Signatur: BArch, MfS, BV Dresden, KD Pirna, Nr. 70484, Bl. 53
Die Staatssicherheit beobachtete im Jahr 1989 Faschingsveranstaltungen im Kreis Pirna. Die satirisch-kritischen Losungen und Plakate der "Narren" setzten sich – sehr zum Missfallen von SED und Stasi – mit Problemen des real existierenden Sozialismus in der DDR auseinander. Ein SED-Funktionär, der an den Vorbereitungen des Karnevalumzugs in Bad Schandau maßgeblich beteiligt war, räumte in einer Stellungnahme gegenüber der Stasi Versäumnisse bei einigen Umzugsthemen ein.
Das allgemeine Faschingstreiben im Januar und Februar 1989 bedeutete auch in der DDR für die Karnevalisten der Gemeinden im Kreis Pirna Narrenfreiheit. Die Plakate und Losungen der "Narren" machten dann auch schnell klar, wie der real existierende Sozialismus von der Bevölkerung tatsächlich empfunden wurde. Die Karnevalsveranstaltungen zu Beginn des Jahres 1989 zogen daher die besondere Aufmerksamkeit des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) auf sich. So zum Beispiel die zahlreichen Umzüge und Veranstaltungen, die im Rahmen der so genannten "Postelwitzer Schifferfastnacht" stattfanden.
Am 4. Februar fand in Bad Schandau der Schifferfastnachtsumzug statt. 300 Umzugsteilnehmer und -teilnehmerinnen zogen vor über 6.000 Besucherinnen und Besuchern unter dem Leitspruch "Elfe reisen durch die ganze Welt" durch die Stadt. Dieses Motto thematisierte die fehlende Reisefreiheit in der DDR.
Der Leiter der Abteilung Kultur beim Rat der Stadt, Michael Hesche, war ebenfalls Mitglied des Elferrates des Bad Schandauer Karnevalklubs. Er war an den Vorbereitungen des Karnevalumzugs beteiligt und für dessen Genehmigung mitverantwortlich. Nachdem die Staatssicherheit von den provokanten Losungen und Transparenten des Bad Schandauer Karnevalumzugs erfuhr, verlangte sie von Hesche eine Stellungnahme. Hesche räumte zwar Fehler ein, verwies jedoch auf die Verantwortung übergeordneter Genossen und kritisierte die Stasi sogar. Er bemerkte, dass „derartige Zwischenfälle mit mehr Feinfühligkeit und nicht erst nach einer Woche durch die Schutz- und Sicherheitsorgane untersucht werden sollten.“
Bad Schandau, den 23.02.1989
Stellungnahme zum Karnevalsumzug am 04.02.1989 in Bad Schandau
Am 04.02.1989 fand 14.00 Uhr der Karnevalsumzug in Bad Schandau statt.
Entsprechend der ausgefüllten Anmeldeformulare und einer am Stellplatz durchgeführten 1. Kontrolle wurden keine größeren Beanstandungen festgestellt. Dieser Meinung war auch ich. Ausführungen und Inhalt waren mit den Vorjahren identisch. Nach näherer Betrachtung und in Auswertung der Veranstaltung muß ich meinen Standpunkt revidieren. Aus jetziger Sicht hätten bei zwei Themen zumindest inhaltliche Veränderungen vorgenommen werden müssen, ein Thema hätte vom Unzug ausgeschlossen werden müssen. Alle anderen Umzugsthemen halte ich entsprechend unserer bestehenden demokratischen Verhältnisse und unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Entwicklung in unserer Republik für nicht anstößig.
Als Funktionär der Partei und Mitverantwortlicher bei der Vorbereitung und Durchführung des Umzuges werde ich entsprechende Schlußfolgerungen ziehen und dazu beitragen, entsprechende Maßnahmen vorzubereiten, daß ähnliche Vorfälle in Zukunft ausgeschlossen werden.
Ich muß jedoch auch feststellen, daß es zu diesen Vorfällen hätte nicht kommen brauchen, wenn Hinweise von den zahlreich anwesenden Funktionären und Mitarbeitern übergeordneter Leitungen über einige Ungereimtheiten bei der Formierung des Umzuges gekommen wären.
Desweiteren hätte die sogenannte Demonstrationsveranstaltung zur Eröffnung der Karnevalssaison im Kulturpalast Dresden ausgewertet werden müssen. Sie war wie man so schön sagt "Wasser auf die Mühle".
Um in Zukunft unnötige Unruhen unter der Bevölkerung zu vermeiden möchte ich abschließend bemerken, daß derartige Zwischenfälle mit mehr Feinfühligkeit und nicht erst nach einer Woche durch die Schutz- und Sicherheitsorgane untersucht werden sollten.
Information über den Verlauf der Faschingsveranstaltungen in Schmilka und Krippen am 18. Februar 1989 Dokument, 3 Seiten
Dienstbesprechung zwischen Mielke und den Chefs der Bezirksverwaltungen Dokument, 79 Seiten
Einschätzung der "Wirksamkeit der Zuführungspunkte" während des Wasunger Karnevals 1989 Dokument, 2 Seiten
Schilderung der Ereignisse in Dresden zwischen dem 3. und 8. Oktober 1989 durch den Leiter der BVfS Dokument, 5 Seiten