Signatur: BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 20846, Bd. 5, Bl. 447-462
Im Jahr 1983 handelten der Chef der Abteilung Kommerzielle Koordinierung (KoKo), Alexander Schalck-Golodkowski, und der bayerische Ministerpräsident, Franz Josef Strauß, einen Milliardenkredit aus, der die DDR vor dem Staatsbankrott bewahrte. Die im Ministerium für Staatssicherheit (MfS) für die Überwachung der Volkswirtschaft zuständige Hauptabteilung XVIII analysierte die Risiken und Probleme des Volkswirtschaftsplans 1983.
Anfang der 80er Jahre herrschte weltweit eine wirtschaftliche Krisenstimmung. Brisant war die Situation in den Ostblockstaaten. Die Versorgungslage der Bevölkerung war kritisch, die hohen Schulden im Ausland trieben die sozialistischen Staaten zunehmend in den Ruin. Polen erklärte sich bereits 1981 für bankrott, die DDR stand unmittelbar davor. Allein zur Finanzierung ihrer Verbindlichkeiten im Ausland benötigte sie dringend weitere Devisen und neue Kredite, die ihr aber westliche Banken inzwischen verwehrten.
Umso überraschter war die Öffentlichkeit auf beiden Seiten der Mauer, als am 1. Juli 1983 ein westdeutsches Bankenkonsortium unter der Führung der Bayerischen Landesbank der DDR einen Milliardenkredit gewährte. Eingefädelt und vorbereitet hatten ihn der bayerische Ministerpräsident, Franz Josef Strauß, und der Chef der Abteilung KoKo im Ministerium für Außenhandel der DDR, Alexander Schalck-Golodkowski.
Auf Kosten des inländischen Konsums und damit der Versorgung der Bevölkerung verordnete die SED-Führung Ende 1982 eine drastische Drosselung der Importe und eine massive Steigerung der Exporte. Es ging um schnelle Geschäfte, um so viel Export wie möglich – von Grundnahrungsmitteln wie Butter und Fleisch genauso wie von Produkten, die im Westen absatzfähig waren.
Erich Honecker äußerte sich im November des Jahres in einer Politbürositzung folgendermaßen: "Das Entscheidende ist, dass unsere Wirtschaft das produziert, was abgesetzt werden kann und daß nicht auf Lager produziert wird". Investitionen an den maroden Produktionsanlagen hatten bei diesen Planungen keine Priorität. Vorrangiges Ziel war die zügige Ausweitung der Produktion für den Westexport mit Hilfe von Neuanlagen, die umfangreiche Beschaffung von Devisen und die Suche nach neuen Geldgebern. Entsprechend waren die SED-Vorgaben für das Jahr 1983. Erneut wies die HA XVIII in ihren Berichten ausführlich auf die schwierige Lage hin und betonte Risiken, Probleme und "irreale" Vorgaben des Volkswirtschaftsplans 1983: "Die Sicherung der Zahlungsbilanz mit dem NSW erfordert es, einen Exportüberschuß von 9,3 Mrd VM zu erwirtschaften. Das ist mehr als das Doppelte als im Jahr 1982. Der geplante Zuwachs im NSW-Export mit 3,7 Mrd VM ist der höchste, der jemals angesetzt wurde. Mehr als das Doppelte des Zuwachses an Nationaleinkommen muß für den Export eingesetzt werden".
Diese Linie wird mit dem Planvorschlag 1983 weitergeführt.
- Der SW-Export soll sich um 4,6 Mrd M erhöhen und erreicht damit einen Anteil am Gesamtexport von nur noch 52,6 %.
- Der NSW-Export soll sich um 5,1 Mrd M erhöhen, wodurch sein Anteil am Gesamtexport der DDR auf 47,4 % ansteigt.
Diese Berechnungen wurden auf der Grundlage von Betriebspreisen durchgeführt, weil sich nur in ihnen der Wert der exportierten Waren einheitlich und vergleichbar widerspiegelt. Die häufig zu Valutapreisen angestellten Vergleiche halten wir für unrichtig, weil die unterschiedliche Devisenrentabilität des kapitalistischen und des sozialistischen Marktes zu Verzerrungen führt.
Allein eine quantitative Bewertung dieser Entwicklung läßt erkennen, daß die Möglichkeiten der DDR zur Finanzierung der Importe aus dem SW, vor allem der Rohstoffimporte, geringer geworden sind. Noch problematischer ist aber die qualitative Seite. Während die Sowjetunion, verstärkt in Vorbereitung des Wirtschaftsgipfels,für ihre Rohstofflieferungen von den sozialistischen Ländern immer mehr qualitativ hochwerte Erzeugnisse erwartet, reichen die bei uns eingeleiteten Maßnahmen zur Erfüllung dieses Anspruchs bei weitem nicht aus. Im Planvorschlag 1983 wird zwar gesagt, daß die Produktion und die Lieferung solcher Waren an die Sowjetunion anzustreben ist, doch mangelt es an konkreten Maßnahmen. Die Wirtschaftspraxis zeigt, daß nach wie vor Qualitätserzeugnisse, die von der Sowjetunion dringend benötigt werden, in erster Linie für den kapitalistischen Markt produziert und bereitgestellt werden. Das erfolgt auch dann, wenn hierfür auf dem Markt nur schlechte Preise erzielt werden können. Wir sind der Auffassung, daß der gesamte Komplex der Wirtschaftsbeziehungen mit der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Ländern in Vorbereitung auf den Wirtschaftsgipfel nochmals gründlich durchdacht werden sollte.
Hauptabteilung XVIII (Volkswirtschaft)
Nach dem Vorbild der "Verwaltung für Wirtschaft" in der sowjetischen Hauptverwaltung für Staatssicherheit erhielt das am 8.2.1950 gebildete MfS eine Einrichtung, die zunächst unter der Bezeichnung Abteilung III bzw. Hauptabteilung III agierte. Vorläufer war die von Mielke geleitete Hauptverwaltung zum Schutz der Volkswirtschaft im MdI. Die Kernaufgaben bestanden in der Sabotageabwehr, im Schutz des Volkseigentums und in der Überwachung der Betriebe. Für die SAG Wismut wurde 1951 eine separate Struktureinheit, die Objektverwaltung "W" gegründet.
1955 wurde die systematische Überprüfung von Leitungskadern (später Sicherheitsüberprüfungen), 1957 der Aufbau des Informantennetzes, die Zusammenarbeit mit staatlichen Leitern und Parteisekretären, der Aufbau von Operativgruppen und Objektdienststellen sowie die Gewinnung von IM für Schlüsselpositionen in wirtschaftsleitenden Organen, Betrieben und Institutionen etabliert. Mit der Auflösung der Abteilung VI erhielt die HA III den Auftrag zur Sicherung volkswirtschaftlicher Maßnahmen auf dem Gebiet der Landesverteidigung.
1964 erfolgte im Zusammenhang mit den Reformen in der DDR-Volkswirtschaft die Umbenennung der HA III in HA XVIII. Die neue Struktur basierte auf dem Produktionsprinzip, das zunächst auf die führenden Wirtschaftszweige Bau und Industrie fokussiert war. Andere Wirtschaftsobjekte wurden nach dem Territorialprinzip von den Kreisdienststellen bearbeitet. Der HA XVIII in der Zentrale entsprachen gemäß dem Linienprinzip auf der Bezirksebene die Abteilungen XVIII der Bezirksverwaltungen. Sicherungsschwerpunkte waren vor allem Außenhandel, Wissenschaft und Technik sowie die Verteidigungsindustrie. Mit der Richtlinie 1/82 wurde der Akzent auf die Gewährleistung der inneren Stabilität verschoben. Strukturelle Auswirkungen hatte insbesondere die Hochtechnologie Mikroelektronik. 1983 wurde die für den Bereich KoKo zuständige AG BKK aus der für den Außenhandel zuständigen Abteilung 7 der HA XVIII herausgelöst.
Zuletzt wies die Organisationsstruktur 6 Arbeitsbereiche und 62 Referate auf. Sie diente vor allem der Aufklärung gegnerischer Geheimdienste ("Arbeit im und nach dem Operationsgebiet"), der inneren Abwehrarbeit in den Betrieben und Institutionen, der Gewährleistung der inneren Stabilität, der Wahrung von Sicherheit, Ordnung und Geheimnisschutz sowie der Unterstützung der Wirtschaft durch "effektivitäts- und leistungsfördernde Maßnahmen". Leiter der HA XVIII waren Knoppe (1950–1953), Hofmann (1953–1957), Weidauer (1957–1963), Mittig (1964–1974) und Kleine (1974–1989). Der hauptamtliche Mitarbeiterbestand stieg 1954–1989 von 93 auf 646, auf der gesamten Linie XVIII waren es zuletzt 1623. 1989 arbeiteten für die Linie XVIII ca. 11.000 IM.
Signatur: BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 20846, Bd. 5, Bl. 447-462
Im Jahr 1983 handelten der Chef der Abteilung Kommerzielle Koordinierung (KoKo), Alexander Schalck-Golodkowski, und der bayerische Ministerpräsident, Franz Josef Strauß, einen Milliardenkredit aus, der die DDR vor dem Staatsbankrott bewahrte. Die im Ministerium für Staatssicherheit (MfS) für die Überwachung der Volkswirtschaft zuständige Hauptabteilung XVIII analysierte die Risiken und Probleme des Volkswirtschaftsplans 1983.
Anfang der 80er Jahre herrschte weltweit eine wirtschaftliche Krisenstimmung. Brisant war die Situation in den Ostblockstaaten. Die Versorgungslage der Bevölkerung war kritisch, die hohen Schulden im Ausland trieben die sozialistischen Staaten zunehmend in den Ruin. Polen erklärte sich bereits 1981 für bankrott, die DDR stand unmittelbar davor. Allein zur Finanzierung ihrer Verbindlichkeiten im Ausland benötigte sie dringend weitere Devisen und neue Kredite, die ihr aber westliche Banken inzwischen verwehrten.
Umso überraschter war die Öffentlichkeit auf beiden Seiten der Mauer, als am 1. Juli 1983 ein westdeutsches Bankenkonsortium unter der Führung der Bayerischen Landesbank der DDR einen Milliardenkredit gewährte. Eingefädelt und vorbereitet hatten ihn der bayerische Ministerpräsident, Franz Josef Strauß, und der Chef der Abteilung KoKo im Ministerium für Außenhandel der DDR, Alexander Schalck-Golodkowski.
Auf Kosten des inländischen Konsums und damit der Versorgung der Bevölkerung verordnete die SED-Führung Ende 1982 eine drastische Drosselung der Importe und eine massive Steigerung der Exporte. Es ging um schnelle Geschäfte, um so viel Export wie möglich – von Grundnahrungsmitteln wie Butter und Fleisch genauso wie von Produkten, die im Westen absatzfähig waren.
Erich Honecker äußerte sich im November des Jahres in einer Politbürositzung folgendermaßen: "Das Entscheidende ist, dass unsere Wirtschaft das produziert, was abgesetzt werden kann und daß nicht auf Lager produziert wird". Investitionen an den maroden Produktionsanlagen hatten bei diesen Planungen keine Priorität. Vorrangiges Ziel war die zügige Ausweitung der Produktion für den Westexport mit Hilfe von Neuanlagen, die umfangreiche Beschaffung von Devisen und die Suche nach neuen Geldgebern. Entsprechend waren die SED-Vorgaben für das Jahr 1983. Erneut wies die HA XVIII in ihren Berichten ausführlich auf die schwierige Lage hin und betonte Risiken, Probleme und "irreale" Vorgaben des Volkswirtschaftsplans 1983: "Die Sicherung der Zahlungsbilanz mit dem NSW erfordert es, einen Exportüberschuß von 9,3 Mrd VM zu erwirtschaften. Das ist mehr als das Doppelte als im Jahr 1982. Der geplante Zuwachs im NSW-Export mit 3,7 Mrd VM ist der höchste, der jemals angesetzt wurde. Mehr als das Doppelte des Zuwachses an Nationaleinkommen muß für den Export eingesetzt werden".
Nur mit der Sowjetunion gemeinsam können wir die Aggression der imperialistischen Kreise und ihren Wirtschaftskrieg gegen unser Land abwehren. Einige Überlegungen zu diesem Fragenkomplex haben wir detailliert bearbeitet und in einem gesonderten Standpunkt niedergelegt.
b) Eine zweite Frage, die unmittelbar die innere Stabilität und Sicherheit unseres Landes berührt, ist die der staatlichen Reserven. Im Jahr 1982 wurde die Staatsreserve bedeutend verringert. Die verfügbaren Bestände wurden vom 01.01. bis 30.09.1982 um 1,3 Mrd M (55 %) reduziert. Für 770 Mio M sind Bestände der Staatsreserve im Jahr 1982 zur Erwirtschaftung von Valutamitteln eingesetzt worden. Mit einer weiteren Verringerung im IV. Quartal 1982 wird gerechnet. Seit der Gründung der Verwaltung Staatsreserve ist im Jahr 1982 die höchste Bereitstellung von Reserven erfolgt. Charakteristisch für das Jahr 1982 ist, daß für die abverfügten Bestände im Gegensatz zu den Vorjahren keine Wiedereinlagerung erfolgte. Für wichtige Erzeugnisse, wie z.B. Kupfer, Blei, Zinn, Aluminium, Fleisch, Zucker, Getreide und Ölfrüchte gibt es überhaupt keine Staatsreserve mehr. Für andere Erzeugnisse, wie Benzin, Dieselkraftstoff, Butter und Reis wurden die Normen für die Sollbevorratung bedeutend herabgesetzt. Die Bestände sind zum Teil nur noch gering. Durch diese Maßnahmen ist der Wirkungsmechanismus der Staatsreserve erheblich eingeschränkt worden, und es erhöht sich das Risiko von Störungen in der Volkswirtschaft. Wir halten es deshalb für dringend erforderlich, Maßnahmen zur Stabilisierung der Staatsreserve einzuleiten und die hierzu notwendigen Schritte in den Plan 1983 aufzunehmen.
Bei der Ausarbeitung unseres Standpunktes zum Planvorschlag 1983 haben wir uns auf die Probleme konzentriert, die nach unserer Auffassung für die volkswirtschaftliche Gesamtentwicklung sowie für die innere Stabilität das größte Gewicht haben. Eine über das Jahr 1983 hinausgehende Einschätzung der Auswirkungen des Planansatzes 1983 kann nicht vorgenommen werden, weil die hierfür notwendigen Eckzahlen für die Folgejahre zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht vorliegen.
Hauptabteilung XVIII (Volkswirtschaft)
Nach dem Vorbild der "Verwaltung für Wirtschaft" in der sowjetischen Hauptverwaltung für Staatssicherheit erhielt das am 8.2.1950 gebildete MfS eine Einrichtung, die zunächst unter der Bezeichnung Abteilung III bzw. Hauptabteilung III agierte. Vorläufer war die von Mielke geleitete Hauptverwaltung zum Schutz der Volkswirtschaft im MdI. Die Kernaufgaben bestanden in der Sabotageabwehr, im Schutz des Volkseigentums und in der Überwachung der Betriebe. Für die SAG Wismut wurde 1951 eine separate Struktureinheit, die Objektverwaltung "W" gegründet.
1955 wurde die systematische Überprüfung von Leitungskadern (später Sicherheitsüberprüfungen), 1957 der Aufbau des Informantennetzes, die Zusammenarbeit mit staatlichen Leitern und Parteisekretären, der Aufbau von Operativgruppen und Objektdienststellen sowie die Gewinnung von IM für Schlüsselpositionen in wirtschaftsleitenden Organen, Betrieben und Institutionen etabliert. Mit der Auflösung der Abteilung VI erhielt die HA III den Auftrag zur Sicherung volkswirtschaftlicher Maßnahmen auf dem Gebiet der Landesverteidigung.
1964 erfolgte im Zusammenhang mit den Reformen in der DDR-Volkswirtschaft die Umbenennung der HA III in HA XVIII. Die neue Struktur basierte auf dem Produktionsprinzip, das zunächst auf die führenden Wirtschaftszweige Bau und Industrie fokussiert war. Andere Wirtschaftsobjekte wurden nach dem Territorialprinzip von den Kreisdienststellen bearbeitet. Der HA XVIII in der Zentrale entsprachen gemäß dem Linienprinzip auf der Bezirksebene die Abteilungen XVIII der Bezirksverwaltungen. Sicherungsschwerpunkte waren vor allem Außenhandel, Wissenschaft und Technik sowie die Verteidigungsindustrie. Mit der Richtlinie 1/82 wurde der Akzent auf die Gewährleistung der inneren Stabilität verschoben. Strukturelle Auswirkungen hatte insbesondere die Hochtechnologie Mikroelektronik. 1983 wurde die für den Bereich KoKo zuständige AG BKK aus der für den Außenhandel zuständigen Abteilung 7 der HA XVIII herausgelöst.
Zuletzt wies die Organisationsstruktur 6 Arbeitsbereiche und 62 Referate auf. Sie diente vor allem der Aufklärung gegnerischer Geheimdienste ("Arbeit im und nach dem Operationsgebiet"), der inneren Abwehrarbeit in den Betrieben und Institutionen, der Gewährleistung der inneren Stabilität, der Wahrung von Sicherheit, Ordnung und Geheimnisschutz sowie der Unterstützung der Wirtschaft durch "effektivitäts- und leistungsfördernde Maßnahmen". Leiter der HA XVIII waren Knoppe (1950–1953), Hofmann (1953–1957), Weidauer (1957–1963), Mittig (1964–1974) und Kleine (1974–1989). Der hauptamtliche Mitarbeiterbestand stieg 1954–1989 von 93 auf 646, auf der gesamten Linie XVIII waren es zuletzt 1623. 1989 arbeiteten für die Linie XVIII ca. 11.000 IM.
Information über volkswirtschaftlich und sicherheitspolitisch bedeutsame Probleme im Zusammenhang mit dem Volkswirtschaftsplan 1983 Dokument, 18 Seiten
Schreiben Gerhard Schürers an Erich Honecker mit Überlegungen zum Volkswirtschaftsplan 1989 Dokument, 14 Seiten
"Zum Stand der Arbeit an der Staatlichen Aufgabe 1989 und einigen sich dabei abzeichnenden Problemen" Dokument, 11 Seiten
Notizen aus der Politbürositzung zur Schürer-Mittag-Kontroverse Dokument, 29 Seiten