Signatur: BStU, MfS, HA IX, Tb, Nr. 3256
Vom 18. bis 21. Dezember 1953 fand vor dem Obersten Gericht der DDR ein auch als "Gehlen-Prozess" bekannter Schauprozess wegen Spionage im Auftrag der Organisation Gehlen statt.
Werner Haase war seit März 1953 hauptamtlicher Mitarbeiter der Organisation Gehlen. Anfang Oktober 1953 übernahm er die Leitung einer West-Berliner Filiale der Organisation Gehlen. Die Staatssicherheit entführte ihn an der Sektorengrenze zwischen Neukölln und Treptow in der Nacht vom 13. auf den 14. November 1953, als er zusammen mit seinem Mitarbeiter Heinz Busse eine illegale Telefonverbindung zwischen West- und Ost-Berlin verlegen wollte. Busse hatte seinen Vorgesetzten wenige Tage zuvor beim MfS verraten und half bei der Entführung mit. Er schaffte im Auftrag der Staatssicherheit wichtige Unterlagen der Filiale nach Ost-Berlin, anhand derer die Staatssicherheit einige V-Leute in der DDR enttarnen und verhaften konnte. Als Filialleiter der Organisation Gehlen war Werner Haase der Hauptangeklagte im Schauprozess.
Im weiteren Verlauf seiner Vernehmung macht Haase Angaben zu Aufbau, Struktur, Aufgaben und Arbeitsweise der Organisation Gehlen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Äh - dann möchte ich zunächst aus Ihrer Tätigkeit wissen, was Ihnen über die, den Aufbau und die Struktur, das Ziel der Organisation Gehlen im Laufe Ihrer Zeit, Ihrer Tätigkeit in dieser Organisation bekannt geworden ist.
[Werner Haase:]
Jawohl.
Die Spionageorganisation Gehlen hat grob 1946, gleich am Anfang 1946 begonnen, sich wieder einzurichten und den alten Stab des ehemaligen Admirals Canaris wieder heranzuziehen und mit ihm die Arbeit wieder aufzunehmen. Und zwar erhielt der ehemalige General von Gehlen als - äh - Abteilungsleiter Fremde Heere Ost unter Admiral Canaris in der faschistischen Wehrmacht den Auftrag von der amerikanischen Besatzungsmacht, diese alte Spionage- und Abwehrorganisation sofort wieder aufzubauen und zu versuchen auch alte Agenten im Ausland, sofern sie den Krieg überstanden haben, wieder heranzuholen und mit ihnen wieder Kontakt zu bekommen.
Die Geldmittel ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Diesen Auftrag bekam Gehlen von ...?
[Werner Haase:]
Von der amerikanischen Besatzungsmacht 1946.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
1946.
[Werner Haase:]
1946.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... von der amerikanischen Besatzungsmacht?
[Werner Haase:]
Ja. Wie mir Brander, also der Leiter der Untervertretung und auch Reckenstein, der Leiter der Bezirksvertretung anlässlich von Gesprächen erklärte, hatte die Spionageorganisation Gehlen, praktisch ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Also Brandner, Brenner, ja und Reckenstein, also von der Untervertretung und von der Bezirksvertretung.
[Werner Haase:]
... ist Reckenstein der Leiter.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Die haben ihnen das erklärt oder?
[Werner Haase:]
Die haben mir das erklärt, dass praktisch der Stab Canaris nie aufgehört hat zu bestehen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Der Stab Canaris hat nie aufgehört zu existieren?
[Werner Haase:]
... nie aufgehört zu existieren und die Arbeit gleich weitergegangen ist.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Dann unter Gehlen?
[Werner Haase:]
Dann unter Gehlen. Und da nur das, da eigene Geldmittel nicht mehr zur Verfügung standen, die Geldmittel vom Amerikaner zur Verfügung gestellt wurden und auch die Aufträge, die Überwachung dieses Spionagedienstes durch die Amerikaner durchgeführt wurde.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Mh.
Wie war denn nun die Gliederung dieser Organisation?
[Werner Haase:]
Die Organisation gliederte sich in dem Führungsstab unter dem, unter von Gehlen, gleich-, unter anderem auch genannt die Zentrale oder Generaldirektion, mit ihrem Sitz, wie mir aus der Anklageschrift bekannt, in München. Mir selbst nur bekannt, dass sie in der Gegend von München ihren Sitz hatte.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Ihnen selbst bekannt, als in der Gegend von München sitzend, ja?
[Werner Haase:]
Als in der Gegend von München sitzend.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Die Zentrale?
[Werner Haase:]
Die Zentrale.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Die Generaldirektion?
[Werner Haase:]
Generaldirektion.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Hm.
[Werner Haase:]
Dieser Generaldirektion unterstehen Generalvertretungen, mehrere Generalvertretungen, die Summe im Einzelnen, die Zahl ist mir nicht bekannt, und jeweils eine Generalvertretung wieder mehrere Bezirksvertretungen, BV abgekürzt.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wissen Sie auch etwas über die Gliederung der Zentrale selbst, zunächst einmal?
[Werner Haase:]
Die Zentrale hat die Abteilungen I, II und III: Spionage, Sabotage, Abwehr.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Spionage, Sabotage, Abwehr?
[Werner Haase:]
Spionage, Sabotage, Abwehr.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
In der Zentrale?
[Werner Haase:]
In der Zentrale.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Mh.
Ja?
[Werner Haase:]
Hinter den ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Dann kommen die Generalvertretungen, ja?
[Werner Haase:]
Generalvertretungen und dann die Bezirksvertretungen. Meine eigene ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Nun also zunächst mal, wie ist die Gliederung der Generalvertretungen?
[Werner Haase:]
Die Generalvertretungen sind, so wie mir bekannt, nun mehr gegliedert in die Abteilungen I und III oder II und III, und damit entsprechend, von da ab nachher nach unten runter auch bereits die Bezirksvertretungen und die Filialen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Also die Generalvertretungen sind nach Ihrem Wissen unterteilt in I und III oder II und III, das heißt in Spionage und Abwehr oder Sabotage und Abwehr?
[Werner Haase:]
Und Abwehr, die eigene Rückendeckung, die sie ja braucht.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Die Abwehr?
[Werner Haase:]
Die Abwehr.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Die Abwehr als eigene Rückendeckung für die ...
[Werner Haase:]
Für ihre Arbeit I und II.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... Arbeit innerhalb der eigenen Organisation, wie?
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Und danach die Bezirksvertretungen?
[Werner Haase:]
Die Bezirksvertretungen, die BV, ebenfalls meine eigene, die Abteilung I, in der Hauptsache und III, eine kleine Unterabteilung, die extra dann angefordert werden musste, wenn man selbst einen persönlichen Schutz brauchte oder der auch von der Bezirksvertretung angesetzt wurde ohne eigenes Wissen.
Die Filialen der Bezirksvertretung, dann sind, wenn ich mich so ausdrücken darf, also rasserein. Die, unsere UV ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Die Untervertretung?
[Werner Haase:]
Die Abteilung I.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Mh.
[Werner Haase:]
Und besitzen also keine anderen oder dann eben nur I.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Ihre Untervertretung hier in West-Berlin besitzt nur die Abteilung I?
[Werner Haase:]
Hatte nur die nur Abteilung I.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Nur Spionage?
[Werner Haase:]
Nur Spionage.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Keine Abteilung Sabotage?
[Werner Haase:]
Nein, hatte sie nicht.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
War da eine besondere Untervertretung noch in West-Berlin mit Sabotage?
[Werner Haase:]
Das ist mir nicht bekannt.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Ist ihnen nicht bekannt?
[Werner Haase:]
Nein.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Also die Untervertretung, die Sie kennen, befasste sich ausschließlich mit Spionage?
[Werner Haase:]
Ausschließlich.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Mh.
Und hinter der, nach der Untervertretung? Geht die Gliederung weiter?
[Werner Haase:]
Als letztes kommen dann die Filialen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Die Filialen. Das sind die, ist die unterste - äh - ...?
[Werner Haase:]
Das ist die unterste Dienststelle.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... Einheit, die also existiert in dieser Organisation, als Dienststelle.
[Werner Haase:]
Die als Dienststelle existiert.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Und wie sind die in ihrer Gliederung? Gibt es da die Unter-, gibt es da die drei Linien, wie wir sie, wie Sie uns geschildert haben, bei der Zentrale?
[Werner Haase:]
Nein.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Nicht?
[Werner Haase:]
Nein, das geht dort auch nicht. Die sind genauso geschaltet wie die Untervertretung.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wie sie sich gerade ausdrückten, reinrassig?
[Werner Haase:]
Reinrassig wie die Untervertretung.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Mh, mh - also befassten Sie sich ebenfalls ausschließlich mit Spionage?
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Da Sie ja zu der Untervertretung ...
[Werner Haase:]
Untervertretung der Spionage.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... gehörten, ja?
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Bestand außer dieser strukturellen Gliederung innerhalb der einzelnen - äh - Organisationen - äh - noch besondere Einrichtungen, Abteilungen?
[Werner Haase:]
Ja, selbstverständlich besaß die Spionageorganisation noch Hilfsmittel zur Durchführung ihrer Tätigkeit, sei es - äh - eine besondere Abteilung, die zum Beispiel also Ausweise herstellte oder Fotolabore. Sie hatten ein eigenes Kuriernetz, mit denen die Berichte, Agentenberichte und andere Berichte und Meldungen befördert wurden. Es wurden ja grundsätzlich nichts mit der öffentlichen Post ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Fotolabore bestanden also?
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Chemische Labore?
[Werner Haase:]
Ja, die haben auch bestanden für Geheimtinten.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Für Geheimtinten. Weiter.
[Werner Haase:]
Äh - Schulen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Schulen?
[Werner Haase:]
Agentenschulen, an denen - äh - Hauptamtliche Mitarbeiter im Laufe der Zeit geschult wurden und zu denen sie hin kommandiert wurden zu 14-tägigen, ungefähr 14-tägigen Lehrgängen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Welche Aufgaben hatte sich denn die Organisation Gehlen gestellt, Angeklagter?
[Gespräche im Hintergrund]
[Werner Haase:]
Die Hauptaufgabe war die Spionage in den gesamten Volksdemokratien, einschließlich der Sowjetunion, China.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Nun, Sie gehen gleich sehr weit.
[Werner Haase:]
Ja, zunächst erst mal 1946 ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Was war denn das Hauptziel dieser Organisation?
[Werner Haase:]
Die Erfassung der militärischen, wirtschaftlichen Stärke, Möglichkeiten der eventuellen zukünftigen Gegner der Bundesrepublik, das heißt also, der Gegner einer Wiederaufrüstung Westdeutschlands und der Gegner eines EVG-Vertrages.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Mh.
[Werner Haase:]
Um anhand der Unterlagen ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Na, gegen wen ging die Spionage doch in erster Linie?
[Werner Haase:]
Gegen die zukünftigen Gegner und Feinde.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Bezeichnen Sie diese doch konkret zunächst!
[Werner Haase:]
Als die neuen Kriegsgegner.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Was die neuen Kriegsgegner? Ja, wer denn?
[Werner Haase:]
Die Kriegsgegner der, des neu erstehenden Militarismus in der Bundesrepublik. Also ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Ich meine Deutschland, Polen, Tschechoslowakei, Sowjetunion, China. Sie sind mir ebend, vorhin sehr weit gegangen. Sie gingen bis China. Man hat doch sicherlich im Augenblick in, in der Gehlen-Organisation die Auffassung vertreten, China könnte Westdeutschland angreifen?
[Werner Haase:]
Nein, also die Deutsche Demokratische Republik als erstes.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Als erstes die Deutsche Demokratische Republik ...
[Werner Haase:]
Als erstes, selbstverständlich.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... das war doch zunächst die Hauptaufgabe der Organisation Gehlen, zunächst.
[Werner Haase:]
Ja, das war sie.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Doch zunächst über West-Berlin das einfachste, nich?
[Werner Haase:]
Ja, das kam im Laufe der Jahre, dass also West-Berlin dafür strategisch, verkehrsmäßig besonders günstig lag, weil es mitten in der DDR drin lag.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Weil es mitten in der Deutschen Demokratischen Republik drin liegt, ne?
[Werner Haase:]
Ja.
[Gespräche im Hintergrund]
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Dagegen richtete sich die Spionage mit dem Ziel, dann den weiteren ...
[Werner Haase:]
Weiteren Sprung über die Grenze der Deutschen Demokratischen Republik hinweg zu machen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
In die ...?
[Werner Haase:]
In die, nach Polen, Tschechoslowakei, Sowjetunion hinein, in die anderen Volksdemokratien, an die, an die sie angrenzen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Nun und Frankreich?
[Werner Haase:]
Und Frankreich als wahrscheinlich stärkster Gegner einer Remilitarisierung Westdeutschlands war ebenfalls ein Ziel der Spionageorganisation Gehlen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Warum als stärkster Gegner, ja, der Remilitarisierung Westdeutschlands?
[Werner Haase:]
Ja. Es befürchtete und musste wohl befürchten, dass die in Westdeutschland aufgestellten Truppeneinheiten unter Umständen nicht gegen die Sowjetunion oder gegen die Deutsche Demokratische Republik antreten, sondern kehrt machen und Frankreich erneut besetzen würden.
Die Gefahr, die wohl immer versucht wird den französischen Nachbarn auszureden, um sie doch zum EVG-Vertrag, zur Unterschrift des EVG-Vertragen zu bringen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Woher haben Sie Kenntnis von der Spionagetätigkeit Gehlens gegen Frankreich?
[Werner Haase:]
Wir bekamen von der Organisation, von oben, laufend sogenannte politische Orientierungen herunter, in denen über die Stimmung in Frankreich berichtet wurde.
Das ist nicht Zeitungsartikeln und Zeitungsausschnitten aus Frankreich entnommen. Da ich einmal kurz bevor wir dies auch bekamen von Brandner, ein Gespräch hörte zwischen ihm und dem damaligen Filialleiter Schuster, dass er sagte: "Wir legen keinen Wert und wir verachten unsere Nachrichten aus Zeitungen zu nehmen, denn wir sind ja dazu da, um den Zeitungsagenturen die Nachrichten zu überbringen. Sie bekommen sie von uns und nicht umgekehrt."
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wir haben unsere eigenen Nachrichtenquellen.
[Werner Haase:]
Wir haben unsere eigenen Nachrichtenquellen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Mh. Welche Einstellung hatte man denn zu Frankreich?
[Werner Haase:]
Man wollte wohl Frankreich gern als Bundesgenossen haben und versuchte mit allen Mitteln ihnen zu dem Beitritt des EVGs zu bewegen, um den Rücken frei zu haben. Denn zweimal hat ja Deutschland schon einen Zweifrontenkrieg ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Um nicht wieder einen Zweifrontenkrieg führen zu müssen, wie?
[Werner Haase:]
... verloren. Um nicht wieder einen Zweifrontenkrieg führen zu müssen.
[Gespräche im Hintergrund]
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Nun, diese eine Unterhaltung ist doch auch für die Einstellung gegenüber Frankreichs sehr bezeichnend, Angeklagter, die sie mit Recklinghausen hatten, ja?
[Werner Haase:]
Mit Reckenstein.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Oder Reckenstein, ja. Schildern Sie uns die einmal?
[Werner Haase:]
Ja. Ich - äh - sprach mit Reckenstein dadrüber, was mit uns geschehe, wenn die Einheit Deutschlands wieder vorhanden wäre und wir sagen wir mal in Berlin ja nu restlos überflüssig sind. Darauf sagte er: "Ja Gott, dann kommen sie nach Frankfurt/Oder, die Oder-Neiße-Linie und werden gegen Polen eingesetzt oder wenn Sie Glück haben, auch in Frankreich, dann haben Sie es leichter."
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
"Wenn sie Glück haben auch gegen Frankreich, da haben sie es dann leichter", ja?
[Werner Haase:]
Ja, und wie mir Schuster eben dann erklärte, der damalige Filialleiter von mir, dass die Agentenwerbung dort eben einfach ist, weil es eben wie es jetzt schon getan wird, Wissenschaftler, Facharbeiter, Wirtschaftler, Techniker, Kaufleute, die nach Frankreich zeitweilig oder auf längere Zeit einreisen, als Agenten geworben werden können, was ja sagen wir mal bei der Spionage gegen Polen ja also ziemlich entfällt, um an derartige Leute herankommen zu können.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Also diese globale Aufgabe der Organisation Gehlen, das war die Auskundschaftung, die Spionagetätigkeit gegen die Deutsche Demokratische Republik.
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
In erster Linie.
[Werner Haase:]
In erster Linie.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Gegen die Volksdemokratien dann und auch gegen die Sowjetunion.
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Auch gegen China.
[Werner Haase:]
Auch gegen China.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Mh. Und ebenso ist gegen Frankreich gearbeitet worden?
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Das wissen Sie?
[Werner Haase:]
Das weiß ich.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Und - äh - was war nun im Wesentlichen, wenn wir jetzt einmal die Spionagetätigkeit gegen die Deutsche Demokratische Republik ansehen, die Aufgabe, die der Spionage zufiel?
[Werner Haase:]
Erstens war Erkundung der Kräfte der sowjetischen Streitkräfte in der Deutschen Demokratischen Republik, ihre Stärke, ihre Gliederung, ihr Einsatz, ihre Einsatzmöglichkeiten.
Zweitens das wirtschaftliche Potenzial der Deutschen Demokratischen Republik selbst.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Na, machen Sie da nicht schon einen kleinen Sprung? Hat sie da nich in dem Zusammenhang dann auch noch, besonders erst noch ...?
[Werner Haase:]
Die - äh - selbstverständlich kasernierte Volkspolizei.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Kasernierte Volkspolizei.
[Werner Haase:]
Kasernierte Volkspolizei.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wo gelegen, welche Stärke und so weiter, ja?
[Werner Haase:]
Dieselben Fragen wie für die sowjetischen Streitkräfte.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Mh - und dann die ...?
[Werner Haase:]
Und dann das wirtschaftliche Potenzial der Deutschen Demokratischen Republik im Hinblick oder unter den Gesichtspunkt, wie kann es den sowjetischen Streitkräften oder Sowjet-, der Sowjetunion selbst in einem künftigen Kriege helfen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wie kann das Potenzial, das wirtschaftliche Potential der Deutschen Demokratischen Republik in einem künftigen Kriege ausgenutzt werden, ja?
[Werner Haase:]
Ja, ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Mh - weiter.
[Werner Haase:]
Unter Umständen welche wirtschaftlichen Güter fehlen in der Deutschen Demokratischen Republik besonders, auf die sie also auf eine Einfuhr besonders angewiesen ist, vor allem, wenn sie aus den westlichen Ländern kommen muss.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Um es weiterzugeben und sperren und unterbinden zu können.
[Werner Haase:]
Sperren und zu unterbinden. Wenn nicht sofort so unter Umständen dann später im Kriegsfall, um das dann zu wissen, dann fallen diese Güter fort. Unter Umständen, also auch, wo können sie notfalls als Ausweichmaterial, sagen wir mal, oder aus anderen Ländern dann, der Sowjetunion, Polen, Ungarn und so weiter, dafür Ersatz herbekommen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Nun, schildern Sie uns einmal die Arbeitsweise in dieser Organisation. Die Arbeitsweise, wie wurde gearbeitet? Wie wurden Agenten geworben? Welche Formen der Nachrichtenübermittlung? Wie wurden die Agenten ausgerüstet? Also vielleicht zunächst einmal, wie wurden Agenten überhaupt, - äh - wie kam die Organisation Gehlen zu Agenten, zur Ausweitung ihres Agentennetzes, das ja sehr stark angestrebt wurde nach dem 17. Juni?
[Werner Haase:]
Zunächst, erstmal wurden alte Agenten befragt, ob sie Bekannte oder Verwandte kennen, die ebenfalls bereit sind für die Spionageorganisation Gehlen zu arbeiten. Die Agenten gaben dann in dieser Hinsicht also Tipps. Es wurde ihnen dabei grundsätzlich gesagt, niemals selbst die betreffende Person, also, anzusprechen, weil versucht wurde, ein Kennen von Agenten untereinander nach Möglichkeit zu vermeiden, zu ihrer eigenen persönlichen Sicherheit, dass wenn einer verhaftet wird, er nicht zwei, drei andere mit hineinreißen kann, sondern immer glaubt, dass er der Einzige, der im ganzen Umkreis gearbeitet hat und seine Nebenleute eben nicht kennt. Das heißt also, der betreffende Agent, der, sagen wir, einen Verwandten von ihm getippt hatte, sollte im Allgemeinen dann nichts mehr mit ihm zu tun haben. Man sollte nun mehr ein Werber, zunächst ein Forscher und nachher ein Werber, diesen Betreffenden ansprechen ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Zunächst ein Forscher?
[Werner Haase:]
Ein Forscher, der seine Lebensumstände, seine Lebensgewohnheiten erkundet und unter Umständen, das was er Spionageorganisation mal als Material bringen könnte. Ob es für sie von Wert ist sich mit dem Mann zu befassen. Wenn ja ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Ja, nicht nur die Frage, ob er, was er einmal bringen könnte, sondern ...
[Werner Haase:]
Seine politische Einstellung.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... doch zunächst einmal die Vorfrage, ob er überhaupt geeignet ist?
[Werner Haase:]
Ob er überhaupt dafür geeignet ist.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Das musste doch der Forscher dann erst mal feststellen.
[Werner Haase:]
Das musste der Forscher erst feststellen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Hm. Wer führte solche Forschungsaufträge durch? Wer war das? Das waren - äh - bei Ihnen angestellte Forscher?
[Werner Haase:]
Das existierten bei uns ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
In Filialen?
[Werner Haase:]
... in Filialen A und D nicht. Da waren die Tipper gleichzeitig die Forscher. Der gab also nicht nur den Tipp, sondern auch, forschte ihn auch aus, und gab also nicht nur, sagte dann auch gleich, mein Schwager, mein Bruder ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Entsprach das den Anweisungen der Zentrale?
[Werner Haase:]
Nein, das war Mangel an zur Verfügung stehenden Agenten, so dass wir sozusagen statt zwei ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Es war ein Notbehelf?
[Werner Haase:]
... einen nehmen mussten. Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Es war ein Notbehelf?
[Werner Haase:]
Es war ein Notbehelf.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Dass sie also Tipper und Forscher in einer Person hatten?
[Werner Haase:]
Ja, in einer Person hatte.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Nun also, der Forscher erforschte was? Schildern Sie das zusammenfassend!
[Werner Haase:]
Die Lebensumstände, die Möglichkeiten der Ansprache, wie und mit welchen Mitteln der Betreffende angesprochen werden konnte, um nach Möglichkeit herauszubekommen, wie die Chancen stehen, ob er ja sagt oder ob er nicht ja sagt.
Aufgrund dieses Berichtes wurde nachher also ein Werber losgeschickt.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wenn das also in Ihrem Sinne günstig ausfiel, dann wurde ein ...?
[Werner Haase:]
Ein Werber auf den Weg geschickt.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Ja.
[Werner Haase:]
Der mit einem Einladung überbrachte, er möchte doch, der Betreffende, nach West-Berlin kommen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Mh.
[Werner Haase:]
Führte er diese Aufforderung nicht aus, so war damit jeder Anbahnungsversuch gescheitert und es wurde darauf Wert gelegt, diesen Mann also nie mehr anzusprechen und niemals mehr darauf zurückzukommen, auch wenn er sagen wir mal später hin persönlich vielleicht doch nu gerne wollte und versuchte, also nu irgendwie an den Betreffenden heranzukommen, seinerseits wurde dann also davon abgesehen und auf den, als nicht ganz einwandfrei und vielleicht wieder umfallend, verzichtet.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Also das eigentliche Ansprechen auf ...
[Werner Haase:]
Ja oder nein.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... der Aufforderung Spionage zu betreiben im Dienste der Gehlen-Organisation, das erfolgte grundsätzlich in West-Berlin?
[Werner Haase:]
Ich möchte sagen, fast grundsätzlich. Es konnte auch dort mal geschehen, dass es ein Tipper und Forscher selbst tat, wenn es also ein wirklich naher Verwandter war von ihm, unter Umständen sein Bruder oder ein guter Freund, dann geschah es schon mal unter ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Weil dann die Gefahr nicht so groß war, dass er eventuell hochging?
[Werner Haase:]
Ja, ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Dann konnte das dann in solchen Ausnahmefällen ...
[Werner Haase:]
Ausnahmefällen auch mal geschehen ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... auch mal im Demokratischen Sektor von Berlin oder in der Deutschen Demokratischen Republik geschehen?
[Werner Haase:]
Dann konnte es mal geschehen, unter Umständen geschah es ohne ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Aber Grundsatz war, damit der ansprach ...
[Werner Haase:]
... nicht gefährdet war.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... der Werber, damit der nich hochging bestellte der lediglich den Getippten und Geforschten ...
[Werner Haase:]
... nach West-Berlin.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... nach West-Berlin.
[Werner Haase:]
Ja, ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Und da erfolgte dann die eigentliche Ansprache ...
[Werner Haase:]
... die Ansprache, ob er mitmachen will oder nicht.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Die Werbung.
[Werner Haase:]
Die Werbung.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Standen die alle ihm Gehalt, im festen?
[Werner Haase:]
Im Westen?
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Bekamen alle Agenten festes Gehalt?
[Werner Haase:]
Ja, die bekamen fast durchweg ein festes Gehalt, das entweder aus den sogenannten Budgetmitteln [englisch ausgesprochen], der amerikanische Ausdruck.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Warum sprechen Sie das amerikanisch?
[Werner Haase:]
Ich hatte es zu Anfang auch so wie es sich anhört, Budget. [deutsch ausgesprochen]
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Normalerweise sagt man doch Budget [deutsch ausgesprochen].
[Werner Haase:]
... Budget [deutsch ausgesprochen] dazu, und da wurde mir gesagt, bei uns heißt es Budget [englisch ausgesprochen], weil die Geldmittel ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Weil es besser bezeichnet, wo die Mittel her fließen, ja?
[Werner Haase:]
Ja, weil beim Amerikaner ... Nein, es wurde glatt gesagt, weil beim Amerikaner abgerechnet wird, und der ist gewohnt, das Wort Budget [englisch ausgesprochen] zu bezeichnen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
"Weil beim Amerikaner abgerechnet wird, und der ist gewohnt, dieses Wort Budget [englisch ausgesprochen] auszusprechen."
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
So, also sie bekamen fast alle festes Gehalt?
[Werner Haase:]
Ja und zwar wurde das ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Waren Ausnahmen dabei?
[Werner Haase:]
Nein, es gab jeden Monat die Mittelzuweisungen, in denen dann allgemein beständig für den betreffenden Agenten immer dasselbe jedem monatlich, die monatliche Zuwendung zugewiesen wurde.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wie sorgte die Organisation Gehlen für die Sicherheit der Agenten?
[Werner Haase:]
In der Hauptsache, dass er nach Möglichkeit alleine arbeitete und keinen ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Keinen anderen.
[Werner Haase:]
... keinen anderen kennt.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Das haben Sie schon gesagt.
[Werner Haase:]
Dass er für seine Fahrten nach West-Berlin, die er unter Umständen ein oder zwei Mal im Monat ausführt, eine gute, die Spionageorganisation Gehlen in seinem Fachausdruck sagt, Legende dafür hat, das heißt also eine gute Ausrede. Verwandtenbesuch oder Einkauf von Material, das es also nur in der ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Diese Märchenthemen wurden dann also von Ihnen vermittelt, ja?
[Werner Haase:]
Die Märchenthemen wurden dann gemeinsam im Zwiegespräch ausgedacht. Der Filialleiter ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Unter welcher Legende er das nächste Mal bei ihnen erscheinen sollte.
[Werner Haase:]
Ja, ja, dass es seinen Lebensgewohnheiten entspricht.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
[unverständlich] seine Sicherheit, damit er nicht entdeckt wurde, wohin er fuhr. Weiter bitte.
[Werner Haase:]
Dann erhielt er für seinen Briefverkehr sogenannte Deckadressen in West-Berlin, an die er schrieb, und er selbst eine Geheimtinte, mit der er schrieb, sodass seine Agentenberichte erst also gefunden werden mussten, durch also eine scharfe Zensur.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Was ist die Deckadresse und was wissen Sie über die Deckadresse?
[Werner Haase:]
Die Deckadresse sind Personen in West-Berlin, die geworben werden im Allgemeinen unter der Legende, dass sie für Flüchtlinge arbeiten. Das heißt, wurde, es wurde ihnen gesagt ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Also wir sagen jetzt ständig Legende, meinen Lüge, ja?
[Werner Haase:]
... meinen Lüge.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Ihnen wurde gesagt ...
[Werner Haase:]
Ihnen wurde gesagt es handele sich um Flüchtlinge, die aus der Deutschen Demokratischen Republik nach West-Berlin beziehungsweise geflüchtet beziehungsweise nach Westdeutschland geflüchtet sind, und dass die Betreffenden noch Angehörige in der Deutschen Demokratischen Republik haben und diese Angehörigen wollten gerne mit ihnen in Verbindung bleiben, trauen sich aber nicht offiziell also nur zu schreiben an das Flüchtlingslager, Cuno-Fischer-Straße und sonst wie Lager 17b, B8, weil sie selbst dann Unannehmlichkeiten der DDR, der Deutschen Demokratischen Republik befürchteten und aus diesem Grunde sie eine Deckanschrift in West-Berlin brauchten, Herrn so und so, Berlin-Friedenau so und so diese Straße. Das würde ganz harmlos sein. Dieser Brief würde dann abgeholt werden und dem betreffenden Flüchtling persönlich übergeben werden. In dieser Art wurde die Masse der Deckadressen geworben.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Das heißt also, die Masse der Deckadressen geworben aus Flüchtlingen, ...
[Werner Haase:]
... aus ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... die nicht wussten, dass Sie für die Spionage arbeiteten?
[Werner Haase:]
Nein, das wussten sie grundsätzlich nicht.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Nicht wussten, dass Sie für die Spionage arbeiteten.
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Die glaubten, eventuell noch ein gutes Werk zu tun ...
[Werner Haase:]
Ja, ohne weiteres.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... indem sie aus der Deutschen Demokratischen Republik Geflüchtete - äh - ne, dafür sorgten ...
[Werner Haase:]
Dass sie noch mit ihren Angehörigen in Verbindung ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... die Verbindung mit ihren Angehörigen, die weiter in der Deutschen Demokratischen Republik waren - äh - haben konnten.
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Ja.
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Die Deckadressen haben also keine Ahnung davon, dass sie selbst ein Werkzeug der Spionagetätigkeit war?
[Werner Haase:]
Nein, das wusste sie nicht.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... der Gehlen-Organisation?
[Werner Haase:]
Nein, davon wussten sie nichts.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Davon wussten sie nichts?
[Werner Haase:]
Davon wussten sie nichts. Es sei denn, dass durch irgendeine Ausnahme es mal geschehen sein konnte, aber grundsätzlich wussten sie das nicht.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Es gab auch eine zentrale Deckadresse?
[Werner Haase:]
Ja, diese Deckadressen wurden ja nunmehr gesteuert von den Zentraldeckadressen. Sagen wir mal auch der Filialleiter kannte wohl namentlich die Deckadressen, aber persönlich hatte er sie nie gesehen und sie ihn auch nicht. Denn da war zwischen geschaltet eine sogenannte zentrale Deckadresse. Diese zentrale Deckadressen war sozusagen für die Flüchtlinge, für diese Deckadressen der Verbindungsmann zu dem Flüchtling und holte die Post für den Flüchtling bei der Deckadresse ab. Er war das also auch der diese Deckadressen geworben hat.
Und diese zentrale Deckadresse nun mehr war ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Dem war allerdings klar, wofür er arbeitet?
[Werner Haase:]
... oft eingeweiht, fast immer. Denn er musste ja die Deckadressen werben, er sprach mit dem Filialleiter, er kam mit ihm zusammen. Da können wir jetzt, da kann man kann jetzt sagen, in den zentrale Deckadressen wussten zu 90 Prozent Bescheid, dass es sich um eine Spionageorganisation handelt.
Vielleicht hatte dann und wann ein Filialleiter die glückliche Hand und konnte also auch noch eine zentrale Deckadresse mit dieser Legende ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Also die zentrale Deckadresse, holte die einzelnen, rief die einzelnen Deckadressen an und holte die Post ab und dann wurde von dem Filialleiter oder einem Mitarbeiter der Filiale die Post von der zentralen Deckadresse abgeholt.
[Werner Haase:]
Ja, entweder bei ihm in der Wohnung persönlich, sofern die dort bekannt war, beziehungsweise wurde das vermieden, der Filialleiter sollte ja nicht laufend durch andere Wohnung gehen, sondern an einem neutralen 0rt irgendwo, an einer dritten Stelle.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Welche Sicherheitsmaßnahmen waren weiter getroffen für die Agenten?
[Werner Haase:]
Die Agenten erhielten in West-Berlin zusätzlich noch eine Telefonnummer, die sie anrufen konnten, um notfalls über die an den Filialleiter herankommen zu können.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wenn sie unverhofft ...
[Werner Haase:]
Wenn sie überraschend und unverhofft nach Berlin kommen sollten. Im Übrigen aber ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Dann riefen sie eine Telefonnummer an?
[Werner Haase:]
Dann riefen sie also eine Telefonnummer an und ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Eine bestimmte?
[Werner Haase:]
Eine ganz bestimmte Nummer, die ihnen gegeben worden war. Und die wiederum der Filialleiter jeden Tag einmal anrief, ob irgendetwas vorläge. Dann hörte er ja unter Umständen, dass ist der und der gemeldet hat, er wäre da.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Dort meldete sich der Agent, also bei dieser Telefonnummer und sagte dann: Ich bin da und ich möchte gerne ...
[Werner Haase:]
Ja, ich will den Agenten Sowieso sprechen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Den Agenten Sowieso sprechen, ja. Und dann wurde von der Filiale angerufen und gefragt ...
[Werner Haase:]
... ob etwas vorliegt.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... ob ein Anruf erfolgt sei?
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Ja?
[Werner Haase:]
Ja, so ist es gewesen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
So wusste der Agent also selber nicht die Telefonnummer der Filiale, nich?
[Werner Haase:]
Und auch die Zen- ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Und auch der Telefonbriefkasten wusste nicht, wer angerufen hat ...
[Werner Haase:]
Wusste nicht, wer angerufen hat.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... als derjenige der zu sprechen wünscht und wusste außerdem nicht, wer angerufen hat, um ...
[Werner Haase:]
Um nachzufragen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... um nachzufragen.
[Werner Haase:]
Das war im Allgemeinen bekannt, denn die Zentra-, der Telefonbriefkasten ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Aber nicht die Telefonnummer?
[Werner Haase:]
Aber nicht die Telefonnummer, also nicht der Sitz ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Nicht der Sitz.
[Werner Haase:]
... von dem aus ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Nicht der Sitz, nicht die Telefonnummer, nur der Name.
[Werner Haase:]
Nur der Name und das Aussehen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Und das Aussehen, ja.
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Das nannte sich also Telefonbriefkasten?
[Werner Haase:]
Telefonbriefkasten, ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Schildern Sie uns nun das System der Decknamen, Decknummern und Notnummern!
[Werner Haase:]
Jeder - hm - Agent in der DDR und auch jeder Mitarbeiter der Spionageorganisation Gehlen in West-Berlin und Westdeutschland erhielt sofort einen Decknamen. Die Mitarbeiter in Westdeutschland und West-Berlin erhielten einen vollen Decknamen mit Vor- und Zunamen, der mit einem Personalausweis abgedeckt war. So war mein einer, eigener Wilhelm Heissler und daraufhin besaß auch einen Personalausweis der Bundesrepublik und zwar ausgestellt in München.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Einen falschen?
[Werner Haase:]
Nein, er war nicht falsch.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Sie hießen doch nicht Heissler.
[Werner Haase:]
Er war insofern nicht falsch, als er offiziell vom Polizeipräsidium ausgestellt war. Es war, sagen wir mal, keine Fälschung einer Abteilung der Spionageorganisation Gehlen, die ihn, sagen wir mal, mit gestohlenen Formularen hergestellt hätte.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Das war eine offizielle Zusammenarbeit mit der Polizei.
[Werner Haase:]
Das war eine offizielle Zusammenarbeit mit der Polizei. Insofern war er echt.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Keine Urkundenfälschung, sondern schriftliche Lüge, ja - mh?
[Werner Haase:]
Ja, ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Das war also die offizielle Zusammenarbeit mit der Polizei, da bekamen Sie dann über München ...
[Werner Haase:]
Über München.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... Ausweise, die auf den Decknamen lauteten ...
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... offizielle, vom Polizeipräsidium ausgestellte, ausgefertigte Ausweise, die auf einen Decknamen lauteten.
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Mh.
[Werner Haase:]
Die Agenten in der Deutschen Demokratischen Republik bekamen derartige Ausweise meines Wissens nach nicht. Sie erhielten nur einen Decknamen, der im internen Verkehr zwischen Agenten und Filiale und Untervertretung gebraucht wurden, mit denen sie, jedenfalls bei den Filialen D und A, in denen ich gearbeitet habe, auch ihre Quittungen unterschrieben über empfangenen Gelder und für andere Sachen für die sie Unterschriften leisten mussten diesen Decknamen benutzten. Sie wurden auch grundsätzlich in Lokalen und bei Treffs nur mit dem Decknamen angesprochen.
Der Klarname - hm - wurde niemals benutzt und er erschien im Allgemeinen auch nicht in den Akten, sondern nur ihre sogenannte V-Nummer, Vertrauensnummer, und der Deckname.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wurde den Angeklagten auch diese V- oder Decknummer mitgeteilt?
[Werner Haase:]
Diese V-Nummer oder Decknummer sollten die Angeklagten im Allgemeinen nicht wissen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Sollten sie nicht wissen?
[Werner Haase:]
Nein, sie sollten sie nicht wissen. Sie sollten auch gar nicht wissen, dass so etwas überhaupt existiert. Einige Agenten ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Das war lediglich für den Schriftverkehr?
[Werner Haase:]
Das war lediglich für den Schriftverkehr von der Filiale an nach oben.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Von der Filiale an nach oben.
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Und von der Filiale abwärts wurde mit Decknamen gearbeitet?
[Werner Haase:]
Da wurde mit Decknamen gearbeitet.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Und - äh - die Agenten bekamen doch aber eine Nummer, normalerweise. Was war das für eine Nummer? Die ihnen offiziell mitgeteilt wurde?
[Werner Haase:]
Das las ich aus der Anklageschrift bei einigen anderen Filialen. Mir war das völlig neu. Darüber kann ich nicht ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Das System der Notnummer ist Ihnen nicht bekannt?
[Werner Haase:]
Die Notnummer, selbstverständlich. Das wurde bei uns nur an die hauptamtlichen Mitarbeiter ausgegeben.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Die Notnummer?
[Werner Haase:]
Nur die, die Notnummer.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Ging nur an die hauptamtlichen Mitarbeiter?
[Werner Haase:]
Nur an die hauptamtlichen Mitarbeiter.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Und hatte welchen Zweck?
[Werner Haase:]
Es war der Schutz, der ja illegal arbeitenden Spionage-Organisationen gegenüber von Verhaftungen und damit - äh - der Möglichkeit einer Enttarnung durch Polizeidienststellen West-Berlins und Westdeutschlands.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Mh.
[Werner Haase:]
Wir brauchten dann nicht unseren Namen zu nennen, unsere Wohnung, unsere Anschrift, sondern verlangten, dem CIC vorgeführt zu werden und gaben dort dem Offizier des CIC unsere Notnummer und unseren Namen. Und er verglich dann in seinen Unterlagen, ob das beides den Tatsachen entspräche, und lies uns dann frei. Und etwa vorhandene Unterlagen bei Polizeidienststellen schon, also Wachtmeister eingeschrieben hatte: "Unbekannte Person vorläufig festgenommen, dem Reviervorsteher überbracht" oder so, wurden eingezogen und vernichtet, so dass also über diesen Vorgang ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Von wem?
[Werner Haase:]
Von dem amerikanischen Verbindungsoffizier, der ging anschließend zum Polizeirevier und forschte noch nach Unterlagen über diese Festnahme und vernich-, ließ sie vernichten.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Das war also Ihre Notnummer, dass Sie also ...
[Werner Haase:]
Vor jeder Enttarnung.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... vor der Verhaftung und der Enttarnung schützte.
[Werner Haase:]
Vor der Verhaftung, ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Dass Sie im Falle einer Festnahme oder Wohnungsdurchsuchung oder dergleichen verlangten, dass ein Offizier des amerikanischen Geheimdienstes zugezogen würde oder Sie ihm vorgeführt würden.
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Dem sagten Sie Ihre Notnummer, er hatte seine Unterlagen und stellte fest: Notnummer, Name da ist es, da stehts.
[Werner Haase:]
Da steht 's, freilassen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Also Anweisung.
[Werner Haase:]
Anweisung. Hände weg.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Frei lassen.
[Werner Haase:]
Hände weg.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... und Unterlagen, die vorhanden sind, vernichten.
[Werner Haase:]
Vernichten.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Weg.
[Werner Haase:]
Ja
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Das war das System der Notnummer.
[Werner Haase:]
Das war das System der Notnummer.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Mh.
[Werner Haase:]
In dieser Hinsicht wurden also unsere Agenten, die in der Deutschen Demokratischen Republik angesetzt waren und dort wohnten mit Notnummern nicht ausgestattet. Sofern sie zu einem Treff nach West-Berlin kommen, war ja immer entsprechend der Filialleiter da oder sein Stellvertreter, der ja über eine Notnummer verfügte und dann den betreffenden Agenten mit loseisen musste.
[Generalstaatsanwalt Dr. Ernst Melsheimer:]
Stimmt nicht.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wie?
[Generalstaatsanwalt Dr. Ernst Melsheimer:]
Stimmt nicht. Die anderen Angeklagten werden was ganz anderes sagen. Schmidt und Rennert hatten auch Notnummern [unverständlich].
[Werner Haase:]
Ja, ich habe das aus der Anklagevertretung gesehen, Herr Oberstaatsanwalt, [unverständlich].
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wir werden dazu die anderen Angeklagten hören. Sie sagen jedenfalls, dass diese Nummern nur ausgegeben worden sind an die hauptamtlichen Mitarbeiter ...
[Werner Haase:]
Ja, ja, ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... der Organisation Gehlen.
[Werner Haase:]
Ja, ja ich weiß zum Beispiel bei unserer Filiale 120D hat dessen Filialleiter Schuster versucht für die zentrale Deckadresse Wiesel, in der sehr viele Ausweise und so weiter für Flüchtlinge besorgte und dort für ihn die Gefahr bestand das er verhaftet mal würde, wenn er sich in den Flüchtlingslagern zu viel rumtreibt und hatte für ihn eine Notnummer beantragt.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Was für Ausweise besorgte er für die Flüchtlinge?
[Werner Haase:]
Äh - alle in der Deutschen Demokratischen Republik irgendwie vorhandenen und gültigen Ausweise, der Personalausweis, Mitgliedsbücher ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Was für Mitgliedsbücher?
[Werner Haase:]
Der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, der andern Massenorganisationen, FDGB.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Diese Unterlagen ...
[Werner Haase:]
Diese Unterlagen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... FDGB, SED-Mitgliedsbücher.
[Werner Haase:]
Auch über die anderen Parteien.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... Nationalparteien, Mitgliedsbücher ...
[Werner Haase:]
CDU, Mitgliedsbücher und zwar war der Sinn und Zweck ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Die wurden bei Ihnen hergestellt?
[Werner Haase:]
Die wurden dann in einer Fälscher-Zentrale der Spionageorganisation Westdeutschland - äh - in Massenfabrikation, wenn ich mich mal so ausdrücken darf, hergestellt, um - äh - damit Agenten auszustatten ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Die Unterlagen dazu lieferten auch die Filialen, ...
[Werner Haase:]
Die Unterlagen dazu ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... die Fotokopien ...
[Werner Haase:]
Fotokopien ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... vornahmen, nicht?
[Werner Haase:]
... lieferten dazu ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Dokumenten.
[Werner Haase:]
... lieferten dazu die Filialen. Und da wollte ich in dieser Hinsicht also sagen dieser Wiesel arbeitet hauptsächlich darin und deswegen wollte der Schuster für ihn eine Decknummer, eine Notnummer beantragen. Das wurde ihm, trotzdem er in West-Berlin ist, nicht genehmigt.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Agenten, die in der Deutschen Demokratischen Republik wohnten, bekamen doch auch Ausweise? Oder nicht? Auch Ausweise auf Decknamen?
[Werner Haase:]
Davon hab ich noch nicht vorher gehört.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Darüber wissen Sie nichts?
[Werner Haase:]
Nein, darüber weiß ich nichts.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wissen Sie davon etwas, dass diese Agenten, aber wenn sie zu Schulungen nach West-Berlin kamen, Ausweise bekamen?
[Werner Haase:]
Nein, darüber weiß ich auch nicht Bescheid. Wir hatten selbst in der Filiale 120 A ja einen, der zur Schulung nach West-Berlin kam als Funker, aber dass er einen Ausweis besaß, ist mir nicht bekannt und ich habe auch in den Akten darüber nichts finden können.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Ne gültige Aufenthaltsgenehmigung?
[Werner Haase:]
Er blieb ja immer bloß zwei oder drei Tage.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Mh - blieb immer nur zwei oder drei Tage?
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Sie sagten, zur Sicherheit der Agenten sind auch Geheimtinten verwendet worden?
[Werner Haase:]
Jawohl.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wer gab die aus?
[Werner Haase:]
Die Geheimtinte kamen von der, meines Wissens zu mindestens, von der BV herunter. Also es muss aber noch eine Stelle über der BV gewesen sein, die deratige Sachen herstellte, denn auch von der BV wurden sie noch angefordert.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Ausgegeben an die Agenten wurde sie von wem?
[Werner Haase:]
Ausgegeben an die Agenten wurden sie von den Filialen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Von den Filialen.
[Werner Haase:]
Von den Filialen direkt, die gingen also runter bis in die Filialen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wie wurden diese, wie wurden diese Tinten verwendet?
[Werner Haase:]
Wir selbst bei den Filialen 120 A und 120 D arbeiteten mit den sogenannten Brenntinten. Das heißt, das ist an und für sich also eine sehr leicht herzustellende Schrift, für die ein besonderes Geheimverfahren und eine chemisches Labor dazu also nicht erforderlich ist.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Um die Schrift hervorzurufen?
[Werner Haase:]
Um sie herzustellen und auch hervorzurufen. Es wurde nichts weiter gemacht, als dass Alaun oder Kochsalz in Wasser gelöst wird, und mit dieser Kochsalz- oder Alaunlösung wurde bereits geschrieben.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wie wurde damit geschrieben?
[Werner Haase:]
Und zwar im Allgemeinen, also man konnte mit der Feder schreiben, das wurde vermieden, sondern mit einem Pinsel, um also Kratzspuren auf dem Papier zu vermeiden, weil das unter Umständen bei einer Zensur festgestellt werden konnte. Da müsste ja Schrift sein anhand der Kratzspuren, trotzdem da also nichts steht.
Diese Schrift trocknete ja ein, das Wasser verdunstete und es blieb also nur das Kochsalz oder das Alaun in dem Papier zurück.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Dankeschön. Die sind also auch zahlreich von den Agenten verwendet worden?
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Sind weitere Mittel den Agenten zur Verfügung gestellt worden?
[Werner Haase:]
Ja. Es existierte bei mir ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Als Hilfe?
[Werner Haase:]
... eine Akte noch und zwar über ein Geheimverfahren Heidelberg. Und das ist also eine präparierte Sache, die also oben, in einer höheren gesonderten Dienststelle extra von einem chemischen Labor hergestellt worden ist. Es handelt sich um ein chemisch zubereitetes Körperpuder, das aber nach wie vor als Körperpuder verwandt werden kann. Das steht ausdrücklich drin, so dass ....
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wenn man das Papier damit präpariert und dem Agenten übergeben und er fertigt damit seien Berichte an, die für den Laien nicht feststellbar sind, ja?
[Werner Haase:]
... nicht feststellbar sind.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Welche besonderen Sicherheitsmaßnahmen wurden, mindestens im verstärkten Maße nach dem 17. Juni angeordnet?
[Werner Haase:]
Die Anlage der - äh - sogenannten toten Briefkästen wurde verstärkt betrieben.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Schildern Sie uns das Verfahren mit den toten Briefkästen! Wie sah der aus?
[Werner Haase:]
Ein toter Briefkasten ist ein Ort, an dem ein Agent seine Meldung niederlegt und an dem sie von einem anderen, einem Kurier genannten Agenten, abgeholt wird.
[Gespräche im Hintergrund]
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Und beide kennen sich nicht?
[Werner Haase:]
Beide kennen sich nicht, das war der Sinn und Zweck.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Was ist das für ein Ort? Wie soll der ausgewählt werden?
[Werner Haase:]
Der Ort sollte so ausgewählt werden, dass beide Agenten, der Agent, der die Spionageberichte machte und der Kurier, ihn anlaufen können, ohne gefährdet zu sein, an einen nicht besonders auffälligen Ort, der unter Umständen etwas abgelegen ist. Es konnte ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Welche Empfehlungen wurden dafür gegeben?
[Werner Haase:]
Es konnten Hausruinen sein, Papierkörben, in Parkanlagen unterm Papierkorb. Es konnte auch - äh - an einen Regenrinne hinter gesteckt, vielleicht ein Signalmast, dort irgendwie im Erdreich, wo es irgendwie locker ist. In einem Türspalt oder Hausspalt, hinter einem Schild, wo es vielleicht noch hinter zu schieben geht.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Friedhof.
[Werner Haase:]
Friedhof, las ich auch, jawohl.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wissen Sie es nicht?
[Werner Haase:]
Nein, das haben wir bei uns nicht benutzt. Das las ich hier in der Anklageschrift von einem [unverständlich].
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Sie haben es nicht benutzt?
[Werner Haase:]
Nein.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Haben die Empfehlungen auch nicht gegeben?
[Werner Haase:]
Nein, das kam bei uns ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wir werden uns mit anderen darüber unterhalten. Also Orte, die betreten werden konnten ohne dass es besonders auffiel.
[Werner Haase:]
Ohne dass es besonders auffiel.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Ja. Und wie funktionierte das mit den toten Briefkasten?
[Werner Haase:]
Und zwar ist das jetzt Folgendes: Der betreffende Agent ...
[Gespräch im Hintergrund]
[Werner Haase:]
... sollte diesen toten Briefkasten, bei unseren Filialen war es zu mindestens so, erst benutzen, wenn jede Postverbindung und persönliche Verbindung unmöglich gemacht wird, also er auch nicht mehr nach West-Berlin fahren kann und nicht mehr schreiben kann. Dann hätte er aber noch abwarten müssen, auf ein sogenanntes Auslösungszeichen des Kuriers, der ein vorher verabredetes Auslösungszeichen an irgendeiner Hausecke, einer Ruine, an einem Telefonkasten oder sonst wie niederlegt oder anbringt und an dem der Agent täglich auf seinem Weg zur Arbeit vorbeigeht und es überwacht, das der Agent sich selbst ausgesucht hat, den Ort. Erscheint dort das Auslösungszeichen, weiß der Agent, von nun an muss ich jetzt den Brief-, den toten Briefkasten beschicken, der Kurier ist da und unerwartet darauf, dass er dort was abholen kann. Die Uhrzeiten sind genau festgelegt.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Uhrzeiten sind festgelegt.
[Werner Haase:]
Der Weg ist festgelegt.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Die Zeichen sind festgelegt, an denen der Kurier erkennen kann, dass der Agent den Briefkasten belegt hat.
Zeichen sind festgelegt aus denen erkennbar ist für den Agenten, das der Kurier den Briefkasten angelaufen hat und entleert hat, ja?
[Werner Haase:]
Ja. So ist es das damit auf keinem Fall ein Treffen zwischen Agent und Kurier möglich ist, deswegen sind die Uhrzeiten und die Wege genau festgelegt, dass sie sich nicht begegnen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Anlaufwege für den Agenten und der Anlaufweg für den Kurier genau festgelegt.
[Werner Haase:]
Damit sie sich nicht begegnen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Die Uhrzeit ist genau festgelegt. Sie sollen sich nicht kennen.
[Werner Haase:]
Sie sollen sich nicht kennen und etwa begegnen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Mh. Und - äh - wann sollten diese toten Briefkästen in Funktion treten?
[Werner Haase:]
Die sollten in Funktion treten, wenn eine postalische Verbindung nicht mehr möglich ist oder auch ein persönliches Erscheinen in West-Berlin nicht mehr möglich ist. Dann sollten diese toten Briefkästen über Kuriere benutzt werden.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Mh. Und insbesondere für welchen Fall?
[Werner Haase:]
Insbesondere für den sogenannten E-Fall, Ernstfall, also für den Kriegsfall.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
E-Fall, Ernstfall, Kriegsfall, überall stehen Gleichheitszeichen zwischen, ja?
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Dafür sollten Sie insbesondere dann benutzt werden. Welche anderen Maßnahmen waren dafür vorgesehen?
[Werner Haase:]
Dafür war weiter vorgesehen die Schaffung von sogenannten Funklinien.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Funklinien?
[Werner Haase:]
Funklinien. Und zwar ...
[Gespräche im Hintergrund]
[Werner Haase:]
... sollten in der Deutschen Demokratischen Republik Agenten geworben werden, beziehungsweise schon vorhandene Agenten daraufhin angesprochen werden, ob sie als Funker tätig sein wollen.
[Gespräche im Hintergrund]
[vorsitzender Richter Walter Ziegler zu jemandem im Hintergrund:]
Können Sie ihre Arbeit nicht etwas störungsfreier einrichten hier?
[unbekannte Stimme:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Bitte fahren Sie fort.
[Werner Haase:]
Jetzt bin ich, Augenblick.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Also diese Funklinien ...
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... sollten, bei den Funklinien waren wir, ja. Diese Funklinien sollten eingerichtet werden für den E-Fall?
[Werner Haase:]
Für den E-Fall, um notfalls auch über diesen Wege eine Meldungsübermittlung der Agentenberichte nach Westdeutschland beziehungsweise. West-Berlin zu ermöglichen. Und zwar sollten dann die entsprechenden Funker in der Deutschen Demokratischen Republik nicht selbst Agenten sein, die also Berichte sammeln, sondern sollten nur wiederum über sogenannte tote Briefkästen Berichte anderer Agenten erhalten, sie auswerten, zu einer Meldungen zusammenstellen und verschlüsselt senden.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Also diese Funkstellen kriegten durch einen Kurier Post.
[Werner Haase:]
Post über toten Briefkasten. Ja, genau.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Über toten Briefkasten oder eben von mehreren Agenten über mehrere toten Briefkästen durch einen Kurier?
[Werner Haase:]
Durch einen Kurier, der von mehreren Agenten absammelte ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Aus diesen Berichten, die sie da kriegten, sollten dann die Berichte zusammengestellt werden und durch Funk übermittelt werden?
[Werner Haase:]
Und durch Funk übermittelt werden, ja. Das heißt also, im Laufe der Zeit musste entweder der betreffende Funker besonders gut geschult sein, es musste bald schon also ein Filialleiter sein. Oder aber er bekam ein ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wie sagten sie eben: "Er musste besonders gut geschult sein und musste beinahe schon ein Filialleiter sein"?
[Werner Haase:]
... ein Filialleiter sein, denn er musste die einlaufenden Agentenberichte, ja sozusagen, redigieren und funkreif machen, Unwichtiges weglassen, Wichtiges besonders betonen. Das heißt wenn er nur normale Funkausbildung hat, dann wäre er dazu nicht in der Lage und hätte die Agentenberichte so weitergeben müssen wie er sie bekommt.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Und für die Durchführung dieser Aufgaben wurden ja die Agenten in West-Berlin geschult.
[Werner Haase:]
Dazu wurden sie dann extra geschult, beziehungsweise sollte so einem Funker unter Umständen ein besonders guter Agent vorgesetzt werden, der dann diese Aufgabe übernahm und der Funker dann wirklich nur, nur funkte. Diese Möglichkeit - äh - bestand auch und war auch vorgesehen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Dass ein Agent ein anderer guter, gut ausgebildete Agent die Aufgabe übernahm den Funkbericht zusammenzustellen und der Funker dann lediglich die technische Durchgabe erledigte.
[Werner Haase:]
Nur die technische Durchgabe, diese zweite Möglichkeit besteht auch.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Hatten Sie solche Telefonver-, - äh - Funkverbindung eingerichtet?
[Werner Haase:]
Nein.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Bestanden die?
[Werner Haase:]
Nein, bestanden noch nicht.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Haben Sie solche Apparate gehabt?
[Werner Haase:]
Nein, auch noch nicht.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
In der Filiale?
[Werner Haase:]
Nein, auch noch nicht.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Sind sie Ihnen bekannt?
[Werner Haase:]
Nein, auch noch nicht. Die sehe ich jetzt zum ersten Mal.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Sehen Sie zum ersten Mal?
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Mh. Welche weitere - mh - Maßnahme war vorgesehen für den E-Fall, Ernstfall, Kriegsfall?
[Werner Haase:]
Dann war vorgesehen - äh - das Verlegen von sogenannten Drahtschleusen, das heißt also geheime Telefonverbindungen, entweder von West-Berlin in den demokratischen Sektor oder von Westdeutschland in die Deutsche Demokratische Republik hinüber, um auf, als Telefonleitung, um auf einer Telefonleitung die Nachrichtenübermittlungen sicherzustellen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Nun, wohin sollten diese Funkver-, diese, diese Telefonverbindungen gehen? Da waren doch auch bestimmte Vorsichtsmaßnahmen getroffen, nich?
[Werner Haase:]
Auch dort diese Gegenstellen wiederum, vor allen Dingen die Gegenstelle im demokratischen Sektor Berlins oder in der Demokratischen Republik waren wiederum nur an Kuriere angeschlossen, die die Agentenberichte von toten Briefkästen einsammelten und geschlossen, sagen wir mal, wieder in einen toten Briefkasten gaben, von denen dann die Gegenstelle der Drahtschleuse, der Telefonverbindung sie abholte und dann telefonisch durchgab an die Gegenstelle in West-Berlin oder in Westzonen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Ist Ihnen noch etwas darüber bekannt, wer besonders ausgewählt wurde für die Ausübung der Funktion eines Funkers?
[Werner Haase:]
Ja, da wurden mit Vorliebe ehemalige Funker aus der faschistischen Wehrmacht genommen, da ihre Ausbildung einfacher war, wenn die zur Verfügung standen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Funker der früheren Wehrmacht.
[Werner Haase:]
Denn sie hatten ja schon eine Ausbildung. Und das ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Und die sogenannten Luftnachrichtenhelferinnen, ja?
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Auch? Nein?
[Werner Haase:]
Das hörte ich jetzt aus der ... Das war mir nicht bekannt.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wissen sie nicht, aber sie wissen, dass ehemalige ...
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
... Funker, Wehrmachtsfunker dafür besonders bevorzugt wurden?
[Werner Haase:]
Ja, ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Ist noch Ihnen ein Personenkreis bekannt, der besonders bevorzugt wurde?
[Werner Haase:]
Ja, in dem Augenblick, in dem sie durch ihre berufliche Tätigkeit da man das verbergen eines Funkgerätes in ihrer Wohnung gut tarnen könnten. Bastler oder ein Elektriker, der zu Hause sehr viel noch privat arbeitet oder ein Rundfunkmechaniker, der zu Haus zwei drei Rundfunkgeräte stehen hat mit denen er herum bastelt, sodass also eine Tarnung derartiger Geräte leicht möglich ist.
Die gute Legende, wenn ich mich wieder so ausdrücken darf, für die Unterbringung eines derartigen Apparates.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wie sah eine schriftliche Verpflichtung, die jeder Agent unterschreiben musste, aus? Kennen Sie die?
[Werner Haase:]
Ja, die kenne ich.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Sie haben auch eine unterschrieben, ja?
[Werner Haase:]
Ich habe auch eine unterschrieben. Sie ist mir im vollen Wortlaut im Augenblick nicht mehr bekannt.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Na ja, können sie uns etwa den Inhalt sagen?
[Werner Haase:]
Aber so ungefähr den Inhalt: Ich verpflichte mich, im Kampf gegen den Bolschewismus alles nur Erdenkliche zu tun, um der, die Gefahr dieses Bolschewismus abzuwenden und - äh - ein Gegner, ein dauernder Gegner des Bolschewismus zu sein. Ich verpflichte mich zu strengstem Stillschweigen und zum Gehorsam gegenüber den Dienststellen und verpflichte mich weiter auch nach meinem Ausscheiden über das Gehörte und Gesehene nichts auszusagen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Mh. Kommen Sie mal näher! Ist das eine solche Erklärung? Lassen Sie ruhig hier.
[Werner Haase:]
Jawohl, das ist eine.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Können Sie die sehen.
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Haben Sie das gelesen? Stimmt der Wortlaut?
[Werner Haase:]
Ja, das stimmt.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Ja?
[Werner Haase:]
Jawohl.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Stimmt?
[Werner Haase:]
Jawohl.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
"In der festen Überzeugung, dass der bolschewistischen Unterdrückung meiner Heimat nur mit entschlossenes Handeln aller anständigen Männer und Frauen begegnet werden kann, übernehme ich heute anlässlich meines endgültigen Eintritts in die Organisation folgende feierliche Verpflichtung", ja?
[Werner Haase:]
Jawohl.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Und dann kommt die "pünktlich und gewissenhaft zu arbeiten, eiserne Disziplin zu halten", daran waren Sie gewöhnt, ne?
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Das fiel Ihnen ja nicht schwer. "durch Schweigsamkeit gegenüber jeder, Mann sorgfältige Tarnung, genau überlegtes Vorgehen vor dem Gegner zu verbergen", ja?
"Alle Kenntnisse über, die mir über Person, Örtlichkeiten, Zusammenhänge, Arbeitsmethoden, Aufträge der Organisation im Laufe meiner Tätigkeit zu Teil werden, vor jedermann streng geheim halten", ja?
[Werner Haase:]
Jawohl, das wars.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
J1 Beweismappe Dokumente Filiale 120A.
[Husten]
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wieviel Gelder hatte etwa eine Filiale monatlich zur Verfügung zur Bezahlung der Agenten?
[Werner Haase:]
Das waren bei der Filialen 120A und D 2.500 bis 3.000 Mark rund, einschließlich der Gehälter für die hauptamtlichen Mitarbeiter.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Einschließlich Filialleiter?
[Werner Haase:]
Einschließlich Filialleiter, einschließlich Büromaterial und Miete für Büro, was also erforderlich ist, Deckanschriftsysteme, zentrale Deckadressen. Also die gesamten Ausgaben mussten davon beglichen werden.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Mh. Das waren 2.500 bis 3.000 Mark, standen monatlich zu Verfügung?
[Werner Haase:]
Ja.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Und wie wurde dieser Betrag abgerechnet?
[Werner Haase:]
Der wurde abgerechnet auf Kontoblättern, einzeln, für die einzelnen Agenten und ein Kontoblatt ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Ich meine nach oben?
[Werner Haase:]
Da, oben wurde er nachher mit der amerikanischen Besatzungsmacht verrechnet.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Mit der amerikanischen Besatzungsmacht verrechnet?
[Werner Haase:]
Mit der amerikanischen Besatzungsmacht verrechnet.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Woher wissen Sie das? Haben Sie selbst eine solche Verrechnungen vorgenommen?
[Werner Haase:]
Ich habe nur unten die Aufrechnung in der Filiale gemacht.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Na ja, Sie mussten doch gegenüber auch - äh äh - nach, wohin haben Sie abgerechnet?
[Werner Haase:]
Ich habe nur an die UV abgerechnet, an die Untervertretung.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
An die Untervertretung.
[Werner Haase:]
Und die Untervertretung stellte es wieder neu zusammen.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Na, Sie sagten aber eben, es wurde nach oben also an die Amerikaner abgerechnet. Woher wissen Sie das?
[Werner Haase:]
Ja, das ist mir gesagt worden, also "Seien Sie sorgfältig ...
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Von wem?
[Werner Haase:]
"...seien Sie gewissenhaft". Von Herrn Schuster und Herrn Brandner. "...sonst kriegen wir mal gehörig eins aufs Dach."
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Von Schuster und Brandner, das waren die?
[Werner Haase:]
Schuster und Brandner. Das war mein Filialleiter und mein Leiter der Untervertretung.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Untervertretung-Leiter.
[Werner Haase:]
Ja. "Seien Sie sorgfältig und..."
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Seien Sie sorgfältig und...?
[Werner Haase:]
"Seien Sie sorgfältig und wenn es 6,92 Mark ist, schreiben Sie nicht 6,95 Mark rein, sondern lassen Sie es bei 6,92 Mark."
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Denn?
[Werner Haase:]
Denn es wird oben genau kontrolliert und da ist der Amerikaner sehr gewissenhaft.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Da ist der Amerikaner sehr gewissenhaft?
[Werner Haase:]
Sehr gewissenhaft und will über jeden Pfennig Aufschluss haben.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Wissen Sie noch aus einer anderen Bemerkung, dass dieses Geld bei den Amerikanern abgerechnet wurde?
[Werner Haase:]
Ja und zwar ab September wurden unseren Geldmittel erheblich gestrichen und - äh - zusammengestrichen und wir bekamen verhältnismäßig wenig, gegenüber den anderen Monaten. Und da wurde ausdrücklich in einer schriftlichen Anweisung gesagt, dass also die amerikanischen Geldmittel gestrichen worden sind oder zusammengestrichen, nicht gestrichen, sondern also verkleinert worden sind.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Teilweise gestrichen worden sind.
[Werner Haase:]
Teilweise gestrichen worden sind und dass die Bundesregierung mit einspringen soll und dass sie das natürlich mit ihren verhältnismäßig schwachen Geldmitteln nicht kann, so dass also eine Einschränkung in den finanziellen Mitteln erforderlich ist. Dass es aber bisher größtenteils gelungen war, es also auf höherer Ebene einzusparen, so dass die Filialen vor allem für ihre Agenten an Einsparungen noch nicht durch zu machen brauchten.
[vorsitzender Richter Walter Ziegler:]
Noch nicht erforderlich war.
Als Abwehr wurden alle geheimpolizeilichen Aktivitäten zur Sicherung der politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Stabilität der DDR und des kommunistischen Bündnissystems bezeichnet, die nach dem Verständnis des MfS durch feindliche Angriffe gefährdet waren. Maßnahmen zur Bekämpfung westlicher Spionage und politischer Opposition galten somit ebenso als Abwehr wie etwa die Sicherung von Produktivität und Anlagensicherheit in den Betrieben sowie die Verhinderung von Republikflucht und Ausreisen. Demgemäß waren die meisten operativen Arbeitsbereiche des MfS ganz überwiegend mit Abwehr befasst.
Entführungen, also Verschleppungen im Sinne des Strafrechts (in den Akten auch Überführung ), waren bis in die 70er Jahre elementare Bestandteile in der Strategie und Taktik der DDR-Geheimpolizei.
In dem 1969 von der Juristischen Hochschule des MfS erarbeiteten "Wörterbuch der politisch-operativen Arbeit" wird das Delikt einer Entführung als "Erscheinungsform von Terrorverbrechen" definiert. "Sie ist das Verbringen von Menschen gegen ihren Willen unter Anwendung spezifischer Mittel und Methoden (Gewalt, Drohung, Täuschung, Narkotika, Rauschmittel u. a.) von ihrem ursprünglichen Aufenthaltsort in andere Orte, Staaten oder Gebiete." Unbeabsichtigt erfasst diese Definition exakt auch die Entführungen, die das MfS "im Operationsgebiet" verübt hat.
Entführungen entsprachen den Traditionen und Praktiken der sowjetischen "Tschekisten". Nicht zufällig haben Instrukteure und Agenten der KGB-Dependance in Ostberlin bis Mitte der 50er Jahre auch bei Entführungen aus Westberlin und Westdeutschland mit dem MfS eng kooperiert. Entführungen wurden in der Verantwortung jedes der drei Minister für Staatssicherheit durchgeführt, die die DDR unter der Diktatur der SED hatte. Weder Zaisser noch Mielke setzten sie allerdings so planmäßig und aggressiv ein wie Wollweber. Unter seiner Ägide fanden die meisten Entführungen statt – wenn auch unter Mielkes verantwortlicher Mitwirkung.
Die Zuständigkeit für Entführungsaktionen im Apparat der Staatssicherheit ist anhand interner Direktiven, Befehle und Maßnahmenpläne genau bestimmbar. Erstens waren sie stets Chefsache. Der Minister war jeweils in die Pläne zur Vorbereitung und Durchführung einer Verschleppung eingebunden. Die letzte Entscheidung lag bei ihm. Unmittelbar mit Entführungen befasst waren im MfS zweitens die Leiter verschiedener Hauptabteilungen, in deren Diensteinheiten operative Vorgänge zu entsprechenden Zielpersonen bearbeitet wurden. Das konnte die für Spionageabwehr zuständige Hauptabteilung II sein oder die seinerzeitige Hauptabteilung V (seit 1964 Hauptabteilung XX), der u. a. die Bekämpfung "politischer Untergrundarbeit" zugewiesen war. Überläufer aus den bewaffneten Organen wurden von Diensteinheiten der Hauptabteilung I – der sog. Militärabwehr – operativ bearbeitet. Sie alle verfügten zum Zweck grenzüberschreitender Aktionen über geeignete IM und spezielle Einsatzgruppen. Flankierende Hilfsdienste hatten die Hauptabteilung VIII zu leisten, die für Operative Ermittlungen und Festnahmen zuständig war, sowie die für Spionage und aktive Maßnahmen zuständige Hauptverwaltung A.
Die Gesamtzahl der vom MfS versuchten und vollendeten Entführungen ist nach empirischen Untersuchungen, die für die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit" durchgeführt wurden, auf maximal 700 zu veranschlagen. Die Historikerin Susanne Muhle beziffert sie für die Zeit zwischen 1950 und Mitte der 60er Jahre auf 400 bis 500. Exakte Angaben sind infolge der streng konspirativ abgeschirmten Vorgehensweise des MfS bei Entführungsaktionen nicht möglich. Sie sind im Grunde genommen auch irrelevant. Entscheidend ist, dass Entführungen im Apparat des MfS institutionell verankert waren.
Ganz im Sinne der MfS-spezifischen Definition sind generell drei taktische, manchmal kombinierte Entführungsvarianten zu unterscheiden: Verschleppungen unter Anwendung physischer Gewalt; Verschleppungen unter Anwendung von Betäubungsmitteln sowie Entführungen vermittelst arglistiger Täuschung.
Die Zielgruppen MfS-getätigter Entführungen lassen sich wie folgt umreißen: hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeiter des MfS, die zu "Verrätern" geworden und "zum Klassenfeind übergelaufen" waren; Mitarbeiter westlicher Nachrichtendienste; Mitarbeiter der Ostbüros von SPD, CDU, LDP und DGB sowie der KgU und des UFJ in Westberlin; Überläufer aus der Volkspolizei und der Nationalen Volksarmee; abtrünnige Genossen aus den Reihen der SED; regimekritische Journalisten und westliche Fluchthelfer speziell nach dem 13. August 1961.
Während MfS-extern Entführungen strengster Geheimhaltung unterlagen, wurden sie in den 50er Jahren MfS-intern in Befehlen bekannt gegeben, soweit es sich um "zurückgeholte" Überläufer gehandelt hatte. Potenzielle Nachahmer sollten abgeschreckt werden. Zum Beispiel hieß es in dem Stasi-Befehl 134/55 vom 7. Mai 1955, mit dem intern die Hinrichtung zweier "Verräter" zur Kenntnis gebracht wurde:"Wer aus unseren Reihen Verrat an der Partei, an der Arbeiterklasse und an der Sache des Sozialismus übt, hat die strengste Strafe verdient. Die Macht der Arbeiterklasse ist so groß und reicht so weit, dass jeder Verräter zurückgeholt wird oder ihn in seinem vermeintlich sicheren Versteck die gerechte Strafe ereilt." "Strengste Strafe" hieß unter Umständen Todesstrafe. In mindestens 20 Fällen ist sie gegen Entführungsopfer verhängt und vollstreckt worden. Zumeist wurden langjährige Freiheitsstrafen ausgesprochen. Nicht wenige Entführungsopfer sind in der Haft verstorben – in Einzelfällen durch Suizid.
Entführungen, also Verschleppungen im Sinne des Strafrechts (in den Akten auch Überführung ), waren bis in die 70er Jahre elementare Bestandteile in der Strategie und Taktik der DDR-Geheimpolizei.
In dem 1969 von der Juristischen Hochschule des MfS erarbeiteten "Wörterbuch der politisch-operativen Arbeit" wird das Delikt einer Entführung als "Erscheinungsform von Terrorverbrechen" definiert. "Sie ist das Verbringen von Menschen gegen ihren Willen unter Anwendung spezifischer Mittel und Methoden (Gewalt, Drohung, Täuschung, Narkotika, Rauschmittel u. a.) von ihrem ursprünglichen Aufenthaltsort in andere Orte, Staaten oder Gebiete." Unbeabsichtigt erfasst diese Definition exakt auch die Entführungen, die das MfS "im Operationsgebiet" verübt hat.
Entführungen entsprachen den Traditionen und Praktiken der sowjetischen "Tschekisten". Nicht zufällig haben Instrukteure und Agenten der KGB-Dependance in Ostberlin bis Mitte der 50er Jahre auch bei Entführungen aus Westberlin und Westdeutschland mit dem MfS eng kooperiert. Entführungen wurden in der Verantwortung jedes der drei Minister für Staatssicherheit durchgeführt, die die DDR unter der Diktatur der SED hatte. Weder Zaisser noch Mielke setzten sie allerdings so planmäßig und aggressiv ein wie Wollweber. Unter seiner Ägide fanden die meisten Entführungen statt – wenn auch unter Mielkes verantwortlicher Mitwirkung.
Die Zuständigkeit für Entführungsaktionen im Apparat der Staatssicherheit ist anhand interner Direktiven, Befehle und Maßnahmenpläne genau bestimmbar. Erstens waren sie stets Chefsache. Der Minister war jeweils in die Pläne zur Vorbereitung und Durchführung einer Verschleppung eingebunden. Die letzte Entscheidung lag bei ihm. Unmittelbar mit Entführungen befasst waren im MfS zweitens die Leiter verschiedener Hauptabteilungen, in deren Diensteinheiten operative Vorgänge zu entsprechenden Zielpersonen bearbeitet wurden. Das konnte die für Spionageabwehr zuständige Hauptabteilung II sein oder die seinerzeitige Hauptabteilung V (seit 1964 Hauptabteilung XX), der u. a. die Bekämpfung "politischer Untergrundarbeit" zugewiesen war. Überläufer aus den bewaffneten Organen wurden von Diensteinheiten der Hauptabteilung I – der sog. Militärabwehr – operativ bearbeitet. Sie alle verfügten zum Zweck grenzüberschreitender Aktionen über geeignete IM und spezielle Einsatzgruppen. Flankierende Hilfsdienste hatten die Hauptabteilung VIII zu leisten, die für Operative Ermittlungen und Festnahmen zuständig war, sowie die für Spionage und aktive Maßnahmen zuständige Hauptverwaltung A.
Die Gesamtzahl der vom MfS versuchten und vollendeten Entführungen ist nach empirischen Untersuchungen, die für die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit" durchgeführt wurden, auf maximal 700 zu veranschlagen. Die Historikerin Susanne Muhle beziffert sie für die Zeit zwischen 1950 und Mitte der 60er Jahre auf 400 bis 500. Exakte Angaben sind infolge der streng konspirativ abgeschirmten Vorgehensweise des MfS bei Entführungsaktionen nicht möglich. Sie sind im Grunde genommen auch irrelevant. Entscheidend ist, dass Entführungen im Apparat des MfS institutionell verankert waren.
Ganz im Sinne der MfS-spezifischen Definition sind generell drei taktische, manchmal kombinierte Entführungsvarianten zu unterscheiden: Verschleppungen unter Anwendung physischer Gewalt; Verschleppungen unter Anwendung von Betäubungsmitteln sowie Entführungen vermittelst arglistiger Täuschung.
Die Zielgruppen MfS-getätigter Entführungen lassen sich wie folgt umreißen: hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeiter des MfS, die zu "Verrätern" geworden und "zum Klassenfeind übergelaufen" waren; Mitarbeiter westlicher Nachrichtendienste; Mitarbeiter der Ostbüros von SPD, CDU, LDP und DGB sowie der KgU und des UFJ in Westberlin; Überläufer aus der Volkspolizei und der Nationalen Volksarmee; abtrünnige Genossen aus den Reihen der SED; regimekritische Journalisten und westliche Fluchthelfer speziell nach dem 13. August 1961.
Während MfS-extern Entführungen strengster Geheimhaltung unterlagen, wurden sie in den 50er Jahren MfS-intern in Befehlen bekannt gegeben, soweit es sich um "zurückgeholte" Überläufer gehandelt hatte. Potenzielle Nachahmer sollten abgeschreckt werden. Zum Beispiel hieß es in dem Stasi-Befehl 134/55 vom 7. Mai 1955, mit dem intern die Hinrichtung zweier "Verräter" zur Kenntnis gebracht wurde:"Wer aus unseren Reihen Verrat an der Partei, an der Arbeiterklasse und an der Sache des Sozialismus übt, hat die strengste Strafe verdient. Die Macht der Arbeiterklasse ist so groß und reicht so weit, dass jeder Verräter zurückgeholt wird oder ihn in seinem vermeintlich sicheren Versteck die gerechte Strafe ereilt." "Strengste Strafe" hieß unter Umständen Todesstrafe. In mindestens 20 Fällen ist sie gegen Entführungsopfer verhängt und vollstreckt worden. Zumeist wurden langjährige Freiheitsstrafen ausgesprochen. Nicht wenige Entführungsopfer sind in der Haft verstorben – in Einzelfällen durch Suizid.
Das MfS hat als ein Instrument der DDR, insbesondere der SED-Führung, die politischen Interessen des Staates inoffiziell in der Bundesrepublik Deutschland unterstützt. Die Westarbeit des MfS bestand aus Spionageaktivitäten, also der nachrichtendienstlichen Beschaffung von Informationen, Patenten, Verfahren und Mustern durch das MfS.
Die Bezeichnungen Westarbeit und Spionage meinen in diesem Kontext das, was beim MfS mit "operative Arbeit im und nach dem Operationsgebiet" bezeichnet wird. Im engeren Sinne also die Arbeit mit Inoffiziellen Mitarbeitern im "Operationsgebiet", bei dem es sich überwiegend um die Bundesrepublik Deutschland und Westberlin handelte, aber auch die in der NATO und der Europäischen Gemeinschaft verbundenen Staaten einschloss.
Im weiteren Sinne fallen darunter auch die Funkaufklärung und der Einsatz von Offizieren im besonderen Einsatz in Botschaften, Konsulaten usw. Erfolgte diese operative Arbeit bis Anfang der 70er Jahre wesentlich "illegal", ergaben sich mit der zunehmenden Anerkennung der DDR auch verstärkt "legale" Zugänge über die Einrichtung von Botschaften, von denen aus das MfS mit "legal abgedeckten Residenturen" arbeiten konnte.
Für die Beschaffung von wissenschaftlich-technischen, politischen und militärischen Informationen war vor allem die Hauptverwaltung A zuständig, aber nahezu gleichrangig zahlreiche Abwehrdiensteinheiten des MfS. Die Hauptabteilung I, in der DDR für die Absicherung des Militärkomplexes verantwortlich, erkundete auch die Bundeswehr, den Bundesgrenzschutz, den Zollgrenzdienst, die Bayerische Grenzpolizei und diverse Einrichtungen der NATO.
Die Hauptabteilung II, mit der "offensiven Abwehr" ausländischer Nachrichtendienste in der DDR befasst, arbeitete zeitweise auch gegen den Bundesnachrichtendienst, das Bundesamt und die Landesämter für Verfassungsschutz sowie den Militärischen Abschirmdienst. Die Hauptabteilung VI überwachte neben dem Ein-, Ausreise- und Transitverkehr in der DDR auch den über innerdeutsche Grenzen hinaus von und nach Westberlin.
Die Hauptabteilung VII unterhielt im "Operationsgebiet" ebenfalls ein Netz, das im klassischen Sinne kriminelle Aktivitäten wie Schmuggel aufzuklären hatte. Die Hauptabteilung VIII war für Ermittlungen und Beobachtungen zuständig. Zugleich war sie Servicediensteinheit für alle Diensteinheiten des MfS, indem sie den Informationsbedarf über Bundesbürger bediente.
Neben der Sicherungsarbeit in den Bereichen Staatsapparat, Blockparteien und "politischer Untergrundtätigkeit" war die Hauptabteilung XX im "Operationsgebiet" für alle Einrichtungen zuständig, die sich mit der DDR befassten. Im Visier der Hauptabteilung XXII standen links- und rechtsextremistische, überwiegend terroristische Gruppen.
Schließlich wäre auf Hauptabteilungsebene noch die Zentrale Kontrollgruppe anzuführen, die sich mit besonders DDR-kritischen Gruppen befasste, wie z. B. der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte oder den Fluchthilfeorganisationen. Mit der Westarbeit waren nicht allein die zentralen Abwehrdiensteinheiten befasst, sondern ihre Linien (Linienprinzip) erstreckten sich meist auch auf Bezirks- und im Einzelfall auf Kreisverwaltungsebene des MfS.
In den Kontext der Westarbeit sind auch die etwa 400 Entführungen von Bürgern aus der Bundesrepublik Deutschland und Westberlin zu zählen sowie vereinzelte Versuche und Erwägungen, Bürger zu töten, wobei bislang ein Mord nicht nachgewiesen ist. Das MfS selbst verstand unter der "Arbeit im und nach dem Operationsgebiet" die "Gesamtheit der politisch-operativen Kräfte des MfS im Operationsgebiet und die Nutzung solcher Personen aus dem Operationsgebiet, die zur Erfüllung operativer Aufgaben geeignet sind".
Die HV A und ihre Abteilungen XV in den Bezirksverwaltungen arbeiteten nach Schwerpunkten im "Operationsgebiet", ihre innere Struktur drückte die entsprechende Interessenlage aus.
Demnach konzentrierte sich die Abt. I auf Politik und strategische Absichten der Bundesregierung, die Abt. II auf die Parteien, Gewerkschaften, Landsmannschaften im "Operationsgebiet", die Abt. III steuerte die operative Arbeit der "legal abgedeckten Residenturen" in DDR-Botschaften, Konsulaten und Handelseinrichtungen, und die Abt. IV beschäftigte sich mit den militärischen Zentren" in der Bundesrepublik Deutschland, wozu das Bundesministerium der Verteidigung, Wehrbezirkskommandos der Bundeswehr und diverse US-amerikanische Einrichtungen gehörten. Die Abt. IX befasste sich mit westlichen Nachrichtendiensten, die Abt. XI mit den USA und die Abt. XII mit der NATO.
Die Abteilungen XIII bis XV gehörten zum Sektor Wissenschaft und Technik, der systematisch Patente, Verfahren und Muster für die DDR- und osteuropäische Forschung und Wirtschaft beschaffte. Schwerpunkte waren die Fachgebiete Energie, Biologie, Chemie, Elektronik, Elektrotechnik und Maschinenbau sowie das Bemühen, die Embargopolitik zu unterlaufen. Für offizielle, mithin dienstliche Kontakte zwischen beispielsweise DDR- und bundesdeutschen Wissenschaftlern oder Politikern war eigens die Abt. XVI der HV A zuständig, die auf diesem Weg an relevante Informationen gelangen sollte.
Während all diese Abteilungen der HV A überwiegend informationsbeschaffend tätig waren, verfügte sie mit der Abt. X eigens über eine Struktureinheit, die systematisch aktive Maßnahmen in der Bundesrepublik zu entfalten suchte.
Das MfS hat als ein Instrument der DDR, insbesondere der SED-Führung, die politischen Interessen des Staates inoffiziell in der Bundesrepublik Deutschland unterstützt. Die Westarbeit des MfS bestand aus Spionageaktivitäten, also der nachrichtendienstlichen Beschaffung von Informationen, Patenten, Verfahren und Mustern durch das MfS.
Die Bezeichnungen Westarbeit und Spionage meinen in diesem Kontext das, was beim MfS mit "operative Arbeit im und nach dem Operationsgebiet" bezeichnet wird. Im engeren Sinne also die Arbeit mit Inoffiziellen Mitarbeitern im "Operationsgebiet", bei dem es sich überwiegend um die Bundesrepublik Deutschland und Westberlin handelte, aber auch die in der NATO und der Europäischen Gemeinschaft verbundenen Staaten einschloss.
Im weiteren Sinne fallen darunter auch die Funkaufklärung und der Einsatz von Offizieren im besonderen Einsatz in Botschaften, Konsulaten usw. Erfolgte diese operative Arbeit bis Anfang der 70er Jahre wesentlich "illegal", ergaben sich mit der zunehmenden Anerkennung der DDR auch verstärkt "legale" Zugänge über die Einrichtung von Botschaften, von denen aus das MfS mit "legal abgedeckten Residenturen" arbeiten konnte.
Für die Beschaffung von wissenschaftlich-technischen, politischen und militärischen Informationen war vor allem die Hauptverwaltung A zuständig, aber nahezu gleichrangig zahlreiche Abwehrdiensteinheiten des MfS. Die Hauptabteilung I, in der DDR für die Absicherung des Militärkomplexes verantwortlich, erkundete auch die Bundeswehr, den Bundesgrenzschutz, den Zollgrenzdienst, die Bayerische Grenzpolizei und diverse Einrichtungen der NATO.
Die Hauptabteilung II, mit der "offensiven Abwehr" ausländischer Nachrichtendienste in der DDR befasst, arbeitete zeitweise auch gegen den Bundesnachrichtendienst, das Bundesamt und die Landesämter für Verfassungsschutz sowie den Militärischen Abschirmdienst. Die Hauptabteilung VI überwachte neben dem Ein-, Ausreise- und Transitverkehr in der DDR auch den über innerdeutsche Grenzen hinaus von und nach Westberlin.
Die Hauptabteilung VII unterhielt im "Operationsgebiet" ebenfalls ein Netz, das im klassischen Sinne kriminelle Aktivitäten wie Schmuggel aufzuklären hatte. Die Hauptabteilung VIII war für Ermittlungen und Beobachtungen zuständig. Zugleich war sie Servicediensteinheit für alle Diensteinheiten des MfS, indem sie den Informationsbedarf über Bundesbürger bediente.
Neben der Sicherungsarbeit in den Bereichen Staatsapparat, Blockparteien und "politischer Untergrundtätigkeit" war die Hauptabteilung XX im "Operationsgebiet" für alle Einrichtungen zuständig, die sich mit der DDR befassten. Im Visier der Hauptabteilung XXII standen links- und rechtsextremistische, überwiegend terroristische Gruppen.
Schließlich wäre auf Hauptabteilungsebene noch die Zentrale Kontrollgruppe anzuführen, die sich mit besonders DDR-kritischen Gruppen befasste, wie z. B. der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte oder den Fluchthilfeorganisationen. Mit der Westarbeit waren nicht allein die zentralen Abwehrdiensteinheiten befasst, sondern ihre Linien (Linienprinzip) erstreckten sich meist auch auf Bezirks- und im Einzelfall auf Kreisverwaltungsebene des MfS.
In den Kontext der Westarbeit sind auch die etwa 400 Entführungen von Bürgern aus der Bundesrepublik Deutschland und Westberlin zu zählen sowie vereinzelte Versuche und Erwägungen, Bürger zu töten, wobei bislang ein Mord nicht nachgewiesen ist. Das MfS selbst verstand unter der "Arbeit im und nach dem Operationsgebiet" die "Gesamtheit der politisch-operativen Kräfte des MfS im Operationsgebiet und die Nutzung solcher Personen aus dem Operationsgebiet, die zur Erfüllung operativer Aufgaben geeignet sind".
Die HV A und ihre Abteilungen XV in den Bezirksverwaltungen arbeiteten nach Schwerpunkten im "Operationsgebiet", ihre innere Struktur drückte die entsprechende Interessenlage aus.
Demnach konzentrierte sich die Abt. I auf Politik und strategische Absichten der Bundesregierung, die Abt. II auf die Parteien, Gewerkschaften, Landsmannschaften im "Operationsgebiet", die Abt. III steuerte die operative Arbeit der "legal abgedeckten Residenturen" in DDR-Botschaften, Konsulaten und Handelseinrichtungen, und die Abt. IV beschäftigte sich mit den militärischen Zentren" in der Bundesrepublik Deutschland, wozu das Bundesministerium der Verteidigung, Wehrbezirkskommandos der Bundeswehr und diverse US-amerikanische Einrichtungen gehörten. Die Abt. IX befasste sich mit westlichen Nachrichtendiensten, die Abt. XI mit den USA und die Abt. XII mit der NATO.
Die Abteilungen XIII bis XV gehörten zum Sektor Wissenschaft und Technik, der systematisch Patente, Verfahren und Muster für die DDR- und osteuropäische Forschung und Wirtschaft beschaffte. Schwerpunkte waren die Fachgebiete Energie, Biologie, Chemie, Elektronik, Elektrotechnik und Maschinenbau sowie das Bemühen, die Embargopolitik zu unterlaufen. Für offizielle, mithin dienstliche Kontakte zwischen beispielsweise DDR- und bundesdeutschen Wissenschaftlern oder Politikern war eigens die Abt. XVI der HV A zuständig, die auf diesem Weg an relevante Informationen gelangen sollte.
Während all diese Abteilungen der HV A überwiegend informationsbeschaffend tätig waren, verfügte sie mit der Abt. X eigens über eine Struktureinheit, die systematisch aktive Maßnahmen in der Bundesrepublik zu entfalten suchte.
Vernehmung von Werner Haase im Schauprozess gegen ihn und Weitere wegen Spionage für die Organisation Gehlen (Teil 1) Audio, 41 Minuten, 35 Sekunden
Zeugenvernehmung von Wolfgang Paul Höher im Spionageprozess gegen Werner Haase und Weitere Audio, 1 Stunde, 28 Minuten, 24 Sekunden
Vernehmung von Walter Schneider im Schauprozess gegen ihn wegen Spionage für die Organisation Gehlen Audio, 41 Minuten, 45 Sekunden
Eröffnung des Schauprozesses gegen Werner Haase und Weitere wegen Spionage für die Organisation Gehlen Audio, 41 Minuten, 8 Sekunden