Signatur: BStU, MfS, BV Berlin, AOP, Nr. 1224/91, Bd. 6, Bl. 171
Im Herbst 1988 wurden Schüler der Carl-von-Ossietzky-Schule in Berlin-Pankow der Schule verwiesen, weil sie sich offen gegen Militärparaden und Rechtsextremismus in der DDR ausgesprochen hatten. Ein Jahr später stand die Ossietzky-Schule immer noch unter besonderer Beobachtung. Anlässlich der Feierlichkeiten zum DDR-Jahrestag im Oktober 1989 etwa überwachte die Staatssicherheit nachts das Schulgebäude.
Am 30. September 1988 wurden vier Schüler der Carl-von-Ossietzky-Schule im Ost-Berliner Stadtteil Pankow der Schule verwiesen, weil sie sich offen gegen Militärparaden ausgesprochen und vor dem Rechtsextremismus in der DDR gewarnt hatten. Zwei weitere Klassenkameraden wurden an andere Schulen versetzt, zwei erhielten einen Verweis. Die Betroffenen wurden durch ein systematisches Zusammenspiel von Schule, Leitung der Freien Deutschen Jugend (FDJ) und Elternrat gemaßregelt und gedemütigt. Anders als viele ähnliche Fälle wurde dieser Vorgang jedoch öffentlich. Die sogenannte Ossietzky-Affäre schlug hohe Wellen. Der Mut der Schüler rief eine Welle der Solidarität hervor.
Selbst ein Jahr nach der Ossietzky-Affäre befürchtete das MfS weitere Aktionen der Schülerinnen und Schüler anlässlich des Gründungstages der DDR im Oktober 1989. So stand die Carl-von-Ossietzky-Schule etliche Nachtstunden unter besonderer Beobachtung. Unter dem Decknamen "Geburtstag" überwachte die Staatssicherheit vom 3. bis 5. Oktober den Bereich rund um das Schulgebäude. Sie konnte jedoch keine besonderen Aktivitäten feststellen.
Ministerrat
der deutschen demokratischen RepublikDER
Ministerium für Staatssicherheit
[Stempel: VFS/B
-25-
19 Okt 1989
Tgb.Nr. [handschriftliche Ergänzung: 7330]
Weiter an: [handschriftliche Ergänzung: Genzel; Mw]]
[Durchgestrichen: Hauptabteilung]/Abteilung Referat VIII/7
Bezirksverwaltung/Verwaltung Berlin
Sachbeaerbeiter Bolz
Telefon 41862
Hauptabteilung [Auslassung]
Berlin den, 11.10.1989
Bezirksverwaltung/Verwaltung [Auslassung]
Kreis-/Objektdienststelle [Auslassung]
des Ministeriums für Staatssicherheit
Beobachtungsbericht
Betr. [Auslassung]
Wohnhaft [Auslassung]
Decknamen "Geburtstag"
Reg.-Nr. des Auftragsersuchens [Auslassung]
Für die Zeit vom; bis
03.10.1989, 17.00 Uhr; 03.10.1989, 24.00 Uhr
04.10.1989, 00.00 Uhr; 04.10.1989, 06.30 Uhr
04.10.1989, 17.00 Uhr; 04.10.1989, 24.00 Uhr 05.10.1989, 00.00 Uhr; 05.10.1989, 06.00 Uhr
03.10.1989
17.00 Uhr; wurde die Beobachtung an der Carl-von-Ossietzky-Ober-schule begonnen.
04.10.1989
06.30 Uhr; wurde die Beobachtung auftragsgemäß unterbrochen.
In diesem Zeitraum waren keine auftragsbezogene Ereignisse eingetreten.
04.10.1989
17.00 Uhr; wurde die Beobachtung an der Carl-von-Ossietzky-Oberschule wieder aufgenommen.
wurde die Beobachtung auftragsgemäß unterbrochen. Es waren keine Vorkommnisse festzustellen.
05.10.1989
06.00 Uhr; wurde die Beobachtung auftragsgemäß unterbrochen. Es waren keine Vorkommnisse festzustellen.
Leiter der Abteilung
[Unterschrift]
Gützlaff
Oberst
Referatsleiter
[Unterschrift]
Bolz
Major
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet wurde. Die zuletzt 13 Hauptabteilungen wurden durch Einzelleiter geführt. Die weiter untergliederten und nach dem Linienprinzip tätigen HA waren für komplexe, abgegrenzte Bereiche operativ zuständig und federführend verantwortlich. Der Zuschnitt der Zuständigkeitsbereiche war an Ressorts oder geheimdienstlichen Praktiken (z. B. Verkehrswesen, Beobachtung, Funkspionage) orientiert.
Die ersten Objektdienststellen wurden 1957 für die Chemiekombinate Buna und Leuna gegründet, die letzte 1981 für das Kernkraftwerk "Bruno Leuschner" bei Lubmin. 1989 existierten sieben Objektdienststellen, zwölf – darunter neun Objektdienststellen der Objektverwaltung "W" – sind bis 1982 aufgelöst worden. Erst 1969 erfolgte mit der 1. Durchführungsbestimmung zur Richtlinie 1/69 die Festlegung der normativen Grundorientierung für die Objektdienststellen. Sie besaßen einen den Kreisdienststellen (KD) vergleichbaren Status und waren in der Struktur der jeweiligen Bezirksverwaltung (BV) gemäß dem Linienprinzip eingeordnet und dem dortigen Stellvertreter Operativ unterstellt.
Die Objektdienststellen befanden sich in den zu sichernden Wirtschaftsobjekten oder zumindest in deren unmittelbarer räumlicher Nähe. Ihre Organisationsstruktur wies Referate und/oder Arbeitsgebiete sowie ggf. temporäre nichtstrukturelle Arbeitsgruppen (NSAG) auf, jedoch auch Einzelverantwortliche für bestimmte Arbeitsbereiche. Der Gesamtpersonalbestand betrug zuletzt 257 Mitarbeiter; er schwankte in den einzelnen Objektdienststellen zwischen 24 und 56. Ihnen standen ca. 2.000 IM aller Kategorien zur Verfügung. Entsprechend den Veränderungen in der Produktionsstruktur der Wirtschaftsobjekte waren Struktur- und Organisationsänderungen recht häufig.
Die Leiter der Objektdienststellen hatten die Informationsbeziehungen einschließlich offizieller Verbindungen zu den Leitungen der Betriebe und Einrichtungen zu organisieren. Die Sicherheitsstandards richteten sich nach dem Gefährdungs- und Bedeutungsstatus der jeweiligen Wirtschaftsobjekte. Entsprechend hoch war er für das Kernkraftwerk, das Kombinat Carl Zeiss Jena sowie für die drei großen Kombinate im Chemiedreieck Leuna, Buna und Bitterfeld.
Plakat der Bekenntniskirche Berlin-Treptow für eine Veranstaltung zur Ossietzky-Affäre 1 Fotografie
Fotos von Parolen an der Carl-von-Ossietzky-Schule 1 Fotografie
Meldung der KD Pankow über eine Unterschriftensammlung in der EOS "Carl von Ossietzky" Dokument, 1 Seite
Einsatz eines Spürhundes am Gebäude der Carl-von-Ossietzky-Schule Dokument, 2 Seiten