Vorschlag zur Übersiedlung von Klaus Tuchscherer nach Österreich
Signatur: BStU, MfS, AP, Nr. 26836/92, Bl. 101-106
Nachdem Klaus Tuchscherer sich 1976 von der DDR-Olympiamannschaft abgesetzt hatte, erklärte er sich bereit, in die DDR zurückzukehren. Bald äußerte er jedoch den Wunsch, legal nach Österreich übersiedeln zu dürfen. Die Stasi entwarf dafür einen Plan.
Aus Liebe zu einer jungen Österreicherin nutzte der Nordische Kombinierer Klaus Tuchscherer seine Teilnahme an den Olympischen Winterspielen 1976 in Innsbruck, um sich abzusetzen und im Westen zu bleiben. Dennoch erklärte er sich zu einer streng kontrollierten Rückkehr in die Heimat bereit, doch nicht für lange.
Während seines Aufenthaltes in der DDR wurde Klaus Tuchscherer mehrfach von Horst Gerlach, dem späteren Stellvertretenden Leiter der Hauptabteilung XX, aufgesucht. In insgesamt fünf Gesprächen brachte Tuchscherer ihm gegenüber deutlich seinen Wunsch zum Ausdruck, legal nach Österreich übersiedeln zu dürfen. In Zusammenarbeit mit der Konsularabteilung des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten erarbeite die Staatssicherheit daraufhin verschiedene Szenarien, wie weiter mit dem einstigen Nachwuchssportler zu verfahren war. Die Geheimpolizisten wollten in jedem Fall verhindern, dass Klaus Tuchscherer künftig für andere Staaten an den Start ginge. Zudem schien ihr der Fall geeignet, die westliche "Hetze" zu widerlegen und der Weltöffentlichkeit zu beweisen, dass die DDR um jeden ihrer Bürger kämpfe und dabei Großzügigkeit walten ließe.
Am 1. April 1976 bestätigte Mielke den "Vorschlag zum Verfahrensweg der Übersiedlung" mit seiner Unterschrift auf dem Briefkopf. Mit einem Papier vom 8. April, das ebenfalls über den Schreibtisch des Ministers ging, wurde das weitere Vorgehen noch einmal konkretisiert.
Metadaten
- Diensteinheit:
- Hauptabteilung XX / Abteilung 3
- Urheber:
- MfS
- Datum:
- 1.4.1976
- Rechte:
- BStU
Entsprechend der gegenwärtigen Praxis ist eine Wiederaufnahme der DDR-Staatsbürgerschaft nach ausgesprochener Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR kaum möglich.
Tuchscherer kann jedoch entweder auf der Grundlage des darüberhinaus in seinem Besitz befindlichen BRD-Passes oder durch Antrag eine andere (evtl. österreichische) Staatsbürgerschaft annehmen.
Alle anderen Rechte, wie Erbrecht o.ä. bleiben Tuchscherer erhalten.
Sportpolitische Konsequenzen:
Im Falle der Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR besagt die IOC-Satzung, daß der jeweilige Sportler an den Olympischen Spielen teilnehmen kann, wenn seit seinem Antrag auf Einbürgerung ein Zeitraum von mindestens drei Jahren verstrichen ist.
Im konkreten Fall Tuchscherer's könnte sich ergeben, daß er 1980 an den Olympischen Spielen teilnehmen kann.
Im Unterschied zu früheren Eintscheidungen, die auf der Grundlage vorausgegangener Satzungen des IOC bzw. der FIS erfolgten, besteht heute lediglich die Möglichkeit, daß der betreffende Sportler nicht innerhalb einer Saison aus zwei verschiedenen nationalen Verbänden startet, d. h., daß Tuchscherer nach Ablauf der Saison 1976 (30. Juni) einen Antrag stellt, wonach er für die Saison 1976/77 Startberechtigung erhalten könnte.