Signatur: BStU, MfS, AU, Nr. 192/56, Bd. 6, Bl. 73-87
Nach zweieinhalb Jahren Untersuchungshaft wurde der SED-Funktionär Paul Merker 1955 vom Obersten Gericht der DDR zu einer achtjährigen Zuchthausstrafe verurteilt, weil er angeblich staatsfeindliche Verbindungen unterhalten habe. Pläne, ihn zum Hauptangeklagten eines großen politischen Schauprozesses zu machen, waren bereits im Frühjahr 1953 gescheitert, trotzdem hielt ihn das MfS weiter gefangen. Das Urteil gegen Merker kam daher einer Verlegenheitslösung gleich.
Paul Merker war maßgeblich am Aufbau der SED-Herrschaft in Ostdeutschland beteiligt. Wie viele der Gründerväter der DDR war er schon in der Weimarer Zeit ein hochrangiger kommunistischer Politiker: Mitglied des Politbüros der KPD, Abgeordneter des Preußischen Landtages sowie Reichsleiter der sogenannten Revolutionären Gewerkschaftsopposition (RGO). Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wirkte er ab 1936 zunächst in der Exil-Führung der KPD in Frankreich. 1942 floh er dann nach Mexiko, wo er als KPD-Politbüromitglied und Sekretär des Lateinamerikanischen Komitees der Bewegung "Freies Deutschland" die bestimmende Figur in der kommunistischen Emigration war. Nach Kriegsende wurde er 1946 ins Zentralsekretariat der SED berufen und blieb auch 1949 – nach dessen Umwandlung zum Politbüro – Mitglied im höchsten Parteigremium.
Am 22. August 1950, nicht einmal ein Jahr nach der Staatsgründung der DDR, wurde Merker zusammen mit anderen SED-Funktionären aus der Partei ausgeschlossen. Dieser Vorgang stand im Zusammenhang mit dem Budapester Schauprozess gegen den ungarischen Außenminister Lázló Rajk und andere hohe Funktionäre. Bei diesem Prozess wurde Noel Field, der ehemalige Leiter der Flüchtlingshilfsorganisation "Unitarian Service Committee" zur Schlüsselfigur einer imaginären Spionageorganisation stilisiert, die hochrangige Funktionäre einschloss. Das Verschwörungskonstrukt hatte eine ausgeprägt antisemitische Tendenz und diente der politischen Säuberung sowie der Schaffung von Sündenböcken, nicht nur in Ungarn. Auch Merker hatte im Exil Kontakt zu Field gehabt. Anders als andere "Belastete" wurde er aber zunächst nur aus der Partei ausgeschlossen und nicht verhaftet – wahrscheinlich weil der DDR-Staatspräsident Wilhelm Pieck seine Hand über ihn hielt. Zwei Jahre später aber, am 30. November 1952, nahm die Stasi auch Merker fest.
Stalins Tod am 5. März 1953 war für Merker eine glückliche Fügung. Die neue sowjetische Führung wandte sich nach und nach von den extremsten repressiven Exzessen ab. Tatsächlich stellte sich bei der Staatssicherheit Ratlosigkeit ein, wie man mit dem prominenten Häftling weiter verfahren sollte. Merker widerrief die wenigen selbstbelastenden Aussagen, die er in den ersten Wochen seiner Haft gemacht hatte. Am 31. Mai 1954 verfasste die Stasi trotzdem einen Schlussbericht und fünf Wochen später informierte die Oberste Staatsanwaltschaft die SED-Führung über den Sachstand und darüber, dass sie gegen Merker "unter Ausschluss der Öffentlichkeit" verhandeln und 15 Jahre Zuchthaus fordern wolle.
Das Urteil war gleichsam eine Verlegenheitslösung. Am 30. März 1955 erhielt das ehemalige Mitglied des SED-Politbüros Paul Merker in einem Geheimprozess eine Strafe von acht Jahren Zuchthaus. Der 1. Strafsenat des Obersten Gerichtes der DDR unter dem Vorsitz seines Vizepräsidenten Walter Ziegler warf Merker in der strafrechtlich substanzlosen Urteilsbegründung u. a. vor, er unterhalte Verbindungen, die "gegen den Bestand der Deutschen Demokratischen Republik" gerichtet seien. Diese und andere Beschuldigungen, die sich zum Teil auf Zeiten lange vor der DDR-Gründung bezogen, entbehrten jedoch jeglicher Grundlage.
stand in engster Verbindung mit den Führern der KPUSA, insbesondere auch mit Earl Browder. Auf seinen eigenen Wunsch erhielt er im Mai 1933 die Genehmigung, die USA zu verlassen. Bis zum Frühjahr 1934 blieb er in Moskau und war hier in der anglo-amerikanischen Abteilung der RGI tätig. Anschliessend erhielt er den Auftrag, illegal im faschistischen Deutschland zu arbeiten. Hier war er in Berlin zunächst in der illegalen Reichsleitung der RGO und dann in der Landesleitung der KPD für Deutschland tätig. Im März 1935 wurde er nach Moskau zurückberufen und war dann im Auftrage der RGI kurze Zeit in Paris tätig. Er nahm am VII. Weltkongress der Komintern in Moskau im Jahre 1935 teil und im Anschluss daran an der Brüsseler Parteikonferenz der KPD. Hier wurde er wieder in das ZK gewählt. Anschließend war er Mitglied des Auslandssekretariats der Kommunistischen Partei Deutschlands in Prag. Der Sitz des Auslandssekretäriats wurde im Oktober 1936 nach Paris verlegt. Hier hatte er den besonderen Auftrag, innerhalb der Emigration eine kommunistische Parteiorganisation zu schaffen.
Als im August 1939 die imperialistische Politik Englands und Frankreichs die Sowjetunion dazu veranlasste, zu ihrem Schutze einen Nichtangriffspakt mit dem faschistischen Deutschland abzuschliessen, machte er innerhalb des Kreises führender Genossen des Auslandssekretäriats gegen diese Politik Stimmung.
Auf die Aufforderung der französichen Regierung fasste er mit dem Auslandssekretariat der KPD den Beschluss, dass sich sämtliche deutschen Emigranten, zur Registrierung und Internierung zu melden hätten. Zu dieser Massnahme entschloss er sich, obwohl damals bereits nicht mehr damit zu rechnen war, dass diese Regierung einen Volkswiderstand gegen den deutschen Faschismus organisieren würde. Seine Handlungsweise bedeutete daher die Liquidierung der deutschen Parteiorganisation in Frankreich und hatte zur Folge, dass später ein grosser Teil der deutschen Emigranten den Faschisten ausgeliefert und von diesen wiederum sehr viele ermordet wurden.
Entsprechend dem Beschluss des Auslandssekretariat begab sich auch der Angeklagte Merker in die Internierung. Er
Staatsverbrechen
Staatsverbrechen waren im StEG/1957 (§§ 13-27) und in Kapitel 2 des StGB/1968 (§§ 96-111) beschriebene politische Straftaten, die in die Zuständigkeit des MfS als strafrechtliches Untersuchungsorgan (HA IX) fielen, weil eine staatsfeindliche Absicht und/oder eine staatsgefährdende Wirkung unterstellt wurden.
Zu den Staatsverbrechen zählten diktaturspezifisch kodifizierte "klassische" politische Straftaten wie Hochverrat und Spionagedelikte sowie als Meinungs- und Organisationsdelikte definierte Handlungen (Staatsfeindliche Hetze, Staatsfeindliche Gruppenbildung), die in demokratischen Staaten als Ausübung von Grundrechten gelten würden, außerdem unterschiedliche Handlungen oder Unterlassungen, bei denen den Tätern eine staatsfeindlich motivierte Schädigungsabsicht unterstellt wurde (Diversion, Sabotage).
Die als Staatsverbrechen bezeichneten Straftatbestände stehen überwiegend in sowjetischer Rechtstradition und gehen letztlich auf Artikel 58 des StGB der RSFSR ("Konterrevolutionäre Verbrechen") zurück. Bis Februar 1958 wurden sie von DDR-Gerichten in Ermangelung konkreter strafrechtlicher Regelungen pauschal mit Hilfe von Artikel VI der Verfassung von 1949 ("Boykott- und Kriegshetze") geahndet.
Staatsverbrechen galten als schwere Straftaten; bei einigen Tatbeständen (Hochverrat, Spionage, Terror, Diversion, Sabotage) umfasste der Strafrahmen bis 1987 auch die Todesstrafe.
Eine selbständige Abteilung ist eine Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet und durch militärische Einzelleiter geführt wurde. Die weiter untergliederten Abteilungen prägten Linien aus (z. B. Abt. XIV; Linienprinzip) oder blieben auf die Zentrale beschränkt (z. B. Abt. X). Die eng umrissenen Zuständigkeiten mit operativer Verantwortung und Federführung orientierten sich an geheimdienstlichen Praktiken (Telefonüberwachung) oder Arbeitsfeldern (Bewaffnung, chemischer Dienst).
Die Registrierung war der zentrale Nachweis eines Vorgangs oder einer Akte in der Abteilung XII. Die Diensteinheiten hatten der Abteilung XII alle zur Registrierung notwendigen Dokumente vorzulegen (u. a. zwei Karteikarten F 16 für jede zu erfassende Person). In der Abteilung XII erfolgte der Eintrag im Vorgangsregistrierbuch (F 64) mit Vergabe der Registriernummer, die Ausfertigung der F 22 und F 77 und ggf. weiterer Karteikarten sowie ein Eintrag im Vorgangsheft (F 47) des für den Vorgang verantwortlichen Mitarbeiters.
Bestimmte Formblätter und die Aktenteile waren mit Registriernummer versehen an die Diensteinheit zu senden. Registrierpflichtig waren u. a.: IM-Vorlauf, IM-Vorgang, Operative Personenkontrolle, Operativer Vorgang, Untersuchungs- und Sicherungsvorgang.
Untersuchungshaft ist eine freiheitsentziehende Zwangsmaßnahme zur Sicherung des Strafverfahrens. Die Untersuchungshaft begann nach der Verkündung des Haftbefehls durch einen Richter und endete mit der Überstellung in den Strafvollzug nach Erlangung der Rechtskraft einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, selten auch mit der Freilassung.
Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft waren ein dringender Tatverdacht sowie entweder Fluchtverdacht oder Verdunklungsgefahr (§ 112 StPO/1949, § 141 StPO/1952, § 122 StPO/1968). Der Vollzug der Untersuchungshaft war gesetzlich mit nur einem StPO-Paragraphen geregelt (§ 116 StPO/1949, § 147 StPO/1952, § 130 StPO/1968), alles Weitere in internen Ordnungen. Er erfolgte für Beschuldigte, deren Ermittlungsverfahren von der Staatssicherheit geführt wurden, in MfS-Untersuchungshaftanstalten in Berlin bzw. den Bezirksstädten der DDR.
Die Haftbedingungen waren dort von Willkür, völliger Isolation und daraus resultierender Desorientierung der Häftlinge gekennzeichnet. Für den Vollzug der Untersuchungshaft war im MfS die Linie XIV (Abt. XIV) zuständig; die Vernehmungen oblagen den Untersuchungsführern der Linie IX (HA IX).
Ein Untersuchungsvorgang war eine bei einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren des MfS und ggf. dem späteren Gerichtsverfahren entstandene Akte, die den Hergang des Strafverfahrens widerspiegelt und auch häufig Informationen zur Strafvollstreckung enthält.
Untersuchungsvorgänge zeigen die offizielle wie auch die inoffizielle Ebene des Verfahrens. Sie enthalten sowohl das strafprozessual legale Material (Haftbefehl, Vernehmungsprotokolle, Anklageschrift, Verhandlungsprotokoll, Urteil u. a.) als auch Dokumente geheimpolizeilichen Charakters, etwa zu konspirativen Ermittlungsmaßnahmen operativer Abteilungen oder Berichte von Zelleninformatoren.
Ein archivierter Untersuchungsvorgang kann bis zu sieben Bestandteile umfassen: Gerichtsakte, Beiakte zur Gerichtsakte, Handakte zur Gerichtsakte, Handakte zum Ermittlungsverfahren, Beiakte zur Handakte des Ermittlungsverfahrens, manchmal auch Vollstreckungsakten und ggf. die Akte des Revisions- oder Kassationsverfahrens.
Signatur: BStU, MfS, AU, Nr. 192/56, Bd. 6, Bl. 73-87
Nach zweieinhalb Jahren Untersuchungshaft wurde der SED-Funktionär Paul Merker 1955 vom Obersten Gericht der DDR zu einer achtjährigen Zuchthausstrafe verurteilt, weil er angeblich staatsfeindliche Verbindungen unterhalten habe. Pläne, ihn zum Hauptangeklagten eines großen politischen Schauprozesses zu machen, waren bereits im Frühjahr 1953 gescheitert, trotzdem hielt ihn das MfS weiter gefangen. Das Urteil gegen Merker kam daher einer Verlegenheitslösung gleich.
Paul Merker war maßgeblich am Aufbau der SED-Herrschaft in Ostdeutschland beteiligt. Wie viele der Gründerväter der DDR war er schon in der Weimarer Zeit ein hochrangiger kommunistischer Politiker: Mitglied des Politbüros der KPD, Abgeordneter des Preußischen Landtages sowie Reichsleiter der sogenannten Revolutionären Gewerkschaftsopposition (RGO). Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wirkte er ab 1936 zunächst in der Exil-Führung der KPD in Frankreich. 1942 floh er dann nach Mexiko, wo er als KPD-Politbüromitglied und Sekretär des Lateinamerikanischen Komitees der Bewegung "Freies Deutschland" die bestimmende Figur in der kommunistischen Emigration war. Nach Kriegsende wurde er 1946 ins Zentralsekretariat der SED berufen und blieb auch 1949 – nach dessen Umwandlung zum Politbüro – Mitglied im höchsten Parteigremium.
Am 22. August 1950, nicht einmal ein Jahr nach der Staatsgründung der DDR, wurde Merker zusammen mit anderen SED-Funktionären aus der Partei ausgeschlossen. Dieser Vorgang stand im Zusammenhang mit dem Budapester Schauprozess gegen den ungarischen Außenminister Lázló Rajk und andere hohe Funktionäre. Bei diesem Prozess wurde Noel Field, der ehemalige Leiter der Flüchtlingshilfsorganisation "Unitarian Service Committee" zur Schlüsselfigur einer imaginären Spionageorganisation stilisiert, die hochrangige Funktionäre einschloss. Das Verschwörungskonstrukt hatte eine ausgeprägt antisemitische Tendenz und diente der politischen Säuberung sowie der Schaffung von Sündenböcken, nicht nur in Ungarn. Auch Merker hatte im Exil Kontakt zu Field gehabt. Anders als andere "Belastete" wurde er aber zunächst nur aus der Partei ausgeschlossen und nicht verhaftet – wahrscheinlich weil der DDR-Staatspräsident Wilhelm Pieck seine Hand über ihn hielt. Zwei Jahre später aber, am 30. November 1952, nahm die Stasi auch Merker fest.
Stalins Tod am 5. März 1953 war für Merker eine glückliche Fügung. Die neue sowjetische Führung wandte sich nach und nach von den extremsten repressiven Exzessen ab. Tatsächlich stellte sich bei der Staatssicherheit Ratlosigkeit ein, wie man mit dem prominenten Häftling weiter verfahren sollte. Merker widerrief die wenigen selbstbelastenden Aussagen, die er in den ersten Wochen seiner Haft gemacht hatte. Am 31. Mai 1954 verfasste die Stasi trotzdem einen Schlussbericht und fünf Wochen später informierte die Oberste Staatsanwaltschaft die SED-Führung über den Sachstand und darüber, dass sie gegen Merker "unter Ausschluss der Öffentlichkeit" verhandeln und 15 Jahre Zuchthaus fordern wolle.
Das Urteil war gleichsam eine Verlegenheitslösung. Am 30. März 1955 erhielt das ehemalige Mitglied des SED-Politbüros Paul Merker in einem Geheimprozess eine Strafe von acht Jahren Zuchthaus. Der 1. Strafsenat des Obersten Gerichtes der DDR unter dem Vorsitz seines Vizepräsidenten Walter Ziegler warf Merker in der strafrechtlich substanzlosen Urteilsbegründung u. a. vor, er unterhalte Verbindungen, die "gegen den Bestand der Deutschen Demokratischen Republik" gerichtet seien. Diese und andere Beschuldigungen, die sich zum Teil auf Zeiten lange vor der DDR-Gründung bezogen, entbehrten jedoch jeglicher Grundlage.
wurde zunächst im Stadion Colombe in Paris, dann im Lager Stadion Roland Garros und schliesslich im Internierungslager Vernet untergebracht. Entgegen seinen bisherigen Gepflogenheiten hielt sich Merker bei der politischen Tätigkeit während der Internierung im Hintergrund. Wie auch andere Internierte, bemühte er sich um eine Ausreise nach Mexiko und erhielt auch ein Einreisevisum von der mexikanischen Regierung. Die Inhaber von Auslandsvisen wurden in das Lager Les Milles überführt. Unter ihnen befand sich auch der Angeklagte. Die Lagerinsassen erhielten gelegentlich Stadturlaub zur Vorbereitung ihrer Ausreise. Einen solchen Urlaub benutzte der Angeklagte Merker, um Ende Juni oder Anfang Juli aus der Internierung zu flüchten. Er meldete sich bei dem in Marseille anwesenden Vertreter der deutschen Parteileitung für das unbesetzte Frankreich Lex Ende.
Beim Versuch, das französische Ausreisevisum zu erhalten, erfuhr der Angeklagte durch die Leiterin der Marseiller Fremdenpolizei, Esmiol, die gleichzeitig dem II ieme Bureau angehörte, dass er ein Ausreisevisum von ihr nicht erhalten könne, da sein Name auf der Auslieferungsliste stünde. Persönlich erklärte sie jedoch ihre Bereitschaft, ihm ein Ausreisevisum auf einen falschen Namen auszustellen. Über die jüdische Hilfsorganisation "Hioem" beschaffte sich der Angeklagte nunmehr ein Einreisevisum für Mexiko auf den Namen Ascher. Während dieser Zeit wurde dem Angeklagten durch ein Flugblatt bekannt, dass sämtliche in der nicht besetzten Zone Frankreichs lebenden Kommunisten sich unverzüglich in das besetzte Gebiet begeben sollten, um dort antifaschistische Propaganda unter den deutschen Soldaten zu leisten. Dieses Flugblatt ging von der KPF aus. Diesen Beschluss der KPF erkannte der Angeklagte nicht an und verhinderte seine Bekanntmachung unter den deutschen Emigraten und reisete, bevor diese Frage entschieden war, nachdem er von der Esmiol das auf den Namen Ascher lautende Visum erhalten hatte, nach Mexiko ab.
Im Gegensatz zu seiner politischen Inaktivität in Frankreich begann der Angeklagte nach seiner Ankunft in Mexiko sofort, sich politisch zu betätigen. Auf Grund seiner Eigenschaft als Mitglied des ZK der KPD und des Polit-
Staatsverbrechen
Staatsverbrechen waren im StEG/1957 (§§ 13-27) und in Kapitel 2 des StGB/1968 (§§ 96-111) beschriebene politische Straftaten, die in die Zuständigkeit des MfS als strafrechtliches Untersuchungsorgan (HA IX) fielen, weil eine staatsfeindliche Absicht und/oder eine staatsgefährdende Wirkung unterstellt wurden.
Zu den Staatsverbrechen zählten diktaturspezifisch kodifizierte "klassische" politische Straftaten wie Hochverrat und Spionagedelikte sowie als Meinungs- und Organisationsdelikte definierte Handlungen (Staatsfeindliche Hetze, Staatsfeindliche Gruppenbildung), die in demokratischen Staaten als Ausübung von Grundrechten gelten würden, außerdem unterschiedliche Handlungen oder Unterlassungen, bei denen den Tätern eine staatsfeindlich motivierte Schädigungsabsicht unterstellt wurde (Diversion, Sabotage).
Die als Staatsverbrechen bezeichneten Straftatbestände stehen überwiegend in sowjetischer Rechtstradition und gehen letztlich auf Artikel 58 des StGB der RSFSR ("Konterrevolutionäre Verbrechen") zurück. Bis Februar 1958 wurden sie von DDR-Gerichten in Ermangelung konkreter strafrechtlicher Regelungen pauschal mit Hilfe von Artikel VI der Verfassung von 1949 ("Boykott- und Kriegshetze") geahndet.
Staatsverbrechen galten als schwere Straftaten; bei einigen Tatbeständen (Hochverrat, Spionage, Terror, Diversion, Sabotage) umfasste der Strafrahmen bis 1987 auch die Todesstrafe.
Eine selbständige Abteilung ist eine Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet und durch militärische Einzelleiter geführt wurde. Die weiter untergliederten Abteilungen prägten Linien aus (z. B. Abt. XIV; Linienprinzip) oder blieben auf die Zentrale beschränkt (z. B. Abt. X). Die eng umrissenen Zuständigkeiten mit operativer Verantwortung und Federführung orientierten sich an geheimdienstlichen Praktiken (Telefonüberwachung) oder Arbeitsfeldern (Bewaffnung, chemischer Dienst).
Untersuchungshaft ist eine freiheitsentziehende Zwangsmaßnahme zur Sicherung des Strafverfahrens. Die Untersuchungshaft begann nach der Verkündung des Haftbefehls durch einen Richter und endete mit der Überstellung in den Strafvollzug nach Erlangung der Rechtskraft einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, selten auch mit der Freilassung.
Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft waren ein dringender Tatverdacht sowie entweder Fluchtverdacht oder Verdunklungsgefahr (§ 112 StPO/1949, § 141 StPO/1952, § 122 StPO/1968). Der Vollzug der Untersuchungshaft war gesetzlich mit nur einem StPO-Paragraphen geregelt (§ 116 StPO/1949, § 147 StPO/1952, § 130 StPO/1968), alles Weitere in internen Ordnungen. Er erfolgte für Beschuldigte, deren Ermittlungsverfahren von der Staatssicherheit geführt wurden, in MfS-Untersuchungshaftanstalten in Berlin bzw. den Bezirksstädten der DDR.
Die Haftbedingungen waren dort von Willkür, völliger Isolation und daraus resultierender Desorientierung der Häftlinge gekennzeichnet. Für den Vollzug der Untersuchungshaft war im MfS die Linie XIV (Abt. XIV) zuständig; die Vernehmungen oblagen den Untersuchungsführern der Linie IX (HA IX).
Ein Untersuchungsvorgang war eine bei einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren des MfS und ggf. dem späteren Gerichtsverfahren entstandene Akte, die den Hergang des Strafverfahrens widerspiegelt und auch häufig Informationen zur Strafvollstreckung enthält.
Untersuchungsvorgänge zeigen die offizielle wie auch die inoffizielle Ebene des Verfahrens. Sie enthalten sowohl das strafprozessual legale Material (Haftbefehl, Vernehmungsprotokolle, Anklageschrift, Verhandlungsprotokoll, Urteil u. a.) als auch Dokumente geheimpolizeilichen Charakters, etwa zu konspirativen Ermittlungsmaßnahmen operativer Abteilungen oder Berichte von Zelleninformatoren.
Ein archivierter Untersuchungsvorgang kann bis zu sieben Bestandteile umfassen: Gerichtsakte, Beiakte zur Gerichtsakte, Handakte zur Gerichtsakte, Handakte zum Ermittlungsverfahren, Beiakte zur Handakte des Ermittlungsverfahrens, manchmal auch Vollstreckungsakten und ggf. die Akte des Revisions- oder Kassationsverfahrens.
Signatur: BStU, MfS, AU, Nr. 192/56, Bd. 6, Bl. 73-87
Nach zweieinhalb Jahren Untersuchungshaft wurde der SED-Funktionär Paul Merker 1955 vom Obersten Gericht der DDR zu einer achtjährigen Zuchthausstrafe verurteilt, weil er angeblich staatsfeindliche Verbindungen unterhalten habe. Pläne, ihn zum Hauptangeklagten eines großen politischen Schauprozesses zu machen, waren bereits im Frühjahr 1953 gescheitert, trotzdem hielt ihn das MfS weiter gefangen. Das Urteil gegen Merker kam daher einer Verlegenheitslösung gleich.
Paul Merker war maßgeblich am Aufbau der SED-Herrschaft in Ostdeutschland beteiligt. Wie viele der Gründerväter der DDR war er schon in der Weimarer Zeit ein hochrangiger kommunistischer Politiker: Mitglied des Politbüros der KPD, Abgeordneter des Preußischen Landtages sowie Reichsleiter der sogenannten Revolutionären Gewerkschaftsopposition (RGO). Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wirkte er ab 1936 zunächst in der Exil-Führung der KPD in Frankreich. 1942 floh er dann nach Mexiko, wo er als KPD-Politbüromitglied und Sekretär des Lateinamerikanischen Komitees der Bewegung "Freies Deutschland" die bestimmende Figur in der kommunistischen Emigration war. Nach Kriegsende wurde er 1946 ins Zentralsekretariat der SED berufen und blieb auch 1949 – nach dessen Umwandlung zum Politbüro – Mitglied im höchsten Parteigremium.
Am 22. August 1950, nicht einmal ein Jahr nach der Staatsgründung der DDR, wurde Merker zusammen mit anderen SED-Funktionären aus der Partei ausgeschlossen. Dieser Vorgang stand im Zusammenhang mit dem Budapester Schauprozess gegen den ungarischen Außenminister Lázló Rajk und andere hohe Funktionäre. Bei diesem Prozess wurde Noel Field, der ehemalige Leiter der Flüchtlingshilfsorganisation "Unitarian Service Committee" zur Schlüsselfigur einer imaginären Spionageorganisation stilisiert, die hochrangige Funktionäre einschloss. Das Verschwörungskonstrukt hatte eine ausgeprägt antisemitische Tendenz und diente der politischen Säuberung sowie der Schaffung von Sündenböcken, nicht nur in Ungarn. Auch Merker hatte im Exil Kontakt zu Field gehabt. Anders als andere "Belastete" wurde er aber zunächst nur aus der Partei ausgeschlossen und nicht verhaftet – wahrscheinlich weil der DDR-Staatspräsident Wilhelm Pieck seine Hand über ihn hielt. Zwei Jahre später aber, am 30. November 1952, nahm die Stasi auch Merker fest.
Stalins Tod am 5. März 1953 war für Merker eine glückliche Fügung. Die neue sowjetische Führung wandte sich nach und nach von den extremsten repressiven Exzessen ab. Tatsächlich stellte sich bei der Staatssicherheit Ratlosigkeit ein, wie man mit dem prominenten Häftling weiter verfahren sollte. Merker widerrief die wenigen selbstbelastenden Aussagen, die er in den ersten Wochen seiner Haft gemacht hatte. Am 31. Mai 1954 verfasste die Stasi trotzdem einen Schlussbericht und fünf Wochen später informierte die Oberste Staatsanwaltschaft die SED-Führung über den Sachstand und darüber, dass sie gegen Merker "unter Ausschluss der Öffentlichkeit" verhandeln und 15 Jahre Zuchthaus fordern wolle.
Das Urteil war gleichsam eine Verlegenheitslösung. Am 30. März 1955 erhielt das ehemalige Mitglied des SED-Politbüros Paul Merker in einem Geheimprozess eine Strafe von acht Jahren Zuchthaus. Der 1. Strafsenat des Obersten Gerichtes der DDR unter dem Vorsitz seines Vizepräsidenten Walter Ziegler warf Merker in der strafrechtlich substanzlosen Urteilsbegründung u. a. vor, er unterhalte Verbindungen, die "gegen den Bestand der Deutschen Demokratischen Republik" gerichtet seien. Diese und andere Beschuldigungen, die sich zum Teil auf Zeiten lange vor der DDR-Gründung bezogen, entbehrten jedoch jeglicher Grundlage.
büros riss er die Leitung aller Parteiangelegenheiten in Mexiko an sich. Äusseren Anlass hierzu bot ihm ein Streit innerhalb der in Mexiko bestehenden Parteileitung. In der mexikanischen Emigration befand sich auch der Spion Otto Katz alias Andre Simone. Gegen ihn war von einigen Mitgliedern der Parteileitung die Beschuldigung erhoben worden, er stünde mit imperialistischen Geheimdiensten in enger Verbindung. Der Angeklagte Merker erklärte, als er hiervon erfuhr, er würde den Streit in der Parteileitung schlichten und die Angelegenheit Katz aufklären. Er begann ein Untersuchungsverfahren, ohne jedoch die Parteileitung daran zu beteiligen. Hierfür berief er sich auf seine Funktion als Mitglied des Politbüros. Er vernahm Otto Katz und die Genossen, die die Beschuldigungen gegen ihn erhoben hatten, einzeln und getrennt. Obwohl dem Angeklagten Merker bereits aus Frankreich bekannt war, dass gegen Katz schon früher ernsthafte Beschuldigungen erhoben worden waren, obwohl ihm ferner selbst bekannt war, dass Katz Verbindung mit dem englischen Agenten Willert unterhalten hatte, erklärte er bei der abschliessenden Aussprache, dass Katz keine Vorwürfe gemacht werden könnten und rehabilitierte ihn. Er selbst äusserte in der Hauptverhandlung, dass er diese Erklärung abgab, weil nach seiner Ansicht das Beweismaterial gegen Katz nicht ausgereicht habe, um ihn zu überführen. Trotz dieser Erkenntnis, die ihm als verantwortlicher Funktionär Veranlassung hätte geben müssen, Katz nach Möglichkeit zu isolieren, machte er ihn zu seinem Vertrauten und Mitarbeiter, übertrug ihm Funktionen, liess ihn Referate auf Parteiveranstaltungen halten und veranlasste, dass Katz eine umfangreiche publizistische Tätigkeit in der Emigrationspresse entfaltete. Diejenigen Genossen, die die Beschuldigungen gegen Katz erhoben hatten und sich dem Machtanspruch Merkers nicht beugten, isolierte er politisch und setzte schliesslich ihren Ausschluss aus der Kommunistischen Partei Deutschlands durch. Er verhinderte, dass sie weiter Unterstützung erhielten und versuchte auch später, ihnen die Rückkehr nach Deutschland unmöglich zu machen. Dabei handelte es sich insbesondere um die Eheleute Stibi. Im Zusammenhang mit der "Bereinigung" der Angelegenheit Katz verlangte Merker, dass eine neue Parteileitung mit ihm als Vorsit-
Staatsverbrechen
Staatsverbrechen waren im StEG/1957 (§§ 13-27) und in Kapitel 2 des StGB/1968 (§§ 96-111) beschriebene politische Straftaten, die in die Zuständigkeit des MfS als strafrechtliches Untersuchungsorgan (HA IX) fielen, weil eine staatsfeindliche Absicht und/oder eine staatsgefährdende Wirkung unterstellt wurden.
Zu den Staatsverbrechen zählten diktaturspezifisch kodifizierte "klassische" politische Straftaten wie Hochverrat und Spionagedelikte sowie als Meinungs- und Organisationsdelikte definierte Handlungen (Staatsfeindliche Hetze, Staatsfeindliche Gruppenbildung), die in demokratischen Staaten als Ausübung von Grundrechten gelten würden, außerdem unterschiedliche Handlungen oder Unterlassungen, bei denen den Tätern eine staatsfeindlich motivierte Schädigungsabsicht unterstellt wurde (Diversion, Sabotage).
Die als Staatsverbrechen bezeichneten Straftatbestände stehen überwiegend in sowjetischer Rechtstradition und gehen letztlich auf Artikel 58 des StGB der RSFSR ("Konterrevolutionäre Verbrechen") zurück. Bis Februar 1958 wurden sie von DDR-Gerichten in Ermangelung konkreter strafrechtlicher Regelungen pauschal mit Hilfe von Artikel VI der Verfassung von 1949 ("Boykott- und Kriegshetze") geahndet.
Staatsverbrechen galten als schwere Straftaten; bei einigen Tatbeständen (Hochverrat, Spionage, Terror, Diversion, Sabotage) umfasste der Strafrahmen bis 1987 auch die Todesstrafe.
Eine selbständige Abteilung ist eine Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet und durch militärische Einzelleiter geführt wurde. Die weiter untergliederten Abteilungen prägten Linien aus (z. B. Abt. XIV; Linienprinzip) oder blieben auf die Zentrale beschränkt (z. B. Abt. X). Die eng umrissenen Zuständigkeiten mit operativer Verantwortung und Federführung orientierten sich an geheimdienstlichen Praktiken (Telefonüberwachung) oder Arbeitsfeldern (Bewaffnung, chemischer Dienst).
Untersuchungshaft ist eine freiheitsentziehende Zwangsmaßnahme zur Sicherung des Strafverfahrens. Die Untersuchungshaft begann nach der Verkündung des Haftbefehls durch einen Richter und endete mit der Überstellung in den Strafvollzug nach Erlangung der Rechtskraft einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, selten auch mit der Freilassung.
Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft waren ein dringender Tatverdacht sowie entweder Fluchtverdacht oder Verdunklungsgefahr (§ 112 StPO/1949, § 141 StPO/1952, § 122 StPO/1968). Der Vollzug der Untersuchungshaft war gesetzlich mit nur einem StPO-Paragraphen geregelt (§ 116 StPO/1949, § 147 StPO/1952, § 130 StPO/1968), alles Weitere in internen Ordnungen. Er erfolgte für Beschuldigte, deren Ermittlungsverfahren von der Staatssicherheit geführt wurden, in MfS-Untersuchungshaftanstalten in Berlin bzw. den Bezirksstädten der DDR.
Die Haftbedingungen waren dort von Willkür, völliger Isolation und daraus resultierender Desorientierung der Häftlinge gekennzeichnet. Für den Vollzug der Untersuchungshaft war im MfS die Linie XIV (Abt. XIV) zuständig; die Vernehmungen oblagen den Untersuchungsführern der Linie IX (HA IX).
Ein Untersuchungsvorgang war eine bei einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren des MfS und ggf. dem späteren Gerichtsverfahren entstandene Akte, die den Hergang des Strafverfahrens widerspiegelt und auch häufig Informationen zur Strafvollstreckung enthält.
Untersuchungsvorgänge zeigen die offizielle wie auch die inoffizielle Ebene des Verfahrens. Sie enthalten sowohl das strafprozessual legale Material (Haftbefehl, Vernehmungsprotokolle, Anklageschrift, Verhandlungsprotokoll, Urteil u. a.) als auch Dokumente geheimpolizeilichen Charakters, etwa zu konspirativen Ermittlungsmaßnahmen operativer Abteilungen oder Berichte von Zelleninformatoren.
Ein archivierter Untersuchungsvorgang kann bis zu sieben Bestandteile umfassen: Gerichtsakte, Beiakte zur Gerichtsakte, Handakte zur Gerichtsakte, Handakte zum Ermittlungsverfahren, Beiakte zur Handakte des Ermittlungsverfahrens, manchmal auch Vollstreckungsakten und ggf. die Akte des Revisions- oder Kassationsverfahrens.
Aufhebung des Urteils gegen Paul Merker am 13. Juli 1956 Dokument, 3 Seiten
Sachstandsbericht zum Untersuchungsvorgang Paul Merker Dokument, 3 Seiten
Abschrift des Vernehmungsprotokolls von Paul Merker Dokument, 2 Seiten
Einlieferungsanzeige von Paul Merker wegen "Agententätigkeit" Dokument, 1 Seite