Signatur: BStU, MfS, AU, Nr. 192/56, Bd. 6, Bl. 73-87
Nach zweieinhalb Jahren Untersuchungshaft wurde der SED-Funktionär Paul Merker 1955 vom Obersten Gericht der DDR zu einer achtjährigen Zuchthausstrafe verurteilt, weil er angeblich staatsfeindliche Verbindungen unterhalten habe. Pläne, ihn zum Hauptangeklagten eines großen politischen Schauprozesses zu machen, waren bereits im Frühjahr 1953 gescheitert, trotzdem hielt ihn das MfS weiter gefangen. Das Urteil gegen Merker kam daher einer Verlegenheitslösung gleich.
Paul Merker war maßgeblich am Aufbau der SED-Herrschaft in Ostdeutschland beteiligt. Wie viele der Gründerväter der DDR war er schon in der Weimarer Zeit ein hochrangiger kommunistischer Politiker: Mitglied des Politbüros der KPD, Abgeordneter des Preußischen Landtages sowie Reichsleiter der sogenannten Revolutionären Gewerkschaftsopposition (RGO). Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wirkte er ab 1936 zunächst in der Exil-Führung der KPD in Frankreich. 1942 floh er dann nach Mexiko, wo er als KPD-Politbüromitglied und Sekretär des Lateinamerikanischen Komitees der Bewegung "Freies Deutschland" die bestimmende Figur in der kommunistischen Emigration war. Nach Kriegsende wurde er 1946 ins Zentralsekretariat der SED berufen und blieb auch 1949 – nach dessen Umwandlung zum Politbüro – Mitglied im höchsten Parteigremium.
Am 22. August 1950, nicht einmal ein Jahr nach der Staatsgründung der DDR, wurde Merker zusammen mit anderen SED-Funktionären aus der Partei ausgeschlossen. Dieser Vorgang stand im Zusammenhang mit dem Budapester Schauprozess gegen den ungarischen Außenminister Lázló Rajk und andere hohe Funktionäre. Bei diesem Prozess wurde Noel Field, der ehemalige Leiter der Flüchtlingshilfsorganisation "Unitarian Service Committee" zur Schlüsselfigur einer imaginären Spionageorganisation stilisiert, die hochrangige Funktionäre einschloss. Das Verschwörungskonstrukt hatte eine ausgeprägt antisemitische Tendenz und diente der politischen Säuberung sowie der Schaffung von Sündenböcken, nicht nur in Ungarn. Auch Merker hatte im Exil Kontakt zu Field gehabt. Anders als andere "Belastete" wurde er aber zunächst nur aus der Partei ausgeschlossen und nicht verhaftet – wahrscheinlich weil der DDR-Staatspräsident Wilhelm Pieck seine Hand über ihn hielt. Zwei Jahre später aber, am 30. November 1952, nahm die Stasi auch Merker fest.
Stalins Tod am 5. März 1953 war für Merker eine glückliche Fügung. Die neue sowjetische Führung wandte sich nach und nach von den extremsten repressiven Exzessen ab. Tatsächlich stellte sich bei der Staatssicherheit Ratlosigkeit ein, wie man mit dem prominenten Häftling weiter verfahren sollte. Merker widerrief die wenigen selbstbelastenden Aussagen, die er in den ersten Wochen seiner Haft gemacht hatte. Am 31. Mai 1954 verfasste die Stasi trotzdem einen Schlussbericht und fünf Wochen später informierte die Oberste Staatsanwaltschaft die SED-Führung über den Sachstand und darüber, dass sie gegen Merker "unter Ausschluss der Öffentlichkeit" verhandeln und 15 Jahre Zuchthaus fordern wolle.
Das Urteil war gleichsam eine Verlegenheitslösung. Am 30. März 1955 erhielt das ehemalige Mitglied des SED-Politbüros Paul Merker in einem Geheimprozess eine Strafe von acht Jahren Zuchthaus. Der 1. Strafsenat des Obersten Gerichtes der DDR unter dem Vorsitz seines Vizepräsidenten Walter Ziegler warf Merker in der strafrechtlich substanzlosen Urteilsbegründung u. a. vor, er unterhalte Verbindungen, die "gegen den Bestand der Deutschen Demokratischen Republik" gerichtet seien. Diese und andere Beschuldigungen, die sich zum Teil auf Zeiten lange vor der DDR-Gründung bezogen, entbehrten jedoch jeglicher Grundlage.
ergibt sich auch daraus die Überzeugung für das Gericht, dass er damit gerechnet hat, dass Katz alle ihm bekanntwerdenden Einzelheiten über die Verhältnisse der kommunistischen Emigration in Mexiko an seine Auftraggeber verraten würde. Das Vorbringen des Angeklagten, er habe deshalb nicht den Ausschluss von Katz aus der KPD verlangen können, weil die Vorwürfe nicht zur Überführung des Katz ausgereicht hätten, vermag die Überzeugung des Gerichts nicht zu erschüttern. Der Angeklagte Merker hatte umfangreiche Erfahrungen in illegaler und konspirativer Arbeit sowohl aus den USA als auch aus Deutschland und Frankreich. Er wusste, dass bei so erheblichen Verdachtsgründen, wie sie gegen Katz bestanden, dieser, auch wenn die Gründe nicht für einen Parteiausschluss ausreichten, nicht mehr mit vertraulichen Aufgaben bedacht werden durfte. Aus der Tatsache, dass Merker diese Konsequenz nicht zog, schliesst das Gericht, dass er mit einer eventuellen Agententätigkeit von Katz rechnete und sie in Kauf nahm.
In der Hauptverhandlung wurde ferner erwiesen, dass der Angeklagte in engster Verbindung mit dem Verräter der KPUSA Earl Browder gestanden und dessen Tendenzen zur Liquidierung der Kommunistischen Parteien aller Länder gebilligt hat. Dabei war ihm als führender Funktionär einer kommunistischen Partei bekannt, dass hierdurch der Kampf der Völker gegen den Faschismus entscheident geschwächt wurde. Gleichwohl unterstützte er diese Absichten auch innerhalb des von ihm geleiteten lateinamerikanischen Komitees der Freien Deutschen.
Um sich einen Rückhalt in der Emigration zu schaffen, stützte er sich nicht auf die politische, sondern auf die rassische Emigration. Hierbei suchte er, insbesondere Anschluss an emigrierte kapitalistische jüdische Kreise zu finden. Er forderte die ausnahmslose Entschädigung aller aus Deutschland emigrierten Juden, unabhängig davon, ob sie nach Deutschland zurückkehren wollten und unabhängig davon, ob sie aus grosskapitalistischen oder anderen Kreisen stammten. Weiter vertrat er aus diesem Grunde zionistische Tendenzen, indem er das Recht der nach Deutschland zurückkehrenden Juden
Staatsverbrechen
Staatsverbrechen waren im StEG/1957 (§§ 13-27) und in Kapitel 2 des StGB/1968 (§§ 96-111) beschriebene politische Straftaten, die in die Zuständigkeit des MfS als strafrechtliches Untersuchungsorgan (HA IX) fielen, weil eine staatsfeindliche Absicht und/oder eine staatsgefährdende Wirkung unterstellt wurden.
Zu den Staatsverbrechen zählten diktaturspezifisch kodifizierte "klassische" politische Straftaten wie Hochverrat und Spionagedelikte sowie als Meinungs- und Organisationsdelikte definierte Handlungen (Staatsfeindliche Hetze, Staatsfeindliche Gruppenbildung), die in demokratischen Staaten als Ausübung von Grundrechten gelten würden, außerdem unterschiedliche Handlungen oder Unterlassungen, bei denen den Tätern eine staatsfeindlich motivierte Schädigungsabsicht unterstellt wurde (Diversion, Sabotage).
Die als Staatsverbrechen bezeichneten Straftatbestände stehen überwiegend in sowjetischer Rechtstradition und gehen letztlich auf Artikel 58 des StGB der RSFSR ("Konterrevolutionäre Verbrechen") zurück. Bis Februar 1958 wurden sie von DDR-Gerichten in Ermangelung konkreter strafrechtlicher Regelungen pauschal mit Hilfe von Artikel VI der Verfassung von 1949 ("Boykott- und Kriegshetze") geahndet.
Staatsverbrechen galten als schwere Straftaten; bei einigen Tatbeständen (Hochverrat, Spionage, Terror, Diversion, Sabotage) umfasste der Strafrahmen bis 1987 auch die Todesstrafe.
Eine selbständige Abteilung ist eine Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet und durch militärische Einzelleiter geführt wurde. Die weiter untergliederten Abteilungen prägten Linien aus (z. B. Abt. XIV; Linienprinzip) oder blieben auf die Zentrale beschränkt (z. B. Abt. X). Die eng umrissenen Zuständigkeiten mit operativer Verantwortung und Federführung orientierten sich an geheimdienstlichen Praktiken (Telefonüberwachung) oder Arbeitsfeldern (Bewaffnung, chemischer Dienst).
Untersuchungshaft ist eine freiheitsentziehende Zwangsmaßnahme zur Sicherung des Strafverfahrens. Die Untersuchungshaft begann nach der Verkündung des Haftbefehls durch einen Richter und endete mit der Überstellung in den Strafvollzug nach Erlangung der Rechtskraft einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, selten auch mit der Freilassung.
Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft waren ein dringender Tatverdacht sowie entweder Fluchtverdacht oder Verdunklungsgefahr (§ 112 StPO/1949, § 141 StPO/1952, § 122 StPO/1968). Der Vollzug der Untersuchungshaft war gesetzlich mit nur einem StPO-Paragraphen geregelt (§ 116 StPO/1949, § 147 StPO/1952, § 130 StPO/1968), alles Weitere in internen Ordnungen. Er erfolgte für Beschuldigte, deren Ermittlungsverfahren von der Staatssicherheit geführt wurden, in MfS-Untersuchungshaftanstalten in Berlin bzw. den Bezirksstädten der DDR.
Die Haftbedingungen waren dort von Willkür, völliger Isolation und daraus resultierender Desorientierung der Häftlinge gekennzeichnet. Für den Vollzug der Untersuchungshaft war im MfS die Linie XIV (Abt. XIV) zuständig; die Vernehmungen oblagen den Untersuchungsführern der Linie IX (HA IX).
Ein Untersuchungsvorgang war eine bei einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren des MfS und ggf. dem späteren Gerichtsverfahren entstandene Akte, die den Hergang des Strafverfahrens widerspiegelt und auch häufig Informationen zur Strafvollstreckung enthält.
Untersuchungsvorgänge zeigen die offizielle wie auch die inoffizielle Ebene des Verfahrens. Sie enthalten sowohl das strafprozessual legale Material (Haftbefehl, Vernehmungsprotokolle, Anklageschrift, Verhandlungsprotokoll, Urteil u. a.) als auch Dokumente geheimpolizeilichen Charakters, etwa zu konspirativen Ermittlungsmaßnahmen operativer Abteilungen oder Berichte von Zelleninformatoren.
Ein archivierter Untersuchungsvorgang kann bis zu sieben Bestandteile umfassen: Gerichtsakte, Beiakte zur Gerichtsakte, Handakte zur Gerichtsakte, Handakte zum Ermittlungsverfahren, Beiakte zur Handakte des Ermittlungsverfahrens, manchmal auch Vollstreckungsakten und ggf. die Akte des Revisions- oder Kassationsverfahrens.
Signatur: BStU, MfS, AU, Nr. 192/56, Bd. 6, Bl. 73-87
Nach zweieinhalb Jahren Untersuchungshaft wurde der SED-Funktionär Paul Merker 1955 vom Obersten Gericht der DDR zu einer achtjährigen Zuchthausstrafe verurteilt, weil er angeblich staatsfeindliche Verbindungen unterhalten habe. Pläne, ihn zum Hauptangeklagten eines großen politischen Schauprozesses zu machen, waren bereits im Frühjahr 1953 gescheitert, trotzdem hielt ihn das MfS weiter gefangen. Das Urteil gegen Merker kam daher einer Verlegenheitslösung gleich.
Paul Merker war maßgeblich am Aufbau der SED-Herrschaft in Ostdeutschland beteiligt. Wie viele der Gründerväter der DDR war er schon in der Weimarer Zeit ein hochrangiger kommunistischer Politiker: Mitglied des Politbüros der KPD, Abgeordneter des Preußischen Landtages sowie Reichsleiter der sogenannten Revolutionären Gewerkschaftsopposition (RGO). Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wirkte er ab 1936 zunächst in der Exil-Führung der KPD in Frankreich. 1942 floh er dann nach Mexiko, wo er als KPD-Politbüromitglied und Sekretär des Lateinamerikanischen Komitees der Bewegung "Freies Deutschland" die bestimmende Figur in der kommunistischen Emigration war. Nach Kriegsende wurde er 1946 ins Zentralsekretariat der SED berufen und blieb auch 1949 – nach dessen Umwandlung zum Politbüro – Mitglied im höchsten Parteigremium.
Am 22. August 1950, nicht einmal ein Jahr nach der Staatsgründung der DDR, wurde Merker zusammen mit anderen SED-Funktionären aus der Partei ausgeschlossen. Dieser Vorgang stand im Zusammenhang mit dem Budapester Schauprozess gegen den ungarischen Außenminister Lázló Rajk und andere hohe Funktionäre. Bei diesem Prozess wurde Noel Field, der ehemalige Leiter der Flüchtlingshilfsorganisation "Unitarian Service Committee" zur Schlüsselfigur einer imaginären Spionageorganisation stilisiert, die hochrangige Funktionäre einschloss. Das Verschwörungskonstrukt hatte eine ausgeprägt antisemitische Tendenz und diente der politischen Säuberung sowie der Schaffung von Sündenböcken, nicht nur in Ungarn. Auch Merker hatte im Exil Kontakt zu Field gehabt. Anders als andere "Belastete" wurde er aber zunächst nur aus der Partei ausgeschlossen und nicht verhaftet – wahrscheinlich weil der DDR-Staatspräsident Wilhelm Pieck seine Hand über ihn hielt. Zwei Jahre später aber, am 30. November 1952, nahm die Stasi auch Merker fest.
Stalins Tod am 5. März 1953 war für Merker eine glückliche Fügung. Die neue sowjetische Führung wandte sich nach und nach von den extremsten repressiven Exzessen ab. Tatsächlich stellte sich bei der Staatssicherheit Ratlosigkeit ein, wie man mit dem prominenten Häftling weiter verfahren sollte. Merker widerrief die wenigen selbstbelastenden Aussagen, die er in den ersten Wochen seiner Haft gemacht hatte. Am 31. Mai 1954 verfasste die Stasi trotzdem einen Schlussbericht und fünf Wochen später informierte die Oberste Staatsanwaltschaft die SED-Führung über den Sachstand und darüber, dass sie gegen Merker "unter Ausschluss der Öffentlichkeit" verhandeln und 15 Jahre Zuchthaus fordern wolle.
Das Urteil war gleichsam eine Verlegenheitslösung. Am 30. März 1955 erhielt das ehemalige Mitglied des SED-Politbüros Paul Merker in einem Geheimprozess eine Strafe von acht Jahren Zuchthaus. Der 1. Strafsenat des Obersten Gerichtes der DDR unter dem Vorsitz seines Vizepräsidenten Walter Ziegler warf Merker in der strafrechtlich substanzlosen Urteilsbegründung u. a. vor, er unterhalte Verbindungen, die "gegen den Bestand der Deutschen Demokratischen Republik" gerichtet seien. Diese und andere Beschuldigungen, die sich zum Teil auf Zeiten lange vor der DDR-Gründung bezogen, entbehrten jedoch jeglicher Grundlage.
auf Annerkennung als nationale Minderheit und die Schaffung eines jüdischen Nationalstaates propagierte. Die Geneigtheit amerikanischer kapitalistischer Kreise suchte er dadurch zu gewinnen, dass er sich für eine Internationalisierung der deutschen Bodenschätze einsetzte. Auch hierdurch hat der Angeklagte den Kampf der Völker gegen den deutschen Faschismus geschwächt und die Bestrebungen amerikanischer und sonstiger Imperialisten unterstützt, die auf die Schwächung der internationalen Solidarität gerichtet waren, um in möglichst naher Zukunft die Errungenschaften der Sowjetunion zu beseitigen und auf ihrem Gebiet die alten kapitalistischen Zustände wiederherzustellen.
Auch nach seiner Rückkehr nach Deutschland hat er die Tendenzen zur Schwächung der Arbeiterklasse weiter fortgesetzt. Er hat engste Verbindungen zu den im Prozess gegen das tschechoslowakische staatsfeindliche Verschwörerzentrum mit Rudolf Slansky an der Spitze zum Tode verurteilten Verbrechern Slansky, Geminder, Katz (Simon) und Fischl unterhalten.
Aus seinem gesamten Verhalten vor, während und nach der Emigration ergibt sich eindeutig, dass der Angeklagte auch zu diesem Zeitpunkt an seinen Plänen der Liquidierung der Partei der Arbeiterklasse festhielt und insbesondere mit Slansky und Fischl in konspirativer Verbindung stand. Diese Verbindungen waren gegen den Bestand der Deutschen Demokratischen Republik gerichtet. Die Handlungen des Angeklagten stellen sich somit als fortgesetzte Verbrechen gegen Kontrollratsgesetz Nr. 10 Art. II Ziff. 1a, [handschriftliche Ergänzung: u.] gegen Artikel 6 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik in Verbindung mit Kontrollratsdirektive Nr. 38 Abschn. II Art. III A III dar.
Das Gericht hat geprüft, ob dem Angeklagten auch die Auslieferung der deutschen Antifaschisten in Frankreich [durchgestrichen: t] an die faschistische deutsche Regierung zur Last gelegt werden kann. Der von dem Angeklagten mitgefasste Beschluss war zwar ursächlich für die Ermordung vieler von der reaktionären französischen Regierung ausgelieferter Antifaschisten. Das Gericht ist jedoch zu der Überzeugung gekommen, dass der Angeklagte diese Folgen seiner Hand-
Staatsverbrechen
Staatsverbrechen waren im StEG/1957 (§§ 13-27) und in Kapitel 2 des StGB/1968 (§§ 96-111) beschriebene politische Straftaten, die in die Zuständigkeit des MfS als strafrechtliches Untersuchungsorgan (HA IX) fielen, weil eine staatsfeindliche Absicht und/oder eine staatsgefährdende Wirkung unterstellt wurden.
Zu den Staatsverbrechen zählten diktaturspezifisch kodifizierte "klassische" politische Straftaten wie Hochverrat und Spionagedelikte sowie als Meinungs- und Organisationsdelikte definierte Handlungen (Staatsfeindliche Hetze, Staatsfeindliche Gruppenbildung), die in demokratischen Staaten als Ausübung von Grundrechten gelten würden, außerdem unterschiedliche Handlungen oder Unterlassungen, bei denen den Tätern eine staatsfeindlich motivierte Schädigungsabsicht unterstellt wurde (Diversion, Sabotage).
Die als Staatsverbrechen bezeichneten Straftatbestände stehen überwiegend in sowjetischer Rechtstradition und gehen letztlich auf Artikel 58 des StGB der RSFSR ("Konterrevolutionäre Verbrechen") zurück. Bis Februar 1958 wurden sie von DDR-Gerichten in Ermangelung konkreter strafrechtlicher Regelungen pauschal mit Hilfe von Artikel VI der Verfassung von 1949 ("Boykott- und Kriegshetze") geahndet.
Staatsverbrechen galten als schwere Straftaten; bei einigen Tatbeständen (Hochverrat, Spionage, Terror, Diversion, Sabotage) umfasste der Strafrahmen bis 1987 auch die Todesstrafe.
Eine selbständige Abteilung ist eine Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet und durch militärische Einzelleiter geführt wurde. Die weiter untergliederten Abteilungen prägten Linien aus (z. B. Abt. XIV; Linienprinzip) oder blieben auf die Zentrale beschränkt (z. B. Abt. X). Die eng umrissenen Zuständigkeiten mit operativer Verantwortung und Federführung orientierten sich an geheimdienstlichen Praktiken (Telefonüberwachung) oder Arbeitsfeldern (Bewaffnung, chemischer Dienst).
Untersuchungshaft ist eine freiheitsentziehende Zwangsmaßnahme zur Sicherung des Strafverfahrens. Die Untersuchungshaft begann nach der Verkündung des Haftbefehls durch einen Richter und endete mit der Überstellung in den Strafvollzug nach Erlangung der Rechtskraft einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, selten auch mit der Freilassung.
Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft waren ein dringender Tatverdacht sowie entweder Fluchtverdacht oder Verdunklungsgefahr (§ 112 StPO/1949, § 141 StPO/1952, § 122 StPO/1968). Der Vollzug der Untersuchungshaft war gesetzlich mit nur einem StPO-Paragraphen geregelt (§ 116 StPO/1949, § 147 StPO/1952, § 130 StPO/1968), alles Weitere in internen Ordnungen. Er erfolgte für Beschuldigte, deren Ermittlungsverfahren von der Staatssicherheit geführt wurden, in MfS-Untersuchungshaftanstalten in Berlin bzw. den Bezirksstädten der DDR.
Die Haftbedingungen waren dort von Willkür, völliger Isolation und daraus resultierender Desorientierung der Häftlinge gekennzeichnet. Für den Vollzug der Untersuchungshaft war im MfS die Linie XIV (Abt. XIV) zuständig; die Vernehmungen oblagen den Untersuchungsführern der Linie IX (HA IX).
Ein Untersuchungsvorgang war eine bei einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren des MfS und ggf. dem späteren Gerichtsverfahren entstandene Akte, die den Hergang des Strafverfahrens widerspiegelt und auch häufig Informationen zur Strafvollstreckung enthält.
Untersuchungsvorgänge zeigen die offizielle wie auch die inoffizielle Ebene des Verfahrens. Sie enthalten sowohl das strafprozessual legale Material (Haftbefehl, Vernehmungsprotokolle, Anklageschrift, Verhandlungsprotokoll, Urteil u. a.) als auch Dokumente geheimpolizeilichen Charakters, etwa zu konspirativen Ermittlungsmaßnahmen operativer Abteilungen oder Berichte von Zelleninformatoren.
Ein archivierter Untersuchungsvorgang kann bis zu sieben Bestandteile umfassen: Gerichtsakte, Beiakte zur Gerichtsakte, Handakte zur Gerichtsakte, Handakte zum Ermittlungsverfahren, Beiakte zur Handakte des Ermittlungsverfahrens, manchmal auch Vollstreckungsakten und ggf. die Akte des Revisions- oder Kassationsverfahrens.
Signatur: BStU, MfS, AU, Nr. 192/56, Bd. 6, Bl. 73-87
Nach zweieinhalb Jahren Untersuchungshaft wurde der SED-Funktionär Paul Merker 1955 vom Obersten Gericht der DDR zu einer achtjährigen Zuchthausstrafe verurteilt, weil er angeblich staatsfeindliche Verbindungen unterhalten habe. Pläne, ihn zum Hauptangeklagten eines großen politischen Schauprozesses zu machen, waren bereits im Frühjahr 1953 gescheitert, trotzdem hielt ihn das MfS weiter gefangen. Das Urteil gegen Merker kam daher einer Verlegenheitslösung gleich.
Paul Merker war maßgeblich am Aufbau der SED-Herrschaft in Ostdeutschland beteiligt. Wie viele der Gründerväter der DDR war er schon in der Weimarer Zeit ein hochrangiger kommunistischer Politiker: Mitglied des Politbüros der KPD, Abgeordneter des Preußischen Landtages sowie Reichsleiter der sogenannten Revolutionären Gewerkschaftsopposition (RGO). Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wirkte er ab 1936 zunächst in der Exil-Führung der KPD in Frankreich. 1942 floh er dann nach Mexiko, wo er als KPD-Politbüromitglied und Sekretär des Lateinamerikanischen Komitees der Bewegung "Freies Deutschland" die bestimmende Figur in der kommunistischen Emigration war. Nach Kriegsende wurde er 1946 ins Zentralsekretariat der SED berufen und blieb auch 1949 – nach dessen Umwandlung zum Politbüro – Mitglied im höchsten Parteigremium.
Am 22. August 1950, nicht einmal ein Jahr nach der Staatsgründung der DDR, wurde Merker zusammen mit anderen SED-Funktionären aus der Partei ausgeschlossen. Dieser Vorgang stand im Zusammenhang mit dem Budapester Schauprozess gegen den ungarischen Außenminister Lázló Rajk und andere hohe Funktionäre. Bei diesem Prozess wurde Noel Field, der ehemalige Leiter der Flüchtlingshilfsorganisation "Unitarian Service Committee" zur Schlüsselfigur einer imaginären Spionageorganisation stilisiert, die hochrangige Funktionäre einschloss. Das Verschwörungskonstrukt hatte eine ausgeprägt antisemitische Tendenz und diente der politischen Säuberung sowie der Schaffung von Sündenböcken, nicht nur in Ungarn. Auch Merker hatte im Exil Kontakt zu Field gehabt. Anders als andere "Belastete" wurde er aber zunächst nur aus der Partei ausgeschlossen und nicht verhaftet – wahrscheinlich weil der DDR-Staatspräsident Wilhelm Pieck seine Hand über ihn hielt. Zwei Jahre später aber, am 30. November 1952, nahm die Stasi auch Merker fest.
Stalins Tod am 5. März 1953 war für Merker eine glückliche Fügung. Die neue sowjetische Führung wandte sich nach und nach von den extremsten repressiven Exzessen ab. Tatsächlich stellte sich bei der Staatssicherheit Ratlosigkeit ein, wie man mit dem prominenten Häftling weiter verfahren sollte. Merker widerrief die wenigen selbstbelastenden Aussagen, die er in den ersten Wochen seiner Haft gemacht hatte. Am 31. Mai 1954 verfasste die Stasi trotzdem einen Schlussbericht und fünf Wochen später informierte die Oberste Staatsanwaltschaft die SED-Führung über den Sachstand und darüber, dass sie gegen Merker "unter Ausschluss der Öffentlichkeit" verhandeln und 15 Jahre Zuchthaus fordern wolle.
Das Urteil war gleichsam eine Verlegenheitslösung. Am 30. März 1955 erhielt das ehemalige Mitglied des SED-Politbüros Paul Merker in einem Geheimprozess eine Strafe von acht Jahren Zuchthaus. Der 1. Strafsenat des Obersten Gerichtes der DDR unter dem Vorsitz seines Vizepräsidenten Walter Ziegler warf Merker in der strafrechtlich substanzlosen Urteilsbegründung u. a. vor, er unterhalte Verbindungen, die "gegen den Bestand der Deutschen Demokratischen Republik" gerichtet seien. Diese und andere Beschuldigungen, die sich zum Teil auf Zeiten lange vor der DDR-Gründung bezogen, entbehrten jedoch jeglicher Grundlage.
lung nicht vorausgesehen und nicht damit gerechnet hat. Wegen dieses politisch zwar unentschuldbaren Verhaltens konnte er jedoch nicht zur strafrechtlichen Verantwortung gezogen werden.
Unter Berücksichtigung des politischen Werdeganges und der grossen politischen Erfahrungen des Angeklagten muss ihn für seine Verbrechen eine schwere Strafe treffen. Er hat mit seinem Beispiel viele Mitglieder der KPD beeinflusst, sie auf einen politischen Abweg geführt und die fortgeschrittene Entwicklung in der Deutschen Demokratischen Republik ernsthaft gefährdet. In Erwägung aller dieser Umstände erkannte das Oberste Gericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf eine Strafe von acht Jahren Zuchthaus.
Als Beitrag zur Wiedergutmachung des Schadens musste das Vermögen des Angeklagten gemäß Abschn. II Art. IX Ziff. 2 der Kontrollratsdirektive Nr. 38 eingezogen werden.
Die Anrechnung der Untersuchungshaft ergibt sich aus § 219 Abs. 2 StPO, die Kostenentscheidung folgte aus § 353 StPO.
gez. Ziegler; gez. Dr. Löwenthal; gez. Möbius
Staatsverbrechen
Staatsverbrechen waren im StEG/1957 (§§ 13-27) und in Kapitel 2 des StGB/1968 (§§ 96-111) beschriebene politische Straftaten, die in die Zuständigkeit des MfS als strafrechtliches Untersuchungsorgan (HA IX) fielen, weil eine staatsfeindliche Absicht und/oder eine staatsgefährdende Wirkung unterstellt wurden.
Zu den Staatsverbrechen zählten diktaturspezifisch kodifizierte "klassische" politische Straftaten wie Hochverrat und Spionagedelikte sowie als Meinungs- und Organisationsdelikte definierte Handlungen (Staatsfeindliche Hetze, Staatsfeindliche Gruppenbildung), die in demokratischen Staaten als Ausübung von Grundrechten gelten würden, außerdem unterschiedliche Handlungen oder Unterlassungen, bei denen den Tätern eine staatsfeindlich motivierte Schädigungsabsicht unterstellt wurde (Diversion, Sabotage).
Die als Staatsverbrechen bezeichneten Straftatbestände stehen überwiegend in sowjetischer Rechtstradition und gehen letztlich auf Artikel 58 des StGB der RSFSR ("Konterrevolutionäre Verbrechen") zurück. Bis Februar 1958 wurden sie von DDR-Gerichten in Ermangelung konkreter strafrechtlicher Regelungen pauschal mit Hilfe von Artikel VI der Verfassung von 1949 ("Boykott- und Kriegshetze") geahndet.
Staatsverbrechen galten als schwere Straftaten; bei einigen Tatbeständen (Hochverrat, Spionage, Terror, Diversion, Sabotage) umfasste der Strafrahmen bis 1987 auch die Todesstrafe.
Eine selbständige Abteilung ist eine Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet und durch militärische Einzelleiter geführt wurde. Die weiter untergliederten Abteilungen prägten Linien aus (z. B. Abt. XIV; Linienprinzip) oder blieben auf die Zentrale beschränkt (z. B. Abt. X). Die eng umrissenen Zuständigkeiten mit operativer Verantwortung und Federführung orientierten sich an geheimdienstlichen Praktiken (Telefonüberwachung) oder Arbeitsfeldern (Bewaffnung, chemischer Dienst).
Untersuchungshaft ist eine freiheitsentziehende Zwangsmaßnahme zur Sicherung des Strafverfahrens. Die Untersuchungshaft begann nach der Verkündung des Haftbefehls durch einen Richter und endete mit der Überstellung in den Strafvollzug nach Erlangung der Rechtskraft einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, selten auch mit der Freilassung.
Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft waren ein dringender Tatverdacht sowie entweder Fluchtverdacht oder Verdunklungsgefahr (§ 112 StPO/1949, § 141 StPO/1952, § 122 StPO/1968). Der Vollzug der Untersuchungshaft war gesetzlich mit nur einem StPO-Paragraphen geregelt (§ 116 StPO/1949, § 147 StPO/1952, § 130 StPO/1968), alles Weitere in internen Ordnungen. Er erfolgte für Beschuldigte, deren Ermittlungsverfahren von der Staatssicherheit geführt wurden, in MfS-Untersuchungshaftanstalten in Berlin bzw. den Bezirksstädten der DDR.
Die Haftbedingungen waren dort von Willkür, völliger Isolation und daraus resultierender Desorientierung der Häftlinge gekennzeichnet. Für den Vollzug der Untersuchungshaft war im MfS die Linie XIV (Abt. XIV) zuständig; die Vernehmungen oblagen den Untersuchungsführern der Linie IX (HA IX).
Ein Untersuchungsvorgang war eine bei einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren des MfS und ggf. dem späteren Gerichtsverfahren entstandene Akte, die den Hergang des Strafverfahrens widerspiegelt und auch häufig Informationen zur Strafvollstreckung enthält.
Untersuchungsvorgänge zeigen die offizielle wie auch die inoffizielle Ebene des Verfahrens. Sie enthalten sowohl das strafprozessual legale Material (Haftbefehl, Vernehmungsprotokolle, Anklageschrift, Verhandlungsprotokoll, Urteil u. a.) als auch Dokumente geheimpolizeilichen Charakters, etwa zu konspirativen Ermittlungsmaßnahmen operativer Abteilungen oder Berichte von Zelleninformatoren.
Ein archivierter Untersuchungsvorgang kann bis zu sieben Bestandteile umfassen: Gerichtsakte, Beiakte zur Gerichtsakte, Handakte zur Gerichtsakte, Handakte zum Ermittlungsverfahren, Beiakte zur Handakte des Ermittlungsverfahrens, manchmal auch Vollstreckungsakten und ggf. die Akte des Revisions- oder Kassationsverfahrens.
Aufhebung des Urteils gegen Paul Merker am 13. Juli 1956 Dokument, 3 Seiten
Sachstandsbericht zum Untersuchungsvorgang Paul Merker Dokument, 3 Seiten
Abschrift des Vernehmungsprotokolls von Paul Merker Dokument, 2 Seiten
Einlieferungsanzeige von Paul Merker wegen "Agententätigkeit" Dokument, 1 Seite