Signatur: BStU, MfS, Sekr. Neiber, Nr. 333, Bl. 20-22
Nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl fürchtete die Stasi das Erstarken der Anti-Kernkraftwerks-Bewegung in der DDR. Von Anfang an bemühte sich die Geheimpolizei, dieser Entwicklung entgegen zu wirken.
Der Super-GAU im sowjetischen Kernkraftwerk Tschernobyl am 26. April 1986 war der bis dahin schwerste nukleare Unfall bei der zivilen Nutzung der Kernkraft. Die unkontrolliert entwichene Radioaktivität war immens, und die Langzeitfolgen halten bis heute an.
Für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) in der DDR bedeutete Tschernobyl eine Herausforderung: Unmittelbar musste der politische und ideologische Schaden für die SED-Diktatur begrenzt werden. Das Credo „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen“ wirkte nach dem Unglück hohl. Das eigene ehrgeizige Kernenergieprogramm verlor merklich an Vertrauen, basierten die Reaktoren doch ebenfalls auf sowjetischer Technik.
Zudem erhielt die ostdeutsche Anti-Atomkraft-Bewegung Zulauf. Weil sie in Opposition zur Kernenergiepolitik, zur Umweltpolitik und zur Informationspolitik der SED-Führung stand, wollte die Staatssicherheit sie nun konsequent bekämpfen.
Auch der Wirtschaft der DDR drohte Schaden: Die Bundesrepublik, ein wichtiger Abnehmer für Lebensmittel aus Ostdeutschland, ließ aus Angst vor verstrahlter Ware die Lieferungen nicht mehr ohne weiteres über die Grenze.
Die tiefe Beunruhigung der Bürger nach dem Super-GAU von Tschernobyl ließ sich jedoch nicht einfach bei Seite wischen. Das Reaktorunglück mit seinen unabsehbaren Folgen für die Natur war ein wichtiger Impuls für die Umweltbewegung der DDR. Bereits Anfang Juni 1986 musste die Stasi registrieren, dass Umwelt- und Friedensgruppen in der DDR zahlreiche Aktionen zu Tschernobyl organisierten.
Die besondere Aufmerksamkeit der Stasi weckte der Appell "Tschernobyl wirkt überall". Mitglieder und Sympathisanten der Friedens- und Umweltbewegung richteten unter dieser Überschrift einen Appell an Regierung und Bevölkerung. Silvia Müller und Vera Wollenberger trugen 141 Unterschriften zusammen. Am 5. Juni 1986 - dem Weltumwelttag - wurde der Aufruf dem Vorsitzenden des DDR-Ministerrates und der staatlichen Nachrichtenagentur ADN übergeben. Der Appell richtete sich nicht nur gegen die zivile Nutzung der Kernenergie, sondern geißelte auch die verschleiernde Informationspolitik in der DDR.
f) In der Sowjetunion und in der DDR kulminierten die Praktiken verzögerter bzw. verharmlosender Information. Es waren publizistische Eigentore bzw. sachliche Ungereimtheiten alarmierenden Ausmaßes zu verzeichnen. Die sowjetische Berichterstattung hat politischen Tendenzjournalismus des westlichen Auslandes begünstigt. Eine begrenzte Interessenparallelität an der Verharmlosung der Auswirkungen des Unfalls zeigte sich z. B. darin, daß der sowjetische Botschafter Kwizinski in der BRD den Bundesinnenminister Zimmermann zum Kronzeugen für die verfrühte Aussage machte, das Ausland sei niemals gefährdet gewesen. Arbatow (Leiter des sowjetischen Amerikainstitutes) berief sich auf die internationale Atomenergieagentur (IAEA) mit seiner Einschätzung, der Tschernobyl-Reaktor überträfe in seiner Zuverlässigkeit die besten westlichen Muster.
Verantwortliche in der UdSSR zogen es vor, nach Eintreten der Havarie darauf zu verzichten, sofort das Ausland zu informieren. Sie sahen sich dazu erst nach 48 Stunden veranlaßt, nachdem Schweden infolge dort gemessener radioaktiver Belastung der Luft anfragte.
Radiologischer Bevölkerungsschutz, wie später z. B. in Rumänien und Polen sporadisch praktiziert, konnte dadurch international und vor allem vorbeugend nicht organisiert werden. In allen Ländern wurde in diesem Zusammenhang eine alarmierende Konzeptionslosigkeit auf den Gebieten medizinischer Überwachung und Gefährdungsanalyse sichtbar. In den ersten Tagen nach dem Unglück berichtete die sowjetische Presse stolz, daß die Frühjahrsaussaat in der Region ungestört vorangehe, obwohl seit dem 6. Mai 1986 schon Entaktivierungs- und Evakuierungsmaßnahmen im Raum Tschernobyl und Pripjat (25.000) Einwohner stattfanden. Neben dem hier von uns hinterfragten offenbar nachlässig praktizierten regionalen Bevölkerungsschutz ist in der Sowjetunion selbst anscheinend auch der Katastrophenschutz am Ort des Geschehens bemängelt worden. Es war die Rede von Maßregelungen gegenüber Kraftwerksverantwortlichen wegen "unterlassener Hilfeleistung".
Entgegen anfänglicher Verlautbarungen stellte das Kommunique der Regierungskommission vom 6. Mai 1986 fest, "am Ort des Geschehens" sei "die Lage von Mitarbeitern des Kraftwerks nicht richtig eingeschätzt" worden. Dagegen erklärte der Generalsekretär der KPdSU, Gorbatschow am 14. Mai 1986, "der Ernst der Lage war offensichtlich". Es sei sofort in angemessenem Umfang evakuiert worden. Insgesamt folgt daraus, daß entweder zu einem Zeitpunkt, zu dem in der Sowjetunion der Bedrohungsgrad so ernst eingeschätzt worden, daß Tausende Menschen evakuiert werden mußten, der Bevölkerung und dem Ausland keine oder verharmlosende Informationen angeboten wurden, oder diese Evakuierungen verspätet erfolgten, weil der Bedrohungsgrad falsch eingeschätzt wurde und deshalb auch das Ausland uninformiert blieb.
Schließlich wurde am 12. Mai 1986 sowjetischerseits erklärt, daß erst am Vortag die Gefahr des Durchschmelzens des noch aktiven Reaktorkerns durch das Fundament (also der Verseuchung des Grundwassers und erhöhter chemischer Explosionsgefahr) gebannt werden konnte.
Damit haben sich die Darstellungen der Vorwochen, es bestünden keine Gefahren für die Bevölkerung und die Lage sei vollständig unter Kontrolle, als unzutreffend erwiesen. Wenn nun angesichts der zweifellos existierenden Kampagne politischen Charakters gegen die Sowjetunion von Gorbatschow erklärt wird, die Frage des Mangels an Information wäre "in diesem Fall (?) ausgedacht", was dadurch bewiesen wäre, "daß die amerikanischen Behörden 10 Tage brauchten, um den eigenen Kongreß zu informieren, welche Tragödie sich 1979 im KKW 'Three Misles Island' ereignet hatte und Monate um die Weltöffentlichkeit davon in Kenntnis zu setzen", so ist dies unlogisch.
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
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Signatur: BStU, MfS, Sekr. Neiber, Nr. 333, Bl. 20-22
Nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl fürchtete die Stasi das Erstarken der Anti-Kernkraftwerks-Bewegung in der DDR. Von Anfang an bemühte sich die Geheimpolizei, dieser Entwicklung entgegen zu wirken.
Der Super-GAU im sowjetischen Kernkraftwerk Tschernobyl am 26. April 1986 war der bis dahin schwerste nukleare Unfall bei der zivilen Nutzung der Kernkraft. Die unkontrolliert entwichene Radioaktivität war immens, und die Langzeitfolgen halten bis heute an.
Für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) in der DDR bedeutete Tschernobyl eine Herausforderung: Unmittelbar musste der politische und ideologische Schaden für die SED-Diktatur begrenzt werden. Das Credo „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen“ wirkte nach dem Unglück hohl. Das eigene ehrgeizige Kernenergieprogramm verlor merklich an Vertrauen, basierten die Reaktoren doch ebenfalls auf sowjetischer Technik.
Zudem erhielt die ostdeutsche Anti-Atomkraft-Bewegung Zulauf. Weil sie in Opposition zur Kernenergiepolitik, zur Umweltpolitik und zur Informationspolitik der SED-Führung stand, wollte die Staatssicherheit sie nun konsequent bekämpfen.
Auch der Wirtschaft der DDR drohte Schaden: Die Bundesrepublik, ein wichtiger Abnehmer für Lebensmittel aus Ostdeutschland, ließ aus Angst vor verstrahlter Ware die Lieferungen nicht mehr ohne weiteres über die Grenze.
Die tiefe Beunruhigung der Bürger nach dem Super-GAU von Tschernobyl ließ sich jedoch nicht einfach bei Seite wischen. Das Reaktorunglück mit seinen unabsehbaren Folgen für die Natur war ein wichtiger Impuls für die Umweltbewegung der DDR. Bereits Anfang Juni 1986 musste die Stasi registrieren, dass Umwelt- und Friedensgruppen in der DDR zahlreiche Aktionen zu Tschernobyl organisierten.
Die besondere Aufmerksamkeit der Stasi weckte der Appell "Tschernobyl wirkt überall". Mitglieder und Sympathisanten der Friedens- und Umweltbewegung richteten unter dieser Überschrift einen Appell an Regierung und Bevölkerung. Silvia Müller und Vera Wollenberger trugen 141 Unterschriften zusammen. Am 5. Juni 1986 - dem Weltumwelttag - wurde der Aufruf dem Vorsitzenden des DDR-Ministerrates und der staatlichen Nachrichtenagentur ADN übergeben. Der Appell richtete sich nicht nur gegen die zivile Nutzung der Kernenergie, sondern geißelte auch die verschleiernde Informationspolitik in der DDR.
Schließen läßt sich daraus nur, daß auch in den USA dem Ausweichen vor unangenehmen Konsequenzen der Vorzug gegenüber unverzüglicher informeller Öffnung und vorbeugendem Bevölkerungsschutz gegeben wurde. Die UdSSR hat dies erst jetzt nachweisen können.
Wir bedauern es ebenso, daß DDR-Wissenschaftler sich an Versuchen beteiligten, die Öffentlichkeit ruhigzustellen, indem sie verharmlosende Aussagen zur Kernenergie und Reaktorsicherheit im allgemeinen und beschönigende Spekulationen über die Reaktorkatastrophe im besonderen in den Medien absonderten. Dies bricht Tendenzen der Panikmache im Westen nicht die Spitze ab und entwertet berechtigte Hinweise auf Versuche der Ablenkung von der Gefährlichkeit eines Atomkrieges.
2. Der Zusammenhang zwischen ziviler und militärischer Nutzung der Kernenergie
Gorbatschow hat zu Recht erklärt, daß "die Havarie in Tschernobyl ... ein weiteres Mal erhellt hat, welches Unheitl hereinbricht, wenn ein Kernwaffenkrieg über die Menschheit kommt". Die sowj. Offerten an die USA in Gestalt des nunmehr nochmals bis 6. August verlängerten Kernwaffentestmoratoriums sowie andere Vorschläge der SU zur Abrüstung sind ebenso entschieden zu begrüßen, wie die US-amerikanische Haltung zu verurteilen ist. Wir wenden uns jedoch gegen eine Auslegung solcher Erklärungen in dem Sinne, daß die Gefährlichkeit von KKW in Relation zur Atombombe zu definieren (und damit als "harmlos" zu identifizieren) sei. Dies wäre ein demagogischer Trick zur Legitimation solcher Energiegewinnungsformen, dessen sich auch die beiden DDR-Wissenschaftler Lanius und Flach bedienten. Die sowj. Bereitschaft, jetzt die zivile "Sicherheitspartnerschaft" der Betreiberländer von KKW zu intensivieren, läßt jedoch keinen Zweifel darüber aufkommen, daß der atomenergetische Weg weiter beschritten wird.
Die Gründe für de Verzichtsunfähigkeit liegen auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet. Im Westen wirken Profite und Wirtschaftsexpansionen als Antriebe auch für den KKW-Anlagenbau. Diese Antriebe werden kaum nachhaltig dadurch gebremst, daß man mangelnde Reaktorbetriebssicherheit und die ungeklärten Fragen und enormen gesellschaftlichen Kosten der Entsorgung verstärkt problematisiert. Der Wettbewerb der beiden politischen Systeme soll zudem über beschleunigtes wirtschaftliches und damit auch energetisches Wachstum entschieden werden. Hier spielt der Zeitfaktor oft eine entscheidende Rolle. An diesem Problem führt in der Tat kein losgelöster KKW- oder Atomwaffenprotest vorbei. Denn hier scheint die Existenzgrundlage und Überlebensfähigkeit der beiden politischen Systeme tangiert zu sein. Die Stellung einer möglichen Parallelität von gleichgewichtiger (nuklearer) Abrüstung einerseits und gleichgewichtiger ziviler nuklearer KKW-Stillegung andererseits drängt sich auf. Doch es ist bekannt, daß die Grenzen zwischen ziviler und militärischer Nutzung von spaltbarem Material fließend sind (Gewinnung von bombenfähigem U 235 und von Plutonium 239 mit bestimmten Reaktortypen). Ein umfassendes nukleares "Disarmement" scheint als dringendste Notwendigkeit ebenso angezeigt, wie heute noch in weiter Ferne liegend.
3. Gefahren bei der Betreibung von Kernkraftwerken 1)
Der Unfall von Tschernobyl zeigt klar, daß die so oft vorgebrachten Zahlen über das vergleichbar geringe Risiko (Risiko = Eintrittswahrscheinlichkeit x Schadensumfang) eines KKW-Unfalls am Problem vorbeigehen.
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
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Befehl zum Vorgehen gegen die Initiatoren des Appells "Tschernobyl wirkt überall" Dokument, 3 Seiten
Aufnäher "Schlechte Aussichten für die Ostsee / KKW Nord" Dokument, 1 Seite
Information des KGB über Aktivitäten der Umweltbewegung in der Umgebung von Kernkraftwerken Dokument, 4 Seiten
Gespräch der Energieminister der DDR und Sowjetunion über das Reaktorunglück von Tschernobyl Dokument, 5 Seiten