Stasi-Aufzeichnung der Stellungnahme eines Brigadiers zu einer Rede, die er in Torgelow während des Volksauftsandes hielt
Signatur: BStU, MfS, BV Neubrandenburg, AU, Nr. 109/53, Bd. 2, Bl. 282-289
Bei einer Diskussion während des Volksaufstandes in Torgelow trat ein Brigadier auf und legte seine Gedanken zu den Ereignissen, die zur Zuspitzung der Lage 1953 führten, dar. Die Stasi nahm eine Abschrift und auch seine Stellungnahme zur Rede als Beweismittel zum Untersuchungsvorgang gegen den Arbeiter.
Der Bezirk Neubrandenburg war wie die anderen Bezirke im Norden auch kein Zentrum des Volksaufstandes. Ein wichtiger Grund hierfür war die agrarisch geprägte Struktur Mecklenburgs. Zudem gelangten die Nachrichten aus dem Süden der DDR nur langsam bis zur Bevölkerung im Norden. Polizei, MfS und SED waren hier ausnahmsweise besser informiert und konnten sich auf Unruhen vorbereiten.
Trotzdem kam es vereinzelt zu Unruhen. Im Bezirk Neubrandenburg kam es in 29 Städten und Gemeinden zu Aktionen, die von Streiks über Demonstrationen bis hin zu Versuchen reichten, politische Gefangene zu befreien. Einzelne Aktionen wie Forderungen nach Auflösung der LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft), die Abnahme von Bildern führender Mitglieder der Staats- und Parteiführung an öffentliche Stellen oder Solidaritätskundgebungen mit den streikenden Arbeitern und Bauern führten zu Verhaftungen und Verurteilungen.
Auf einer Belegschaftsversammlung der Bau-Union Nord-Ost Torgelow hielt ein Genosse der IG Bauholz ein Referat. In der anschließenden Diskussion trat ein Brigadier auf und legte seine Gedanken zu den Ereignissen, die zur Zuspitzung der Lage 1953 führten, dar. Die Stasi nahm eine Abschrift und auch seine Stellungnahme zur Rede als Beweismittel zum Untersuchungsvorgang gegen den Arbeiter.
Metadaten
- Datum:
- 1953
- Überlieferungsform:
- Dokument
brechen? Nein, Willi, der Sängerwettstreit entstand edleren Motiven! Kehre um! und bleibe wie Du unter uns nur als konsequenter Sozialist beliebt bist. Verleugne nicht meine ehrliche Mitarbeit auf [unterstrichen: allen sozialen] Gebieten, was letztenendes mit dazu beigetragen hat, daß der 17. Juni spurlos auf unserem Objekt vorüber gegangen ist. Alle Achtung auch unserem [anonymisiert], der sich rückhaltlos unter seine Arbeiter stellte. Der Fanatiker mag mich ruhig beleidigen, ich zürne ihm trotz allem nicht, da ich weiß, daß ich kein Meckerer war. Ich habe das gesagt, was die Regierung wollte, um den Weg zum Sozialismus [unterstrichen: sauber] zu halten. Der mich heute haßt, kann schon in Kürze, wenn er Gewissen hat, bereuen! Hier noch Beispiele zu bringen, würde ins Unermeßliche gehen und liegt es mir ferne, durch Gleichnisse meine Mitmenschen zu überzeugen. Nur Selbstüberzeugung macht wahr!
Ich habe nur die Zeit und ihre Ursachen geschildert, diese man jetzt abzustellen bemüht ist, darum liegt die Sorge des Menschen in der Hand der Gewerkschaft. Vereinfach den Verwaltungsapparat und steige ab vom Amtsschimmel! Tue nicht das, was du äußerlich bekämpfst! Denke an das Handwerk und ihre Lehrlinge. Die Berufsberatungsstellen haben an den fachlich könnenden Lehrlingen viel gesündigt. Bereinige Dein Namensschild! Im Aufbau des Sozialismus müßte der Titel "Bonze" schon umlängst aus der Arbeitergeschichte gestrichen sein! Wenn man mich bei der Gewerkschaftsführung ob meines Idealismus verlachte, so ist die Zeit doch endlich angebrochen wo beides ineinander geschweißt werden muß, denn Sozialismus verlangt Idealismus! Eine Staatsanwältin schrieb mir vor wenigen Jahren: "Kommen sie zu uns, [anonymisiert], solche Menschen brauchen wir! "Ich führte mit dieser Frau einmal eine Unterredung von früh 8 bis nachmittag 4 Uhr und hatten wir die Mittagsmahlzeit dabei ganz vergessen vor Vertiefung. Ich kann aus dieser Besprechung nur berichten, daß ich Recht behalten habe, nämlich man darf nicht die Parteizugehörigkeit von einer Sache oder Dienstbereitschaft abhängig machen! Die Partei muß regieren und die Gewerkschaft dirigieren und so ist meine Einstellung über 3 Jahrzehnte, Wegweiser zu sein, um der Regierung ihren errungenen Weg [unterstrichen: mitwegen] bahnen zu helfen. Ist es richtig, wenn ihr einen Bahnbrecher zu offener Ehrlichkeit aus der Gewerkschaft stoßt?
Ich bin bereit, bei meiner Ehrlichkeit gegen mich selbst bei der Staatsanwaltschaft Anklage zu erheben, nur kann ich für dies und jenen Sessel nicht mehr garantieren, letztenendes wird mir die Regierung dankbar sein. Tatsache bleibt, daß wenn ich auch aus der Arbeiterschaft durch ganz vereinzelte Genossen ausgestoßen worden bin, ich meinem guten Ruf unter der Arbeiterschaft behalten werde. Wenn ich mich zum Sprecher gemacht habe, so habe ich gesprochen für Millionen deutscher Kollegen und Kolleginnen, als Arbeiter aus dem Volke [unterstrichen: zum] Volke, und habe, mich in [unterstrichen: dem] Rahmen gehalten, wie es Genosse und Parteisekretär [anonymisiert] im Auftrage der Regierung zum Ausdruck gebracht hatte. Ich hatte mich an Tatsachenmaterial gehalten und blieb auch gelassen, als ein Polizeimajor mit 4 Chargen eintrat, diese man untaktischer Weise zu der Betriebsversammlung geholt oder eingeladen hatte. Auch hier war es unsere ureigenste Angelegenheit, doch was soll ich unsere KVP fürchten, wo auch sie aus dem Arbeiterstand hervorgegangen sind. Alle damaligen Anwesenden wissen, daß ich noch zu einigen Punkten meiner Rede, um Entstellung zu vermeiden, sprechen wollte, was mir rechtlich zustand. Doch Herr [anonymisiert] verkündete den Schluß der Versammlung, damit hatte [anonymisiert] praktisch das Wort, laut Tagesordnung, von Direktor [anonymisiert] und [anonymisiert] genommen, ihre Meinung alle gern noch gehört hätten. Bei ordnungsgemäßen Verlauf der Tagesordnung hätte sich das Trauer-