Signatur: BStU, MfS, BV Suhl, AU, Nr. 48/53, Bl. 186-187
Während Volksaufstandes 1953 lösten sich in den ländlichen Regionen im Bezirk Suhl elf Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften auf. Auf einer Einwohnerversammlung in Hellingen am 17. Juni kam es zu Tumulten und Zwischenrufen. Die Staatssicherheit verhaftete daraufhin vier Bürger, die wegen "Boykotthetze" zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden.
Vom 16. bis 21. Juni 1953 kam es in fast 700 Städten und Gemeinden der DDR zu Demonstrationen und Streiks. Begann der 17. Juni noch als Arbeiteraufstand, entwickelte er sich schnell zum Volksaufstand weiter. Er nahm vielerorts revolutionäre Züge an, bevor er mit Hilfe von russischen Panzern unterdrückt wurde.
Der Bezirk Suhl gehörte in den Junitagen 1953 zu den wenigen Territorien der DDR, in denen nicht der Ausnahmezustand verhängt wurde. Neben den typischen sozialen und politischen Forderungen spielten in den Diskussionen der Bevölkerung in Suhl im Juni 1953 vor allem Zwangsumsiedlungen im Bezirk eine große Rolle. Ein Jahr zuvor hatte die DDR-Führung in einer Nacht-und-Nebel-Aktion Sperrzonen an der innerdeutschen Grenze eingerichtet. Wer als politisch unzuverlässig galt, musste diese Gebiete verlassen.
In den ländlichen Regionen des Bezirks lösten sich unter dem Eindruck der Ereignisse im Rest des Landes elf Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) auf. Andere blieben zwar bestehen, büßten jedoch nach massenhaften Austritten ihrer Mitglieder ihre Arbeitsfähigkeit ein. Schwerpunkte dieser Entwicklung waren die Landkreise Hildburghausen, Sonneberg und Meiningen. Auch in Hellingen, einer kleinen Gemeinde im Kreis Hildburghausen, waren am 17. Juni durch den RIAS und den Sender Frankfurt die Ereignisse in Berlin und anderen Orten der DDR bekannt geworden.
Das letzte Jahr war für die Bauern besonders hart gewesen. Die Pflichtablieferung ihrer Produkte zu geringen Preisen unter Androhung von Gefängnisstrafen bei der Nichterfüllung hatte ihnen arg zugesetzt. Kurzfristig wurde am 17. Juni eine Einwohnerversammlung einberufen, die um 21:15 Uhr begann. Das Einleitungsreferat hielt der Referent aus der Kreisstadt. Er behandelte oberflächlich die "Gründung von Haus- und Hofgemeinschaften". Das wollten die Hellinger an diesem Tag überhaupt nicht hören. Sie erwarteten eine Stellungnahme zu den Ereignissen in Berlin und den anderen Orten. Unmut und Proteste wurden laut, sogar der Sturz der Regierung gefordert. Mehrere Redner kritisierten unter großem Beifall die Politik der Regierung.
Zwei Tage später, am 19. Juni, marschierten Bewaffnete – darunter auch Sowjetsoldaten – in den Ort. MfS-Mitarbeiter verhafteten vier Hellinger Einwohner und verhörten sie die ganze Nacht. Bereits am nächsten Tag fand der Prozess vor dem 1. Strafsenat des Bezirksgerichts Suhl in Meiningen statt. Anklagevertreter war Bezirksstaatsanwalt Engelmann aus Hildburghausen.
Am 22. Juni, früh um 5:30 Uhr, verkündete das Gericht im Namen des Volkes die Urteile gegen die vier Personen: zwei Bauern erhielten Gefängnisstrafen wegen Staatsverleumdung bzw. Störung einer Versammlung. Der Landwirt Knopf jedoch wurde zu zweieinhalb und der Landwirt Stärker zu eineinhalb Jahre Zuchthaus wegen "Boykotthetze" verurteilt. Diese harten Urteile gegen die angesehenen Bauern lösten große Unruhe und Empörung aus, nicht nur in Hellingen. Jeder konnte sich hier vorstellen, was es bedeutet, wenn in der Erntezeit oder in der Zeit der Feldbestellung der Bauer fehlte.
Die Bemühungen der Hellinger Bürgerinnen und Bürger mit einer "Justizaussprache" eine Neuverhandlung der Urteile zu erwirken, waren jedoch ebenso vergeblich wie die Gnadengesuche der Ehefrauen der Verurteilten. Dass die Urteile vorher abgesprochen waren und der Bezirksstaatsanwalt Engelmann für eine Milderung der Urteile war, geht aus dem vorliegenden Schriftverkehr mit dem Generalstaatsanwalt der DDR hervor.
Der Staatsanwalt des Bezirks Suhl
Sitz Meiningen
Gesch.-Nr. 123/53
Meiningen, den
Karl-Marx-Straße 7a
Fernruf 586
13.07.1953
[Stempel: Oberste Staatsanwalt der Deutschen Demokratischen Republik
Eing: 16. Juli. 1953
Weiter geleitet: [Unterschrift]]
[handschriftliche Ergänzung: Z.d.A. bei Prüfung des § 346 berücksichtigen [Unterschrift] 17.07]
An den
Herrn Generalstaatsanwalt der Deutschen Dem. Republik in
Berlin
Scharnhorststrasse
Betr.: Strafverfahren gegen [anonymisiert] und Andere.
Bezug: Zur Beruf eng übersandte Akten.
Berichterstatter: Sta. Engelmann.
Ich übersende als Anlage ein Protokoll über den Justizausspracheabend am 11.07.1953 in Hellingen. Dieser Ausspracheabend hatte das Urteil gegen vier Hellinger Einwohner zum Gegenstand, die in der Nacht vom 20. zum 21.06. als Provakateure vom 17.06.1953 abgeurteilt wurden. Das vorliegende Protokoll führte die Vorsitzende des Kreises Hildburghausen.
Dieser Justizausspracheabend wurde durch den Leiter des VPKA Hildburghausen gefordert. Das Sekretariat der Bezirksleitung der SED in Suhl hatte zu diesen Abend Stellung genommen und den Genossen [anonymisiert] als Sekretariatsmitglied beauftragt an den Ausspracheabend teilzunehmen. Der Ausspracheabend kann als ein grosser Erfolg gewertet werden.
In der Diskussion kam immer wieder zum Ausdruck, dass die Einwohner von Hellingen das Urteil nicht verstehen. Ich habe darauf hingewiesen, dass dieses Urteil hinsichtlich des Angeklagten Knopf in der Berufungsinstanz beim Obersten Gericht der DDR ist und dass dieses Gericht darüber entscheidet, ob dieses Urteil bleibt oder nicht.
Im Protokoll sind ein paar kleine Fehler enthalten. Diese habe ich angestrichen. Dass Protokoll kann auch nicht den Anspruch erheben die gesamte Diskussion wieder zugeben aber das Hauptsächlichste ist enthalten. Auf jedenfall ist dieses Protokoll vollständiger als ich es in einen Bericht schilder könnte.
Nach Abschluss der Versammlung fand noch eine kurze Beratung zwischen den Vertretern der Bezirksleitung und Kreisleitung der SED und mir statt. Das Ergebnis dieser Beratung war, dass die Vertreter der Partei auf den Standpunkt stehen, dass Urteil sei zu hoch. Der Genosse [anonymisiert] vertrat diesen Standpunkt, obwohl er betonte, früher einen anderen vertreten zu haben.
Ich persönlich bin der Meinung, dass das Verhalten der Angeklagten
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
Staatsverbrechen waren im StEG/1957 (§§ 13-27) und in Kapitel 2 des StGB/1968 (§§ 96-111) beschriebene politische Straftaten, die in die Zuständigkeit des MfS als strafrechtliches Untersuchungsorgan (HA IX) fielen, weil eine staatsfeindliche Absicht und/oder eine staatsgefährdende Wirkung unterstellt wurden.
Zu den Staatsverbrechen zählten diktaturspezifisch kodifizierte "klassische" politische Straftaten wie Hochverrat und Spionagedelikte sowie als Meinungs- und Organisationsdelikte definierte Handlungen (Staatsfeindliche Hetze, Staatsfeindliche Gruppenbildung), die in demokratischen Staaten als Ausübung von Grundrechten gelten würden, außerdem unterschiedliche Handlungen oder Unterlassungen, bei denen den Tätern eine staatsfeindlich motivierte Schädigungsabsicht unterstellt wurde (Diversion, Sabotage).
Die als Staatsverbrechen bezeichneten Straftatbestände stehen überwiegend in sowjetischer Rechtstradition und gehen letztlich auf Artikel 58 des StGB der RSFSR ("Konterrevolutionäre Verbrechen") zurück. Bis Februar 1958 wurden sie von DDR-Gerichten in Ermangelung konkreter strafrechtlicher Regelungen pauschal mit Hilfe von Artikel VI der Verfassung von 1949 ("Boykott- und Kriegshetze") geahndet.
Staatsverbrechen galten als schwere Straftaten; bei einigen Tatbeständen (Hochverrat, Spionage, Terror, Diversion, Sabotage) umfasste der Strafrahmen bis 1987 auch die Todesstrafe.
Ein Untersuchungsvorgang war eine bei einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren des MfS und ggf. dem späteren Gerichtsverfahren entstandene Akte, die den Hergang des Strafverfahrens widerspiegelt und auch häufig Informationen zur Strafvollstreckung enthält.
Untersuchungsvorgänge zeigen die offizielle wie auch die inoffizielle Ebene des Verfahrens. Sie enthalten sowohl das strafprozessual legale Material (Haftbefehl, Vernehmungsprotokolle, Anklageschrift, Verhandlungsprotokoll, Urteil u. a.) als auch Dokumente geheimpolizeilichen Charakters, etwa zu konspirativen Ermittlungsmaßnahmen operativer Abteilungen oder Berichte von Zelleninformatoren.
Ein archivierter Untersuchungsvorgang kann bis zu sieben Bestandteile umfassen: Gerichtsakte, Beiakte zur Gerichtsakte, Handakte zur Gerichtsakte, Handakte zum Ermittlungsverfahren, Beiakte zur Handakte des Ermittlungsverfahrens, manchmal auch Vollstreckungsakten und ggf. die Akte des Revisions- oder Kassationsverfahrens.
Signatur: BStU, MfS, BV Suhl, AU, Nr. 48/53, Bl. 186-187
Während Volksaufstandes 1953 lösten sich in den ländlichen Regionen im Bezirk Suhl elf Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften auf. Auf einer Einwohnerversammlung in Hellingen am 17. Juni kam es zu Tumulten und Zwischenrufen. Die Staatssicherheit verhaftete daraufhin vier Bürger, die wegen "Boykotthetze" zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden.
Vom 16. bis 21. Juni 1953 kam es in fast 700 Städten und Gemeinden der DDR zu Demonstrationen und Streiks. Begann der 17. Juni noch als Arbeiteraufstand, entwickelte er sich schnell zum Volksaufstand weiter. Er nahm vielerorts revolutionäre Züge an, bevor er mit Hilfe von russischen Panzern unterdrückt wurde.
Der Bezirk Suhl gehörte in den Junitagen 1953 zu den wenigen Territorien der DDR, in denen nicht der Ausnahmezustand verhängt wurde. Neben den typischen sozialen und politischen Forderungen spielten in den Diskussionen der Bevölkerung in Suhl im Juni 1953 vor allem Zwangsumsiedlungen im Bezirk eine große Rolle. Ein Jahr zuvor hatte die DDR-Führung in einer Nacht-und-Nebel-Aktion Sperrzonen an der innerdeutschen Grenze eingerichtet. Wer als politisch unzuverlässig galt, musste diese Gebiete verlassen.
In den ländlichen Regionen des Bezirks lösten sich unter dem Eindruck der Ereignisse im Rest des Landes elf Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) auf. Andere blieben zwar bestehen, büßten jedoch nach massenhaften Austritten ihrer Mitglieder ihre Arbeitsfähigkeit ein. Schwerpunkte dieser Entwicklung waren die Landkreise Hildburghausen, Sonneberg und Meiningen. Auch in Hellingen, einer kleinen Gemeinde im Kreis Hildburghausen, waren am 17. Juni durch den RIAS und den Sender Frankfurt die Ereignisse in Berlin und anderen Orten der DDR bekannt geworden.
Das letzte Jahr war für die Bauern besonders hart gewesen. Die Pflichtablieferung ihrer Produkte zu geringen Preisen unter Androhung von Gefängnisstrafen bei der Nichterfüllung hatte ihnen arg zugesetzt. Kurzfristig wurde am 17. Juni eine Einwohnerversammlung einberufen, die um 21:15 Uhr begann. Das Einleitungsreferat hielt der Referent aus der Kreisstadt. Er behandelte oberflächlich die "Gründung von Haus- und Hofgemeinschaften". Das wollten die Hellinger an diesem Tag überhaupt nicht hören. Sie erwarteten eine Stellungnahme zu den Ereignissen in Berlin und den anderen Orten. Unmut und Proteste wurden laut, sogar der Sturz der Regierung gefordert. Mehrere Redner kritisierten unter großem Beifall die Politik der Regierung.
Zwei Tage später, am 19. Juni, marschierten Bewaffnete – darunter auch Sowjetsoldaten – in den Ort. MfS-Mitarbeiter verhafteten vier Hellinger Einwohner und verhörten sie die ganze Nacht. Bereits am nächsten Tag fand der Prozess vor dem 1. Strafsenat des Bezirksgerichts Suhl in Meiningen statt. Anklagevertreter war Bezirksstaatsanwalt Engelmann aus Hildburghausen.
Am 22. Juni, früh um 5:30 Uhr, verkündete das Gericht im Namen des Volkes die Urteile gegen die vier Personen: zwei Bauern erhielten Gefängnisstrafen wegen Staatsverleumdung bzw. Störung einer Versammlung. Der Landwirt Knopf jedoch wurde zu zweieinhalb und der Landwirt Stärker zu eineinhalb Jahre Zuchthaus wegen "Boykotthetze" verurteilt. Diese harten Urteile gegen die angesehenen Bauern lösten große Unruhe und Empörung aus, nicht nur in Hellingen. Jeder konnte sich hier vorstellen, was es bedeutet, wenn in der Erntezeit oder in der Zeit der Feldbestellung der Bauer fehlte.
Die Bemühungen der Hellinger Bürgerinnen und Bürger mit einer "Justizaussprache" eine Neuverhandlung der Urteile zu erwirken, waren jedoch ebenso vergeblich wie die Gnadengesuche der Ehefrauen der Verurteilten. Dass die Urteile vorher abgesprochen waren und der Bezirksstaatsanwalt Engelmann für eine Milderung der Urteile war, geht aus dem vorliegenden Schriftverkehr mit dem Generalstaatsanwalt der DDR hervor.
auf jedenfall strafwürdig ist. Ich vertrete weiter den Standpunkt, dass [anonymisiert] auch nach Art. VI der Verfassung zu bestrafen ist. Dabei vertrete ich jedoch eine Milderung des Urteils.
Bei dem Angeklagten [anonymisiert] war ich mir schon in der Hauptverhandlung in Zweifel ob sein Verhalten als Verbrechen nach Art. VI der Verfassung angesehen werden kann. Ich habe diesen Zweifel zwar zum Ausdruck gebracht aber trotzden eine Bestrafung nach dieser gesetzlichen Bestimmung beantragt, da ich mehr zu dieser Meinung neigte als auch diesen Angeklagten nach § 107a StGB bestrafen zu lassen.
Ich bitte bei der Überprüfung des Urteils das Protokoll und diesen Bericht mit zu berücksichtigen.
In Vertretung
[Unterschrift]
Engelmann
Staatsanwalt.
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
Staatsverbrechen waren im StEG/1957 (§§ 13-27) und in Kapitel 2 des StGB/1968 (§§ 96-111) beschriebene politische Straftaten, die in die Zuständigkeit des MfS als strafrechtliches Untersuchungsorgan (HA IX) fielen, weil eine staatsfeindliche Absicht und/oder eine staatsgefährdende Wirkung unterstellt wurden.
Zu den Staatsverbrechen zählten diktaturspezifisch kodifizierte "klassische" politische Straftaten wie Hochverrat und Spionagedelikte sowie als Meinungs- und Organisationsdelikte definierte Handlungen (Staatsfeindliche Hetze, Staatsfeindliche Gruppenbildung), die in demokratischen Staaten als Ausübung von Grundrechten gelten würden, außerdem unterschiedliche Handlungen oder Unterlassungen, bei denen den Tätern eine staatsfeindlich motivierte Schädigungsabsicht unterstellt wurde (Diversion, Sabotage).
Die als Staatsverbrechen bezeichneten Straftatbestände stehen überwiegend in sowjetischer Rechtstradition und gehen letztlich auf Artikel 58 des StGB der RSFSR ("Konterrevolutionäre Verbrechen") zurück. Bis Februar 1958 wurden sie von DDR-Gerichten in Ermangelung konkreter strafrechtlicher Regelungen pauschal mit Hilfe von Artikel VI der Verfassung von 1949 ("Boykott- und Kriegshetze") geahndet.
Staatsverbrechen galten als schwere Straftaten; bei einigen Tatbeständen (Hochverrat, Spionage, Terror, Diversion, Sabotage) umfasste der Strafrahmen bis 1987 auch die Todesstrafe.
Ein Untersuchungsvorgang war eine bei einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren des MfS und ggf. dem späteren Gerichtsverfahren entstandene Akte, die den Hergang des Strafverfahrens widerspiegelt und auch häufig Informationen zur Strafvollstreckung enthält.
Untersuchungsvorgänge zeigen die offizielle wie auch die inoffizielle Ebene des Verfahrens. Sie enthalten sowohl das strafprozessual legale Material (Haftbefehl, Vernehmungsprotokolle, Anklageschrift, Verhandlungsprotokoll, Urteil u. a.) als auch Dokumente geheimpolizeilichen Charakters, etwa zu konspirativen Ermittlungsmaßnahmen operativer Abteilungen oder Berichte von Zelleninformatoren.
Ein archivierter Untersuchungsvorgang kann bis zu sieben Bestandteile umfassen: Gerichtsakte, Beiakte zur Gerichtsakte, Handakte zur Gerichtsakte, Handakte zum Ermittlungsverfahren, Beiakte zur Handakte des Ermittlungsverfahrens, manchmal auch Vollstreckungsakten und ggf. die Akte des Revisions- oder Kassationsverfahrens.
Schreiben an den Generalstaatsanwalt der DDR zur Verhandlung gegen vier Hellinger Bürger Dokument, 2 Seiten
Urteil des Bezirksgerichts Suhl gegen vier Hellinger Bauern Dokument, 7 Seiten
Urteil gegen zwei Landwirte wegen "Boykotthetze" Dokument, 4 Seiten
Bericht über die Lage in der Landwirtschaft an der deutsch-deutschen Grenze im Juni und Juli 1960 Dokument, 18 Seiten