Signatur: BStU, MfS, HA IX, Tb, Nr. 3255
Vom 18. bis 21. Dezember 1953 fand vor dem Obersten Gericht der DDR ein auch als "Gehlen-Prozess" bekannter Schauprozess wegen Spionage im Auftrag der Organisation Gehlen statt.
Die Angeklagten Werner Haase, Siegfried Altkrüger, Walter Rennert, Karl-Heinz Schmidt, Rolf Oesterreich, Walter Schneider und Helmut Schwenk waren alle in unterschiedlichen Funktionen für die Organisation Gehlen – dem Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes – tätig gewesen. Im Zuge der Aktion "Feuerwerk" von der DDR-Staatssicherheit verhaftet bzw. im Fall von Werner Haase entführt, wurden sie zu hohen Zuchthausstrafen verurteilt. Der Prozess war eine propagandistische Inszenierung und damit Teil der medialen SED-Kampagne gegen die Organisation Gehlen, die die Verhaftungsaktion "Feuerwerk" seit Ende Oktober flankierte. Bis Ende Dezember 1953 nahm die Staatssicherheit in diesem Zusammenhang mehr als 200 Personen fest.
Die Prozessaufnahme ist als Tonband in der Hauptabteilung IX des MfS (HA IX) im Archiv des BStU überliefert. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um die Kopie einer Aufnahme des DDR-Rundfunks. Der Prozess wurde dort in Ausschnitten übertragen. Die HA IX nutzte diese wie auch andere Tonaufnahmen von Schau- und Geheimprozessen sowohl für Schulungszwecke als auch für die sogenannte interne Traditionsbildung.
Werner Haase war seit März 1953 hauptamtlicher Mitarbeiter der Organisation Gehlen. Anfang Oktober 1953 übernahm er die Leitung einer West-Berliner Filiale der Organisation Gehlen. Die Staatssicherheit entführte ihn an der Sektorengrenze zwischen Neukölln und Treptow in der Nacht vom 13. auf den 14. November 1953, als er zusammen mit seinem Mitarbeiter Heinz Busse eine illegale Telefonverbindung zwischen West- und Ost-Berlin verlegen wollte. Busse hatte seinen Vorgesetzten wenige Tage zuvor beim MfS verraten und half bei der Entführung mit. Er schaffte im Auftrag der Staatssicherheit wichtige Unterlagen der Filiale nach Ost-Berlin, anhand derer die Staatssicherheit einige V-Leute in der DDR enttarnen und verhaften konnte. Als Filialleiter der Organisation Gehlen war Werner Haase der Hauptangeklagte im Schauprozess.
Bei seiner Vernehmung vor Gericht macht er zunächst Angaben zu seinem Lebensweg vor 1945. Ziegler befragt ihn in diesem Abschnitt vor allem zu seinen Aufgaben und Funktionen als Offizier der Wehrmacht in Polen, in Frankreich und in der Sowjetunion. Danach berichtet Haase über seinen weiteren Werdegang nach Kriegsende und darüber, wie seine Verbindung zur Organisation Gehlen zustande kam.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Angeklagter Haase, treten Sie vor!
Schildern Sie uns zunächst Ihren Lebenslauf, in fachlicher und politischer Hinsicht.
[Werner Haase:]
Ich bin am 02. August 1915 in Berlin-Steglitz geboren als Sohn des Diplom-Ingenieurs Hermann Haase und seiner Ehefrau geborene, Elfriede geborene Bart. Mein Vater war zu der damaligen Zeit Lehrer an der Technischen Privatschule Bart, der das Institut meines Großvaters mütterlicherseits. Er übernahm diese Schule 1920.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Das war eine Privatschule?
[Werner Haase:]
Eine Privatschule.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Ihres Großvaters?
[Werner Haase:]
Meines Großvaters.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Die dann 1920 Ihr Vater selbständig übernommen hat?
[Werner Haase:]
Selbstständig übernommen hat, jawohl so ist es.
Ich selbst wurde im bürgerlichem, im Hause meiner Eltern bürgerlich erzogen. Mein Vaters und meiner Mutter Einstellung waren deutsch-national. Mein Vater war Reserveoffizier im ersten Krieg, im Ersten Weltkrieg und - äh - in dieser Hinsicht war auch meine Erziehung.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wie lang hat Ihr Vater diese Schule geführt?
[Werner Haase:]
Bis 1952, bis zu dem wirtschaftlichen Zusammenbruch der Schule.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Deshalb, die Schule ist wirtschaftlich zusammengebrochen?
[Werner Haase:]
Jawohl. Jawohl.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
War nicht mehr zu halten?
[Werner Haase:]
Sie war nicht mehr zu halten, nein.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Und was hat er dann seit 1952 getan?
[Werner Haase:]
Nichts mehr. Mein Vater ist jetzt Sozialempfänger.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Ist Sozialempfänger seit dem? Ihr
Vater war früher ein Reserveoffizier?
[Werner Haase:]
Leutnant der Reserve.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Leutnant der Reserve. Im Ersten Weltkrieg?
[Werner Haase:]
Im Ersten Weltkrieg. Mein Vater ist jetzt 75 und ich selbst habe es, soweit es in meinen Kräften stand, versucht meine Eltern mit zu unterhalten.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Nun schildern Sie uns weiter Ihren Entwicklungsgang!
[Werner Haase:]
Nach Ab-, zunächst dem Besuch der Volksschule kam ich 1925 auf das Pauls Realgymnasium in Berlin-Steglitz und machte dort im März 1935 mein Abitur.
1934 stand ich vor der Berufswahl. An und für sich hatte ich einmal die Absicht auch Ingenieur zu werden, Diplom-Ingenieur. Mein Vater riet mir davon ab, seine Schule zu übernehmen, da sie derartige oft wirtschaftliche Schwierigkeiten gehabt hat, dass eine Lebensstellung damit nicht gegeben ist.
Da aufgrund meiner Erziehung und ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Na von 1920 bis 1952 hat doch Ihr Vater die Familie von dieser Schule unterhalten und auch Ihren Schulbesuch damit ermöglicht, wie?
[Werner Haase:]
Wir haben größtenteils nur Schulden gehabt und Schulden gemacht unter denen ich selbst noch in der jetzigen Zeit gelitten habe und - äh - die ich abzahlen musste. Ich habe selbst monatlich ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Also Sie sollten diese Schule nicht übernehmen, dann?
[Werner Haase:]
Nein.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Sondern einen andern Beruf?
[Werner Haase:]
Einen anderen Beruf und da meine Erziehung ja bürgerlich-national war - äh - ergriff ich den Beruf des Offiziers und meldete mich freiwillig zum Eintritt in die Offizierslaufbahn.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wann war das?
[Werner Haase:]
1934 im Herbst. Kurz - äh - als ich in Oberprima war.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Im Herbst 1934?
[Werner Haase:]
1934.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wann haben Sie das Abitur gemacht?
[Werner Haase:]
März 1935.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
März 1935 haben Sie das Abitur gemacht. Und schon vorher haben Sie sich freiwillig zur damaligen faschistischen Wehrmacht gemeldet?
[Werner Haase:]
Ja, das musste sein, weil ja die Anträge, bis das genehmigt wird, die Einstellungsuntersuchungen und Ähnliches ja einige Zeit in Anspruch dauerte. Das war die Frist für den Eintritt 1935 nach dem Abitur, musste man sich ungefähr ein halbes Jahr vorher melden.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Also dann haben Sie sich gemeldet und sind dann?
[Werner Haase:]
Ich bin dann als Offizieranwärter in das Infanterieregiment Rastenburg, nach Rastenburg, Ostpreußen, gekommen, machte dort zunächst meine Grundausbildung bis im Dezember 1935 und kam dann Januar 36 auf die Kriegsschule nach München und auf die Infanterieschule nach Döberitz, wurde als Oberfähnrich im Februar 1937 wieder zum Regiment, nun hieß es Infanterieregiment 23 der 11. Division zurückversetzt.
Dort war ich Zugführer und wurde 1937 am 01. April Leutnant.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
01. April 37?
[Werner Haase:]
Am 01. April 37. In diesem Regiment, und zwar in der 7. Kompanie, blieb ich bis 1939 im Juni oder Juli hinein. Dann wurde das Infanterieregiment 162 der 61. Division aufgestellt und ich wurde dorthin in die MGK, Maschinengewehrkompanie, als Zugführer versetzt und blieb in diesem Regiment 162 bis zum Zusammenbruch.
Als Leutnant und Zugführer machte ich - äh - den Angriffskrieg gegen Polen mit, bis zu der Einnahme von Warschau. Dann wurde das Regiment zusammen mit der gesamten Division ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Sie waren der Kompanieführer in Polen, während des Polenfeldzuges?
[Werner Haase:]
Nein, da war ich [unverständlich].
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Noch nicht?
[Werner Haase:]
Ich wurde am 11.10.39 dann Oberleutnant und kam zum Regimentsstab als Ordonanzoffizier. Das Regiment oder die ganze Division wurde in den Raum von Köln-Aachen verlegt und trat dort dann im Mai 1940 mit zu dem Angriff gegen Frankreich an. Den Feldzug gegen Frankreich machte ich als Ordonanzoffizier im Regimentsstab mit bis zu Beendigung der Kampfhandlungen. Das Regiment lag zu dieser Zeit in dem Raum von Lorient an der Kanalküste.
Um Weihnachten herum wurde der die ganze Division wieder nach Ostpreußen verlegt, nachdem sie zeitweilig auf Truppentransportern und größeren Kähnen Einschiffungs- und Ausschiffungsübungen gemacht hatte. Das war die Vorbereitung für das geplante Ladungsunternehmen in England. Das wurde plötzlich abgebrochen und die Division wieder nach Ostpreußen zurückverlegt.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Das war um Weihnachten 1940?
[Werner Haase:]
Das war um Weihnachten 1940 herum. Wir lagen dann in Ostpreußen zwischen Königsberg und Kranz, lag die Division mehrere Monate ziemlich in Ruhe und machte nur den normalen Dienst zur Erhaltung der Kampfkraft einer Truppe ohne eine besondere Ausrichtung, wurde aber dann plötzlich in den letzten Apriltagen, im April herum, in das Gebiet um Memel verlegt.
Wir selbst - äh - glaubten nicht an einen Angriffskrieg gegen die Sowjetunion, sondern es ging bei uns immer wieder das Gerücht, dass die deutschen Truppen irgendwie ...
Wir hatten ja mit der Sowjetunion einen Nichtangriffspakt geschlossen, also 1939, und hatten uns damals an der Demarkationslinie mit sowjetischen Offizieren getroffen und die das Treffen begrüßt und miteinander gesprochen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Die Sowjetunion betrogen, ja?
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Nun dann haben Sie an dem ...
[Werner Haase:]
Angriffskrieg gegen die Sowjetunion
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... dem Angriffskrieg gegen die Sowjetunion mit teilgenommen, ja?
[Werner Haase:]
Ich wurde inzwischen Kompaniechef einer Maschinengewehrkompanie, und in der - äh - 4. Kompanie, im Regiment 162 und ich machte mit ihr die Angriffe durch die baltischen Staaten: Litauen, Lettland, Estland mit bis vor Reval. Dort wurde ich verwundet und kam wieder in ein Heimatlazarett zurück, kehrte aber nach zwei Monaten wieder zu meinem alten Regiment zurück und übernahm dann dort die 12. Kompanie mit der ich dann am Wolchow lag, bis 1943. Ich erhielt im Feldzug gegen die Sowjetunion das EK I und das Deutsche Kreuz in Gold.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... und die Ostmedaille, ne?
[Werner Haase:]
Die Ostmedaille, das ist eine, keine Tapferkeitsauszeichnung, sondern - äh ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Nu, was waren denn da also Ihre besonderen Leistungen, für die Sie diese Auszeichnungen bekamen?
[Werner Haase:]
Das war ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Waren das alles kämpferischer Einsatz oder haben Sie sich auch an Partisanenverfolgungen und - äh - derartigen Verbrechen beteiligt?
[Werner Haase:]
Nein, an derartigen Verbrechen habe ich mich nicht beteiligt. Das war kämpferischer Einsatz im Rahmen meiner Kompanie und nachher im Rahmen des Bataillons, das ich führte.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Nun, es ist Ihnen doch sicher nicht unbekannt, dass es in der Sowjetunion und auch in Polen Partisanen waren, die ...
[Werner Haase:]
Ja, selbstverständlich!
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... im Osten gegen deutsche Truppen kämpften für die Freiheit ihres Landes, ja?
[Werner Haase:]
Ja, das ist mir bekannt.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... dass dabei auch deutsche Soldaten erschossen wurden?
[Werner Haase:]
Selbstverständlich! Das war ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... und dass dann sehr rigorose Maßnahmen gegen die Bevölkerung getroffen wurden. Wissen Sie davon?
[Werner Haase:]
Davon weiß ich auch.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Haben Sie an solchen Maßnahmen teilgenommen?
[Werner Haase:]
Nein.
[unverständliche Gespräche im Hintergrund]
[Werner Haase:]
Nein, daran habe ich nicht teilgenommen. Wir waren eine Fronttruppe, grundsätzlich im vordersten Einsatz, vorn im Graben. In unserm, unsere Gebiet waren frei von Zivilbevölkerung und auch von Partisanen.
[unbekannte Person:]
Nein!
[Werner Haase:]
Die einzigste Berührung, die wir unter Umständen hätten haben können, wären bei den Fronturlauberzügen gewesen, bei denen wir ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wären was gewesen?
[Werner Haase:]
Die sogenannten Fronturlauberzüge. Wenn wir in die Heimat, in den Heimaturlaub fuhren, kamen wir durch das Partisanengebiet durch und hatten nur die Sicherung in den Zügen. Mir selbst ist aber also nicht bekannt, dass ein Zug verunglückt und damit also auch Zusammenstöße mit den Partisanen vorgekommen sind.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Sie sagen, Sie sind zu dieser freiwilligen Meldung gekommen durch Ihre Erziehung, durch die Eltern und der dergleichen, ja. Wie war denn die Einstellung der Eltern?
[Werner Haase:]
Die Einstellung ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... und auch Ihre dadurch.
[Werner Haase:]
Ja. Die Einstellung war bürgerlich-national. Das heißt auch meine eigene Einstellung war die, dass es ein Deutschland geben müsste, was in der Welt geachtet wird und angesehen wird, auf und vor dem auch sagen wir mal andere Völker Achtung und Ehrfurcht haben.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Achtung und Ehrfurcht?
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Welche Einstellung hatten Sie denn zum Kommunismus? Haben Sie sich darüber auch mal Gedanken gemacht? Das hing ja doch sehr stark zusammen mit Ihrer politischen Einstellung?
[Werner Haase:]
Ja, der Kommunismus war in dieser Hinsicht der Gegner, denn er war ja gegen diese bürgerlichen Ziele der damaligen Deutschnationalen Partei, der also mein Vater angehörte und zu der ich wohl auch trotz meiner Jugend hin tendierte. Und - äh - mein Vater war doch als selbständiger Inhaber eines Betriebes ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Und er sah sich durch die, durch den Kommunismus in seinen Interessen bedroht, ja?
[Werner Haase:]
Ja!
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Als eine Gefahr sah er den Kommunismus an für seine Interessen?
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Ja?
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Und woran ist er nachher zugrunde gegangen mit seiner Schule?
[Werner Haase:]
Am ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Am Kommunismus, ja?
[Werner Haase:]
Nein.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Nicht?
[Werner Haase:]
Gerade an dem, was an das er glaubte.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
An dem, an das er glaubte. Daran ist er dann ...
[Werner Haase:]
Daran ist er dann zugrunde gegangen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Sie sagen also, Sie haben sich - äh - während des Krieges als Kompanie-, Bataillons- und stellvertretender Regimentsführer, der Sie ja waren, nicht?
[Werner Haase:]
Jawohl.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... nicht an diesem absoluten Kriegsverbrechen, der Erschießung von Zivilbevölkerung, ...
[Werner Haase:]
... von Geiseln beteiligt.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... Geiseln und so weiter nicht beteiligt?
[Werner Haase:]
Nein, da habe ich mich nicht dran beteiligt.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Nun, wie ging's dann weiter mit ihrer Entwicklungsgang nach 1945?
[Werner Haase:]
Nach, ich kam in englische Gefangenschaft als Schwerverwundeter in Malente-Gremsmühlen Holstein und wurde dort am 12. August 1945 nach ungefähr einjahr-, einjährigen Lazarett-Aufenthalt entlassen.
Meine Frau war mit dem unserem Kind, das inzwischen um 1940 geboren war, also zu dem Zeitpunkt fünf Jahre alt war, nach Malente-Gremsmühlen ebenfalls geflüchtet und wohnte dort in einem kleinen Zimmer und dorthin bin ich dann auch entlassen worden.
Nach Aufnahme der Postverbindung - äh - mit meinen Eltern in Berlin erfuhr ich, dass ihre Wohnung erhalten geblieben war und dass, - äh - wir dort gerne gesehen wurden und - äh - wir nach dorthin zurückkehren sollten und da wir selbst ja keine Heimat hatten und nichts mehr besaßen, was uns selbst gehörte. So bin ich mit meiner Familie in einem offiziellen Flüchtlingstransport, Heimkehrertransport, 1946 zu Ostern zu meinen Eltern nach Berlin zurückgekehrt und in dieser Wohnung wohnte ich bis zum heutigen Tag.
Mein Vater versuchte die Privatschule wieder auf die Beine zu bringen um eine Existenzgrundlage zu haben und ermöglichte es mir dort zwei Jahre in den Tagessemestern die Schule zu besuchen und selbst die Grundlagen zu erlernen, um notfalls nun doch die Schule, wenn möglich, weiterführen zu können.
Nach dem bestandenen Examen ...
[unverständliche Gespräche im Hintergrund]
[Werner Haase:]
... wurde ich von meinem Vater als Mitinhaber aufgenommen und war als Dozent an dieser Schule tätig bis zu dem Zusammenbruch im Sommer 1952 nachdem schon ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Worüber haben Sie denn doziert?
[Werner Haase:]
In Mathematik, Algebra, Analytik.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Flugbahnparabeln?
[Werner Haase:]
Infinitesimalrechnung. Bitte?
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Flugbahnparabeln?
[Werner Haase:]
Äh - Mechanik.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Nein?
[Werner Haase:]
Parabeln, Hyperbeln.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Flugbahnen von Geschossen, meine ich.
[Werner Haase:]
Nein, das wurde nu wirklich nicht mehr gemacht.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Darüber waren Sie doch aber informiert. Das hätten Sie doch sehr gut dozieren können, mit Ihrer Ausbildung.
[Werner Haase:]
Nein, in der Mechanik dort geht es ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Also Mechanik und Mathematik haben Sie doziert?
[Werner Haase:]
Mechanik, Mathematik, Festigkeit, technisches Zeichnen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Mh - und dann?
[Werner Haase:]
Maschinenelemente.
Die Schule konnte die Gehälter für Lehrer und so weiter nicht mehr aufbringen und - äh - vor allen Dingen auch nicht Steuern und - äh - für die Krankenkassen die monatlichen Zahlungen, so dass die Lehrkräfte alle entlassen werden mussten und schließlich nur noch mein Vater und ich als Lehrer tätig waren, bis auch das nachher im Sommer 1952 enden musste. Ich hatte mich deswegen vorher schon nach einer anderen Stellung, ner anderen Tätigkeit umgesehen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Und zwar?
[Werner Haase:]
Und zwar hörte ich, ...
[unverständliche Gespräche im Hintergrund]
[Werner Haase:]
... dass, als ich zum Arbeitsamt ging, da unter Umständen nach Arbeit mich umsah, dass der West-Berliner Zoll ehemalige Berufssoldaten einstellt, im Zollgrenzdienst, im Außendienst. Und dort bewarb ich mich ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Das heißt der West-Berliner Grenzzoll suchte ehemalige Berufssoldaten? Davon erfuhren Sie?
[Werner Haase:]
Jawohl, davon erfuhr ich und bewarb mich bereits im April oder Mai 1952 und erhielt dann im August die Bestätigung, dass ich eingestellt werden würde und wurde dann zum 15. September 1952 eingestellt.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Waren das alles ehemalige Berufssoldaten im Zolldienst?
[Werner Haase:]
Das waren die, die Neueinstellungen waren zu 90 Prozent ehemalige Berufssoldaten.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Zu 90 Prozent ehemalige Berufssoldaten?
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Ja?
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Möglichst hohen Ranges, wie?
[Werner Haase:]
Nein, das war nicht ... Nein, es hieß also damals nicht Berufsoffiziere, sondern Berufssoldaten, also es waren auch Unteroffiziere und Feldwebel.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wie groß war denn der Anteil der Offiziere dabei?
Wissen Sie den etwa auch?
[Werner Haase:]
Das, nein, das kann ich ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Ungefähr?
[Werner Haase:]
... nicht sagen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Nicht?
[Werner Haase:]
Nein, 20, 25 Prozent werden es gewesen sein.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Das ist aber ne Schätzung?
[Werner Haase:]
Das ist ne reine Schätzung ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... die nicht auf positiven Kenntnissen beruht?
[Werner Haase:]
Nein.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Aber 90 Prozent Berufssoldaten, das sind - äh - wissen Sie positiv?
[Werner Haase:]
Das kommt hin, ja. Das, das stimmt.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Aber da haben Sie, hat Sie, hat es Sie auch nicht sehr lange gehalten, nicht?
[Werner Haase:]
Nein. Das Gehalt beim Zollgrenzdienst betrug 220 Mark. Inzwischen hatte meine Frau noch einen Vetter aufgenommen, einen Vollwaisen, ein, 16 Jahre ist er jetzt, so dass wir eine vierköpfige Familie waren, meine Eltern, Sozialunterstützung und ich selbst mit einem Gehalt von 220 Mark im Monat. Damit war ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Nun, wie versuchten Sie nun sich zu verbessern?
[Werner Haase:]
Ich versuchte mich dadurch zu verbessern, dass ich inzwischen durch - äh - Kameraden dort aus dem Zollgrenzdienst erfuhr, dass Bewerbungen bei der sogenannten Dienststelle Blank wieder möglich sind, um Wiedereinstellung, so dass bei eventuell ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Was für eine Wiedereinstellung?
[Werner Haase:]
Als Berufssoldat in die geplante ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Und diesmal doch als Berufsoffizier?
[Werner Haase:]
Diesmal als Berufsoffizier. Grundsätzlich aber als Berufssoldat, für mich als Berufsoffizier.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Für Sie als Berufsoffizier, ja?
[Werner Haase:]
In die Dienststelle Blank, also das heißt in ein neues deutsches Kontingent der Europa-Armee, wie das im EVG-Vertrag vorgesehen war. Ich bewarb mich daher und bekam nun die Anschrift von Kameraden dort aus dem Zollgrenzdienst, an die Dienststelle in Bonn in der Argelander-Straße und erhielt ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... nun und als was bewarben Sie sich?
[Werner Haase:]
Ich bewarb mich ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Was interessierte Sie denn?
[Werner Haase:]
... um ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Was wollten Sie? Sie wollten eingestellt werden als Offizier ins deutsche Kontingent der Europa-Armee.
[Werner Haase:]
... Europa-Armee, ja, so war es. Das war der Text meiner Bewerbung.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Ihrer Bewerbung. Nun ging die nicht noch - äh - detaillierter?
[Werner Haase:]
Ja und zwar sagte ich, dass ich zusätzlich ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... in Ihren Forderungen ...
[Werner Haase:]
... als - äh - Bataillonskommandeur ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... oder Wünschen ?
[Werner Haase:]
... und in meinem alten Rang und meiner alten Dienststellung wieder eingestellt zu werden wünschte.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Sie wollten also in Ihrer Dienststellung als Bataillonskommandeur und in ihrem alten Dienstgrad mindestens den ...
[Werner Haase:]
Ja, Major.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... den des Majors ...
[Werner Haase:]
... wieder eingestellt werden.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... wieder eingestellt werden, ja?
[Werner Haase:]
Ja, so war es.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Das schrieben Sie also an die Dienststelle Blank?
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Ja?
[Werner Haase:]
Ja und zwar Anfang Dezember.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wie hatten Sie davon erfahren?
[Werner Haase:]
Das - äh - kam in Gesprächen im Kreis der Kollegen des Zollgrenzdienstes.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Im Kreis - äh - Ihrem Berufssoldaten ...
[Werner Haase:]
Da kam es schon ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... dort - äh - im Zollgrenzdienst ...
[Werner Haase:]
... kam es zur Sprache.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... wurde das in der Weise besprochen?
[Werner Haase:]
Ja. Einige sagten, sie hätten schon geschrieben und gaben die Anschrift weiter.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Hatten die auch schon Nachricht?
[Werner Haase:]
Die hatten Zum Teil auch Nachricht, in derselben Form, wie ich sie nachher bekam.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Mh - nämlich, in welcher Form?
[Werner Haase:]
Die Antwort kam zurück, dass meine Bewerbung registriert sei und dass ich mit meiner Wiedereinstellung, sofern meine Angaben stimmen, rechnen könnte, wenn der Europäische Verteidigungsvertrag unterschrieben und von allen Ländern ratifiziert sei, das heißt also wenn mit dem wirklichen Wiederaufbau einer westdeutschen - äh - Armee begonnen würde. Von irgendwelchen weiteren Rückfragen, Anfragen oder persönlichen Antworten ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Kamen Sie zu dieser Bewerbung bei der Dienststelle Blank nur, um Ihr Gehalt von 220 Mark aufzubessern?
[Werner Haase:]
Nein, natürlich nicht, denn ich wollte ja auch wieder in eine gehobenere Lebensstellung hinein und nicht nur eine geldliche etwas Besserstellung.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Also einmal geldliche Besserstellung, dann die gehobenere gesellschaftliche Stellung ...
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... als ...
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... Bataillonskommandeur, Major, ja?
[Werner Haase:]
Ja. Natürlich.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Und?
[Werner Haase:]
Und in meinen alten Beruf zurück, den ich einmal aus Neigung und - äh ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Nun ja, dass Sie da hin wollten ist klar.
[Werner Haase:]
... ergriffen hatte.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Aber aus welchen Motiven heraus wollten Sie dorthin? Zwei haben wir schon festgestellt.
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Verbesserung in finanzieller Hinsicht und dann äußere Ansehen.
[Werner Haase:]
Äußeres Ansehen. Und - äh - meine ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Und das Eigentliche.
[Werner Haase:]
Meine Anschauung.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Ja, eben, Ihre Einstellung!
[Werner Haase:]
Meine Einstellung.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Die Sie von früher hatten und nach 1945 bewahrt hatten ...
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... nachdem Sie 45 gesehen hatten, wohin Ihre frühere Anschauung, die Sie noch beibehalten hatten, geführt hatte, ja? Nein?
[Werner Haase:]
Ja, wenn ich dazu sagen darf, dass uns doch immer gesagt wurde und auch ich war dieser irrigen Meinung, dass Europa, Westeuropa, der EVG-Vertrag ein Verteidigungsvertrag sein soll und kein Angriffsvertrag.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Gegen wen wollten Sie sich denn verteidigen?
[Werner Haase:]
Und da hieß es immer, wir müssten uns gegen die Sowjetunion stark machen und verteidigen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wer hat denn die Sowjetunion 1940 angegriffen?
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
41.
[Werner Haase:]
Deutschland.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Oder hatte die Sowjetunion den Hitlerfaschismus angegriffen?
[Werner Haase:]
Nein, das war eine glatte Lüge, die wir selbst ja bei dem Einmarsch in die Sowjetunion erkannten.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Hatten Sie das selbst nicht da gesehen, und nun glaubten Sie diese Lügen in West-Berlin und Westdeutschland, dass die Sowjetunion uns, Sie als Bundesrepublik drüben angreifen wolle und dazu meinten Sie müssten Sie sich freiwillig wiedermelden als Major und Bataillonskommandeur, um dann im Abwehrkrieg Ihren Mann zu stehen, um wieder ein Deutsches Kreuz in Gold zu bekommen?
[Werner Haase:]
Das - äh ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Sie sagten ja eben schon, Sie waren damals dieser irrigen Auffassung.
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Sind Sie heute nicht mehr dieser Auffassung?
[Werner Haase:]
Nein, ich kann es jetzt sagen. Ich habe in diesen vielen Wochen jetzt hier, bin ich so in mich gegangen, dass ich sagen kann: Nie wieder, niemals wieder!
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Nu, Angeklagter, so viele Wochen sind das gegenüber ...
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... mindestens gegenüber Ihrer bisherigen rein faschistischen Betätigung und Entwicklung ja eigentlich nicht.
[Werner Haase:]
Nein, aber ich habe das Material, das ich zur Verfügung bekam, hat mir die Augen geöffnet. Jetzt erst, leider zu spät. Und ich will hoffen, dass es für Andere an meinem Beispiel nicht zu spät ist.
[unverständliche Gespräche im Hintergrund]
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Schön, Sie hatten sich also beworben bei Blank und bekamen die Nachricht: Zunächst mal sind Sie registriert, Einstellung erfolgt erst nach Durchpeitschung des EVG-Vertrages?
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Nun und dann?
[Werner Haase:]
Ende April ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Hörten Sie weiter nichts und blieben weiter im Grenzdienst?
[Werner Haase:]
Ich blieb weiter im Grenzdienst. Wir sagten allgemein da: Also warten wir ab, mal sehen was kommt und machen wir weiter unseren Dienst.
Im, Ende April 1953, also dieses Jahres kam ich einmal vom Dienst nach Hause als mir meine Mutter sagte, dass ein Herr Brenner da gewesen wäre und ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Ein Herr Brenner wäre da gewesen?
[Werner Haase:]
Ein Herr Brenner wäre da gewesen und wünschte mich zu sprechen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Kannten Sie Herrn Brenner?
[Werner Haase:]
Nein, der Name war mir völlig unbekannt.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Völlig unbekannt?
[Werner Haase:]
Völlig. Und - äh - ich versuchte, aus meiner Mutter herauszubekommen was da los ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Herr Staatsanwalt.
[Generalstaatsanwalt Dr. Ernst Melsheimer:]
Eine Frage zur Person [unverständlich]
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Ja.
[Generalstaatsanwalt Dr. Ernst Melsheimer:]
[unverständlich] nicht ganz am Ende damit kommen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Bitte sehr.
[Generalstaatsanwalt Dr. Ernst Melsheimer:]
Sie sagen, Sie haben nie gegen Partisanen gekämpft, nein?
[Werner Haase:]
Nein, Herr Oberstaatsanwalt.
[Generalstaatsanwalt Dr. Ernst Melsheimer:]
Sie haben nie einen Partisanen erschossen?
[Werner Haase:]
Jawohl.
[Generalstaatsanwalt Dr. Ernst Melsheimer:]
Sie haben kein, haben erschossen?
[Werner Haase:]
Nein, nie einen erschossen.
[Generalstaatsanwalt Dr. Ernst Melsheimer:]
Keinen erschossen. Ich habe Ihnen in der Voruntersuchung eine Frage gestellt.
[Werner Haase:]
Ja.
[Generalstaatsanwalt Dr. Ernst Melsheimer:]
Und die Frage lautete: Hatten Sie den Befehl, alle Polit-Offiziere der Roten Armee zu erschießen?
[Werner Haase:]
Jawohl. Der Befehl existierte bei der Division.
[Generalstaatsanwalt Dr. Ernst Melsheimer:]
Hätten Sie Polit-Offiziere, wenn Sie sie gekriegt hätten, erschossen. Ja oder nein?
[Werner Haase:]
Ich hätte wahrscheinlich ... Ja, ich hätte diesen Befehl ausgeführt.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
In dem Zusammenhang vielleicht noch eine andere Frage. Wie war denn das Verhalten beim Rückzug unter General Tschoerner?
[Werner Haase:]
Da hatte die Truppe die Anweisung, soweit es auf Grund der Kampfhandlungen noch möglich ist - äh - Eisenbahnstrecken, Telegrafenleitungen und Straßen nachhaltig zu zerstören.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Brücken, Eisenbahnstrecken.
[Werner Haase:]
Brücken.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Telegrafenlinien.
[Werner Haase:]
Telegrafenlinien.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Ja?
[Werner Haase:]
... nachhaltig zu zerstören.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Dörfer, Häuser, nicht?
[Werner Haase:]
Ja, selbstverständlich.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Städte, nein?
[Werner Haase:]
Jawohl, Selbstverständlich.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Soweit die Zeit irgend reichte ...
[Werner Haase:]
Soweit die Zeit irgend reichte, ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... alles in Schutt und Asche zu legen, ja? Nicht?
[Werner Haase:]
Der Befehl bestand.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Der Befehl bestand und wurde durchgeführt, ja?
[Werner Haase:]
Dazu kam es größtenteils aufgrund des eiligen Rückmarsches allerdings nicht.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Es wurde dann nachher leicht zur Flucht, ja, so dass nicht mehr in vollem Umfange durchgeführt werden konnte?
[Werner Haase:]
Das kann man wohl sagen, ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Aber der Befehl bestand?
[Werner Haase:]
Der Befehl bestand.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Und wurde, soweit die Möglichkeit bestand, auch durchgeführt, ja?
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Sind noch weitere Fragen zur Person und zur Entwicklung des Angeklagten?
[Generalstaatsanwalt Dr. Ernst Melsheimer:]
[unverständlich] Stockhausen, ja? In der Korpsgruppe?
[Werner Haase:]
Jawohl.
[Generalstaatsanwalt Dr. Ernst Melsheimer:]
Von Stockhausen?
[Werner Haase:]
Von Stockhausen.
[Generalstaatsanwalt Dr. Ernst Melsheimer:]
Wo lag die?
[Werner Haase:]
Die lag im Raume Eutin.
[Generalstaatsanwalt Dr. Ernst Melsheimer:]
Und hatte welche Aufgabe?
[Werner Haase:]
Hatte die Aufgabe, die Truppenverbände nach wie vor zusammenzuhalten, und zwar wurde von Seiten der englischen Besatzungsmacht vermutet, dass sowjetische Truppen über Lübeck nach Hamburg vorstoßen würden, um einen Hafen an der Nordsee zu haben. Und da sollte die Korpsgruppe von Stockhausen eingesetzt werden zum Durchstoß von Norden nach Süden, um diese Verbände wieder abzuschneiden und Hamburg sozusagen also wieder ...
[Generalstaatsanwalt Dr. Ernst Melsheimer:]
Hamburg vor den Bolschewisten zu retten?
[Werner Haase:]
Ja.
[Generalstaatsanwalt Dr. Ernst Melsheimer:]
Das war der Sinn?
[Werner Haase:]
Das war der Sinn der Korpsgruppe von Stockhausen.
[Generalstaatsanwalt Dr. Ernst Melsheimer:]
Sie haben's nicht gerettet?
[Werner Haase:]
Nein, weil die sowjetischen Truppen gar nicht auf die Idee gekommen sind, anzugreifen.
[Generalstaatsanwalt Dr. Ernst Melsheimer:]
Sie waren damals bereit, bis zum Allerletzten Hamburg wenigstens noch zu retten, ja und waren die ganze Zeit, Zwischenzeit bereit, bis zu Ihrem neuen Eintritt bei der Gehlenorganisation jeden Tag und jede Stunde bereit das zu tun, was Sie in den vergangenen Jahren getan hatten. Dazu waren Sie bereit?
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Noch Fragen an den Angeklagten? Herr Verteidiger.
[Rechtsanwalt Heinz Hyckel:]
Ich bitte den Angeklagten zu fragen, ob sein Entschluss - äh - Soldat zu werden, durch eine persönliche Bekanntschaft seines Vaters noch begünstigt worden ist, ich meine im Jahre 1534, 1935?
[Werner Haase:]
Ja, der Regimentskommandeur, in dessen Regiment ich kam, war ein Regimentskamerad meines Vaters und der meinen Vater wohl auch mit beeinflusst hat - äh - beim und mit mir zusammen um dieses Regiment einzutreten.
Er nahm mich in sein Regiment mit hinüber und bewirkte auch auf meine Einstellung als Offizieranwärter 1935 in das Infanterieregiment nach Rastenburg. Ohne ihn wäre ich es wohl nicht geworden, weil der Maßstab wohl auch sehr streng war und ich war damals auch verhältnismäßig schwächlich.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Hätten Sie sich ohne ihn beworben, Angeklagter?
[Werner Haase:]
Ja, doch.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Beworben hätten Sie sich?
[Werner Haase:]
Beworben hätte ich mich.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Sie meinen nur ohne ihn wären Sie es vielleicht nicht geworden ...
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... ohne die persönliche Beziehung Ihres Vaters zu diesem Regimentskommandeur?
[Werner Haase:]
So, so ist es, ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Aber beworben hätten Sie sich auch ohne ihn?
[Werner Haase:]
Ja. Den Versuch hätte ich auf jeden Fall ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Noch weitere Fragen?
[Rechtsanwalt Heinz Hyckel:]
Eine weitere Frage. Der Angeklagte hat erklärt, dass seine Eltern bürgerlich-national eingestellt gewesen sind. Er mag es etwas deutlicher - äh - sagen. Welcher Partei gehörten damals seine Eltern an?
[Werner Haase:]
Der Deutschnationalen.
[Rechtsanwalt Heinz Hyckel:]
Deutschnationalen Partei. Danke sehr.
[Werner Haase:]
Bitte schön.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Noch Fragen an den Angeklagten? Zu dieser Sache nicht.
Also, auf Ihre Bewerbung bei der Dienststelle Blank um Einstellung als Major, Bataillonskommandeur im neuen deutschen Kontingent der Europa-Armee da bekamen Sie zunächst diese Antwort und dann erschien im April 1953 Herr Brenner. Sie waren zunächst nicht zu Hause, kriegten's aber von Ihrer Frau übermittelt und dann?
[Werner Haase:]
Dann rief ich ihn unter der von ihm zurückgelassenen Telefonnummer an.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Die Telefonnummer hatte er da gelassen?
[Werner Haase:]
Die Telefonnummer hatte er da gelassen und die Uhrzeit, zu der er gebeten, zu der er mich bat, ihn anzurufen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Ja.
[Werner Haase:]
Am Telefon sagte er nur kurz, dass von meiner Bewerbung bei der Dienststelle Blank gehört hätte und mich deshalb zu sprechen wünsche, ob ich Zeit hätte, zu ihm zu kommen. Ich sagte zu, und wir trafen uns bereits ein paar Stunden später am Kurfürstendamm im Café Reimann oder vor dem Café Reimann, nachdem er mir kurz gesagt hatte, dass er einen Mantel, Trenchcoat trägt und ein Hut. Ich sagte, ich trage keinen Hut aber auch einen Trenchcoat. Wir würden uns schon irgendwie finden. Am Sonntagvormittag ist da ja nicht viel Betrieb.
Wir gingen ins Lokal hinein und er sagte, dass er auf Wegen, die mich im Augenblick ja nicht zu interessieren hätten und mich auch nicht zu interessieren brauchten, von meiner Bewerbung bei der Dienststelle Blank gehört hätte und dass er bereits jetzt für mich in dieser Art eine Beschäftigung hätte. Dann käme ich vom Zollgrenzdienst, der mich ja beruflich nicht ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
In welcher Art bestand denn eine Beschäftigung für Sie?
[Werner Haase:]
Ja, das kam dann nachher zum Ausdruck. Er sagte, es handelt sich um die sogenannte deutsche Abwehr.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Deutsche Abwehr?
[Werner Haase:]
Deutsche Abwehr, die sich grundsätzlich nur damit beschäftigt, die Abwehraufgaben zu übernehmen, die früher der ehemalige Stab Canaris gehabt hat.
Auf meinen etwas verwunderten Ausdruck ... Ich sagte also ich wollte ja an und für sich also Frontoffizier wieder werden, wenn ich's sein müsste überhaupt und wenn ich's werden könnte, sagte er: "Das würde für Sie ja kein Hindernis sein. Wenn wirklich nachher das ein deutsche Kontingent in der Europa-Armee stehen würde, könnten Sie ja jederzeit den Sprung hinüber wieder machen. Dann würde für Sie im Gegenteil beruflich nur von Vorteil sein, wenn Sie noch irgendwo woanders etwas noch hineingerochen hätten."
Ich selbst sollte mir die Sache überlegen ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Nun, sagte er nicht noch etwas Weiteres, über - äh - dass eventuell gar nicht notwendig wäre von dieser Abwehrorganisation, wie er sie zunächst mal per se vorgestellt hat - hm - hinüber zu wechseln, sondern dass vielmehr diese Abwehrorganisation selbst ein Teil dieser Europa-Armee werden könnte.
[Werner Haase:]
Ja, selbstverständlich. Er sagte, dass das mir dann unter Umständen also auch frei stände dabei zu bleiben. Sie würden unter Umständen nachher ebenso dann Offiziere wieder werden.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wann? Nach der Annahme des EVG-Vertrags würde diese Abwehrstelle auch legal werden ...
[Werner Haase:]
... auch legal werden.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Und dann?
[Werner Haase:]
... und dann entweder Beamte werden unter einem - äh - Ministerium, Bundesministerium oder aber Sie würden direkt Offiziere und Soldat werden, wie die EVG-Truppe selbst.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Mit Militärdienstgraden und so weiter?
[Werner Haase:]
Mit Militärdienstgraden und Rängen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Nicht?
[Werner Haase:]
Jawohl.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Damit wäre Ihrem Ehrgeiz auch und Ihrer inneren Haltung auch gedient gewesen, wie? Dann ...
[Werner Haase:]
Nein, ich, das hatte ich ihm an und für sich und das war sich - äh - Brenner oder Brandner, wie er nachher hieß, von Anfang an an sich klar ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Brenner hieß nachher Brandner, wieso?
[Werner Haase:]
Das war das einzigste Mal, bei dem Anfang, dass er unter Brenner mit mir verkehrte. Nachher nannte er sich grundsätzlich, als Leiter der Untervertretung 120, Brandner.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Nun sagte er denn bei dieser Unterhaltung, - äh, äh, äh - dass diese - äh - Stelle, für die er arbeite, nur mit Abwehrfragen sich befasse?
[Werner Haase:]
Ja, bei Ihrem ersten Treffen mit ihm sprach er grundsätzlich nur davon.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Nur von Abwehr?
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Und beim zweiten?
[Werner Haase:]
Beim zweiten Treff erweiterte er dann dieses Angebot oder beziehungsweise diese Ausführungen und sagte: "Ja also, es handele sich natürlich nicht nur um Abwehr. Abwehr ist der Grundbegriff, um den es geht in der Abwehr. Auch Canaris nannte seine gesamte Organisation nur Abwehr."
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Auch Canaris nannte seine gesamte Organisation nur Abwehr.
[Werner Haase:]
Nur Abwehr.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Und was war sie?
[Werner Haase:]
"Und in Wirklichkeit", sagte er, "handele es sich natürlich auch noch um Spionage, Sabotage und Abwehr. Diese drei Gruppen existieren nebeneinander."
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Also Spionage, Sabotage ...
[Werner Haase:]
... und Abwehr.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... und Abwehr. Das sind die drei Gruppen, in denen hier bei dieser Dienststelle gearbeitet wird, ja?
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Und diese drei Gruppen existieren nebeneinander.
[Werner Haase:]
Nebeneinander.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Ja?
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Das sagte er Ihnen?
[Werner Haase:]
Das sagte er mir beim zweiten Treffen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
So wie das bei dem Vorbild Canaris gewesen ist.
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Ja?
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Nun was sagte er Ihnen weiter?
[Werner Haase:]
Er fragte mich dann ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Was hat er Ihnen über die Zusammenarbeit dieser Organisation mit anderen Spionageorganisationen gesagt?
[Werner Haase:]
Er sagte mir dort bei den ersten beiden Treffen nur, dass diese Organisation - er nannte sie also, er sagte nur Organisation, der Name Gehlen fiel auch erst viel später - bis in die obersten Spitzen hinein deutsch wäre und nur in der obersten Führung eng an die Amerikaner angelehnt, mit ihnen liiert sei und dort mit ihnen zusammenarbeite.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Das sagte Ihnen Brenner/Brandner, ja?
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Dass die Organisation deutsch sei und nur in der obersten Ebene, in der Spitze mit den Amerikanern ... Das heißt mit wem da?
[Werner Haase:]
Davon sagte er zu Anfang nichts. Er sagte nur mit den Amerikanern zusammenarbeiten.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Was verstanden Sie darunter?
[Werner Haase:]
Die amerikanische Besatzungsmacht.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Die amerikanische Besatzung.
[Werner Haase:]
Die amerikanische Besatzungsmacht, denn es schien mir unwahrscheinlich, dass es jemand anders sein könnte.
Es musste ja eine ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Nun, es konnte doch auch der CIC sein, nicht?
[Werner Haase:]
Das konnte damals durchaus der CIC sein. Das habe ich erst später erfahren, dass er ... Nein, damals bestand er ja denn schon durchaus. Er wurde ja erst sozusagen durch die Spionageorganisation Gehlen mit betreut und selbst mit aufgebaut.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wer wurde mit be-?
[Werner Haase:]
Der CIC.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Der CIC ...
[Werner Haase:]
Zu Anfang, ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... wurde durch die Spionageorganisation ...
[Werner Haase:]
Zu Anfang.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... Gehlen mit betreut und aufgebaut?
[Werner Haase:]
Denn die Spionageorganisation Gehlen fing ja schon 1946 an und - äh - da hatte der CIC in Deutschland noch nicht Fuß gefasst. Er wurde nun sofort wieder übernommen und Gehlen fing gleich nach dem Zusammenbruch wieder an zu arbeiten.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Nun, also darüber werden wir uns gleich noch unterhalten, anschließend. Äh - zunächst mal Ihre Unterhaltung mit Brenner, ja? Brenner/Brandner. Sie ging also dahin: Es geht nicht nur um Abwehr, es geht auch um Spionage, es geht auch um Sabotage.
[Werner Haase:]
Das - äh - Sabotage vermied er in den ersten Monaten sehr und brachte es also nie zum Ausdruck und tat bis zuletzt, als wenn es das also in der Spionageorganisation Gehlen nicht gibt.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Als ob es das nicht gäbe. Aber es gab's.
[Werner Haase:]
Es gab's.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Nun, wie stellten Sie sich zu dem Angebot, nun in einer solchen Organisation mitzuarbeiten?
[Werner Haase:]
Tja, ich hatte vorher mit meiner Frau drüber gesprochen und sie sagte: "Du musst wissen, was du tust." Und hatte ihm mein ja, hatte ich sozusagen mitgebracht. Und als er denn das daraufhin erweiterte, sagte ich mir: Na also, A hast du gesagt, sagst du auch B. Und - äh - wollte nu den einmal gefassten Entschluss nicht mehr rückgängig machen und blieb dabei und sagte: Ist in Ordnung, also ich mache mit.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Logisch, bestanden denn überhaupt irgendwelche inneren Bewegungen, diesen Beschluss, diesen einmal gefassten eventuell doch wieder rückgängig zu machen, nachdem Sie Spionage erfahren hatten?
Bestand denn da überhaupt die Notwendigkeit, irgendwelche Hemmungen noch zu überwinden, nachdem Sie schon zu Abwehr ja gesagt hatten?
[Werner Haase:]
Ja, im Großen und Ganzen, nein.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
War Ihnen nicht klar, dass das umfassend gemeint war schon dieses "Abwehr" schon bei der ersten Unterhaltung, dass da mit Sabotage, mit Spionage drin lag?
[Werner Haase:]
Nein, das wusste ich beim ersten Mal wirklich nicht. Beim zweiten Mal selbstverständlich.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Nun, Sie haben sich doch dann zu Hause - äh - überlegt und haben doch darüber nachgedacht?
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Und? Haben Sie sich dabei diese Fragen nicht dabei vorgelegt?
[Werner Haase:]
Ja, weil Brandner oder Brenner, wie er damals hieß, grundsätzlich sagte es handele sich also um eine Abwehrorganisation.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Da haben Sie geglaubt?
[Werner Haase:]
Da glaubte ich ihm zu Anfang.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Sie wollen sagen, Sie haben geglaubt, dass es sich also um reine Abwehr handelte und haben deshalb zunächst ja gesagt. Und nun frage ich Sie dann eben weiter, wie war es dann? Entstanden als sie nun erfuhren, dass es sich auch um Spionage handelte, irgendwelche Hemmungen bei Ihnen, die überwinden werden mussten, als Sie nun das erfuhren und beim Ja bleiben sollten?
[Werner Haase:]
Ja, die waren wohl vorhanden, aber ich musste, offen gestanden ... Hunger tat damals weh und mein Kind hungerte damals sehr.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Sie hatten doch noch ein zweites Kind aufgenommen, freiwillig nicht?
[Werner Haase:]
Ja, das bekam 60 Mark Waisen-, Vollwaisenrente, so dass einigermaßen die Lebensbedingungen da waren.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Welche Dienststellung hatten Sie beim Zollgrenzdienst?
[Werner Haase:]
Zollgrenzassistent, Gehaltsgruppe A9.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Und beim Zollgrenzassisten in West-Berlin da muss das Kind hungern, ja?
[Werner Haase:]
Ja, mit Müh und Not hatte zu der Margarine für das Kind gelangt. Ich habe oft trocken Brot gegessen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Also Sie wollten dann also mehr verdienen und sind dann also auch zu Spionage - äh - mit ihrem Ja geblieben?
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
und haben dann wann angefangen in dieser ...
[Werner Haase:]
Einen Monat später am 28. ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... Verbrecherorganisation zu arbeiten?
[Werner Haase:]
Am 28. Mai 1953.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
28. Mai 53. Wie hoch war denn nun Ihr Gehalt?
[Werner Haase:]
400 Mark betrug es da.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Sie bekamen sofort Gehalt?
[Werner Haase:]
Ab 28. Mai bekam ich Gehalt, beziehungsweise ab 01. Juni.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Und vorher? Waren Sie, solange waren Sie noch beim Grenzschutz?
[Werner Haase:]
Bis 28. Mai war ich noch beim Grenzschutz.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wie lange liefe Ihre Kündigungsfrist?
[Werner Haase:]
Vier Wochen Kündigungsfrist hatte ich.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Und als die abgelaufen war, ...
[Werner Haase:]
Dann fing ich an ab 01. Juni.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... haben Sie dort angefangen mit einem monatlichen Gehalt von 400 Mark?
[Werner Haase:]
Von 400 Mark und bei diesem Gehalt ist es geblieben bis zum letzten Tag.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Nu, darüber werden wir auch noch sprechen. Sie haben doch auch verschiedentlich versucht, es zu erhöhen, wie?
[Werner Haase:]
Ja, das ist mir nicht gelungen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Ist Ihnen nicht gelungen. Ihr letzter Erhöhungsversuch war die Verlegung der Telefonverbindung, wie?
[Werner Haase:]
Nein, das wäre persönlich ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Das wäre doch ne Erhöhung dann gewesen?
[Werner Haase:]
Nein.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Das wäre doch eine Bewährung gewesen, wie?
[Werner Haase:]
Dann hätte, das war also, sagte er also nach 6 Monaten ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Nun, also wollen nicht vorgreifen.
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wir werden darüber noch ausführlich von Ihnen hören wollen.
Hauptabteilung IX (Untersuchungsorgan)
Die Hauptabteilung IX war die für strafrechtliche Ermittlungen und Strafverfolgung zuständige Diensteinheit. Sie hatte wie die nachgeordneten Abteilung IX in den Bezirksverwaltung (BV) (Linie IX) die Befugnisse eines Untersuchungsorgans, d. h. einer kriminalpolizeilichen Ermittlungsbehörde. Ursprünglich vor allem für die sog. Staatsverbrechen zuständig, befasste sie sich in der Honecker-Ära überwiegend mit Straftaten gegen die staatliche Ordnung, vor allem mit Fällen "ungesetzlichen Grenzübertritts" und Delikten, die mit Ausreisebegehren zu tun hatten. Nach StPO der DDR standen auch die Ermittlungsverfahren der Linie IX unter Aufsicht der Staatsanwaltschaft, in der Praxis arbeitete das MfS hier jedoch weitgehend eigenständig.
Die Hauptabteilung IX und die Abteilungen IX der BV waren berechtigt, Ermittlungsverfahren einzuleiten sowie Festnahmen, Vernehmungen, Durchsuchungen, Beschlagnahmen und andere strafprozessuale Handlungen vorzunehmen sowie verpflichtet, diese Verfahren nach einer bestimmten Frist - meist durch die Übergabe an die Staatsanwaltschaft zur Anklageerhebung - zum Abschluss zu bringen (Untersuchungsvorgang). Daneben führte sie Vorermittlungen zur Feststellung von Ursachen und Verantwortlichen bei Großhavarien (industriellen Störfällen), Flugblättern widerständigen Inhalts, öffentlichen Protesten u. ä. (Vorkommnisuntersuchung, Sachverhaltsprüfung).
Die Hauptabteilung IX gehörte zeit ihres Bestehens zum Anleitungsbereich Mielkes, in den ersten Jahren in seiner Funktion als Staatssekretär und 1. stellv. Minister, ab 1957 als Minister. Ihre Leiter waren Alfred Karl Scholz (1950-1956), Kurt Richter (1956-1964), Walter Heinitz (1964-1973) und Rolf Fister (1973-1989).
1953 bestand die Hauptabteilung IX aus drei Abteilungen, die für Spionagefälle, Fälle politischer "Untergrundtätigkeit" und die Anleitung der Abt. IX der BV zuständig waren. Durch Ausgliederungen entstanden weitere Abteilungen, so u. a. für Wirtschaftsdelikte, Militärstraftaten, Delikte von MfS-Angehörigen und Fluchtfälle. Ende 1988 bestand die Hauptabteilung IX aus zehn Untersuchungsabteilungen sowie der Auswertungs- und Kontrollgruppe (AKG) und der AGL (Arbeitsgruppe des Ministers (AGM)) mit insgesamt 489 Mitarbeitern. Auf der Linie IX arbeiteten 1.225 hauptamtliche Mitarbeiter.
Die Linie IX wirkte eng mit den Abteilung XIV (Haft) und der Linie VIII (Beobachtung, Ermittlung), die für die Durchführung der Festnahmen zuständig waren, zusammen. Bei der juristischen Beurteilung von Operativen Vorgängen (OV) wurde die Hauptabteilung IX von den geheimdienstlich arbeitenden Diensteinheiten häufig einbezogen.
Hauptabteilung IX (Untersuchungsorgan)
Die Hauptabteilung IX war die für strafrechtliche Ermittlungen und Strafverfolgung zuständige Diensteinheit. Sie hatte wie die nachgeordneten Abteilung IX in den Bezirksverwaltung (BV) (Linie IX) die Befugnisse eines Untersuchungsorgans, d. h. einer kriminalpolizeilichen Ermittlungsbehörde. Ursprünglich vor allem für die sog. Staatsverbrechen zuständig, befasste sie sich in der Honecker-Ära überwiegend mit Straftaten gegen die staatliche Ordnung, vor allem mit Fällen "ungesetzlichen Grenzübertritts" und Delikten, die mit Ausreisebegehren zu tun hatten. Nach StPO der DDR standen auch die Ermittlungsverfahren der Linie IX unter Aufsicht der Staatsanwaltschaft, in der Praxis arbeitete das MfS hier jedoch weitgehend eigenständig.
Die Hauptabteilung IX und die Abteilungen IX der BV waren berechtigt, Ermittlungsverfahren einzuleiten sowie Festnahmen, Vernehmungen, Durchsuchungen, Beschlagnahmen und andere strafprozessuale Handlungen vorzunehmen sowie verpflichtet, diese Verfahren nach einer bestimmten Frist - meist durch die Übergabe an die Staatsanwaltschaft zur Anklageerhebung - zum Abschluss zu bringen (Untersuchungsvorgang). Daneben führte sie Vorermittlungen zur Feststellung von Ursachen und Verantwortlichen bei Großhavarien (industriellen Störfällen), Flugblättern widerständigen Inhalts, öffentlichen Protesten u. ä. (Vorkommnisuntersuchung, Sachverhaltsprüfung).
Die Hauptabteilung IX gehörte zeit ihres Bestehens zum Anleitungsbereich Mielkes, in den ersten Jahren in seiner Funktion als Staatssekretär und 1. stellv. Minister, ab 1957 als Minister. Ihre Leiter waren Alfred Karl Scholz (1950-1956), Kurt Richter (1956-1964), Walter Heinitz (1964-1973) und Rolf Fister (1973-1989).
1953 bestand die Hauptabteilung IX aus drei Abteilungen, die für Spionagefälle, Fälle politischer "Untergrundtätigkeit" und die Anleitung der Abt. IX der BV zuständig waren. Durch Ausgliederungen entstanden weitere Abteilungen, so u. a. für Wirtschaftsdelikte, Militärstraftaten, Delikte von MfS-Angehörigen und Fluchtfälle. Ende 1988 bestand die Hauptabteilung IX aus zehn Untersuchungsabteilungen sowie der Auswertungs- und Kontrollgruppe (AKG) und der AGL (Arbeitsgruppe des Ministers (AGM)) mit insgesamt 489 Mitarbeitern. Auf der Linie IX arbeiteten 1.225 hauptamtliche Mitarbeiter.
Die Linie IX wirkte eng mit den Abteilung XIV (Haft) und der Linie VIII (Beobachtung, Ermittlung), die für die Durchführung der Festnahmen zuständig waren, zusammen. Bei der juristischen Beurteilung von Operativen Vorgängen (OV) wurde die Hauptabteilung IX von den geheimdienstlich arbeitenden Diensteinheiten häufig einbezogen.
Operative Beobachtung
Die Beobachtung zählte zu den konspirativen Ermittlungsmethoden, die in der Regel von operativen Diensteinheiten in Auftrag gegeben und von hauptamtlichen Mitarbeitern der Linie VIII (Hauptabteilung VIII) durchgeführt wurden. Dabei wurden sog. Zielpersonen (Beobachtungsobjekte genannt) über einen festgelegten Zeitraum beobachtet, um Hinweise über Aufenthaltsorte, Verbindungen, Arbeitsstellen, Lebensgewohnheiten und ggf. strafbare Handlungen herauszufinden. Informationen aus Beobachtungen flossen in Operative Personenkontrollen, Operative Vorgänge oder Sicherheitsüberprüfungen ein. Im westlichen Ausland wurden Beobachtungen meist von IM unter falscher Identität ausgeführt.
Straftaten gegen die staatliche Ordnung
Straftaten gegen die staatliche Ordnung waren Straftatbestände des 8. Kapitels des StGB/1968. Insbesondere der 2. Abschnitt ("Straftaten gegen die staatliche und öffentliche Ordnung") enthält politische Strafnormen, die für die strafrechtliche Untersuchungstätigkeit der Staatssicherheit (Untersuchungsorgan) von großer Bedeutung waren.
Das gilt vor allem für § 213 ("Ungesetzlicher Grenzübertritt"), der in der Honecker-Ära Grundlage von rund der Hälfte aller MfS-Ermittlungsverfahren war. Auch § 214 ("Beeinträchtigung staatlicher und gesellschaftlicher Tätigkeit") spielte, vor allem im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Ausreiseantragstellern, in den 80er Jahren eine immer wichtigere Rolle.
Ähnliches gilt für § 219 ("Ungesetzliche Verbindungsaufnahme") und § 220 ("Öffentliche Herabwürdigung der staatlichen Ordnung"), die die ähnlichen, aber schwerer wiegenden Strafnormen aus dem 2. Kapitel des StGB/1968 § 100 ("Staatsfeindliche Verbindungen", ab 1979 "Landesverräterische Agententätigkeit") und § 106 ("Staatsfeindliche Hetze") weitgehend verdrängten (Staatsverbrechen).
Straftaten gegen die staatliche Ordnung
Straftaten gegen die staatliche Ordnung waren Straftatbestände des 8. Kapitels des StGB/1968. Insbesondere der 2. Abschnitt ("Straftaten gegen die staatliche und öffentliche Ordnung") enthält politische Strafnormen, die für die strafrechtliche Untersuchungstätigkeit der Staatssicherheit (Untersuchungsorgan) von großer Bedeutung waren.
Das gilt vor allem für § 213 ("Ungesetzlicher Grenzübertritt"), der in der Honecker-Ära Grundlage von rund der Hälfte aller MfS-Ermittlungsverfahren war. Auch § 214 ("Beeinträchtigung staatlicher und gesellschaftlicher Tätigkeit") spielte, vor allem im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Ausreiseantragstellern, in den 80er Jahren eine immer wichtigere Rolle.
Ähnliches gilt für § 219 ("Ungesetzliche Verbindungsaufnahme") und § 220 ("Öffentliche Herabwürdigung der staatlichen Ordnung"), die die ähnlichen, aber schwerer wiegenden Strafnormen aus dem 2. Kapitel des StGB/1968 § 100 ("Staatsfeindliche Verbindungen", ab 1979 "Landesverräterische Agententätigkeit") und § 106 ("Staatsfeindliche Hetze") weitgehend verdrängten (Staatsverbrechen).
Als Abwehr wurden alle geheimpolizeilichen Aktivitäten zur Sicherung der politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Stabilität der DDR und des kommunistischen Bündnissystems bezeichnet, die nach dem Verständnis des MfS durch feindliche Angriffe gefährdet waren. Maßnahmen zur Bekämpfung westlicher Spionage und politischer Opposition galten somit ebenso als Abwehr wie etwa die Sicherung von Produktivität und Anlagensicherheit in den Betrieben sowie die Verhinderung von Republikflucht und Ausreisen. Demgemäß waren die meisten operativen Arbeitsbereiche des MfS ganz überwiegend mit Abwehr befasst.
Aufklärung hatte innerhalb des MfS unterschiedliche Bedeutungen: Sie wird zur Bezeichnung des Tätigkeitsbereiches der Auslandsspionage verwendet, die überwiegend von der HV A getragen wurde, die teilweise auch kurz als Aufklärung bezeichnet wird. Darüber hinaus findet der Begriff Verwendung bei der Bezeichnung von Sachverhaltsermittlungen (Aufklärung eines Sachverhalts) und von Überprüfungen der Eignung von IM-Kandidaten (Aufklärung des Kandidaten).
Entführungen, also Verschleppungen im Sinne des Strafrechts (in den Akten auch Überführung ), waren bis in die 70er Jahre elementare Bestandteile in der Strategie und Taktik der DDR-Geheimpolizei.
In dem 1969 von der Juristischen Hochschule des MfS erarbeiteten "Wörterbuch der politisch-operativen Arbeit" wird das Delikt einer Entführung als "Erscheinungsform von Terrorverbrechen" definiert. "Sie ist das Verbringen von Menschen gegen ihren Willen unter Anwendung spezifischer Mittel und Methoden (Gewalt, Drohung, Täuschung, Narkotika, Rauschmittel u. a.) von ihrem ursprünglichen Aufenthaltsort in andere Orte, Staaten oder Gebiete." Unbeabsichtigt erfasst diese Definition exakt auch die Entführungen, die das MfS "im Operationsgebiet" verübt hat.
Entführungen entsprachen den Traditionen und Praktiken der sowjetischen "Tschekisten". Nicht zufällig haben Instrukteure und Agenten der KGB-Dependance in Ostberlin bis Mitte der 50er Jahre auch bei Entführungen aus Westberlin und Westdeutschland mit dem MfS eng kooperiert. Entführungen wurden in der Verantwortung jedes der drei Minister für Staatssicherheit durchgeführt, die die DDR unter der Diktatur der SED hatte. Weder Zaisser noch Mielke setzten sie allerdings so planmäßig und aggressiv ein wie Wollweber. Unter seiner Ägide fanden die meisten Entführungen statt – wenn auch unter Mielkes verantwortlicher Mitwirkung.
Die Zuständigkeit für Entführungsaktionen im Apparat der Staatssicherheit ist anhand interner Direktiven, Befehle und Maßnahmenpläne genau bestimmbar. Erstens waren sie stets Chefsache. Der Minister war jeweils in die Pläne zur Vorbereitung und Durchführung einer Verschleppung eingebunden. Die letzte Entscheidung lag bei ihm. Unmittelbar mit Entführungen befasst waren im MfS zweitens die Leiter verschiedener Hauptabteilungen, in deren Diensteinheiten operative Vorgänge zu entsprechenden Zielpersonen bearbeitet wurden. Das konnte die für Spionageabwehr zuständige Hauptabteilung II sein oder die seinerzeitige Hauptabteilung V (seit 1964 Hauptabteilung XX), der u. a. die Bekämpfung "politischer Untergrundarbeit" zugewiesen war. Überläufer aus den bewaffneten Organen wurden von Diensteinheiten der Hauptabteilung I – der sog. Militärabwehr – operativ bearbeitet. Sie alle verfügten zum Zweck grenzüberschreitender Aktionen über geeignete IM und spezielle Einsatzgruppen. Flankierende Hilfsdienste hatten die Hauptabteilung VIII zu leisten, die für Operative Ermittlungen und Festnahmen zuständig war, sowie die für Spionage und aktive Maßnahmen zuständige Hauptverwaltung A.
Die Gesamtzahl der vom MfS versuchten und vollendeten Entführungen ist nach empirischen Untersuchungen, die für die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit" durchgeführt wurden, auf maximal 700 zu veranschlagen. Die Historikerin Susanne Muhle beziffert sie für die Zeit zwischen 1950 und Mitte der 60er Jahre auf 400 bis 500. Exakte Angaben sind infolge der streng konspirativ abgeschirmten Vorgehensweise des MfS bei Entführungsaktionen nicht möglich. Sie sind im Grunde genommen auch irrelevant. Entscheidend ist, dass Entführungen im Apparat des MfS institutionell verankert waren.
Ganz im Sinne der MfS-spezifischen Definition sind generell drei taktische, manchmal kombinierte Entführungsvarianten zu unterscheiden: Verschleppungen unter Anwendung physischer Gewalt; Verschleppungen unter Anwendung von Betäubungsmitteln sowie Entführungen vermittelst arglistiger Täuschung.
Die Zielgruppen MfS-getätigter Entführungen lassen sich wie folgt umreißen: hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeiter des MfS, die zu "Verrätern" geworden und "zum Klassenfeind übergelaufen" waren; Mitarbeiter westlicher Nachrichtendienste; Mitarbeiter der Ostbüros von SPD, CDU, LDP und DGB sowie der KgU und des UFJ in Westberlin; Überläufer aus der Volkspolizei und der Nationalen Volksarmee; abtrünnige Genossen aus den Reihen der SED; regimekritische Journalisten und westliche Fluchthelfer speziell nach dem 13. August 1961.
Während MfS-extern Entführungen strengster Geheimhaltung unterlagen, wurden sie in den 50er Jahren MfS-intern in Befehlen bekannt gegeben, soweit es sich um "zurückgeholte" Überläufer gehandelt hatte. Potenzielle Nachahmer sollten abgeschreckt werden. Zum Beispiel hieß es in dem Stasi-Befehl 134/55 vom 7. Mai 1955, mit dem intern die Hinrichtung zweier "Verräter" zur Kenntnis gebracht wurde:"Wer aus unseren Reihen Verrat an der Partei, an der Arbeiterklasse und an der Sache des Sozialismus übt, hat die strengste Strafe verdient. Die Macht der Arbeiterklasse ist so groß und reicht so weit, dass jeder Verräter zurückgeholt wird oder ihn in seinem vermeintlich sicheren Versteck die gerechte Strafe ereilt." "Strengste Strafe" hieß unter Umständen Todesstrafe. In mindestens 20 Fällen ist sie gegen Entführungsopfer verhängt und vollstreckt worden. Zumeist wurden langjährige Freiheitsstrafen ausgesprochen. Nicht wenige Entführungsopfer sind in der Haft verstorben – in Einzelfällen durch Suizid.
Entführungen, also Verschleppungen im Sinne des Strafrechts (in den Akten auch Überführung ), waren bis in die 70er Jahre elementare Bestandteile in der Strategie und Taktik der DDR-Geheimpolizei.
In dem 1969 von der Juristischen Hochschule des MfS erarbeiteten "Wörterbuch der politisch-operativen Arbeit" wird das Delikt einer Entführung als "Erscheinungsform von Terrorverbrechen" definiert. "Sie ist das Verbringen von Menschen gegen ihren Willen unter Anwendung spezifischer Mittel und Methoden (Gewalt, Drohung, Täuschung, Narkotika, Rauschmittel u. a.) von ihrem ursprünglichen Aufenthaltsort in andere Orte, Staaten oder Gebiete." Unbeabsichtigt erfasst diese Definition exakt auch die Entführungen, die das MfS "im Operationsgebiet" verübt hat.
Entführungen entsprachen den Traditionen und Praktiken der sowjetischen "Tschekisten". Nicht zufällig haben Instrukteure und Agenten der KGB-Dependance in Ostberlin bis Mitte der 50er Jahre auch bei Entführungen aus Westberlin und Westdeutschland mit dem MfS eng kooperiert. Entführungen wurden in der Verantwortung jedes der drei Minister für Staatssicherheit durchgeführt, die die DDR unter der Diktatur der SED hatte. Weder Zaisser noch Mielke setzten sie allerdings so planmäßig und aggressiv ein wie Wollweber. Unter seiner Ägide fanden die meisten Entführungen statt – wenn auch unter Mielkes verantwortlicher Mitwirkung.
Die Zuständigkeit für Entführungsaktionen im Apparat der Staatssicherheit ist anhand interner Direktiven, Befehle und Maßnahmenpläne genau bestimmbar. Erstens waren sie stets Chefsache. Der Minister war jeweils in die Pläne zur Vorbereitung und Durchführung einer Verschleppung eingebunden. Die letzte Entscheidung lag bei ihm. Unmittelbar mit Entführungen befasst waren im MfS zweitens die Leiter verschiedener Hauptabteilungen, in deren Diensteinheiten operative Vorgänge zu entsprechenden Zielpersonen bearbeitet wurden. Das konnte die für Spionageabwehr zuständige Hauptabteilung II sein oder die seinerzeitige Hauptabteilung V (seit 1964 Hauptabteilung XX), der u. a. die Bekämpfung "politischer Untergrundarbeit" zugewiesen war. Überläufer aus den bewaffneten Organen wurden von Diensteinheiten der Hauptabteilung I – der sog. Militärabwehr – operativ bearbeitet. Sie alle verfügten zum Zweck grenzüberschreitender Aktionen über geeignete IM und spezielle Einsatzgruppen. Flankierende Hilfsdienste hatten die Hauptabteilung VIII zu leisten, die für Operative Ermittlungen und Festnahmen zuständig war, sowie die für Spionage und aktive Maßnahmen zuständige Hauptverwaltung A.
Die Gesamtzahl der vom MfS versuchten und vollendeten Entführungen ist nach empirischen Untersuchungen, die für die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit" durchgeführt wurden, auf maximal 700 zu veranschlagen. Die Historikerin Susanne Muhle beziffert sie für die Zeit zwischen 1950 und Mitte der 60er Jahre auf 400 bis 500. Exakte Angaben sind infolge der streng konspirativ abgeschirmten Vorgehensweise des MfS bei Entführungsaktionen nicht möglich. Sie sind im Grunde genommen auch irrelevant. Entscheidend ist, dass Entführungen im Apparat des MfS institutionell verankert waren.
Ganz im Sinne der MfS-spezifischen Definition sind generell drei taktische, manchmal kombinierte Entführungsvarianten zu unterscheiden: Verschleppungen unter Anwendung physischer Gewalt; Verschleppungen unter Anwendung von Betäubungsmitteln sowie Entführungen vermittelst arglistiger Täuschung.
Die Zielgruppen MfS-getätigter Entführungen lassen sich wie folgt umreißen: hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeiter des MfS, die zu "Verrätern" geworden und "zum Klassenfeind übergelaufen" waren; Mitarbeiter westlicher Nachrichtendienste; Mitarbeiter der Ostbüros von SPD, CDU, LDP und DGB sowie der KgU und des UFJ in Westberlin; Überläufer aus der Volkspolizei und der Nationalen Volksarmee; abtrünnige Genossen aus den Reihen der SED; regimekritische Journalisten und westliche Fluchthelfer speziell nach dem 13. August 1961.
Während MfS-extern Entführungen strengster Geheimhaltung unterlagen, wurden sie in den 50er Jahren MfS-intern in Befehlen bekannt gegeben, soweit es sich um "zurückgeholte" Überläufer gehandelt hatte. Potenzielle Nachahmer sollten abgeschreckt werden. Zum Beispiel hieß es in dem Stasi-Befehl 134/55 vom 7. Mai 1955, mit dem intern die Hinrichtung zweier "Verräter" zur Kenntnis gebracht wurde:"Wer aus unseren Reihen Verrat an der Partei, an der Arbeiterklasse und an der Sache des Sozialismus übt, hat die strengste Strafe verdient. Die Macht der Arbeiterklasse ist so groß und reicht so weit, dass jeder Verräter zurückgeholt wird oder ihn in seinem vermeintlich sicheren Versteck die gerechte Strafe ereilt." "Strengste Strafe" hieß unter Umständen Todesstrafe. In mindestens 20 Fällen ist sie gegen Entführungsopfer verhängt und vollstreckt worden. Zumeist wurden langjährige Freiheitsstrafen ausgesprochen. Nicht wenige Entführungsopfer sind in der Haft verstorben – in Einzelfällen durch Suizid.
Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet wurde. Die zuletzt 13 Hauptabteilungen wurden durch Einzelleiter geführt. Die weiter untergliederten und nach dem Linienprinzip tätigen HA waren für komplexe, abgegrenzte Bereiche operativ zuständig und federführend verantwortlich. Der Zuschnitt der Zuständigkeitsbereiche war an Ressorts oder geheimdienstlichen Praktiken (z. B. Verkehrswesen, Beobachtung, Funkspionage) orientiert.
Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet wurde. Die zuletzt 13 Hauptabteilungen wurden durch Einzelleiter geführt. Die weiter untergliederten und nach dem Linienprinzip tätigen HA waren für komplexe, abgegrenzte Bereiche operativ zuständig und federführend verantwortlich. Der Zuschnitt der Zuständigkeitsbereiche war an Ressorts oder geheimdienstlichen Praktiken (z. B. Verkehrswesen, Beobachtung, Funkspionage) orientiert.
Das MfS hat als ein Instrument der DDR, insbesondere der SED-Führung, die politischen Interessen des Staates inoffiziell in der Bundesrepublik Deutschland unterstützt. Die Westarbeit des MfS bestand aus Spionageaktivitäten, also der nachrichtendienstlichen Beschaffung von Informationen, Patenten, Verfahren und Mustern durch das MfS.
Die Bezeichnungen Westarbeit und Spionage meinen in diesem Kontext das, was beim MfS mit "operative Arbeit im und nach dem Operationsgebiet" bezeichnet wird. Im engeren Sinne also die Arbeit mit Inoffiziellen Mitarbeitern im "Operationsgebiet", bei dem es sich überwiegend um die Bundesrepublik Deutschland und Westberlin handelte, aber auch die in der NATO und der Europäischen Gemeinschaft verbundenen Staaten einschloss.
Im weiteren Sinne fallen darunter auch die Funkaufklärung und der Einsatz von Offizieren im besonderen Einsatz in Botschaften, Konsulaten usw. Erfolgte diese operative Arbeit bis Anfang der 70er Jahre wesentlich "illegal", ergaben sich mit der zunehmenden Anerkennung der DDR auch verstärkt "legale" Zugänge über die Einrichtung von Botschaften, von denen aus das MfS mit "legal abgedeckten Residenturen" arbeiten konnte.
Für die Beschaffung von wissenschaftlich-technischen, politischen und militärischen Informationen war vor allem die Hauptverwaltung A zuständig, aber nahezu gleichrangig zahlreiche Abwehrdiensteinheiten des MfS. Die Hauptabteilung I, in der DDR für die Absicherung des Militärkomplexes verantwortlich, erkundete auch die Bundeswehr, den Bundesgrenzschutz, den Zollgrenzdienst, die Bayerische Grenzpolizei und diverse Einrichtungen der NATO.
Die Hauptabteilung II, mit der "offensiven Abwehr" ausländischer Nachrichtendienste in der DDR befasst, arbeitete zeitweise auch gegen den Bundesnachrichtendienst, das Bundesamt und die Landesämter für Verfassungsschutz sowie den Militärischen Abschirmdienst. Die Hauptabteilung VI überwachte neben dem Ein-, Ausreise- und Transitverkehr in der DDR auch den über innerdeutsche Grenzen hinaus von und nach Westberlin.
Die Hauptabteilung VII unterhielt im "Operationsgebiet" ebenfalls ein Netz, das im klassischen Sinne kriminelle Aktivitäten wie Schmuggel aufzuklären hatte. Die Hauptabteilung VIII war für Ermittlungen und Beobachtungen zuständig. Zugleich war sie Servicediensteinheit für alle Diensteinheiten des MfS, indem sie den Informationsbedarf über Bundesbürger bediente.
Neben der Sicherungsarbeit in den Bereichen Staatsapparat, Blockparteien und "politischer Untergrundtätigkeit" war die Hauptabteilung XX im "Operationsgebiet" für alle Einrichtungen zuständig, die sich mit der DDR befassten. Im Visier der Hauptabteilung XXII standen links- und rechtsextremistische, überwiegend terroristische Gruppen.
Schließlich wäre auf Hauptabteilungsebene noch die Zentrale Kontrollgruppe anzuführen, die sich mit besonders DDR-kritischen Gruppen befasste, wie z. B. der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte oder den Fluchthilfeorganisationen. Mit der Westarbeit waren nicht allein die zentralen Abwehrdiensteinheiten befasst, sondern ihre Linien (Linienprinzip) erstreckten sich meist auch auf Bezirks- und im Einzelfall auf Kreisverwaltungsebene des MfS.
In den Kontext der Westarbeit sind auch die etwa 400 Entführungen von Bürgern aus der Bundesrepublik Deutschland und Westberlin zu zählen sowie vereinzelte Versuche und Erwägungen, Bürger zu töten, wobei bislang ein Mord nicht nachgewiesen ist. Das MfS selbst verstand unter der "Arbeit im und nach dem Operationsgebiet" die "Gesamtheit der politisch-operativen Kräfte des MfS im Operationsgebiet und die Nutzung solcher Personen aus dem Operationsgebiet, die zur Erfüllung operativer Aufgaben geeignet sind".
Die HV A und ihre Abteilungen XV in den Bezirksverwaltungen arbeiteten nach Schwerpunkten im "Operationsgebiet", ihre innere Struktur drückte die entsprechende Interessenlage aus.
Demnach konzentrierte sich die Abt. I auf Politik und strategische Absichten der Bundesregierung, die Abt. II auf die Parteien, Gewerkschaften, Landsmannschaften im "Operationsgebiet", die Abt. III steuerte die operative Arbeit der "legal abgedeckten Residenturen" in DDR-Botschaften, Konsulaten und Handelseinrichtungen, und die Abt. IV beschäftigte sich mit den militärischen Zentren" in der Bundesrepublik Deutschland, wozu das Bundesministerium der Verteidigung, Wehrbezirkskommandos der Bundeswehr und diverse US-amerikanische Einrichtungen gehörten. Die Abt. IX befasste sich mit westlichen Nachrichtendiensten, die Abt. XI mit den USA und die Abt. XII mit der NATO.
Die Abteilungen XIII bis XV gehörten zum Sektor Wissenschaft und Technik, der systematisch Patente, Verfahren und Muster für die DDR- und osteuropäische Forschung und Wirtschaft beschaffte. Schwerpunkte waren die Fachgebiete Energie, Biologie, Chemie, Elektronik, Elektrotechnik und Maschinenbau sowie das Bemühen, die Embargopolitik zu unterlaufen. Für offizielle, mithin dienstliche Kontakte zwischen beispielsweise DDR- und bundesdeutschen Wissenschaftlern oder Politikern war eigens die Abt. XVI der HV A zuständig, die auf diesem Weg an relevante Informationen gelangen sollte.
Während all diese Abteilungen der HV A überwiegend informationsbeschaffend tätig waren, verfügte sie mit der Abt. X eigens über eine Struktureinheit, die systematisch aktive Maßnahmen in der Bundesrepublik zu entfalten suchte.
Das MfS hat als ein Instrument der DDR, insbesondere der SED-Führung, die politischen Interessen des Staates inoffiziell in der Bundesrepublik Deutschland unterstützt. Die Westarbeit des MfS bestand aus Spionageaktivitäten, also der nachrichtendienstlichen Beschaffung von Informationen, Patenten, Verfahren und Mustern durch das MfS.
Die Bezeichnungen Westarbeit und Spionage meinen in diesem Kontext das, was beim MfS mit "operative Arbeit im und nach dem Operationsgebiet" bezeichnet wird. Im engeren Sinne also die Arbeit mit Inoffiziellen Mitarbeitern im "Operationsgebiet", bei dem es sich überwiegend um die Bundesrepublik Deutschland und Westberlin handelte, aber auch die in der NATO und der Europäischen Gemeinschaft verbundenen Staaten einschloss.
Im weiteren Sinne fallen darunter auch die Funkaufklärung und der Einsatz von Offizieren im besonderen Einsatz in Botschaften, Konsulaten usw. Erfolgte diese operative Arbeit bis Anfang der 70er Jahre wesentlich "illegal", ergaben sich mit der zunehmenden Anerkennung der DDR auch verstärkt "legale" Zugänge über die Einrichtung von Botschaften, von denen aus das MfS mit "legal abgedeckten Residenturen" arbeiten konnte.
Für die Beschaffung von wissenschaftlich-technischen, politischen und militärischen Informationen war vor allem die Hauptverwaltung A zuständig, aber nahezu gleichrangig zahlreiche Abwehrdiensteinheiten des MfS. Die Hauptabteilung I, in der DDR für die Absicherung des Militärkomplexes verantwortlich, erkundete auch die Bundeswehr, den Bundesgrenzschutz, den Zollgrenzdienst, die Bayerische Grenzpolizei und diverse Einrichtungen der NATO.
Die Hauptabteilung II, mit der "offensiven Abwehr" ausländischer Nachrichtendienste in der DDR befasst, arbeitete zeitweise auch gegen den Bundesnachrichtendienst, das Bundesamt und die Landesämter für Verfassungsschutz sowie den Militärischen Abschirmdienst. Die Hauptabteilung VI überwachte neben dem Ein-, Ausreise- und Transitverkehr in der DDR auch den über innerdeutsche Grenzen hinaus von und nach Westberlin.
Die Hauptabteilung VII unterhielt im "Operationsgebiet" ebenfalls ein Netz, das im klassischen Sinne kriminelle Aktivitäten wie Schmuggel aufzuklären hatte. Die Hauptabteilung VIII war für Ermittlungen und Beobachtungen zuständig. Zugleich war sie Servicediensteinheit für alle Diensteinheiten des MfS, indem sie den Informationsbedarf über Bundesbürger bediente.
Neben der Sicherungsarbeit in den Bereichen Staatsapparat, Blockparteien und "politischer Untergrundtätigkeit" war die Hauptabteilung XX im "Operationsgebiet" für alle Einrichtungen zuständig, die sich mit der DDR befassten. Im Visier der Hauptabteilung XXII standen links- und rechtsextremistische, überwiegend terroristische Gruppen.
Schließlich wäre auf Hauptabteilungsebene noch die Zentrale Kontrollgruppe anzuführen, die sich mit besonders DDR-kritischen Gruppen befasste, wie z. B. der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte oder den Fluchthilfeorganisationen. Mit der Westarbeit waren nicht allein die zentralen Abwehrdiensteinheiten befasst, sondern ihre Linien (Linienprinzip) erstreckten sich meist auch auf Bezirks- und im Einzelfall auf Kreisverwaltungsebene des MfS.
In den Kontext der Westarbeit sind auch die etwa 400 Entführungen von Bürgern aus der Bundesrepublik Deutschland und Westberlin zu zählen sowie vereinzelte Versuche und Erwägungen, Bürger zu töten, wobei bislang ein Mord nicht nachgewiesen ist. Das MfS selbst verstand unter der "Arbeit im und nach dem Operationsgebiet" die "Gesamtheit der politisch-operativen Kräfte des MfS im Operationsgebiet und die Nutzung solcher Personen aus dem Operationsgebiet, die zur Erfüllung operativer Aufgaben geeignet sind".
Die HV A und ihre Abteilungen XV in den Bezirksverwaltungen arbeiteten nach Schwerpunkten im "Operationsgebiet", ihre innere Struktur drückte die entsprechende Interessenlage aus.
Demnach konzentrierte sich die Abt. I auf Politik und strategische Absichten der Bundesregierung, die Abt. II auf die Parteien, Gewerkschaften, Landsmannschaften im "Operationsgebiet", die Abt. III steuerte die operative Arbeit der "legal abgedeckten Residenturen" in DDR-Botschaften, Konsulaten und Handelseinrichtungen, und die Abt. IV beschäftigte sich mit den militärischen Zentren" in der Bundesrepublik Deutschland, wozu das Bundesministerium der Verteidigung, Wehrbezirkskommandos der Bundeswehr und diverse US-amerikanische Einrichtungen gehörten. Die Abt. IX befasste sich mit westlichen Nachrichtendiensten, die Abt. XI mit den USA und die Abt. XII mit der NATO.
Die Abteilungen XIII bis XV gehörten zum Sektor Wissenschaft und Technik, der systematisch Patente, Verfahren und Muster für die DDR- und osteuropäische Forschung und Wirtschaft beschaffte. Schwerpunkte waren die Fachgebiete Energie, Biologie, Chemie, Elektronik, Elektrotechnik und Maschinenbau sowie das Bemühen, die Embargopolitik zu unterlaufen. Für offizielle, mithin dienstliche Kontakte zwischen beispielsweise DDR- und bundesdeutschen Wissenschaftlern oder Politikern war eigens die Abt. XVI der HV A zuständig, die auf diesem Weg an relevante Informationen gelangen sollte.
Während all diese Abteilungen der HV A überwiegend informationsbeschaffend tätig waren, verfügte sie mit der Abt. X eigens über eine Struktureinheit, die systematisch aktive Maßnahmen in der Bundesrepublik zu entfalten suchte.
Vernehmung von Werner Haase im Schauprozess gegen ihn und Weitere wegen Spionage für die Organisation Gehlen (Teil 2) Audio, 58 Minuten, 26 Sekunden
Vernehmung von Walter Schneider im Schauprozess gegen ihn wegen Spionage für die Organisation Gehlen Audio, 41 Minuten, 45 Sekunden
Vernehmung von Karl-Heinz Schmidt im Schauprozess gegen ihn wegen Spionage für die Organisation Gehlen Audio, 58 Minuten, 21 Sekunden
Zeugenvernehmung von Hans-Joachim Geyer im Spionageprozess gegen Werner Haase und Weitere Audio, 15 Minuten, 23 Sekunden