Signatur: BStU, MfS, HA IX, Tb, Nr. 212-219
Am 23. September 1955 fand vor dem Obersten Gericht der DDR in Berlin ein Geheimprozess gegen Elli Barczatis und Karl Laurenz wegen Spionage für die Organisation Gehlen statt. Er war einer von mehreren Prozessen gegen tatsächliche oder vermeintliche Agentinnen und Agenten des westdeutschen Nachrichtendienstes in den 50er Jahren. In ihrem Schlusswort reagierte Barczatis auf die Urteilsforderung des Staatsanwalts Wolfgang Lindner.
Elli Barczatis wurde Anfang der 50er Jahre vermutlich ohne ihr Wissen zur Informantin für die Organisation Gehlen, die Vorläuferin des Bundesnachrichtendienstes (BND). Der westdeutsche Geheimdienst nutzte sie als Quelle in Ost-Berlin, ohne sie offiziell in diese Tätigkeit einzuweihen. Von April 1950 bis Januar 1953 war Barczatis die Chefsekretärin des Ministerpräsidenten der DDR, Otto Grotewohl. Kurz zuvor ging sie eine Liebesbeziehung mit dem Journalisten und Übersetzer Karl Laurenz ein, der nach seinem Bruch mit der SED und den daraus resultierenden beruflichen Schwierigkeiten begonnen hatte, für die Organisation Gehlen zu spionieren. Unter dem Vorwand, Material für seine journalistische Arbeit zu sammeln, ließ er sich von Barczatis mit internen Informationen aus dem Büro des Ministerpräsidenten versorgen.
Anfang 1951 wurde das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) durch den Tipp einer ehemaligen Kollegin von Barczatis, die später als Geheimer Informator (GI) für das MfS arbeitete, auf die beiden aufmerksam. Nach ersten Ermittlungen eröffnete die Stasi am 26. Juni 1951 wegen Spionageverdachts den Gruppenvorgang "Sylvester" gegen Barczatis und Laurenz. Dieser Schritt erfolgte, wenn sich ein Verdacht gegen mehrere Personen wegen "feindlicher Tätigkeit" erhärtete. In der Folgezeit unternahm die Stasi in enger Zusammenarbeit mit der sowjetischen Geheimpolizei weitere Schritte gegen Barczatis und Laurenz. Dazu gehörten Observierungen, Telefonüberwachungen und Briefkontrollen. Im Januar 1953 wurde Barczatis zu einem Parteilehrgang nach Potsdam delegiert. Danach erhielt sie zwar wieder eine Anstellung im Amt des Ministerpräsidenten, jedoch nicht mehr als persönliche Sekretärin Grotewohls, sondern in der Eingabenbearbeitung. Vermutlich veranlasste das MfS diese Versetzung, da es bereits seit 1953 von der Weitergabe interner Informationen aus dem Büro des Ministerpräsidenten an die Organisation Gehlen durch Barczatis bzw. Laurenz wusste. Am 4. März 1955 wurden die beiden verhaftet. Die Festnahme fiel in die Endphase der "Konzentrierten Schläge", die die Stasi im Nachgang des Aufstandes vom 17. Juni 1953 durchgeführt hatte. Diese Aktion symbolisierte einen Strategiewechsel des MfS bei der Verfolgung tatsächlicher oder vermeintlicher Agentinnen und Agenten westlicher Geheimdienste, insbesondere der Organisation Gehlen.
Am 23. September 1955 kam es vor dem 1. Strafsenat des Obersten Gerichts der DDR in Berlin-Mitte zum Prozess wegen Spionagetätigkeit. Generalstaatsanwalt Ernst Melsheimer war für die Anklage zuständig. Obwohl Barczatis spätestens mit dem Ende ihrer Tätigkeit für Grotewohl Anfang 1953 nur noch wenige nachrichtendienstlich verwertbare Berichte an Laurenz lieferte, verurteilte das Gericht beide Angeklagten zum Tode. Am 23. November 1955 wurden sie in der Untersuchungshaftanstalt I in Dresden durch das Fallbeil hingerichtet.
Von fast fünfzehn Stunden Verhandlung sind circa fünf als Tonbandaufnahmen im Archiv des BStU überliefert. Beim vorliegenden Ausschnitt handelt es sich um das Schlusswort von Elli Barczatis nach dem Plädoyer des Staatsanwalts.
Die vom geforderten Strafmaß entsetzte Angeklagte betont noch einmal umfassend ihre Reue und ihre enge Verbundenheit zur DDR. Sie bittet das Gericht um ein milderes Urteil, um sich später bewähren und wieder für die sozialistische Gesellschaft einsetzen zu können.
Trotz der ursprünglichen Empfehlung Melsheimers zu einer lebenslänglichen Zuchthausstrafe, bestätigte das Oberste Gericht das Todesurteil. Nach der Ablehnung eines Gnadengesuchs durch den Präsidenten der DDR, Wilhelm Pieck, wurde es in den frühen Morgenstunden des 23. November 1955 vollstreckt. 2006 rehabilitierte das Landgericht Berlin Elli Barczatis und Karl Laurenz nach einem Antrag des Mauermuseums am Checkpoint Charlie.
[Richter Ziegler:]
Barczatis, wollen Sie vom Platz sprechen, ja?
[Elli Barczatis:]
Zum- -
[Richter Ziegler:]
Wollen Sie vom Platz aus sprechen?
[Elli Barczatis:]
Ja, bitte.
[Richter Ziegler:]
Was haben Sie noch zu sagen?
[Elli Barczatis:]
[Stimme brüchig, versucht Weinen zurückzuhalten] Zu meiner Verteidigung, hohes Gericht, kann ich nichts sagen. Das, was ich begangen habe, die schwere Schuld, die ich auf mich geladen habe, die kann ich nicht verteidigen. Es gibt eine Reihe von Dingen, die ich nicht gewusst habe, die ich nicht konkret gewusst habe, die ich zum Teil in der Untersuchungshaft, zum Teil bei der Gegenüberstellung und auch erst heute erfahren habe. Das alles ist aber keine Entschuldigung. Ich hätte das alles sehen müssen, gerade aufgrund meiner Vorkenntnisse, meiner Vorbildung. Ich habe, wie ich vorhin schon sagte, mir selbst Sand in die Augen gestreut.
Also es gibt, wie ich anfangs erwähnte, keine Verteidigung, keine Entschuldigung.
Von dem durch den Herrn Staatsanwalt beantragten Strafmaß bin ich so stark beeindruckt. [zittrige Stimme] Ich weiß, dass ich eine schwere Strafe verdient habe. Ich bin mir vollkommen darüber im Klaren, dass ich in meiner bisherigen Funktion und mit meinen Vorkenntnissen diese ganzen Zusammenhänge hätte erkennen müssen, zum Teil auch gesehen habe. Ich habe aber doch gehofft, dass mir Gelegenheit gegeben wird, meine Schuld wieder gutzumachen. [schluchzt]
Und ich bitte das hohe Gericht herzlichst, ich möchte vorher sagen, dass ich das, was ich begangen habe, diese schwere Schuld, die ich auf mich geladen habe, zutiefst bereue und ich bitte Sie, mir wirklich Glauben zu schenken. Und ich bitte das hohe Gericht weiter, wenn es in die Beratung eintritt über das Urteil, zu versuchen mildernde Umstände, also ein milderes Urteil für mich, auszusprechen, damit ich Gelegenheit habe, einmal mich während des Strafvollzuges zu bewähren, aber auch später dann weiter durch den Einsatz meiner Arbeitskraft mitzuhelfen am weiteren Ausbau und am Aufbau der Deutschen Demokratischen Republik.
Ich glaube die andern Dinge, die ich noch- - die Stellungnahme gehört wohl zum Schlusswort, ja? Ich weiß das nicht so genau.
[Richter Ziegler:]
Das haben Sie auch gleich Angeklagte.
[Elli Barczatis:]
[parallel] Kann ich gleich sagen, ja?
[Richter Ziegler:]
Das können Sie jetzt sagen.
[Elli Barczatis:]
[weint, räuspert, kann die Stimme schlecht kontrollieren] Hoher Senat!
Ich stehe heute zum ersten Mal vor einem Gericht und zwar vor dem Obersten Gericht der Deutschen Demokratischen Republik. Ich stehe unter einer der schwersten An- - unter der schwersten Anklage überhaupt, die es gibt. Die Anklage ist zutreffend, wie ich schon sagte. Und wie ich auch ebend schon erwähnt habe als Staatsfunktionär, als langjähriges Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, nicht nur als Mitglied sondern auch als Parteifunktionär, habe ich das in mich gesetzte große und schöne Vertrauen sowohl meiner Kollegen, meiner Vorgesetzten und insbesondere das des Herrn Ministerpräsidenten Grotewohl schändlich verraten.
Ich habe Staatsgeheimnisse weitergegeben.
Es war mir, wie gesagt, nicht im Einzelnen alles bekannt, aber das spielt wirklich keine Rolle. [Sprechpause, versucht ihre Stimme unter Kontrolle zu kriegen] Ich sagte bereits vorhin bei der Vernehmung, dass ich fast 30 Jahre berufstätig bin und dass ich nie in meinem Leben Dienstgeheimnisse weiter getragen habe. Es is' darum umso verwerflicher, dass ich jetzt in einem Arbeiter- und Bauernstaat, der gerade auch meine Interessen vertritt, die ich ja aus dem Arbeiterstand, aus der Arbeiterklasse komme, äh - stamme, dass ich da diesen Verrat begangen habe. [zittrige Atemzüge]
Ich habe durch den Verrat, durch de Weitergabe von - äh - Mitteilungen den imperialistischen Spionageorganisationen Handlangerdienste geleistet und habe damit die Wühl- und die Schädlingsarbeit unterstützt. Die Wühl- und Schädlingsarbeit gegen alle demokratischen Einrichtungen bei uns: gegen unseren Aufbau, gegen die wirtschaftlichen Einrichtungen, aber auch gegen die kulturellen, gegen die wissenschaftlichen und - äh - gegen di- - überhaupt gegen die Politik der Reg- - unsrer Regierung.
Ich habe aber nicht nur das getan, ich habe auch damit den Terror unterstützt, der in Westdeutschland gegen Friedenskämpfer vor sich geht. Ich habe damit auch den weiteren Ausbau der nationalen Front und im Zusammenhang damit, äh - also - mh - den weiteren Ausbau - äh - geschädigt und im Zusammenhang damit die Wiedervereinigung unseres deutschen Vaterlandes weiter hinaus gezögert.
Ich bin mir dessen bewusst. Die Ziele der Spionageorganisation sind mir bekannt - ich kann mich da nicht reinwaschen. Ich kenne sie aus der Presse, ich kenne sie aus den politischen Schulungen. [Sprechpause]
Ich habe im Anfang meiner - äh - Untersuchungshaft meine Schuld noch nicht voll eingesehen, wie ich ja schon sagte. Ich habe es nicht bagatellisieren wollen, es - ich weiß nicht wie ich m-m- - Ihnen das erklären soll, ich- - [tiefes Atmen] Die, die, die ganze letzte - äh - Anerkennung der Schuld mit allen Konsequenzen ist mir erst in letzter Zeit gekommen. Die volle Anerkennung.
Ich hatte, wie Ihnen bekannt ist, Gelegenheit zum politischen Studium. Ich habe die - äh - Akademie besucht, ich habe die Kreisparteischule besucht, ich habe an staatspolitischen Schulungen, an Arbeitsbesprechungen, an allen diesen Dingen teilgenommen. Ich habe sogar die - äh - Schulungen mit einem verhältnismäßig guten Zeugnis absolviert. Ich habe die, das Gelernte nicht genutzt. Ich habe für mich, für mein Leben und für meine Arbeit nicht die notwendige Quen- - Konsequenzen gezogen. Ich bin nicht nur durch Fahrlässigkeit und Leichtsinn und Unachtsamkeit zu einer Spionin, zu einem Verräter geworden, sondern durch mangelndes Vertrauen in der Politik der Regierung, unserer Regierung, durch mangels Vertrauen zur Partei der Arbeiterklasse. Ich habe mich beeinflussen lassen, einmal durch meinen persönlichen Umgang, zum anderen durch meinen nahen, ganz engen, äh - durch meine nahe, ganz enge Verbindung zu dem Mitangeklagten Laurenz.
Ich habe die - mh - Partei ver- - ich habe meine - mh, mh - Partei verraten. Ich habe ihr nicht mitgeteilt, dass - nicht nur nicht mitgeteilt, dass ich Verrat übe, dass ich Spionage übe. Ich habe ihr auch vorher schon nicht mitgeteilt, dass ich mit dem Mitangeklagten Laurenz eng befreundet bin.
Ich habe ihr das verschwiegen.
Ich sagte schon, ich, ich bin mir vollkommen im Klaren darüber, dass ich diese Dinge alle erkennen hätte müssen. Ich habe sie zum Teil nicht erkennen wollen, einige wenige Dinge nicht ge- - ähm - wirklich nicht gewusst, aber die spielen ja wie gesagt keine ausschlaggebende Rolle.
Ich habe in der, in den vergangenen neun Jahren - äh - während meiner Tätigkeit in der staatlichen Verwaltung s- - viel gearbeitet, auch sehr schwer gearbeitet und ich habe auch das getan, was der Herr Staatsanwalt vorhin von unsern Arbeitern und Bauern ausführte. Ich habe in der ersten Zeit in der Deutschen Zentralverwaltung der Brennstoffindustrie buchstäblich mit trockenem Brot gearbeitet. Ich habe nichts auf- - [schluchzt, Stimme bricht, weinend] drauf gehabt. Ich, ich hab viel gearbeitet. Ich habe Überstunden gemacht. Ich habe nachts gearbeitet und ich muss Ihnen sagen: ich habe sogar wirklich gern gearbeitet. Auch für mich ist Arbeit ein Lebensbedürfnis. Aber diese ganze Arbeit, diese - das is' alles hinfällig geworden durch meinen Verrat. Und ich darf doch wohl noch einmal die Bitte aussprechen, mir später Gelegenheit zu geben, meine Schuld gut zu machen.
[Richter Ziegler:]
Das is' zu Ihrer Verteidigung und aus, als Schlusswort das, was Sie zu sagen haben, Angeklagte Barczatis, ja?
[Elli Barczatis:]
[parallel] Ja, Herr Präsident.
[zittriger Atemgang]
[Richter Ziegler:]
Nehmen Sie Platz.
Haft im MfS
Die in der DDR herrschende diffuse Furcht vor dem Staatssicherheitsdienst hatte verschiedene Gründe. Die Angst, einfach abgeholt werden zu können und dann für unbestimmte Zeit zu verschwinden, spielte dabei eine nicht geringe Rolle. Reale Grundlage für diese Angst war das zwar geheime, aber zumindest durch Gerüchte und Vermutungen sehr präsente Haftsystem des MfS.
Schwerpunkt dieses Haftsystems waren 15 Untersuchungshaftanstalten (UHA) auf der Ebene der MfS-Bezirksverwaltungen. Außerdem gab es noch zwei UHA auf Ministeriumsebene in Ostberlin: in der Genslerstraße in Hohenschönhausen (UHA I) und in der Magdalenenstraße in Lichtenberg (UHA II). Das bekannteste MfS-Gefängnis war jedoch die Strafvollzugsanstalt Bautzen II, ein altes Gerichtsgefängnis in Bautzens Innenstadt. Formal betrachtet, unterstand dieses häufig als MfS-Sonderhaftanstalt bezeichnete Gefängnis jedoch der Verwaltung Strafvollzug des DDR-Innenministeriums (MdI); faktisch entschied hier jedoch das MfS über alle wichtigen Fragen, von der Auswahl der Angestellten bis zur Einweisung der Häftlinge.
Das größte MfS-Gefängnis war gleichzeitig das unbekannteste: In Berlin-Hohenschönhausen befand sich unmittelbar neben der Untersuchungshaftanstalt das sog. Lager X, ein Haftarbeitslager für bis zu 900 männliche Strafgefangene. Es existierte von Anfang der 50er bis Mitte der 70er Jahre. Weiterhin gab es in allen Untersuchungshaftanstalten des MfS eigene Strafgefangenenarbeitskommandos (SGAK).
Es gilt also zu unterscheiden zwischen Untersuchungshaft und Strafvollzug. Nur ein kleiner Teil der MfS-Untersuchungshäftlinge kam nach einer rechtskräftigen Verurteilung auch in den Strafvollzug des MfS. In Bautzen II wurden bekannte politische Häftlinge untergebracht, aber auch Gefangene, die wegen schwerwiegender Spionagevorwürfe verurteilt worden waren. Ins Lager X und in die SGAK der Untersuchungshaftanstalten wurden nur verhältnismäßig wenige politische Gefangene überstellt; hier wurden die Gefangenen vor allem für die Verrichtung von Arbeiten für das MfS eingesetzt und daher auch unter dem Gesichtspunkt beruflicher Qualifikation ausgewählt.
Dennoch wurden diese beiden Möglichkeiten wegen der - im Vergleich zum normalen Strafvollzug - besseren Haftbedingungen auch als Belohnung für besonders kooperative Häftlinge genutzt, gleichermaßen wegen der besonderen Geheimhaltung, aber auch zur Isolierung von straffällig gewordenen MfS-Mitarbeitern oder Funktionären aus Politik und Wirtschaft.
Das Hauptinteresse des MfS richtete sich auf die Untersuchungshaft. Hier führte das MfS in eigener Zuständigkeit strafprozessuale Ermittlungsverfahren durch und brachte die Beschuldigten in den eigenen Untersuchungshaftanstalten unter. Parallel zur normalen Untersuchungshaft, für die in der DDR seit 1952 nicht mehr die Justizverwaltung, sondern die Verwaltung Strafvollzug des MdI zuständig war, existierte hier ein paralleles Haftsystem für Beschuldigte, die vom MfS als Feinde eingestuft worden waren. Das gesonderte System umfasste nicht nur die Haftanstalten und die für die Ermittlungen zuständigen MfS-Mitarbeiter, sondern es erstreckte sich auch auf die Staatsanwaltschaften und Gerichte.
Für die Aufsicht in den vom MfS geführten Ermittlungsverfahren waren allein Staatsanwälte der Abteilungen I bzw. I A der General- bzw. Bezirksstaatsanwaltschaften zuständig, die vom MfS "bestätigt" worden waren. Das Gleiche galt für die für MfS-Fälle zuständigen Haftrichter. Formal wurden die Anforderungen der Strafprozessordnung zwar gewahrt, faktisch war jedoch das dort normierte System der Unterordnung der Ermittler unter die Staatsanwaltschaft sowie die Unabhängigkeit der Gerichte auf den Kopf gestellt (Justiz, Verhältnis des MfS zur).
Die Zuständigkeit für den Vollzug der Untersuchungshaft und den Strafvollzug lag im MfS bei der Abteilung XIV des Ministeriums sowie den ihr nachgeordneten Abteilungen XIV der Bezirksverwaltungen (Linie XIV). Für die Durchführung des Ermittlungsverfahrens waren die Hauptabteilung IX des Ministeriums sowie die ihr nachgeordneten Abteilungen IX der Bezirksverwaltungen (Linie IX), die im Außenkontakt als MfS-Untersuchungsabteilung firmierten, zuständig. Die Linien IX und XIV lagen im unmittelbaren Anleitungsbereich des Ministers für Staatssicherheit.
Die Haftbedingungen wandelten sich im Laufe der Zeit. Herrschten in den frühen 50er Jahren sehr einfache, an sowjetischen Verhältnissen orientierte, mitunter brutale Unterbringungs- und Umgangsformen vor - erinnert sei hier an das Kellergefängnis in Berlin-Hohenschönhausen, das sog. U-Boot -, besserten sich die materiellen Bedingungen danach langsam, aber kontinuierlich.
Von Häftlingen, die sowohl MfS- als auch MdI-Untersuchungshaftanstalten kennengelernt haben, werden die materiellen Unterbringungsbedingungen, also Zellenausstattung, Hygiene, Verpflegung etc. beim MfS regelmäßig als deutlich besser bezeichnet; innerhalb des MfS gab es ein Gefälle von der Ministeriumsebene zu den UHA der Bezirksverwaltungen. Umgekehrt wurden jedoch die Umgangsregeln beim MfS als unmenschlicher als beim MdI bezeichnet.
Beim MfS galt ein absolutes Primat der Sicherheit: Häftlinge wurden strikt voneinander getrennt; zwar gab es nicht nur Einzelhaft, aber es kam zu keinen zufälligen Begegnungen von Häftlingen untereinander. Sämtliche Kontakte wurden von der Untersuchungsabteilung gesteuert.
Die Häftlinge wurden außerhalb der Vernehmungen nicht mehr mit ihrem Namen, sondern nur mit einer Nummer angesprochen. MfS-Mitarbeitern war jede Kommunikation mit Häftlingen, die über das unbedingt dienstlich Erforderliche hinausging, streng verboten - schließlich hätten so Informationen vom MfS an die als Feinde betrachteten Häftlinge abfließen können. Alle eigentlich normalen Rechte von Inhaftierten, wie Besuchs-, Schreib-, Lese- oder Einkaufserlaubnis, Freigang, Versorgung mit Zigaretten, Kaffee oder Ähnliches, wurden als besondere Belohnung behandelt und von den Vernehmungsoffizieren zur gezielten Steuerung der Aussagebereitschaft eingesetzt.
Häftlinge fühlten sich so meist sehr schnell einem übermächtigen, weder durchschau- noch berechenbaren Apparat ohnmächtig ausgeliefert. Spezielle Methoden, wie die konspirative und überraschende Festnahme, die Einlieferung in geschlossenen Fahrzeugen, die Vermeidung jeglichen Sichtkontakts zu Orientierungspunkten außerhalb des Gefängnisses, die Wegnahme von Uhren und das Verbot von Schreibzeug und Aufzeichnungen in den Zellen, führten bei den Häftlingen oft zu einem Gefühl der räumlichen und zeitlichen Desorientierung.
Hinzu kam ein ausgeklügeltes Spitzelsystem unter den Häftlingen. Die Untersuchungsabteilungen sammelten gezielt Informationen unter den Häftlingen mit Hilfe angeworbener Zuträger, die zunächst als Kammeragenten (KA), später als Zelleninformatoren (ZI) bezeichnet wurden. Sie sollten von ihren Mithäftlingen jene Informationen erlangen, die diese in den Vernehmungen nicht preisgegeben hatten. Insbesondere in den 70er und 80er Jahren sollten sie Häftlinge oft aber auch nur in Gespräche zu bestimmten Themen oder Zusammenhängen verwickeln, die dann von der Untersuchungsabteilung mittels versteckter Abhöreinrichtungen in den Zellen aufgezeichnet und ausgewertet wurden.
Bei den Häftlingen führten diese Bedingungen häufig zu einem Gefühl psychischer Einkreisung, des Ausgeliefertseins und dem Schwinden jeglichen Widerstandsgeistes. Ohnehin hatten die meisten Häftlinge das berechtigte Empfinden einer extrem ungerechten Behandlung. Schließlich war seit Anfang der 60er Jahre die überwiegende Zahl Gefangener lediglich wegen ihrer Bestrebungen, die DDR in Richtung Westen zu verlassen, inhaftiert worden. Sie fühlten sich in ihrem Handeln im Einklang mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und diversen auch von der DDR unterzeichneten völkerrechtlichen Abkommen.
Eine weitere Häftlingsgruppe bildeten Menschen, die durch unerschrockene Wahrnehmung von oder Forderung nach politischen Rechten in den Augen der herrschenden Partei zu einer Gefahr für das Ansehen oder die Existenz der DDR geworden waren. Nur einem sehr kleinen Teil der Häftlinge wurden tatsächliche Staatsverbrechen zur Last gelegt.
Außerdem gab es neben den politischen Gefangenen auch noch Beschuldigte, denen gewöhnliche unpolitische Delikte angelastet wurden, die aber unter besonderer Geheimhaltung ermittelt und verhandelt werden sollten. Eine Rechtsgrundlage für den Betrieb von Untersuchungshaftanstalten durch das MfS gab es nicht. Der Strafvollzug des MfS widersprach seit Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes 1968 ausdrücklich der geltenden Rechtslage. Die strafprozessuale Ermittlungstätigkeit des MfS war erst seit 1968 in der Strafprozessordnung explizit geregelt, fand aber auch vorher statt.
Eine besondere Bedeutung hatten die MfS-Haftanstalten auch für die Praxis des Häftlingsfreikaufs durch die Bundesrepublik. Seitens der DDR wurden die konkreten Freikaufaktionen vom MfS koordiniert und durchgeführt. Sämtliche freigekauften Häftlinge durchliefen kurz vor ihrer Entlassung in die Bundesrepublik daher noch die MfS-Untersuchungshaftanstalt Karl-Marx-Stadt, in der die letzten Formalitäten erledigt wurden und von wo aus die Busse in die Bundesrepublik abfuhren.
Von 1950 bis 1968 geltende Bezeichnung für die gewöhnlichen inoffiziellen Mitarbeiter, in den ersten Jahren auch nur Informatoren genannt. 1968 wurden die GI überwiegend zu IMS. GI dienten vor allem der allgemeinen Informationsbeschaffung. Sie wurden dabei auch zunehmend zur Sicherung von Institutionen, zur Feststellung der Bevölkerungsstimmung, zur Überprüfung verdächtiger Personen, zur Verhinderung von Republikfluchten oder auch bei Ermittlungen und Fahndungen eingesetzt.
Untersuchungshaft ist eine freiheitsentziehende Zwangsmaßnahme zur Sicherung des Strafverfahrens. Die Untersuchungshaft begann nach der Verkündung des Haftbefehls durch einen Richter und endete mit der Überstellung in den Strafvollzug nach Erlangung der Rechtskraft einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, selten auch mit der Freilassung.
Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft waren ein dringender Tatverdacht sowie entweder Fluchtverdacht oder Verdunklungsgefahr (§ 112 StPO/1949, § 141 StPO/1952, § 122 StPO/1968). Der Vollzug der Untersuchungshaft war gesetzlich mit nur einem StPO-Paragraphen geregelt (§ 116 StPO/1949, § 147 StPO/1952, § 130 StPO/1968), alles Weitere in internen Ordnungen. Er erfolgte für Beschuldigte, deren Ermittlungsverfahren von der Staatssicherheit geführt wurden, in MfS-Untersuchungshaftanstalten in Berlin bzw. den Bezirksstädten der DDR.
Die Haftbedingungen waren dort von Willkür, völliger Isolation und daraus resultierender Desorientierung der Häftlinge gekennzeichnet. Für den Vollzug der Untersuchungshaft war im MfS die Linie XIV (Abt. XIV) zuständig; die Vernehmungen oblagen den Untersuchungsführern der Linie IX (HA IX).
Vernehmung von Elli Barczatis im Geheimprozess gegen sie und Karl Laurenz wegen Spionage Audio, 1 Stunde, 11 Minuten, 50 Sekunden
Vernehmung von Karl Laurenz im Geheimprozess gegen ihn und Elli Barczatis wegen Spionage Audio, 38 Minuten, 31 Sekunden
Schlusswort von Karl Laurenz im Geheimprozess gegen ihn und Elli Barczatis wegen Spionage Audio, 10 Minuten, 46 Sekunden
Eröffnung des Geheimprozesses gegen Elli Barczatis und Karl Laurenz wegen Spionage Audio, 4 Minuten, 7 Sekunden