Signatur: BArch, MfS, SdM, Nr. 149, Bl. 3-5
Stasi-Minister Erich Mielke pries den Übertritt Tiedges gegenüber dem KGB-Vorsitzenden Wiktor Michailowitsch Tschebrikow am 19. September 1985 als vermeintlich herausragenden Erfolg an.
Am 19. August 1985 reiste Hansjoachim Tiedge über Helmstedt-Marienborn in die DDR. Zu dieser Zeit war Tiedge Gruppenleiter des Referates "Nachrichtendienste der DDR" beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Auf Grund seiner Funktion und seiner 19-jährigen Tätigkeit für das BfV besaß er umfassende Kenntnisse der westdeutschen Spionageabwehr gegen die DDR.
Bis zum 23. August gab es in der Bundesrepublik keine Hinweise auf Tiedges Aufenthaltsort. Erst als der ostdeutsche Nachrichtendienst ADN meldete, dass "Tiedge […] in die DDR übergetreten [ist] und […] um Asyl ersucht" hat, wusste die westdeutsche Seite Bescheid.
Die Stasi notierte zum Motiv des Überlaufens: "Ablehnung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung". Tatsächlich flüchtete Tiedge vor persönlichen Problemen. Hohe Schulden und übermäßiger Alkoholkonsum sowie der Tod seiner Frau hatten den Beamten in familiäre und dienstliche Schwierigkeiten gebracht.
Gegenüber seinen Geheimdienstpartnern stellte das MfS den Übertritt als Ergebnis einer langgeplanten, von der HV A gezielt organisierten Operation dar. Ob und wie lange Tiedge tatsächlich mit dem MfS vor seinem Übertritt Kontakt hatte, ist nicht bekannt. In einem persönlichen Schreiben wandte sich Stasi-Chef Erich Mielke an den KGB-Chef Wiktor Michailowitsch Tschebrikow und prahlte mit den Erkenntnissen aus Tiedges Vernehmungen. Unter anderem hätten durch Tiedges Informationen der "Einblick in die politische Führung und operative Praktiken des Verfassungsschutzes" vertieft und die Arbeitsweise der westdeutschen Spionageabwehr aufgeklärt werden können. Mielke behauptete auch, die "Operation führte zu einer vollständigen Enttarnung der Doppelagenten des Verfassungsschutzes auf dem Territorium der BRD und DDR". Das dürfte eine deutliche Übertreibung gewesen sein.
Berlin, den 19.09.1985
VMA/F/72/85
Persönlich
Mitglied des
Politbüros des ZK der KPdSU
Vorsitzender des Komitees
für Staatssicherheit der UdSSR
Genossen Armeegeneral V. M. Tschebrikow
Moskau
Streng geheim!
Werter Genosse Tschebrikow!
Im Zusammenhang mit komplexen koordinierten operativen Maßnahmen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR zur Bekämpfung des Bundesamtes für Verfassungsschutz der BRD in Köln trat am 19. August 1985 der Leiter der Spionageabwehr gegen die DDR
Regierungsdirektor
Tiedge, Hans Joachim Friedrich
geb. an 24. Juni 1937 in Berlin
wohnhaft: 5000 Köln 91, Kollwitzweg 7
Leiter der Referatsgruppe IV B im
Bundesamt für Verfassungsschutz
in die Deutsche Demokratische Republik über.
Damit wurde eine langfristig im Bundesamt für Verfassungsschutz geführte operative Aktion des MfS der DDR erfolgreich abgeschlossen.
Die Hauptverwaltung A (HV A) war die Spionageabteilung des MfS, deren Bezeichnung sich an die der Spionageabteilung des KGB, 1. Verwaltung, anlehnt. Der Ordnungsbuchstabe A wurde in der Bundesrepublik oftmals, aber unzutreffenderweise mit "Aufklärung" aufgelöst. Die HV A wurde 1951 als Institut für Wirtschaftswissenschaftliche Forschung (IWF) gebildet und ging im September 1953 als HA XV in das Staatssekretariat für Staatssicherheit ein. Sie wurde im MfS von 1956 bis zur Auflösung im Juni 1990 als HV A bezeichnet.
Der Schwerpunkt nachrichtendienstlicher Tätigkeit der HV A lag in der Bundesrepublik Deutschland und Westberlin, wo sie mit Objektquellen, d. h. den IM in den nachrichtendienstlichen Zielobjekten, aktiv war.
Die HV A gliederte sich 1956 in 15, 1989 in 20 Abteilungen.
Für die operative Arbeit gegen das Bundeskanzleramt und wichtige Bundesministerien war die Abteilung I, für die gegen die bundesdeutschen Parteien die Abteilung II und für die Arbeit außerhalb Deutschlands die Abteilung III zuständig. Für die Infiltration der USA war die Abteilung XI, für die NATO und die Europäischen Gemeinschaften die Abteilung XII verantwortlich. Mit der Militärspionage war die Abteilung IV befasst, mit der Unterwanderung gegnerischer Nachrichtendienste die Abteilung IX.
Innerhalb der Hauptverwaltung war vornehmlich der Sektor Wissenschaft und Technik (SWT) mit Wissenschafts- und Technikspionage befasst, der zu diesem Zweck die Abteilung XIII bis XV sowie die Arbeitsgruppen 1, 3 und 5 unterhielt sowie eine eigene Auswertungsabteilung, die Abteilung V bzw. ab 1959 Abteilung VII.
Leiter der HV A waren 1951/52 Anton Ackermann, kurzzeitig Richard Stahlmann, 1952-1986 Markus Wolf, dann Werner Großmann und 1989/90 Bernd Fischer. Von anfangs zwölf Mitarbeitern wuchs der Apparat bis 1955 auf 430, bis 1961 auf 524 Mitarbeiter und erreichte bis 1972 einen Umfang von 1.066 hauptamtlichen Mitarbeitern. Bis 1989 wuchs die HV A auf 3.299 hauptamtliche Mitarbeiter, hinzu kamen 701 OibE (1985: 1.006) sowie 778 HIM. OibE und HIM arbeiteten verdeckt in der DDR und im Operationsgebiet. Insgesamt verfügte die HV A also zuletzt über 4.778 Mitarbeiter.
Die Anzahl der von der HV A geführten IM umfasste im Jahre 1989 rund 13.400 in der DDR und weitere 1.550 in der Bundesrepublik. Über 40 Jahre hinweg werden nach Hochrechnungen insgesamt rund 6.000 Bundesbürger und Westberliner IM der HV A gewesen sein.
Spionageabwehr beinhaltete nicht nur defensives Abwehren westlicher Spionage, sondern auch offensive Bekämpfung westlicher (zumeist bundesdeutscher) Sicherheitsbehörden auf dem Gebiet der Bundesrepublik. Das MfS fasste den Spionagebegriff sehr weit, so dass auch Angehörige oppositioneller Gruppen oder westliche Korrespondenten und Diplomaten regelmäßig im Visier der Spionageabwehr standen.
Das MfS unterschied drei Arten der Spionageabwehr. Die innere Spionageabwehr agierte innerhalb der DDR. Die äußere (auch: offensive) Spionageabwehr sollte bundesdeutsche Sicherheitsbehörden direkt bekämpfen, sich dabei aber auf deren Außenstellen und nachgeordnete Diensteinheiten konzentrieren. Die Gegenspionage hatte die Aufgabe, Spione in den Zentralen bundesdeutscher Sicherheitsbehörden zu platzieren, um die westliche Spionage gegen die DDR schon im Vorfeld zu paralysieren. In der Praxis waren die Grenzen zwischen äußerer Spionageabwehr, für die die Hauptabteilung II zuständig war, und der Gegenspionage, die Sache der Abt. IX der HV A war, fließend.
Die Spionageabwehr des MfS reagierte einerseits auf die tatsächliche Spionage gegen die DDR. Vor allem der BND und sein Vorgänger, die Organisation Gehlen, unterhielten in der DDR bis zum Mauerbau 1961 ein großes Agentennetz. In den Folgejahren brachen viele Kontakte westlicher Geheimdienste zu ihren Agenten in der DDR ab, auch enttarnte die Spionageabwehr viele von ihnen.
Der BND setzte daraufhin verstärkt Bundesbürger zur Informationsgewinnung ein, die als Besucher oder Transitreisende in der DDR unterwegs waren ("Reise- und Transitspione"). Seit den 70er Jahren versuchte der BND vor allem DDR-Bürger, die als Dienstreisende in den Westen kamen, als Agenten anzuwerben. Westliche Geheimdienste betrieben in der DDR schwerpunktmäßig Militärspionage.
Das MfS ging andererseits von der unzutreffenden Annahme aus, dass politisch widerständiges Verhalten von DDR-Bürgern zumeist von westlichen Geheimdiensten inspiriert würde (Diversion, politisch-ideologische), sodass die Bekämpfung politischer Gegner oft in den Bereich der Spionageabwehr fiel, ebenso wie die Überwachung westlicher Journalisten und Diplomaten. Aufgrund des weit gefassten Spionagebegriffs waren zahlreiche MfS-Abteilungen mit Spionageabwehr befasst, was zu Ineffizienz führte. Mielke wies deshalb 1987 der Hauptabteilung II die Federführung bei der Spionageabwehr zu.
1953 bis 1955 verhaftete das MfS in drei Großaktionen 1.200 Personen in der DDR und Westberlin, die pauschal als westliche Agenten bezeichnet wurden. Tatsächlich befanden sich darunter etliche Personen, die nur politischen Widerstand gegen die SED geleistet hatten. In vielen Fällen wurden hohe Haftstrafen verhängt, mindestens zehn Menschen wurden hingerichtet. Zugleich nutzte das MfS diese Aktionen erfolgreich als Vorlagen für ausgeklügelte Pressekampagnen.
Auch in späteren Jahren wurden Erfolge der Spionageabwehr popularisiert, nicht zuletzt um spionagebereite DDR-Bürger abzuschrecken. Schwerpunktaktionen der Hauptabteilung II in den 70er und 80er Jahren richteten sich u. a. gegen Transitspione sowie gegen die Anwerbung von Angehörigen bestimmter Personengruppen durch westliche Dienste (beispielsweise Militärangehörige, Reisekader). Erfolge erzielte die HV A im Rahmen der Gegenspionage in den 70er und 80er Jahren u. a. aufgrund ihrer Top-Quellen im BND (Gabriele Gast, Alfred Spuhler), BfV (Klaus Kuron) und MAD (Joachim Krase).
Seit den 70er Jahren intensivierte das MfS die Strategie der "vorbeugenden Verhinderung": Immer mehr Bürger wurden als potenziell spionageverdächtig observiert, immer mehr Berufsgruppen zu Geheimnisträgern erklärt, das Personal der Hauptabteilung II aufgestockt, auch die Kreisdienststellen setzten nun einen Mitarbeiter ausschließlich für Aufgaben der Linie II (Linienprinzip) ein.
Generell profitierte die Spionageabwehr von der geschlossenen Gesellschaft der DDR, der flächendeckenden Observierung der Bevölkerung, der Kooperation mit anderen sozialistischen Geheimdiensten sowie der Strategie, Verdächtige mitunter über einen sehr langen Zeitraum zu observieren. Post- und Telefonkontrolle und die Funküberwachung im In- und Ausland dienten in erheblichem Maße der Spionageabwehr.
Die überzogene Sicherheitsdoktrin führte dazu, dass das MfS in der ersten Hälfte der 70er Jahre dem Hirngespinst eines Hochstaplers aufsaß und 144 DDR-Bürger als angebliche "Agenten mit spezieller Auftragsstruktur" (AsA), quasi als Eliteagenten westlicher Dienste, einstufte und es auf dieser fiktiven Grundlage zu zahlreichen Verurteilungen kam.
Vagen Schätzungen zufolge spionierten zwischen 1949 und 1989 rund 10.000 Ost- und Westdeutsche für den BND in der DDR, viele von ihnen nur für kurze Zeit und nicht in Schlüsselpositionen. Etwa 4.000 Agenten bundesdeutscher Dienste sollen in dieser Zeit durch die Spionageabwehr der DDR erkannt und festgenommen worden sein.
Etwa 90 Prozent der "Innenquellen" des BND in der DDR (Agenten, die direkt in einem auszuspionierenden Objekt tätig waren) sollen in den 70er und 80er Jahren als Doppelagenten auch dem MfS gedient haben. Darunter waren offenbar viele, die "überworben" wurden, das heißt, das MfS hatte ihre BND-Anbindung erkannt, sie aber nicht verhaftet, sondern als IM angeworben und nun gegen den BND eingesetzt.
Sichere Angaben darüber, in welchem Umfang westliche Agenten in der DDR unerkannt geblieben sind, liegen nicht vor. Insofern kann noch keine abschließende Bilanz der Wirksamkeit der Spionageabwehr gezogen werden.
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Signatur: BArch, MfS, SdM, Nr. 149, Bl. 3-5
Stasi-Minister Erich Mielke pries den Übertritt Tiedges gegenüber dem KGB-Vorsitzenden Wiktor Michailowitsch Tschebrikow am 19. September 1985 als vermeintlich herausragenden Erfolg an.
Am 19. August 1985 reiste Hansjoachim Tiedge über Helmstedt-Marienborn in die DDR. Zu dieser Zeit war Tiedge Gruppenleiter des Referates "Nachrichtendienste der DDR" beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Auf Grund seiner Funktion und seiner 19-jährigen Tätigkeit für das BfV besaß er umfassende Kenntnisse der westdeutschen Spionageabwehr gegen die DDR.
Bis zum 23. August gab es in der Bundesrepublik keine Hinweise auf Tiedges Aufenthaltsort. Erst als der ostdeutsche Nachrichtendienst ADN meldete, dass "Tiedge […] in die DDR übergetreten [ist] und […] um Asyl ersucht" hat, wusste die westdeutsche Seite Bescheid.
Die Stasi notierte zum Motiv des Überlaufens: "Ablehnung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung". Tatsächlich flüchtete Tiedge vor persönlichen Problemen. Hohe Schulden und übermäßiger Alkoholkonsum sowie der Tod seiner Frau hatten den Beamten in familiäre und dienstliche Schwierigkeiten gebracht.
Gegenüber seinen Geheimdienstpartnern stellte das MfS den Übertritt als Ergebnis einer langgeplanten, von der HV A gezielt organisierten Operation dar. Ob und wie lange Tiedge tatsächlich mit dem MfS vor seinem Übertritt Kontakt hatte, ist nicht bekannt. In einem persönlichen Schreiben wandte sich Stasi-Chef Erich Mielke an den KGB-Chef Wiktor Michailowitsch Tschebrikow und prahlte mit den Erkenntnissen aus Tiedges Vernehmungen. Unter anderem hätten durch Tiedges Informationen der "Einblick in die politische Führung und operative Praktiken des Verfassungsschutzes" vertieft und die Arbeitsweise der westdeutschen Spionageabwehr aufgeklärt werden können. Mielke behauptete auch, die "Operation führte zu einer vollständigen Enttarnung der Doppelagenten des Verfassungsschutzes auf dem Territorium der BRD und DDR". Das dürfte eine deutliche Übertreibung gewesen sein.
Sie erbrachte außerordentlich hohe politisch-operative Ergebnisse für die offensive Aufklärungs- und Abwehrtätigkeit des MfS der DDR, des KfS der UdSSR und der sozialistischen Bruderorgane. Die gewonnenen Erkenntnisse vertiefen beträchtlich unseren Einblick in die politische Führung und die operativen Praktiken des Verfassungsschutzes, einschließlich seines Zusammenwirkens mit den anderen Geheimdiensten der BRD und deren verbündeten Geheimdiensten.
Das Abwehrsystem der BRD konnte aufgeklärt, weitgehend neutralisiert und für einen langen Zeitraum in seiner Wirksamkeit entscheidend eingeschränkt werden.
Durch diesen Vorgang gelang es, eine hohe Anzahl gefährlicher Operationen der BRD- und anderer NATO-Geheimdienste gegen die DDR, die UdSSR und andere sozialistische Staaten frühzeitig zu erkennen und durch entsprechende operative Kontroll- und Gegenmaßnahmen in den meisten Fällen unwirksam zu machen.
Die Operation führte zur nahezu vollständigen Enttarnung der Doppelagenten des Verfassungsschutzes auf dem Territorium der BRD und der DDR, die gegen die Sicherheitsorgane der DDR eingesetzt sind. Des weiteren wurden eine Reihe gefährlicher Verräter und Doppelagenten erkannt, die gegen das KfS der UdSSR und die anderen sozialistischen Bruderorgane arbeiten. Sie wurden unter operativer Kontrolle gehalten und zur Desinformation des Feindes genutzt. Es erfolgten über 20 Festnahmen. Die erkannten und in der BRD wohnhaften aktiven Doppelagenten sind nunmehr durch unsere Maßnahme weitgehend paralysiert.
In Laufe dieser Operation gelang es, den Verrat von "Baum" aufzudecken, vier gegen des KfS der UdSSR und gegen die GRU geführte Gegenoperationen des Verfassungsschutzes mit Doppelagenten aufzuklären und eine Reihe von Hinweisen auf Doppelagenten zu erarbeiten.
Aufklärung hatte innerhalb des MfS unterschiedliche Bedeutungen: Sie wird zur Bezeichnung des Tätigkeitsbereiches der Auslandsspionage verwendet, die überwiegend von der HV A getragen wurde, die teilweise auch kurz als Aufklärung bezeichnet wird. Darüber hinaus findet der Begriff Verwendung bei der Bezeichnung von Sachverhaltsermittlungen (Aufklärung eines Sachverhalts) und von Überprüfungen der Eignung von IM-Kandidaten (Aufklärung des Kandidaten).
Gemäß MfS-Definition war Desinformation die bewusste Verbreitung von den Tatsachen grundsätzlich oder teilweise widersprechenden Informationen. Ziel der Desinformation war es, Personen, Institutionen und politische Vorhaben im Westen zu diskreditieren und dadurch zu schwächen, zu isolieren oder zu Fall zu bringen, ferner Entscheidungen zu beeinflussen sowie die westliche Seite über Handlungen oder Zustände im Osten (z. B. politische und wirtschaftliche Probleme, Maßnahmen gegen Regimekritiker usw.) zu täuschen. Hierfür wurden plausibel erscheinende Informationen und gefälschte Dokumente verdeckt über Lancierungskanäle im Westen verbreitet. Auch Pressekampagnen und Veröffentlichungen in der DDR dienten der Desinformation. Die Desinformation galt als Spielwiese von Wolf. Zuständig war vor allem die Abteilung X der HV A, deren Mitarbeiter sich entsprechende Inhalte ausdachten und in konkrete Aktionen umsetzten.
Die Hauptverwaltung A (HV A) war die Spionageabteilung des MfS, deren Bezeichnung sich an die der Spionageabteilung des KGB, 1. Verwaltung, anlehnt. Der Ordnungsbuchstabe A wurde in der Bundesrepublik oftmals, aber unzutreffenderweise mit "Aufklärung" aufgelöst. Die HV A wurde 1951 als Institut für Wirtschaftswissenschaftliche Forschung (IWF) gebildet und ging im September 1953 als HA XV in das Staatssekretariat für Staatssicherheit ein. Sie wurde im MfS von 1956 bis zur Auflösung im Juni 1990 als HV A bezeichnet.
Der Schwerpunkt nachrichtendienstlicher Tätigkeit der HV A lag in der Bundesrepublik Deutschland und Westberlin, wo sie mit Objektquellen, d. h. den IM in den nachrichtendienstlichen Zielobjekten, aktiv war.
Die HV A gliederte sich 1956 in 15, 1989 in 20 Abteilungen.
Für die operative Arbeit gegen das Bundeskanzleramt und wichtige Bundesministerien war die Abteilung I, für die gegen die bundesdeutschen Parteien die Abteilung II und für die Arbeit außerhalb Deutschlands die Abteilung III zuständig. Für die Infiltration der USA war die Abteilung XI, für die NATO und die Europäischen Gemeinschaften die Abteilung XII verantwortlich. Mit der Militärspionage war die Abteilung IV befasst, mit der Unterwanderung gegnerischer Nachrichtendienste die Abteilung IX.
Innerhalb der Hauptverwaltung war vornehmlich der Sektor Wissenschaft und Technik (SWT) mit Wissenschafts- und Technikspionage befasst, der zu diesem Zweck die Abteilung XIII bis XV sowie die Arbeitsgruppen 1, 3 und 5 unterhielt sowie eine eigene Auswertungsabteilung, die Abteilung V bzw. ab 1959 Abteilung VII.
Leiter der HV A waren 1951/52 Anton Ackermann, kurzzeitig Richard Stahlmann, 1952-1986 Markus Wolf, dann Werner Großmann und 1989/90 Bernd Fischer. Von anfangs zwölf Mitarbeitern wuchs der Apparat bis 1955 auf 430, bis 1961 auf 524 Mitarbeiter und erreichte bis 1972 einen Umfang von 1.066 hauptamtlichen Mitarbeitern. Bis 1989 wuchs die HV A auf 3.299 hauptamtliche Mitarbeiter, hinzu kamen 701 OibE (1985: 1.006) sowie 778 HIM. OibE und HIM arbeiteten verdeckt in der DDR und im Operationsgebiet. Insgesamt verfügte die HV A also zuletzt über 4.778 Mitarbeiter.
Die Anzahl der von der HV A geführten IM umfasste im Jahre 1989 rund 13.400 in der DDR und weitere 1.550 in der Bundesrepublik. Über 40 Jahre hinweg werden nach Hochrechnungen insgesamt rund 6.000 Bundesbürger und Westberliner IM der HV A gewesen sein.
Spionageabwehr beinhaltete nicht nur defensives Abwehren westlicher Spionage, sondern auch offensive Bekämpfung westlicher (zumeist bundesdeutscher) Sicherheitsbehörden auf dem Gebiet der Bundesrepublik. Das MfS fasste den Spionagebegriff sehr weit, so dass auch Angehörige oppositioneller Gruppen oder westliche Korrespondenten und Diplomaten regelmäßig im Visier der Spionageabwehr standen.
Das MfS unterschied drei Arten der Spionageabwehr. Die innere Spionageabwehr agierte innerhalb der DDR. Die äußere (auch: offensive) Spionageabwehr sollte bundesdeutsche Sicherheitsbehörden direkt bekämpfen, sich dabei aber auf deren Außenstellen und nachgeordnete Diensteinheiten konzentrieren. Die Gegenspionage hatte die Aufgabe, Spione in den Zentralen bundesdeutscher Sicherheitsbehörden zu platzieren, um die westliche Spionage gegen die DDR schon im Vorfeld zu paralysieren. In der Praxis waren die Grenzen zwischen äußerer Spionageabwehr, für die die Hauptabteilung II zuständig war, und der Gegenspionage, die Sache der Abt. IX der HV A war, fließend.
Die Spionageabwehr des MfS reagierte einerseits auf die tatsächliche Spionage gegen die DDR. Vor allem der BND und sein Vorgänger, die Organisation Gehlen, unterhielten in der DDR bis zum Mauerbau 1961 ein großes Agentennetz. In den Folgejahren brachen viele Kontakte westlicher Geheimdienste zu ihren Agenten in der DDR ab, auch enttarnte die Spionageabwehr viele von ihnen.
Der BND setzte daraufhin verstärkt Bundesbürger zur Informationsgewinnung ein, die als Besucher oder Transitreisende in der DDR unterwegs waren ("Reise- und Transitspione"). Seit den 70er Jahren versuchte der BND vor allem DDR-Bürger, die als Dienstreisende in den Westen kamen, als Agenten anzuwerben. Westliche Geheimdienste betrieben in der DDR schwerpunktmäßig Militärspionage.
Das MfS ging andererseits von der unzutreffenden Annahme aus, dass politisch widerständiges Verhalten von DDR-Bürgern zumeist von westlichen Geheimdiensten inspiriert würde (Diversion, politisch-ideologische), sodass die Bekämpfung politischer Gegner oft in den Bereich der Spionageabwehr fiel, ebenso wie die Überwachung westlicher Journalisten und Diplomaten. Aufgrund des weit gefassten Spionagebegriffs waren zahlreiche MfS-Abteilungen mit Spionageabwehr befasst, was zu Ineffizienz führte. Mielke wies deshalb 1987 der Hauptabteilung II die Federführung bei der Spionageabwehr zu.
1953 bis 1955 verhaftete das MfS in drei Großaktionen 1.200 Personen in der DDR und Westberlin, die pauschal als westliche Agenten bezeichnet wurden. Tatsächlich befanden sich darunter etliche Personen, die nur politischen Widerstand gegen die SED geleistet hatten. In vielen Fällen wurden hohe Haftstrafen verhängt, mindestens zehn Menschen wurden hingerichtet. Zugleich nutzte das MfS diese Aktionen erfolgreich als Vorlagen für ausgeklügelte Pressekampagnen.
Auch in späteren Jahren wurden Erfolge der Spionageabwehr popularisiert, nicht zuletzt um spionagebereite DDR-Bürger abzuschrecken. Schwerpunktaktionen der Hauptabteilung II in den 70er und 80er Jahren richteten sich u. a. gegen Transitspione sowie gegen die Anwerbung von Angehörigen bestimmter Personengruppen durch westliche Dienste (beispielsweise Militärangehörige, Reisekader). Erfolge erzielte die HV A im Rahmen der Gegenspionage in den 70er und 80er Jahren u. a. aufgrund ihrer Top-Quellen im BND (Gabriele Gast, Alfred Spuhler), BfV (Klaus Kuron) und MAD (Joachim Krase).
Seit den 70er Jahren intensivierte das MfS die Strategie der "vorbeugenden Verhinderung": Immer mehr Bürger wurden als potenziell spionageverdächtig observiert, immer mehr Berufsgruppen zu Geheimnisträgern erklärt, das Personal der Hauptabteilung II aufgestockt, auch die Kreisdienststellen setzten nun einen Mitarbeiter ausschließlich für Aufgaben der Linie II (Linienprinzip) ein.
Generell profitierte die Spionageabwehr von der geschlossenen Gesellschaft der DDR, der flächendeckenden Observierung der Bevölkerung, der Kooperation mit anderen sozialistischen Geheimdiensten sowie der Strategie, Verdächtige mitunter über einen sehr langen Zeitraum zu observieren. Post- und Telefonkontrolle und die Funküberwachung im In- und Ausland dienten in erheblichem Maße der Spionageabwehr.
Die überzogene Sicherheitsdoktrin führte dazu, dass das MfS in der ersten Hälfte der 70er Jahre dem Hirngespinst eines Hochstaplers aufsaß und 144 DDR-Bürger als angebliche "Agenten mit spezieller Auftragsstruktur" (AsA), quasi als Eliteagenten westlicher Dienste, einstufte und es auf dieser fiktiven Grundlage zu zahlreichen Verurteilungen kam.
Vagen Schätzungen zufolge spionierten zwischen 1949 und 1989 rund 10.000 Ost- und Westdeutsche für den BND in der DDR, viele von ihnen nur für kurze Zeit und nicht in Schlüsselpositionen. Etwa 4.000 Agenten bundesdeutscher Dienste sollen in dieser Zeit durch die Spionageabwehr der DDR erkannt und festgenommen worden sein.
Etwa 90 Prozent der "Innenquellen" des BND in der DDR (Agenten, die direkt in einem auszuspionierenden Objekt tätig waren) sollen in den 70er und 80er Jahren als Doppelagenten auch dem MfS gedient haben. Darunter waren offenbar viele, die "überworben" wurden, das heißt, das MfS hatte ihre BND-Anbindung erkannt, sie aber nicht verhaftet, sondern als IM angeworben und nun gegen den BND eingesetzt.
Sichere Angaben darüber, in welchem Umfang westliche Agenten in der DDR unerkannt geblieben sind, liegen nicht vor. Insofern kann noch keine abschließende Bilanz der Wirksamkeit der Spionageabwehr gezogen werden.
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Einschätzungen und Übersicht zur Lage nach dem Übertritt Tiedges Dokument, 8 Seiten
Zur Situation der Sicherheitsdienste der Bundesrepublik nach Hansjoachim Tiedges Übertritt in die DDR Dokument, 2 Seiten
Vernehmungsprotokoll Hansjoachim Tiedges Dokument, 6 Seiten
Erfassungsbogen der HA VII zu Hansjoachim Tiedge Dokument, 1 Seite