Signatur: BStU, MfS, AU, Nr. 487/53, Bd. 16, Bl. 12-32
Oberstleutnant Rudolf Gutsche, damals Leiter der für Beobachtung und Ermittlungen zuständigen MfS-Abteilung VIII, wurde bei Demonstrationen am 17. Juni angegriffen. An dem Angriff waren zwei junge Ost-Berliner Hilfsarbeiter maßgeblich beteiligt. Später gelang es der Stasi, sie zu identifizieren und zu verhaften. Im Prozess wurden sie zu langen Haftstrafen verurteilt.
Oberstleutnant Rudolf Gutsche, damals Leiter der für Beobachtung und Ermittlungen zuständigen MfS-Abteilung VIII, wurde bei Demonstrationen am 17. Juni angegriffen. Am späten Vormittag des 17. Juni war Gutsche mit einem anderen MfS-Offizier in seinem weinroten BMW am Alexanderplatz unterwegs, einem der Zentren des Aufstandes. Dort gab es zu diesem Zeitpunkt große Ansammlungen aufgebrachter Demonstranten. Unmittelbar nach der Einmündung zur Rathausstraße rammte ein LKW den MfS-Dienstwagen und brachte ihn so zum Stehen. Der Fahrer des LKW hatte den BMW am Nummernschild als Regierungsfahrzeug erkannt und absichtlich aufs Korn genommen.
Herbeigeeilte Demonstranten schlugen die Scheiben des Wagens ein, zerrten den Fahrer heraus und verprügelten ihn. Auch der im Wagen verbliebene Beifahrer, wahrscheinlich Gutsche, wurde geschlagen. Die beiden Stasi-Offiziere versuchten, sich mit ihren Dienstwaffen zu verteidigen, einer der beiden gab einen Schuss ab. Das versetzte die Aufständischen erst recht in Wut. Sie überwältigten Gutsche und seinen Begleiter, nahmen ihnen die Waffen ab und prügelten nun noch stärker auf sie ein. Am Ende stürzten einige Demonstranten das Auto um und zündeten es an.
An dem Angriff waren zwei junge Ost-Berliner Hilfsarbeiter maßgeblich beteiligt. Später gelang es der Stasi, sie zu identifizieren und zu verhaften. Nach Erkenntnissen der Geheimpolizei suchten sie regelmäßig ein West-Berliner Vereinslokal des westdeutschen Bundes Deutscher Jugend (BDJ) auf, in dem sie auch Mitglied gewesen sein sollen. In der Vernehmung durch die Stasi gab später einer der beiden Hilfsarbeiter zu Protokoll, von der Organisation zu seinen Taten angestiftet worden zu sein.
In dem vorliegenden Prozessbericht betonte auch der Staatsanwalt zwar später in seinem Prozessbericht, dass die beiden keine "ausgekochten und rücksichtslosen Gegner unserer Ordnung" seien. Sie seien vielmehr "haltlose und abenteuerlustige Vagabunden, die aus ihrer unfreundlichen Umgebung zu flüchten suchten und für den Gegner ein willfähriges Werkzeug wurden". Das hinderte den Ankläger jedoch nicht daran, für die Jugendlichen hohe Zuchthausstrafen zu fordern.
verbrecherischen Handlungen gerecht zu bestrafen und muß die Möglichkeit geben, ihn zu erziehen.
Gegen den Angeklagten [Person 2] wurde auf eine Zuchthausstrafe von 10 Jahren erkannt, die erforderlich ist, obwohl der Tatbeitrag des Angeklagten im Umfang etwas geringer ist, als der des Angeklagten [Person 1]. Der Angeklagte ist aber reifer und verständiger und hatte grössere Einsicht in die von ihm verübten Verbrechen. Er befindet sich gefährlich an der Stufe des Absinkens in die völlige Asozialität, ist aber andererseits von verderblichem und verführerischen Einflussauf die ihm verbündeten anderen Jugendlichen gewesen. Obwohl bei ihm eine gewisse Einsicht in seine verbrecherischen Handlungen vorliegt, bedarf die Gefährlichkeit seiner Taten einer strengen Strafe.
Der Angeklagte [Person 3] ist asozial und vom verderblichen Einfluss auf die mit ihm verbündeten Jugendlichen gewesen. Sein Vorgehen ist besonders brutal, rücksichtslos und raffiniert. Sein Vorleben und seine Vorstrafen hätten ihm eine Warnung sein müssen. Der Angeklagte hat sich aber im Gegenteil über alle Gesetze hinweggesetzt und nur seine eigenen verbrecherischen und verderblichen Ziele in den Vordergrund gestellt. Der geringere Tatbeitrag erfordert wegen der höheren Gefährlichkeit und wegen seines führenden Auftretens bei den Unruhen eine harte, strenge Bestrafung. Soweit der Angeklagte vorgibt, dass er krank und nicht einsichtsfähig ist, haben die von ihm verübten Taten und sein Verhalten in der Hauptverhandlung das Gegenteil bewiesen.
Gegen den Angeklagten [Person 4] muss eine Zuchthausstrafe von 10 Jahren ausgesprochen werden, weil es sich um die Auslösung des gemeinsten Verbrechenshandelt, bei dem der Angeklagte bedenkenlos die schwersten Folgen in Kauf genommen hat. Der Angeklagte ist bisher nicht vorbelastet. Seine Handlungsweise ist nur dahingehend zu deuten, dass er aufgefordert von einem Agenten, der ihm Unruhen und das Ende der demokratischen Verhältnisse versprochen hat, sich auf die Seite der entschiedenen und entschlossenen Provokateure gestellt hat, die den Sturz der Regierung durchführen wollten. Er hat alles auf dieses Ziel gesetzt und muss entsprechend dem von ihm erstrebten Ziel zur Verantwortung gezogen werden. Die Strafe muss bei ihm ausreichend sein, um eine Umerziehung zu einem gesellschaftlichen Wohlverhalten zu erreichen.
Operative Beobachtung
Die Beobachtung zählte zu den konspirativen Ermittlungsmethoden, die in der Regel von operativen Diensteinheiten in Auftrag gegeben und von hauptamtlichen Mitarbeitern der Linie VIII (Hauptabteilung VIII) durchgeführt wurden. Dabei wurden sog. Zielpersonen (Beobachtungsobjekte genannt) über einen festgelegten Zeitraum beobachtet, um Hinweise über Aufenthaltsorte, Verbindungen, Arbeitsstellen, Lebensgewohnheiten und ggf. strafbare Handlungen herauszufinden. Informationen aus Beobachtungen flossen in Operative Personenkontrollen, Operative Vorgänge oder Sicherheitsüberprüfungen ein. Im westlichen Ausland wurden Beobachtungen meist von IM unter falscher Identität ausgeführt.
Eine selbständige Abteilung ist eine Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet und durch militärische Einzelleiter geführt wurde. Die weiter untergliederten Abteilungen prägten Linien aus (z. B. Abt. XIV; Linienprinzip) oder blieben auf die Zentrale beschränkt (z. B. Abt. X). Die eng umrissenen Zuständigkeiten mit operativer Verantwortung und Federführung orientierten sich an geheimdienstlichen Praktiken (Telefonüberwachung) oder Arbeitsfeldern (Bewaffnung, chemischer Dienst).
1950 entstanden; 1958 Aufwertung zur HA VIII.
Ein Untersuchungsvorgang war eine bei einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren des MfS und ggf. dem späteren Gerichtsverfahren entstandene Akte, die den Hergang des Strafverfahrens widerspiegelt und auch häufig Informationen zur Strafvollstreckung enthält.
Untersuchungsvorgänge zeigen die offizielle wie auch die inoffizielle Ebene des Verfahrens. Sie enthalten sowohl das strafprozessual legale Material (Haftbefehl, Vernehmungsprotokolle, Anklageschrift, Verhandlungsprotokoll, Urteil u. a.) als auch Dokumente geheimpolizeilichen Charakters, etwa zu konspirativen Ermittlungsmaßnahmen operativer Abteilungen oder Berichte von Zelleninformatoren.
Ein archivierter Untersuchungsvorgang kann bis zu sieben Bestandteile umfassen: Gerichtsakte, Beiakte zur Gerichtsakte, Handakte zur Gerichtsakte, Handakte zum Ermittlungsverfahren, Beiakte zur Handakte des Ermittlungsverfahrens, manchmal auch Vollstreckungsakten und ggf. die Akte des Revisions- oder Kassationsverfahrens.
Signatur: BStU, MfS, AU, Nr. 487/53, Bd. 16, Bl. 12-32
Oberstleutnant Rudolf Gutsche, damals Leiter der für Beobachtung und Ermittlungen zuständigen MfS-Abteilung VIII, wurde bei Demonstrationen am 17. Juni angegriffen. An dem Angriff waren zwei junge Ost-Berliner Hilfsarbeiter maßgeblich beteiligt. Später gelang es der Stasi, sie zu identifizieren und zu verhaften. Im Prozess wurden sie zu langen Haftstrafen verurteilt.
Oberstleutnant Rudolf Gutsche, damals Leiter der für Beobachtung und Ermittlungen zuständigen MfS-Abteilung VIII, wurde bei Demonstrationen am 17. Juni angegriffen. Am späten Vormittag des 17. Juni war Gutsche mit einem anderen MfS-Offizier in seinem weinroten BMW am Alexanderplatz unterwegs, einem der Zentren des Aufstandes. Dort gab es zu diesem Zeitpunkt große Ansammlungen aufgebrachter Demonstranten. Unmittelbar nach der Einmündung zur Rathausstraße rammte ein LKW den MfS-Dienstwagen und brachte ihn so zum Stehen. Der Fahrer des LKW hatte den BMW am Nummernschild als Regierungsfahrzeug erkannt und absichtlich aufs Korn genommen.
Herbeigeeilte Demonstranten schlugen die Scheiben des Wagens ein, zerrten den Fahrer heraus und verprügelten ihn. Auch der im Wagen verbliebene Beifahrer, wahrscheinlich Gutsche, wurde geschlagen. Die beiden Stasi-Offiziere versuchten, sich mit ihren Dienstwaffen zu verteidigen, einer der beiden gab einen Schuss ab. Das versetzte die Aufständischen erst recht in Wut. Sie überwältigten Gutsche und seinen Begleiter, nahmen ihnen die Waffen ab und prügelten nun noch stärker auf sie ein. Am Ende stürzten einige Demonstranten das Auto um und zündeten es an.
An dem Angriff waren zwei junge Ost-Berliner Hilfsarbeiter maßgeblich beteiligt. Später gelang es der Stasi, sie zu identifizieren und zu verhaften. Nach Erkenntnissen der Geheimpolizei suchten sie regelmäßig ein West-Berliner Vereinslokal des westdeutschen Bundes Deutscher Jugend (BDJ) auf, in dem sie auch Mitglied gewesen sein sollen. In der Vernehmung durch die Stasi gab später einer der beiden Hilfsarbeiter zu Protokoll, von der Organisation zu seinen Taten angestiftet worden zu sein.
In dem vorliegenden Prozessbericht betonte auch der Staatsanwalt zwar später in seinem Prozessbericht, dass die beiden keine "ausgekochten und rücksichtslosen Gegner unserer Ordnung" seien. Sie seien vielmehr "haltlose und abenteuerlustige Vagabunden, die aus ihrer unfreundlichen Umgebung zu flüchten suchten und für den Gegner ein willfähriges Werkzeug wurden". Das hinderte den Ankläger jedoch nicht daran, für die Jugendlichen hohe Zuchthausstrafen zu fordern.
Gegen den Angeklagten [Person 5] wird nur mit Rücksicht auf seine geringere Einsichtsfähigkeit und mangelnde Intelligenz keine höhere Strafe als 6 Jahre Zuchthaus ausgesprochen. Obwohl es sich bei ihm um einen gefährlichen Banditen handelt, der ebenfalls ein reichlich kriminelles Vorleben hat, erscheint die Strafe von 6 Jahren ausreichend.
Alle Strafen sind gleichzeitig eine Warnung an alle Terroristen, Saboteure, Spione und Agenten und deren schmutzige Helfershelfer.
Die ausgeworfenen Sühnemassnahmen ergeben sich aus Kontr. Dir. Nr. 38, Abschn. IX.
Das von dem Angeklagten [Person 4] zur Durchführung seiner verbrecherischen Handlung benutzte Fahrzeug LKW Bedvord 2 1/2 To. [anonymisiert] wird, da es zur verbrecherischen Handlung benutzt worden ist, gemäss § 240 StGB eingezogen.
Nach § 79 StGB wird die vom Stadtgericht Berlin, Strafsenat lc, I c 70.53 - gegen den Angeklagten [Person 2] ausgesprochene Gefängnisstrafe von 6 Monaten wegen Aufruhr in die Gesamtstrafe einbezogen.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 219, 353 StPO.
[handschriftliche Ergänzung: gez: [unleserlich]; Lenz; Teuber
Ausgefertigt:
Berlin, den 26. August 1953]
[Unterschrift: unleserlich]
[Stempel: Stadtgericht Berlin]
Operative Beobachtung
Die Beobachtung zählte zu den konspirativen Ermittlungsmethoden, die in der Regel von operativen Diensteinheiten in Auftrag gegeben und von hauptamtlichen Mitarbeitern der Linie VIII (Hauptabteilung VIII) durchgeführt wurden. Dabei wurden sog. Zielpersonen (Beobachtungsobjekte genannt) über einen festgelegten Zeitraum beobachtet, um Hinweise über Aufenthaltsorte, Verbindungen, Arbeitsstellen, Lebensgewohnheiten und ggf. strafbare Handlungen herauszufinden. Informationen aus Beobachtungen flossen in Operative Personenkontrollen, Operative Vorgänge oder Sicherheitsüberprüfungen ein. Im westlichen Ausland wurden Beobachtungen meist von IM unter falscher Identität ausgeführt.
Eine selbständige Abteilung ist eine Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet und durch militärische Einzelleiter geführt wurde. Die weiter untergliederten Abteilungen prägten Linien aus (z. B. Abt. XIV; Linienprinzip) oder blieben auf die Zentrale beschränkt (z. B. Abt. X). Die eng umrissenen Zuständigkeiten mit operativer Verantwortung und Federführung orientierten sich an geheimdienstlichen Praktiken (Telefonüberwachung) oder Arbeitsfeldern (Bewaffnung, chemischer Dienst).
1950 entstanden; 1958 Aufwertung zur HA VIII.
Ein Untersuchungsvorgang war eine bei einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren des MfS und ggf. dem späteren Gerichtsverfahren entstandene Akte, die den Hergang des Strafverfahrens widerspiegelt und auch häufig Informationen zur Strafvollstreckung enthält.
Untersuchungsvorgänge zeigen die offizielle wie auch die inoffizielle Ebene des Verfahrens. Sie enthalten sowohl das strafprozessual legale Material (Haftbefehl, Vernehmungsprotokolle, Anklageschrift, Verhandlungsprotokoll, Urteil u. a.) als auch Dokumente geheimpolizeilichen Charakters, etwa zu konspirativen Ermittlungsmaßnahmen operativer Abteilungen oder Berichte von Zelleninformatoren.
Ein archivierter Untersuchungsvorgang kann bis zu sieben Bestandteile umfassen: Gerichtsakte, Beiakte zur Gerichtsakte, Handakte zur Gerichtsakte, Handakte zum Ermittlungsverfahren, Beiakte zur Handakte des Ermittlungsverfahrens, manchmal auch Vollstreckungsakten und ggf. die Akte des Revisions- oder Kassationsverfahrens.
Urteil gegen einen Streikführer aus Niemegk Dokument, 6 Seiten
Urteil gegen Beteiligte einer Streikkundgebung während des Volksaufstandes in Groß Dölln Dokument, 3 Seiten
Urteil gegen zwei Landwirte wegen "Boykotthetze" Dokument, 4 Seiten
Urteil des Bezirksgerichts Dresden gegen Beteiligte am Volksaufstand Dokument, 31 Seiten