Strafrechtliche Einschätzung zum Aufruf der Initiativgruppe SDP
Signatur: BStU, MfS, HA XX, AKG, Nr. 223, Bd. 10, Bl. 1-9
Am 7. Oktober 1989 gründete sich die Sozialdemokratische Partei in der DDR. Schon im Vorfeld stellte die Stasi Überlegungen an, wie dagegen vorgegangen werden könnte.
Die Sozialdemokratische Partei in der DDR (SDP) gründete sich am 7. Oktober 1989 in Schwante bei Berlin. Das inhaltliche Fundament dafür hatten zum größten Teil die beiden Theologen Martin Gutzeit und Markus Meckel geschaffen. Ihr erster Gründungsaufruf (in der Anlage dieser rechtlichen Einschätzung) wurde am 26. August 1989 in Berlin vorgestellt. Nach dem Ende der DDR stellte sich heraus, dass der Mitbegründer Ibrahim Böhme die Partei im Auftrag des Ministeriums für Staatssicherheit ausspioniert hatte.
Anhand einiger Papiere der SDP erörterte die Stasi in der vorliegenden rechtlichen Einschätzung Möglichkeiten, wie gegen die Initiativgruppe beziehungsweise gegen eine Gründung der SDP in der DDR strafrechtlich vorgegangen werden könnte. In der Anlage zu diesem Papier befinden sich folgende SDP-Dokumente:
- Zum Aufruf der Initiativgruppe " Sozialdemokratische Partei in der DDR", 12. September 1989
- An alle Bürgerinnen und Bürger in der Deutschen Demokratischen Republik (Anmeldung der Gründung der SDP), 7. Oktober 1989
- Vorlage zur Bildung einer Initiativgruppe mit dem Ziel, eine sozialdemokratische Partei zu gründen, 24. Juli 1989
Metadaten
- Datum:
- 28.9.1989
- Zustand:
- Manuelle Rekonstruktion, Mechanische Schäden
Berlin, 28. September 1989
Strafrechtliche Einschätzung "Zum Aufruf der Initiativgruppe Sozialdemokratische Partei in der DDR"
In dem ein Blatt A 4 umfassenden, mit 12. September 1989 datierten und mit den Namen und Anschriften von 4 Personen versehenen Text werden ausgehend von einer angeblichen Notwendigkeit der Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse der DDR die Bildung einer Sozialdemokratischen Partei gefordert und deren Zielstellung erläutert.
In mehreren Textpassagen werden verfassungsmäßig verankerte politische und sozialökonomische Grundlagen der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR angegriffen.
So wird die führende Rolle der marxistisch-leninistischen Partei diskriminiert, indem behauptet wird, daß eine "notwendige Demokratisierung" die "Bestreitung des Wahrheits- und Machtmonopols der herrschenden Partei" voraussetze. Des weiteren werden durch indirekte Unterstellungen, wonach die Bürger ihre Grundrechte nicht wahrnehmen könnten und für den Schutz der natürlichen Umwelt und die Sicherung von Ressourcen zu wenig getan werde, verfassungsmäßige Prinzipien der demokratischen Leitung und Planung aller gesellschaftlichen Bereiche und des Schutzes und der rationellen Nutzung der Naturreichtürmer diskreditiert.
Darüber hinaus erfolgt mit der Aufforderung nach einem Zusammenschluß "vor Ort" entsprechend den "programmatischen Orientierungen" sowie den Forderungen zur "strikten Gewaltenteilung", zum Parteienpluralismus, zur "sozialen Marktwirtschaft" und zur "Freiheit der Gewerkschaften und Streikrecht" der Aufruf zur Veränderung verfassungsmäßiger Grundlagen der DDR, insbesondere des Prinzips der Volkssouveränität und des demokratischen Zentralismus.