Signatur: BStU, MfS, BV Neubrandenburg, AU, Nr. 84/53, Bd. 2, Bl. 166-168
Drei Elektromonteure wurden zu je vier Jahren Zuchthaus verurteilt, weil sie sich an Arbeitsniederlegungen auf der Großbaustelle des Flugplatzes in Groß Dölln während des Volksaufstandes beteiligt hatten.
Der Bezirk Neubrandenburg war, wie die anderen Bezirke im Norden auch, kein Zentrum des Volksaufstandes. Ein wichtiger Grund hierfür war die agrarisch geprägte Struktur Mecklenburgs. Zudem gelangten die Nachrichten aus dem Süden der DDR nur langsam bis zur Bevölkerung im Norden. Polizei, MfS und SED waren hier ausnahmsweise besser informiert und konnten sich auf Unruhen vorbereiten.
Trotzdem kam es vereinzelt zu Unruhen. Im Bezirk Neubrandenburg kam es in 29 Städten und Gemeinden zu Aktionen, die von Streiks über Demonstrationen bis hin zu Versuchen reichten, politische Gefangene zu befreien. Einzelne Aktionen wie Forderungen nach Auflösung der LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft), die Abnahme von Bildern führender Mitglieder der Staats- und Parteiführung an öffentliche Stellen oder Solidaritätskundgebungen mit den streikenden Arbeitern und Bauern führten zu Verhaftungen und Verurteilungen.
Am Abend des 17. Juni 1953 legten die Arbeiter auf der Großbaustelle des Flugplatzes in Groß Dölln die Arbeit nieder und stellten politische Forderungen auf. Das vorliegende Urteil gegen drei beteiligte Elektromonteure zeigt, wie der Staat DDR mit sogenannten "Rädelsführern" oder mit Arbeitern umging, die sich an der Demonstration auf der Großbaustelle des Flugplatzes beteiligten.
Der Angeklagte [anonymisiert] wurde als uneheliches Kind geboren. Er wurde schon als Kind von fremden Leuten übernommen und bei Stiefeltern grossgezogen. Nach dem Besuch der Volksschule erlernte er von 1944 - 1946 das Bäckerhandwerk. Die Lehre konnte er jedoch wegen einer Berufskrankheit nicht beenden. Im Abschluss daran war er bis Anfang 1947 bei der Firma [anonymisiert] in Königswusterhausen eingestellt. Er fand dann eine Beschäftigung als Montagehelfer bei dem [anonymisiert] in Berlin. Zuletzt war er auf dem Objekt [anonymisiert] tätig.
Während der faschistischen Gewaltherrschaft war er Mitglied des DJ. Nach dem Zusammenbruch war er in der FDJ und im FdGB organisiert. Er ist nicht vorbestraft.
Der Angeklagte [anonymisiert] wurde als Sohn eines Angestellten geboren. Er selbst hat 8 Jahre die Volksschule besucht und erlernte anschliessend das Elektrohandwerk. Nach Ablegung der Gesellenprüfung war er noch weitere 3 Jahre als Geselle bei seinen Lehrmeister beschäftigt. Am [anonymisiert] fand er eine Anstellung bei der Firma [anonymisiert] Berlin als Elektromonteur. Zuletzt war er in [anonymisiert] auf der [anonymisiert] eingesetzt.
Er ist nicht vorbestraft und war politisch weder vor dem Zusammenbruch noch nach dem organisiert.
Der Angeklagte [anonymisiert] entstammt einer Handwerkerfamilie. Nach dem Besuch der Volksschule begann er die Lehre als Fernmeldemonteur. Später war er in dem Geschäft seines Vaters tätig. Im Jahre 1948 fand er Anstellung beim [anonymisiert] in [anonymisiert] Krs. Zossen als Betriebselektriker. Er war dann kurze Zeit bei der [anonymisiert] als Zählermonteur wechselte seine Stellung und ist seit 1950 als Elektromonteur bei der Firma [anonymisiert]. Zuletzt war er ebenfalls auf der Baustelle [anonymisiert] eingesetzt.
Wegen einiger [anonymisiert] wurde er 1946 zu 3 Monaten und 1947 zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt.
Politisch war er nie organisiert gewesen.
Nachdem am sogenannten Tag X, am 17.06.1953, faschistische Verbrecher im Auftrage der Kriegstreiber einen [unterstrichen: berechtigten Streik][handschriftliche Ergänzung: ?] der Werktätigen der Stalinallee zum Anlass nahmen, um Hetzlosungen gegen die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik zu schüren, darüber hinaus in getarnter Kleidung Brände anlegten und Mordend sowie singend durch die Strassen von Berlin zogen und versuchten, die Arbeiter gegen die de Regierung der Deutschen Demokratischen Republik aufzuhetzen, nahmen ebenfalls die 3 Angeklagten die Gelegenheit wahr, gehörte RIAS - Meldungen unter ihren Arbeitskollegen zu verbreiten. Am 17.06.1953 hatten sie, wie bereits an den vorgehenden Tagen, die RIAS - Sendungen gehört und verbreiteten nun an diesem Tage diese Hetzmeldungen im Kreise ihrer Arbeitskollegen. U.a. verbreiteten sie, Volkspolizisten würden in Berlin auf Arbeiter schiessen, die Tochter des Staatspräsidenten sowie Wilhelm Staatspräsident selber, seien nach der Schweiz geflohen usw. Diese Lügenmeldungen, welche verbreitet wurden, sind vom RIAS durchgegeben worden, um die Bevölkerung in der Deutschen Demokratischen Republik aufzuhetzen und in Uruhe zu bringen. Sie entsprechen nicht der Wahrheit und sind tendenziöse Gerüchte im Sinne der Kontr. Dir. 38 Abschn. II Art. IIIaIII, welche geeignet sind, den Frieden in Deutschland und in der Welt möglicherweise zu gefährden. Zu Berücksichtigen ist, dass es sich bei diesen Angeklagten um noch sehr junge Menschen handelt die sich durch die verlogennen Meldungen beeinflussen lassen haben
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
Ein Untersuchungsvorgang war eine bei einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren des MfS und ggf. dem späteren Gerichtsverfahren entstandene Akte, die den Hergang des Strafverfahrens widerspiegelt und auch häufig Informationen zur Strafvollstreckung enthält.
Untersuchungsvorgänge zeigen die offizielle wie auch die inoffizielle Ebene des Verfahrens. Sie enthalten sowohl das strafprozessual legale Material (Haftbefehl, Vernehmungsprotokolle, Anklageschrift, Verhandlungsprotokoll, Urteil u. a.) als auch Dokumente geheimpolizeilichen Charakters, etwa zu konspirativen Ermittlungsmaßnahmen operativer Abteilungen oder Berichte von Zelleninformatoren.
Ein archivierter Untersuchungsvorgang kann bis zu sieben Bestandteile umfassen: Gerichtsakte, Beiakte zur Gerichtsakte, Handakte zur Gerichtsakte, Handakte zum Ermittlungsverfahren, Beiakte zur Handakte des Ermittlungsverfahrens, manchmal auch Vollstreckungsakten und ggf. die Akte des Revisions- oder Kassationsverfahrens.
Beginn einer freiheitsentziehenden Maßnahme, Ergreifung eines Beschuldigten oder Angeklagten aufgrund eines richterlichen Haftbefehls (§ 114 StPO/1949, § 142 StPO/1952, §§ 6 Abs. 3, 124 StPO/1968). Zu unterscheiden von der vorläufigen Festnahme und der Zuführung.
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Signatur: BStU, MfS, BV Neubrandenburg, AU, Nr. 84/53, Bd. 2, Bl. 166-168
Drei Elektromonteure wurden zu je vier Jahren Zuchthaus verurteilt, weil sie sich an Arbeitsniederlegungen auf der Großbaustelle des Flugplatzes in Groß Dölln während des Volksaufstandes beteiligt hatten.
Der Bezirk Neubrandenburg war, wie die anderen Bezirke im Norden auch, kein Zentrum des Volksaufstandes. Ein wichtiger Grund hierfür war die agrarisch geprägte Struktur Mecklenburgs. Zudem gelangten die Nachrichten aus dem Süden der DDR nur langsam bis zur Bevölkerung im Norden. Polizei, MfS und SED waren hier ausnahmsweise besser informiert und konnten sich auf Unruhen vorbereiten.
Trotzdem kam es vereinzelt zu Unruhen. Im Bezirk Neubrandenburg kam es in 29 Städten und Gemeinden zu Aktionen, die von Streiks über Demonstrationen bis hin zu Versuchen reichten, politische Gefangene zu befreien. Einzelne Aktionen wie Forderungen nach Auflösung der LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft), die Abnahme von Bildern führender Mitglieder der Staats- und Parteiführung an öffentliche Stellen oder Solidaritätskundgebungen mit den streikenden Arbeitern und Bauern führten zu Verhaftungen und Verurteilungen.
Am Abend des 17. Juni 1953 legten die Arbeiter auf der Großbaustelle des Flugplatzes in Groß Dölln die Arbeit nieder und stellten politische Forderungen auf. Das vorliegende Urteil gegen drei beteiligte Elektromonteure zeigt, wie der Staat DDR mit sogenannten "Rädelsführern" oder mit Arbeitern umging, die sich an der Demonstration auf der Großbaustelle des Flugplatzes beteiligten.
und sind so ein willigen Werkzeug der Kriegstreiber geworden. Trotzdem ist der Strafsenat der Ansicht, dass es sich bei diesen 3 Angeklagten nicht um ausgesprochene Feinde der friedliebenden Welt handelt. Der Strafsenat ist vielemehr derselben Ansicht, wie der Vertreter der Bezirksstaatsanwaltschaft, dass bei sämtlichen Angeklagten eine Gefängnisstrafe von je 4 Monaten ausreicht, um erzieherisch auf die Angeklagten zu wirken. Die Angeklagten werden jetzt Gelegenheit erhalten, in Zukunft durch produktive Arbeit am Aufbau unserer Friedenswirtschaft zu beweisen, dass sie das Unrecht, was sie begangen haben, durch tatkräftiges Zufassen wieder gutmachen wollen.
Die Untersuchungshaft wird den Angeklagten gem. § 219 StPO in voller Höhe auf die erkannte Freiheitsstrafe angerechnte.
Ihnen werden weiter die Sühnemassnahmen der Ziff. 3 - 9 des Art. IX der Kontr. Dir. 38 auferlegt, wobei die Beschränkung der Ziff. 7 auf 5 Jahre festgesetzt wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 353, 354 StPO.
[Unterschrift: unleserlich]
[Unterschrift: unleserlich]
[Unterschrift: unleserlich]
[Stempel: Bezirksgericht Neubrandenburg]
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
Untersuchungshaft ist eine freiheitsentziehende Zwangsmaßnahme zur Sicherung des Strafverfahrens. Die Untersuchungshaft begann nach der Verkündung des Haftbefehls durch einen Richter und endete mit der Überstellung in den Strafvollzug nach Erlangung der Rechtskraft einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, selten auch mit der Freilassung.
Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft waren ein dringender Tatverdacht sowie entweder Fluchtverdacht oder Verdunklungsgefahr (§ 112 StPO/1949, § 141 StPO/1952, § 122 StPO/1968). Der Vollzug der Untersuchungshaft war gesetzlich mit nur einem StPO-Paragraphen geregelt (§ 116 StPO/1949, § 147 StPO/1952, § 130 StPO/1968), alles Weitere in internen Ordnungen. Er erfolgte für Beschuldigte, deren Ermittlungsverfahren von der Staatssicherheit geführt wurden, in MfS-Untersuchungshaftanstalten in Berlin bzw. den Bezirksstädten der DDR.
Die Haftbedingungen waren dort von Willkür, völliger Isolation und daraus resultierender Desorientierung der Häftlinge gekennzeichnet. Für den Vollzug der Untersuchungshaft war im MfS die Linie XIV (Abt. XIV) zuständig; die Vernehmungen oblagen den Untersuchungsführern der Linie IX (HA IX).
Ein Untersuchungsvorgang war eine bei einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren des MfS und ggf. dem späteren Gerichtsverfahren entstandene Akte, die den Hergang des Strafverfahrens widerspiegelt und auch häufig Informationen zur Strafvollstreckung enthält.
Untersuchungsvorgänge zeigen die offizielle wie auch die inoffizielle Ebene des Verfahrens. Sie enthalten sowohl das strafprozessual legale Material (Haftbefehl, Vernehmungsprotokolle, Anklageschrift, Verhandlungsprotokoll, Urteil u. a.) als auch Dokumente geheimpolizeilichen Charakters, etwa zu konspirativen Ermittlungsmaßnahmen operativer Abteilungen oder Berichte von Zelleninformatoren.
Ein archivierter Untersuchungsvorgang kann bis zu sieben Bestandteile umfassen: Gerichtsakte, Beiakte zur Gerichtsakte, Handakte zur Gerichtsakte, Handakte zum Ermittlungsverfahren, Beiakte zur Handakte des Ermittlungsverfahrens, manchmal auch Vollstreckungsakten und ggf. die Akte des Revisions- oder Kassationsverfahrens.
Beginn einer freiheitsentziehenden Maßnahme, Ergreifung eines Beschuldigten oder Angeklagten aufgrund eines richterlichen Haftbefehls (§ 114 StPO/1949, § 142 StPO/1952, §§ 6 Abs. 3, 124 StPO/1968). Zu unterscheiden von der vorläufigen Festnahme und der Zuführung.
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