Signatur: BArch, MfS, HA IX, Nr. 1588, Bl. 12-14
Das Zentralkomitee der SED griff im Dezember 1987 in das Strafverfahren gegen vier Skinheads ein, die ein Punkkonzert überfallen hatten. In einem Schreiben erläutert der Generalstaatsanwalt, wie die bewusst unpolitische Konzeption der ersten Gerichtsverhandlung zu dem zunächst geringen Strafmaß führte.
Am Abend des 17. Oktobers 1987 überfielen rechtsextreme Skinheads ein Punkkonzert in der Ost-Berliner Zionskirche. Neben der Punkband "Die Firma" spielte auf dem Konzert auch "Element of Crime" aus West-Berlin. Als die Konzertbesucherinnen und -besucher die vollbesetzte Kirche verließen, schlugen etwa 30 angetrunkene Neonazis aus Ost- und West-Berlin auf sie ein. Dabei brüllten sie faschistische Parolen wie "Juden raus", "Kommunistenschweine" und "Sieg Heil!". Anwesende Volkspolizisten registrierten das Geschehen, hielten sich aber im Hintergrund und griffen erst ein, nachdem ein Notruf eingegangen war.
Bei den anschließenden Ermittlungen arbeiteten Staatssicherheit und Volkspolizei eng zusammen. Der Überfall auf die Zionskirche zeigte, dass es trotz der geleugneten Existenz von Rechtsextremismus in der DDR eine gewaltbereite Neonazi-Szene gab. Da westliche Medien bereits einen Tag später über den Vorfall berichteten, konnten auch die DDR-Medien dieses Ereignis nicht mehr stillschweigend übergehen.
Für die Gerichtsverfahren stimmte sich die Staatssicherheit eng mit der Justiz der DDR ab. Im ersten Prozess erhielten die vier Hauptangeklagten zunächst unerwartet niedrige Strafen zwischen einem und zwei Jahren Haft. Nachdem es Proteste gegen die Urteile gegeben hatte, forderte die Generalstaatsanwaltschaft in Abstimmung mit dem Obersten Gericht der DDR in den Berufungsverhandlungen ein höheres Strafmaß. Die Neonazis aus Ost-Berlin erhielten schließlich Haftstrafen bis zu vier Jahren.
Der Generalstaatsanwalt kritisiert in dem vorliegenden Schreiben vom 14. Dezember 1987 die Konzeption der Gerichtsverhandlung vom 27. November, welche die Kriminalpolizei im Vorfeld verfasst hatte. Hier seien absichtlich "keine Hinweise auf faschistische und antisemitische Parolen" enthalten gewesen, um die Existenz neonazistischer Tendenzen unter DDR-Jugendlichen in der Öffentlichkeit zu vertuschen. Die öffentliche Kritik am als zu gering empfundenen Strafmaß der Täter sei nachvollziehbar.
Generalstaatsanwalt der DDR; Berlin, 14.12.1987
Zum Verlauf des Verfahrens gegen Busse und andere
1. Zunächst waren die Ausschreitungen der "Skinhaeds" am 17.10.1987 nicht bekannt. Erst auf ausdrückliche Rückfrage erfuhr der Generalstaatsanwalt von Berlin am 21.10.1987, daß es Vorkommnisse an der Zionskirche gegeben habe, die operativ bearbeitet wurden.
Am 23. 10. 1987 wurden Ewert und Brzezinski inhaftiert, am 28.10.1987 weitere 3 Personen, darunter die späteren Angeklagten Busse und Brandt.
Die Verantwortung für die Leitung des Verfahrens lag beim Generalstaatsanwalt von Berlin, Genossen Dieter Simon. Unter seiner Führung war der Staatsanwalt des Stadtbezirkes Berlin-Mitte tätig.
2. Im November (Zeitpunkt nicht mehr feststellbar) wurde Genossen Dieter Simon ein Vorschlag zur Durchführung einer gerichtlichen Verhandlung vor geladener Öffentlichkeit durch den Leiter der Abteilung Kriminalpolizei im Präsidium der Volkspolizei Berlin übersandt.
Inhalt dieser Konzeption war im wesentlichen:
- Hauptverhandlung am 27.11.1987, 8:30 Uhr vor dem Stadtbezirksgericht Berlin-Mitte;
- Darstellung des Sachverhaltes (der eine von "Skinhaeds" provozierte Schlägerei erfaßte, bei der mehrere Personen verletzt wurden);
- Zielstellung der Hauptverhandlung (konsequente staatliche Reaktion auf rowdyhafte Ausschreitungen; Zurückweisung der Behauptung aus kirchlichen Kreisen, daß die staatlichen Organe sich passiv verhielten);
- Forum nach Abschluß der Hauptverhandlung mit den Teilnehmern;
- Pressemitteilung.
Diese Konzeption enthielt keine Hinweise auf faschistische und antisemitische Parolen, die die Richtung dieses Rowdytums kennzeichneten. Das entsprach der mehrfach diskutierten damaligen Auffassung, daß durch den Prozeß nicht der Versuch des Gegners unterstützt wird nachzuweisen, daß Jugendliche der DDR faschistische Ideologie demonstrieren. [Teile des Absatzes wurden seitlich markiert]
Dieser Auffassung entsprach auch eine Information von Genossen Simon an die Bezirksleitung der Hauptstadt. Darin war folgender Abschnitt enthalten:
"Entgegen den Meldungen westlicher Medien werden wir nicht von einer Auseinandersetzung zwischen Banden von "Skinhaeds" und "Punkern" ausgehen, sondern von rowdyhaften Ausschrei- [Teile des Absatzes wurden seitlich markiert]
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Signatur: BArch, MfS, HA IX, Nr. 1588, Bl. 12-14
Das Zentralkomitee der SED griff im Dezember 1987 in das Strafverfahren gegen vier Skinheads ein, die ein Punkkonzert überfallen hatten. In einem Schreiben erläutert der Generalstaatsanwalt, wie die bewusst unpolitische Konzeption der ersten Gerichtsverhandlung zu dem zunächst geringen Strafmaß führte.
Am Abend des 17. Oktobers 1987 überfielen rechtsextreme Skinheads ein Punkkonzert in der Ost-Berliner Zionskirche. Neben der Punkband "Die Firma" spielte auf dem Konzert auch "Element of Crime" aus West-Berlin. Als die Konzertbesucherinnen und -besucher die vollbesetzte Kirche verließen, schlugen etwa 30 angetrunkene Neonazis aus Ost- und West-Berlin auf sie ein. Dabei brüllten sie faschistische Parolen wie "Juden raus", "Kommunistenschweine" und "Sieg Heil!". Anwesende Volkspolizisten registrierten das Geschehen, hielten sich aber im Hintergrund und griffen erst ein, nachdem ein Notruf eingegangen war.
Bei den anschließenden Ermittlungen arbeiteten Staatssicherheit und Volkspolizei eng zusammen. Der Überfall auf die Zionskirche zeigte, dass es trotz der geleugneten Existenz von Rechtsextremismus in der DDR eine gewaltbereite Neonazi-Szene gab. Da westliche Medien bereits einen Tag später über den Vorfall berichteten, konnten auch die DDR-Medien dieses Ereignis nicht mehr stillschweigend übergehen.
Für die Gerichtsverfahren stimmte sich die Staatssicherheit eng mit der Justiz der DDR ab. Im ersten Prozess erhielten die vier Hauptangeklagten zunächst unerwartet niedrige Strafen zwischen einem und zwei Jahren Haft. Nachdem es Proteste gegen die Urteile gegeben hatte, forderte die Generalstaatsanwaltschaft in Abstimmung mit dem Obersten Gericht der DDR in den Berufungsverhandlungen ein höheres Strafmaß. Die Neonazis aus Ost-Berlin erhielten schließlich Haftstrafen bis zu vier Jahren.
Der Generalstaatsanwalt kritisiert in dem vorliegenden Schreiben vom 14. Dezember 1987 die Konzeption der Gerichtsverhandlung vom 27. November, welche die Kriminalpolizei im Vorfeld verfasst hatte. Hier seien absichtlich "keine Hinweise auf faschistische und antisemitische Parolen" enthalten gewesen, um die Existenz neonazistischer Tendenzen unter DDR-Jugendlichen in der Öffentlichkeit zu vertuschen. Die öffentliche Kritik am als zu gering empfundenen Strafmaß der Täter sei nachvollziehbar.
tungen Jungerwachsener gegen andere Bürger."
Die Information wurde dem Genossen Simon inhaltlich bestätigt. Die gesamte Vorbereitung des Verfahrens wurde dadurch beeinflußt. Das entsprach auch der Tatsache, daß der Nachweis des Anteils der einzelnen Angeklagten an den Ausschreitungen - mit Ausnahme Busse - besonders hinsichtlich der Brüllerei faschistischer Parolen sehr unterschiedlich war.
In unmittelbarer Vorbereitung des Prozesses wurde für die Berichterstattung mündlich informiert, daß [unterstrichen: maximal] von antisemitischen, antireligiösen Äußerungen zu sprechen ist. [handschriftliche Anmerkung: ?]
3. Auch unter diesen Voraussetzungen ist der Strafantrag gegen Busse zu gering. In einer Vorberatung wurde auf 2 1/2 bis 3 Jahre orientiert. Aus vermeidbaren prozessualen Gründen wurde nur ein Strafantrag von 2 Jahren gestellt.
Auch die an dem Prozeß teilnehmenden Genossen aus dem Obersten Gericht und der Generalstaatsanwaltschaft wandten sich nicht dagegen.
4. Der Sachverhalt wurde - entsprechend den Ermittlungen - im gerichtlichen Verfahren gut herausgearbeitet. Die Verfahrensleitung durch den Vorsitzenden der Strafkammer, Richter Engelmann, war gut; das Plädoyer enthielt alle politischen Momente, um eine höhere Strafe zu beantragen. Die [unterstrichen: öffentliche Kritik] [handschriftliche Anmerkung: wessen?] an diesem Urteil ist absolut berechtigt und spricht von einer hohen Wachsamkeit der Öffentlichkeit unseres Landes gegenüber allen nazistischen oder neonazistischen Erscheinungen. Sie ist die zwangsläufige Folge der Diskrepanz zwischen Urteil und Berichterstattung.
Schlußfolgerungen:
1. Es ist zu sichern, daß bei Straftaten mit politischer Tragweite eine klare Konzeption für Verfolgung und Berichterstattung im Zusammenwirken zwischen Staatsanwalt und Untersuchungsorgan ausgearbeitet wird. Der Staatsanwalt hat auf dieser Grundlage seine gesetzliche Pflicht zur Leitung des Ermittlungsverfahrens strikt wahrzunehmen. [Teile des Absatzes wurden seitlich markiert]
2. Konzeptionen sind so früh wie möglich zu erarbeiten und mit den zuständigen leitenden Parteiorganen abzustimmen.
Sie sind entsprechend der Lage zu vervollständigen; darüber ist zu informieren.
3. Zum frühest möglichen Zeitpunkt, spätestens mit Abschluß der Ermittlungen ist von den Leitern der Justizorgane eine einheitliche Konzeption für die Anklage und Durchführung der gerichtlichen Hauptverhandlung zu erarbeiten. [Teile des Absatzes wurden seitlich markiert]
Erstes Stadium des Strafverfahrens, steht formal unter Leitung des Staatsanwaltes (§ 87 StPO/1968). Die eigentlichen Ermittlungen werden von den staatlichen Untersuchungsorganen (Polizei, MfS, Zoll) durchgeführt (§ 88 StPO/1968) und vom Staatsanwalt beaufsichtigt (§ 89 StPO/1968).
Tatsächlich waren für die Ermittlungen des MfS lediglich die zuvor vom MfS ausgewählten Staatsanwälte der Abteilungen IA zuständig, die gemäß MfS-internen Regelungen keine Einsicht in Unterlagen oder Ermittlungen, die nicht der StPO entsprachen, bekommen durften. Faktisch gab es daher eine doppelte Aktenführung in der zuständigen Linie IX: den internen Untersuchungsvorgang und die für Staatsanwaltschaft und Gericht bestimmte Gerichtsakte und somit keine wirksame staatsanwaltschaftliche Aufsicht über die MfS-Ermittlungen. Einleitung wie auch Einstellung des Ermittlungsverfahrens konnten selbständig von den Untersuchungsorganen verfügt werden (§§ 98, 141 StPO/1968).
Mit dem Ermittlungsverfahren verbunden waren Eingriffe in die persönliche Freiheit Beschuldigter durch die Untersuchungsorgane wie die Beschuldigten- und Zeugenvernehmung, die Durchsuchung, die Beschlagnahme, die Festnahme oder die Untersuchungshaft. In der Tätigkeit des MfS stellte das Ermittlungsverfahren einen besonders wirksamen Teil des repressiven Vorgehens gegen politische Gegner dar.
Der Begriff Untersuchungsorgan (russ.: sledstwennyj organ) ist sowjetischen Ursprungs und verdrängte in der DDR in den frühen 50er Jahren allmählich den traditionellen deutschen Begriff Ermittlungsbehörde. Untersuchungsorgane hatten laut Strafprozessordnung (StPO) der DDR die Befugnisse polizeilicher Ermittlungsbehörden und unterstanden bei der Bearbeitung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens de jure der Aufsicht des Staatsanwaltes (§§ 95-98 StPO/1952, §§ 87-89 StPO/1968).
Während anfangs das MfS insgesamt als Untersuchungsorgan galt, wurden später zumeist nur noch jene Bereiche, die strafrechtliche Ermittlungsverfahren durchführten, also die HA IX in der Berliner MfS-Zentrale und die fachlich nachgeordneten Abt. IX der BV, als Untersuchungsorgan bezeichnet. Neben den Untersuchungsorganen des MfS gab es in der DDR die Untersuchungsorgane des MdI (Kriminalpolizei) und der Zollverwaltung bzw. ihres Vorläufers Amt für Zoll und Kontrolle des Warenverkehrs (Zollfahndungsdienst). Bis 1953 übten auch die Kommissionen für staatliche Kontrolle in Wirtschaftsstrafverfahren die Funktionen von Untersuchungsorganen aus.
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Signatur: BArch, MfS, HA IX, Nr. 1588, Bl. 12-14
Das Zentralkomitee der SED griff im Dezember 1987 in das Strafverfahren gegen vier Skinheads ein, die ein Punkkonzert überfallen hatten. In einem Schreiben erläutert der Generalstaatsanwalt, wie die bewusst unpolitische Konzeption der ersten Gerichtsverhandlung zu dem zunächst geringen Strafmaß führte.
Am Abend des 17. Oktobers 1987 überfielen rechtsextreme Skinheads ein Punkkonzert in der Ost-Berliner Zionskirche. Neben der Punkband "Die Firma" spielte auf dem Konzert auch "Element of Crime" aus West-Berlin. Als die Konzertbesucherinnen und -besucher die vollbesetzte Kirche verließen, schlugen etwa 30 angetrunkene Neonazis aus Ost- und West-Berlin auf sie ein. Dabei brüllten sie faschistische Parolen wie "Juden raus", "Kommunistenschweine" und "Sieg Heil!". Anwesende Volkspolizisten registrierten das Geschehen, hielten sich aber im Hintergrund und griffen erst ein, nachdem ein Notruf eingegangen war.
Bei den anschließenden Ermittlungen arbeiteten Staatssicherheit und Volkspolizei eng zusammen. Der Überfall auf die Zionskirche zeigte, dass es trotz der geleugneten Existenz von Rechtsextremismus in der DDR eine gewaltbereite Neonazi-Szene gab. Da westliche Medien bereits einen Tag später über den Vorfall berichteten, konnten auch die DDR-Medien dieses Ereignis nicht mehr stillschweigend übergehen.
Für die Gerichtsverfahren stimmte sich die Staatssicherheit eng mit der Justiz der DDR ab. Im ersten Prozess erhielten die vier Hauptangeklagten zunächst unerwartet niedrige Strafen zwischen einem und zwei Jahren Haft. Nachdem es Proteste gegen die Urteile gegeben hatte, forderte die Generalstaatsanwaltschaft in Abstimmung mit dem Obersten Gericht der DDR in den Berufungsverhandlungen ein höheres Strafmaß. Die Neonazis aus Ost-Berlin erhielten schließlich Haftstrafen bis zu vier Jahren.
Der Generalstaatsanwalt kritisiert in dem vorliegenden Schreiben vom 14. Dezember 1987 die Konzeption der Gerichtsverhandlung vom 27. November, welche die Kriminalpolizei im Vorfeld verfasst hatte. Hier seien absichtlich "keine Hinweise auf faschistische und antisemitische Parolen" enthalten gewesen, um die Existenz neonazistischer Tendenzen unter DDR-Jugendlichen in der Öffentlichkeit zu vertuschen. Die öffentliche Kritik am als zu gering empfundenen Strafmaß der Täter sei nachvollziehbar.
Sie hat Aussagen zum Ziel des Verfahrens, zu der Mitwirkung gesellschaftlicher Kräfte und der Öffentlichkeitsarbeit zu enthalten.
In eigener Verantwortung jedes Organs wird die gemeinsame Linie den Nachgeordneten vermittelt.
Verantwortlich: Generalstaatsanwalt
Präsident des Obersten Gerichts
Leiter der zentralen Untersuchungsorgane
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Schreiben des Generalstaatsanwalts der DDR zum Skinheadverfahren Dokument, 6 Seiten
Information über bisherige Untersuchungen des Neonazi-Überfalls auf die Zionskirche Dokument, 4 Seiten
Information der BV Berlin zum Neonazi-Überfall auf ein Punkkonzert in der Zionskirche Dokument, 5 Seiten
Information über den Fund von Handzetteln der "Anti-Nazi-Liga" Dokument, 4 Seiten