoff) und flogen mit ihm am 16. September 1979 in die Freiheit. Mit diesem selbstgebauten Ballon gelang den beiden Familien wohl eine der spektakulärsten Fluchten aus der DDR.
Schlußfolgerungen aus dem schweren Grenzdurchbruch mittels Ballon im Kreis Lobenstein am 16.9.1979
Am 20. 7. 1979 wurde durch einen freiwilligen Helfer der DVP im Kreis Lobenstein in der Sperrzone ein Ballon festgestellt, der in der Macht vom 3. zum 4. 7. 79 beim Versuch des ungesetzlichen Verlassens der DDR durch unbekannte Titer benutzt wurde.
Auf Grund dieses Vorkommnisses wurden im Bezirk und darüber hinaus umfangreiche Fahndungsmaßnahmen im Zusammenwirken mit dem MfS durchgefuhrt, um anhand der am Fundort sichergestellten Gegenstände die tatbeteiligten Personen zu ermitteln.
So wurden u.a. zielgerichtete Fahndungs- und Ermittlungshandlungen geführt zur Herkunft der vorgefundenen 3 Propangasflaschen und Medikamente und des Stoffes, der bei der Herstellung des Ballons Verwendung fand.
Um diese Fahndungsnaßnahmen offensiv zu führen, wurde durch den Chef der BDVP allen VPKÄ des Bezirkes eine detaillierte Fahndungsinformation übermittelt.
Trotz dieser Fahndungs- und Oberprüfungsmaßnahmen erfolgte am 16. 9. 1979 gegen 2.54 Uhr ein Grenzdurchbruch mittels Heißluftballon im Kreis Lobenstein durch 2 Familien aus Pößneck.
Im Rahmen der Untersuchung des Vorkommnisses konnte der Nachweis erbracht werden, daß dieses Vorhaben des ungesetzlichen Verlassens der DDR langfristig geplant und vorbereitet war.
Dabei fanden die Täter begünstigende Bedingungen und Umstände vor, die sie rigoros für ihre Straftat nutzten:
* der erste ging nicht hoch, da der dazu verwendete Stoff zu luftdurchlässig war
Straftaten gegen die staatliche Ordnung
Straftaten gegen die staatliche Ordnung waren Straftatbestände des 8. Kapitels des StGB/1968. Insbesondere der 2. Abschnitt ("Straftaten gegen die staatliche und öffentliche Ordnung") enthält politische Strafnormen, die für die strafrechtliche Untersuchungstätigkeit der Staatssicherheit (Untersuchungsorgan) von großer Bedeutung waren.
Das gilt vor allem für § 213 ("Ungesetzlicher Grenzübertritt"), der in der Honecker-Ära Grundlage von rund der Hälfte aller MfS-Ermittlungsverfahren war. Auch § 214 ("Beeinträchtigung staatlicher und gesellschaftlicher Tätigkeit") spielte, vor allem im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Ausreiseantragstellern, in den 80er Jahren eine immer wichtigere Rolle.
Ähnliches gilt für § 219 ("Ungesetzliche Verbindungsaufnahme") und § 220 ("Öffentliche Herabwürdigung der staatlichen Ordnung"), die die ähnlichen, aber schwerer wiegenden Strafnormen aus dem 2. Kapitel des StGB/1968 § 100 ("Staatsfeindliche Verbindungen", ab 1979 "Landesverräterische Agententätigkeit") und § 106 ("Staatsfeindliche Hetze") weitgehend verdrängten (Staatsverbrechen).
Strafprozessrechtlich zulässige Möglichkeit der offiziellen Kontaktaufnahme mit Verdächtigen, Zeugen und anderen Personen noch vor Einleitung eines Ermittlungsverfahrens (strafprozessuales Prüfungsstadium). Verdächtige konnten gemäß § 95 StPO/1968 zur Befragung zugeführt werden (Zuführung). Vom MfS wurde die B. gelegentlich als demonstrative Maßnahme zur Einschüchterung Oppositioneller genutzt, gegen die aus politischen Gründen kein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden sollte.
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
aktuelle Seite 1
Zur Seite 2 wechseln
Zur Seite 3 wechseln
Signatur: BStU, MfS, BV Gera, AOP, Nr. 564/83, Bl. 138-140
Mit einem selbstgebauten Ballon gelang zwei Familien im im September 1979 die Flucht aus der DDR. Die Staatssicherheit war den "Tätern" auf der Spur gewesen, konnte die Flucht aber nicht verhindern.
Am 20. Juli 1979 fand ein Jäger im Grenzgebiet des DDR-Kreises Lobenstein einen Heißluftballon. Er meldete seinen Fund sofort den Behörden. Schnell wurde klar, dass hier jemand versucht hatte, die Republik unerlaubt in Richtung Westen zu verlassen. Die Stasi war sofort alarmiert und begann zu ermitteln.
Anfangs ging man davon aus, dass der Ballon erst nur einige Tage im Wald gelegen hatte. Bei der Befragung von Zeugen stellte sich jedoch heraus, dass der Ballon bereits am 3. Juli gesehen worden war. Auch die Grenztruppen hatten den Feuerschein am Himmel gesehen, der Beobachtung jedoch keine Bedeutung beigemessen.
In jener Nacht hatte Peter Strelzyk aus dem thüringischen Pößneck mit seiner Frau und den beiden Söhnen versucht, die Grenze zu Bayern von Norden in Richtung Süden zu überwinden. Das Fluggerät, das Strelzyk gemeinsam mit seinem Bekannten Günter Wetzel konstruiert und gebaut hatte, war jedoch zu früh gesunken und noch vor der Grenze, auf dem Gebiet der DDR, wieder gelandet. Wetzel, der ebenfalls mit seiner Frau und den gemeinsamen Kindern die DDR verlassen wollte, war vor dem Fluchtversuch aus der Sache ausgestiegen. Der Ballon, schon die zweite gemeinsame Konstruktion, war zu klein geraten und hätte die beiden Familien nicht tragen können. Nun, nach dem gescheiterten Fluchtversuch, entschlossen sich Strelzyk und Wetzel, einen dritten Ballon zu konstruieren – diesmal einen, der groß genug war, um acht Personen sicher in den Westen zu tragen.
Die Stasi versuchte inzwischen, aufgrund der an der Landestelle des zurückgelassenen Ballons gefundenen Hinweise, die Konstrukteure zu finden. Die Ballonhülle war aus 850 Quadratmeter Stoff gefertigt. Die Beschaffung einer solchen Menge hätte beim Kauf auffallen müssen. Aber aufgrund der Mangelwirtschaft in der DDR musste der Stoff über einen langen Zeitraum in vielen kleinen Posten gekauft werden. So konnte sich später keine Verkäuferin an eine bestimmte Person erinnern. Auch am Landeplatz zurückgelassene Medikamente für eine Schilddrüsenerkrankung brachten keine Erkenntnisse. Allein 800.000 Rezepte wurden im Bezirk Gera geprüft – ohne eine heiße Spur zu finden.
Mitte August ging die Stasi mit einer Fahndung an die Öffentlichkeit: Sie ließ in der Zeitung "Volkswacht" die am Landeplatz zurückgelassenen Gegenstände – ein Barometer, ein Taschenmesser und eine Wasserpumpenzange – abbilden und bat um zweckdienliche Hinweise. Doch auch dies blieb ohne Ergebnis.
In der Zwischenzeit nähten und bauten die Familien Strelzyk und Wetzel einen neuen, größeren Ballon (aus 1.200 Quadratmetern Stoff) und flogen mit ihm am 16. September 1979 in die Freiheit. Mit diesem selbstgebauten Ballon gelang den beiden Familien wohl eine der spektakulärsten Fluchten aus der DDR.
* der zweite landete am 4. 7. 79 ca. 2 km vor der Staatsgrenze im Krs. Lobenstein
* mit dem 3. Ballon gelang das ungesetzliche Verlassen der DDR.
Insgesamt wurden 5 Tatversuche mit den Ballons durchgeführt
* 1. Tatversuch im April 1978 in einer Waldlichtung in Nähe der Ortschaft Neuenbeuthen;
* 2. Tatversuch ebenfalls im April 1978 (2-3 Tage später) in einem Steinbruch bei Dobritz;
* 3. u. 4. Tatversuch erfolgte im Raum Neuenbeuthen und Schleusingen.
Desweiteren wurden Teile des Brennersystems und das Luftaggregat unmittelbar im Grundstück des Strelzyk auf ihre Funktionstüchtigkeit überprüft.
- Zum Zwecke das BalIonbaus wurde vom 6. 8. - 6. 9. 79 in über 100 Orten der DDR 1250 m² Stoff gekauft, so u.
Darüber hinaus hinterließ Strezyk beim Nichtvorhandensein der gewünschten Stoffmengen in einigen Verkaufseinrichtungen u. a. auch in einer Stoffverkaufsstelle in Pößneck seine Adresse mit der Bitte, ihn beim Wareneingang sofort zu verständigen.
Im Kaufhaus in Jena, wo Strelzyk einen größeren Posten Stoff kaufen wollte, wurde er nach mehrmaligen Fragen des Verkäufers nach dem Verwendungszweck unsicher und während der Stoff aus dem Lager geholt wurde verließ er schnellstens das Kaufhaus, da ihm das Varhalten des Verkäufers verdächtig erschien.
- Dem Täter Strelzyk ist es gelungen, nach der am 4. 7. 79 im Kreis Lohenstein nicht geplanten Landung sich mit seiner Ehefrau und 2 Kindern im Alter von 11 und 15 Dahren in der Zeit von 2.30 - gegen 6.00 Uhr unbemerkt in der Sperrzone zu bewegen und liefen über Naundorf nach Lobenstein, wo sie gegen 7.00 Uhr eintrafen. Anschließend begaben sie sich zu Fuß bis kurz vor Heinersdorf, wo sie gegen 8.30 Uhr an den in der Nähe gelegenen Startplatz ankamen. Innerhalb von 5 Minuten beseitigten sie am Startplatz sämtliche Spuren und begaben sich mit PKW und Hänger nach Pößneck zurück, wo sie am selben Tag ihr "normales“ Leben fortsetzten.
Auf dem Rückweg waren sie Flammenwerfer, Gebläse und den umfunktionierten Motorradmotor in der Nähe der Ortschaft Goßwitz / Kr. Saalfeld auf eine Müllkippe, um bei ihren gescheiterten Versuch nicht bekannt zu werden.
- Die Täter konnten über Monate hinweg - vorwiegend in den Abend-uno Nachtstunden - unbeobachtet an der Herstellung der Ballons arbeiten und antsprechende Materialtransporte durchführen.
Straftaten gegen die staatliche Ordnung
Straftaten gegen die staatliche Ordnung waren Straftatbestände des 8. Kapitels des StGB/1968. Insbesondere der 2. Abschnitt ("Straftaten gegen die staatliche und öffentliche Ordnung") enthält politische Strafnormen, die für die strafrechtliche Untersuchungstätigkeit der Staatssicherheit (Untersuchungsorgan) von großer Bedeutung waren.
Das gilt vor allem für § 213 ("Ungesetzlicher Grenzübertritt"), der in der Honecker-Ära Grundlage von rund der Hälfte aller MfS-Ermittlungsverfahren war. Auch § 214 ("Beeinträchtigung staatlicher und gesellschaftlicher Tätigkeit") spielte, vor allem im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Ausreiseantragstellern, in den 80er Jahren eine immer wichtigere Rolle.
Ähnliches gilt für § 219 ("Ungesetzliche Verbindungsaufnahme") und § 220 ("Öffentliche Herabwürdigung der staatlichen Ordnung"), die die ähnlichen, aber schwerer wiegenden Strafnormen aus dem 2. Kapitel des StGB/1968 § 100 ("Staatsfeindliche Verbindungen", ab 1979 "Landesverräterische Agententätigkeit") und § 106 ("Staatsfeindliche Hetze") weitgehend verdrängten (Staatsverbrechen).
Strafprozessrechtlich zulässige Möglichkeit der offiziellen Kontaktaufnahme mit Verdächtigen, Zeugen und anderen Personen noch vor Einleitung eines Ermittlungsverfahrens (strafprozessuales Prüfungsstadium). Verdächtige konnten gemäß § 95 StPO/1968 zur Befragung zugeführt werden (Zuführung). Vom MfS wurde die B. gelegentlich als demonstrative Maßnahme zur Einschüchterung Oppositioneller genutzt, gegen die aus politischen Gründen kein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden sollte.
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
Zur Seite 1 wechseln
aktuelle Seite 2
Zur Seite 3 wechseln
Signatur: BStU, MfS, BV Gera, AOP, Nr. 564/83, Bl. 138-140
Mit einem selbstgebauten Ballon gelang zwei Familien im im September 1979 die Flucht aus der DDR. Die Staatssicherheit war den "Tätern" auf der Spur gewesen, konnte die Flucht aber nicht verhindern.
Am 20. Juli 1979 fand ein Jäger im Grenzgebiet des DDR-Kreises Lobenstein einen Heißluftballon. Er meldete seinen Fund sofort den Behörden. Schnell wurde klar, dass hier jemand versucht hatte, die Republik unerlaubt in Richtung Westen zu verlassen. Die Stasi war sofort alarmiert und begann zu ermitteln.
Anfangs ging man davon aus, dass der Ballon erst nur einige Tage im Wald gelegen hatte. Bei der Befragung von Zeugen stellte sich jedoch heraus, dass der Ballon bereits am 3. Juli gesehen worden war. Auch die Grenztruppen hatten den Feuerschein am Himmel gesehen, der Beobachtung jedoch keine Bedeutung beigemessen.
In jener Nacht hatte Peter Strelzyk aus dem thüringischen Pößneck mit seiner Frau und den beiden Söhnen versucht, die Grenze zu Bayern von Norden in Richtung Süden zu überwinden. Das Fluggerät, das Strelzyk gemeinsam mit seinem Bekannten Günter Wetzel konstruiert und gebaut hatte, war jedoch zu früh gesunken und noch vor der Grenze, auf dem Gebiet der DDR, wieder gelandet. Wetzel, der ebenfalls mit seiner Frau und den gemeinsamen Kindern die DDR verlassen wollte, war vor dem Fluchtversuch aus der Sache ausgestiegen. Der Ballon, schon die zweite gemeinsame Konstruktion, war zu klein geraten und hätte die beiden Familien nicht tragen können. Nun, nach dem gescheiterten Fluchtversuch, entschlossen sich Strelzyk und Wetzel, einen dritten Ballon zu konstruieren – diesmal einen, der groß genug war, um acht Personen sicher in den Westen zu tragen.
Die Stasi versuchte inzwischen, aufgrund der an der Landestelle des zurückgelassenen Ballons gefundenen Hinweise, die Konstrukteure zu finden. Die Ballonhülle war aus 850 Quadratmeter Stoff gefertigt. Die Beschaffung einer solchen Menge hätte beim Kauf auffallen müssen. Aber aufgrund der Mangelwirtschaft in der DDR musste der Stoff über einen langen Zeitraum in vielen kleinen Posten gekauft werden. So konnte sich später keine Verkäuferin an eine bestimmte Person erinnern. Auch am Landeplatz zurückgelassene Medikamente für eine Schilddrüsenerkrankung brachten keine Erkenntnisse. Allein 800.000 Rezepte wurden im Bezirk Gera geprüft – ohne eine heiße Spur zu finden.
Mitte August ging die Stasi mit einer Fahndung an die Öffentlichkeit: Sie ließ in der Zeitung "Volkswacht" die am Landeplatz zurückgelassenen Gegenstände – ein Barometer, ein Taschenmesser und eine Wasserpumpenzange – abbilden und bat um zweckdienliche Hinweise. Doch auch dies blieb ohne Ergebnis.
In der Zwischenzeit nähten und bauten die Familien Strelzyk und Wetzel einen neuen, größeren Ballon (aus 1.200 Quadratmetern Stoff) und flogen mit ihm am 16. September 1979 in die Freiheit. Mit diesem selbstgebauten Ballon gelang den beiden Familien wohl eine der spektakulärsten Fluchten aus der DDR.
Das Be- und Entladen des PKW-Hängers erfolgte nur in der Garage des Strelzyk und trotz des Vorhandensein der Garage wurde der PKW nur im freien abgeparkt, ohne daß dazu Hinweise an die VP hinsichtlich der Überprüfung dieser Handlungen auf eine mögliche Straftat der allgemeinen Kriminalität kamen.
Auch das Ausprobieren des Brennersysteme unmittelbar im Grundstück des Strelzyk veranlaßte niemand, Anzeige zu erstatten.
- Auch Personen aus dem Bekanntenkreis der Titer, die glaubhaft von den Vorbereitungen dieses Vorkommnisses Kenntnis hatten, informierten die Sicherheitsorgane nicht.
Aus heutiger Sicht lassen sich folgende Schlußfolgerungen au diesem Vorkommnis ziehen:
- bei tiefgründiger Durchsetzung der FahndungsinformatIon bis zu allen operativen Kräften der VP und der Kontrolle ihrer Einhaltung hatte es eine echte Chance gegeben, die Titer vor der Vollendung ihrer Straftat zu erkennen.
Obwohl in der Fahndungoinformation u. a. die Forderung gestellt wurde:
gelang es den Tatern nach mißglücktem Versuch am 4. 7. 79 erneut Vorbereitungen für das ungesetzliche Verlassen der DDR mittels Ballon zu treffen, da die Kontrolle der Durchsetzung der Fahndungsinformation bis zu den freiwilligen Helfern ungenügend durehgeführt wurde.
- Die intensive Einbeziehung gesellschaftlicher Kräfte bei der beugenden Aufklärung und Verhinderung von Straftaten gem. § 213, 105 und 100 StGB ist ein objektives Erfordernis geworden.
- Die Einflußnahme auf die staatlichen Organe hinsichtlich der vollen Wahrnehmung ihrer Verantwortung ist zu verstärken und zu kontrollieren. Bei konsequenter Durchsetzung der arbeitsrechtlichen Bestimmungen durch den Rat des Kreises Pößneck, hatte von dort ein entsprechender Hinweis an die zuständigen Organe gegeben werden müssen.
Straftaten gegen die staatliche Ordnung
Straftaten gegen die staatliche Ordnung waren Straftatbestände des 8. Kapitels des StGB/1968. Insbesondere der 2. Abschnitt ("Straftaten gegen die staatliche und öffentliche Ordnung") enthält politische Strafnormen, die für die strafrechtliche Untersuchungstätigkeit der Staatssicherheit (Untersuchungsorgan) von großer Bedeutung waren.
Das gilt vor allem für § 213 ("Ungesetzlicher Grenzübertritt"), der in der Honecker-Ära Grundlage von rund der Hälfte aller MfS-Ermittlungsverfahren war. Auch § 214 ("Beeinträchtigung staatlicher und gesellschaftlicher Tätigkeit") spielte, vor allem im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Ausreiseantragstellern, in den 80er Jahren eine immer wichtigere Rolle.
Ähnliches gilt für § 219 ("Ungesetzliche Verbindungsaufnahme") und § 220 ("Öffentliche Herabwürdigung der staatlichen Ordnung"), die die ähnlichen, aber schwerer wiegenden Strafnormen aus dem 2. Kapitel des StGB/1968 § 100 ("Staatsfeindliche Verbindungen", ab 1979 "Landesverräterische Agententätigkeit") und § 106 ("Staatsfeindliche Hetze") weitgehend verdrängten (Staatsverbrechen).
Aufklärung hatte innerhalb des MfS unterschiedliche Bedeutungen: Sie wird zur Bezeichnung des Tätigkeitsbereiches der Auslandsspionage verwendet, die überwiegend von der HV A getragen wurde, die teilweise auch kurz als Aufklärung bezeichnet wird. Darüber hinaus findet der Begriff Verwendung bei der Bezeichnung von Sachverhaltsermittlungen (Aufklärung eines Sachverhalts) und von Überprüfungen der Eignung von IM-Kandidaten (Aufklärung des Kandidaten).
Strafprozessrechtlich zulässige Möglichkeit der offiziellen Kontaktaufnahme mit Verdächtigen, Zeugen und anderen Personen noch vor Einleitung eines Ermittlungsverfahrens (strafprozessuales Prüfungsstadium). Verdächtige konnten gemäß § 95 StPO/1968 zur Befragung zugeführt werden (Zuführung). Vom MfS wurde die B. gelegentlich als demonstrative Maßnahme zur Einschüchterung Oppositioneller genutzt, gegen die aus politischen Gründen kein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden sollte.
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
Zur Seite 1 wechseln
Zur Seite 2 wechseln
aktuelle Seite 3
Dokumentation spektakulärer Fluchtversuche mit Hilfe von Fluggeräten Dokument, 93 Seiten
Bericht zur Aktion "Optimismus" Dokument, 15 Seiten
Wochenbericht nach Durchführung der Aktion "Festigung" im Oktober 1961 Dokument, 3 Seiten
Übersicht zu Besetzungen von Kreis- und Bezirksämtern des AfNS Dokument, 6 Seiten