Signatur: BStU, MfS, HA XIX, Nr. 8606, Bl. 1-32
In der Broschüre dokumentierten verschiedene oppositionelle Gruppen die Fälschung der Ergebnisse der Kommunalwahlen 1989. Auf diesem Weg konnte sich die Nachricht über den Wahlbetrug innerhalb der DDR verbreiten.
Spätestens seit Mitte der 80er Jahre lag das politische und wirtschaftliche System der DDR am Boden. Immer mehr Menschen kehrten ihrem Land den Rücken. Viele derer, die blieben, brachten ihre Unzufriedenheit deutlicher denn je zum Ausdruck. Politische Veränderungen in Polen und in der Sowjetunion gaben ihnen Mut und Hoffnung auf einen Wandel auch in der DDR.
Am 7. Mai 1989 waren die Bürgerinnen und Bürger der DDR aufgerufen, anlässlich der Kommunalwahlen den Kandidaten der Nationalen Front ihre Stimme zu geben. Wie immer stand nur diese eine Liste zur Auswahl. Mit "Ja" zu stimmen, bedeutete, den Stimmzettel zu falten und in die Wahlurne einzuwerfen. Für ein "Nein" musste jeder einzelne Kandidat in den obligatorisch aufgebauten Wahlkabinen sauber waagerecht durchgestrichen werden. Andere Kenntlichmachungen führten zu einer ungültigen Stimmenabgabe. Im Volksmund wurden die Wahlen daher auch als "Zettelfalten" bezeichnet.
Schon bei den vorangegangenen Volkskammerwahlen waren Vorwürfe der Wahlfälschung über westliche Medien erstmals öffentlich geworden. Anfang 1989 riefen verschiedene Gruppen von Oppositionellen zum Wahlboykott auf, forderten freie Wahlen und die Beobachtung der Stimmenauszählung. Letztere war nach § 37 (1) des DDR-Wahlgesetzes öffentlich und auch nach der Verfassung der DDR nicht verboten.
Trotzdem war angesichts der Erfahrung früherer Repressalien, auch durch die Stasi, die Teilnahme daran ein mutiger Schritt. Doch auch diese Aussichten konnten zahlreiche Bürgerinnen und Bürger nicht davon abhalten, extra spät zur Wahl zu gehen oder gegen 18:00 Uhr erneut die Wahllokale aufzusuchen, um die Auszählung zu beobachten. Landesweit fanden in etwa 1.000 Wahllokalen die Stimmenauszählungen unter ihrer Teilnahme statt. Die von den tatsächlichen Wahlergebnissen abweichenden veröffentlichten Zahlen sorgten für zahlreiche Proteste in vielen Städten.
Die Zusammenarbeit unterschiedlicher Gruppen bei der Aufdeckung des Wahlbetrugs gab der Bürgerrechtsbewegung erheblichen Auftrieb. Das Thema blieb durch regelmäßige Aktionen, vor allem Demonstrationen am 7. Tag jedes Monats, bis zum Herbst präsent. Dies zeigt sich auch in der vorliegenden Dokumentation. Darin hat die Koordinierungsgruppe Wahlen, die aus Vertretern mehrerer Gruppen bestand, die Flschungen der Ergebnisse der Kommunalwahlen 1989 festgehalten. Auf diesem Weg konnte innerhalb der DDR über den Wahlbetrug informiert werden. Die Vervielfältigung erfolgte auf einer Maschine in einer Auflage von etwas mehr als 500 Exemplaren. Auf dem Titelbild ist eine Wahlurne abgebildet, die bei einer Demonstration gegen den Wahlbetrug am 7. Juni 1989 in Berlin mitgeführt und von der Volkspolizei konfisziert wurde
Entsprechend der Verfassung der DDR und dem Wahlgesetz der DDR stellt die geübte Praxis bei der Auszählung der Stimmzettel im Sonderwahllokal Rostock-Rathaus einen gravierenden Rechtsbruch dar.
Arbeitsanweisung an Wahlleiter können nur auf der gültigen Rechtsgrundlage basieren. Andere Weisungen sind unztulässig. Eine Annullierung der Wahl ist somit für die gesamte Stadt Rostock unumgänglich!
Mit dieser Aufforderung wandte ich mich an das gesellschaftliche Gremium der Nationalen Front der DDR, Kreisausschuß Rostock. Obgleich die Eingabe vom 08.05.89 stammt, gibt es in der Sache noch keine Reaktion. Mein beharrliches Auftreten am 11.05.89 gegenüber dem Kreissekretär, Herrn Meyer brachte noch keine Reaktion oder Stellungnahme hervor. Es wurde lediglich der Eingang der Eingabe und das Vorhandensein einer Arbeitsanweisung an die Wahlleiter bestätigt. Ferner wurde Richtigkeit der Entscheidung des Wahlleiters des Sonderwahllokals bestätigt. Zu einer entgültigen Bearbeitung der Eingabe kam es noch nicht, weil angeblich wichtigere dienstliche Gründe und private Gegebenheiten dem im Wege standen.
Aufgrund der zeitlichen Begrenztheit wende ich mich deshalb heute an Sie, weil offensichtlich der Versuch unternommen wird, in einer Bezirksstadt Bezirkstadt rechtlich ungültige Wahl, für gültig zu erklären.
Ich fordere Sie auf, unverzüglich eine Entscheidung herbeizuführen und die Verantwortlichen in Rostock auf das strengste zu bestrafen!
(Unterschrift)
Aktennotiz über ein Gespräch beim Staatsrat der DDR am 16.05.1989 (12.15 bis 13.20 Uhr)
Teilnehmer: Herr Eggert, Mitarbeiter beim Staatsrat der DDR
Herr Liebscher, Mitarbeiter beim Staatsrat der DDR und verantwortlicher Mitarbeiter am Wahlgesetz
2 Eingabeverfasser
Das Gespräch war auf Initiative der Eingabeverfasser zustande gekommen.
species facti
Bei der Auszählung der Stimmzettel im Sonderwahllokal Rostock-Rathaus war den Eingabeschreibern das Recht auf Teilnahme entsprechend §37,2 des Wahlgesetzes verweigert worden.
Da es sich um einen groben Rechtsbruch handelt, wurde von Seiten der Eingabeschreiber mit Vehemenz darauf verwiesen, daß eine Annullierung der Wahl für das Stadtgebiet Rostock unumgänglich erscheint.
conditio sine qua non
Herr Liebscher erläuterte die Position des Staatsrates der DDR: Seit 1971 gebe es die Möglichkeit der Sonderwahllokale. In der Zwischenzeit würden viele Bürger die Möglichkeit nutzen. Bei der Wahl 1989 hätten etwa 3,5 Millionen Wahlberechtigte in der DDR (ca. 25% der Wähler in den Kreisstädten und teilweise noch mehr in den Bezirksstädten) die Sonderwahllokale aufgesucht (in Anspruch genommen).
Sonderwahllokale in der DDR sei eine besondere Form, auf die im Wahlgesetz 1976 noch nicht eingegangen sei: das heißt durch die adjektivistische Form "Sonder-" gebe es auch von Gesetzgeber beabsichtigte besondere Bedingungen.
Nach Auffassung des Staatsrates ist die Handlungsweise der Rostocker-Wahlgremien, d.h. die Ausschließung der Öffentlichkeit bei der Auszählung der Stimmzettel ergo ein rechtlicher Tatbestand. Es müssen den Gremien Autonomien bei der Regelung örtlicher Gegebenheiten zugestanden werden. Insofern gebe keine Rechtsverletzung. Selbst in der Wahldirektive Nr. 2 (unveröffentlicht in 25.000 Exemplaren als Arbeitsanleitung für die Wahlhelfer) stehe der Terminus "Sonderwahllokal" faktisch nicht. Die besondere der Wahl in den Sonderwahllokalen sie bereits mehrmals auf Kritik gestoßen. In den Sonderwahllokalen könne man nämlich in der Regel nicht die Kandidaten der eigenen Wahlbezirks wählen, sondern die Kandidaten eines Wahlbezirkes (x-beliebig - in der Regel, wo der Bürgermeister oder andere Repräsentanten aufgestellt worden sind). Daraus resultieren dann auch die Ergebnisse (Wahlberechtigte = 100, abgegebene Stimmen = 370...) die auf öffentliche Kritik stoßen, weil die Stimmen aus den Sonderwahllokalen hinzugezählt worden sind.
Wenn man in der Republik in diesem Jahr keine einheitliche örtliche Regelung bei der Auszählung der Stimmzettel in den Sonderwahllokalen gefunden hat, dann lag es auch an den aus bekannten Kreisen geschürten Initiativaufrufen.
Noch nie sei in der DDR eine deartig starke Anteilnahme an einer Kommunalwahl erfolgt.
Man kenne die Urheber und weiß um deren Quellen.
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
Signatur: BStU, MfS, HA XIX, Nr. 8606, Bl. 1-32
In der Broschüre dokumentierten verschiedene oppositionelle Gruppen die Fälschung der Ergebnisse der Kommunalwahlen 1989. Auf diesem Weg konnte sich die Nachricht über den Wahlbetrug innerhalb der DDR verbreiten.
Spätestens seit Mitte der 80er Jahre lag das politische und wirtschaftliche System der DDR am Boden. Immer mehr Menschen kehrten ihrem Land den Rücken. Viele derer, die blieben, brachten ihre Unzufriedenheit deutlicher denn je zum Ausdruck. Politische Veränderungen in Polen und in der Sowjetunion gaben ihnen Mut und Hoffnung auf einen Wandel auch in der DDR.
Am 7. Mai 1989 waren die Bürgerinnen und Bürger der DDR aufgerufen, anlässlich der Kommunalwahlen den Kandidaten der Nationalen Front ihre Stimme zu geben. Wie immer stand nur diese eine Liste zur Auswahl. Mit "Ja" zu stimmen, bedeutete, den Stimmzettel zu falten und in die Wahlurne einzuwerfen. Für ein "Nein" musste jeder einzelne Kandidat in den obligatorisch aufgebauten Wahlkabinen sauber waagerecht durchgestrichen werden. Andere Kenntlichmachungen führten zu einer ungültigen Stimmenabgabe. Im Volksmund wurden die Wahlen daher auch als "Zettelfalten" bezeichnet.
Schon bei den vorangegangenen Volkskammerwahlen waren Vorwürfe der Wahlfälschung über westliche Medien erstmals öffentlich geworden. Anfang 1989 riefen verschiedene Gruppen von Oppositionellen zum Wahlboykott auf, forderten freie Wahlen und die Beobachtung der Stimmenauszählung. Letztere war nach § 37 (1) des DDR-Wahlgesetzes öffentlich und auch nach der Verfassung der DDR nicht verboten.
Trotzdem war angesichts der Erfahrung früherer Repressalien, auch durch die Stasi, die Teilnahme daran ein mutiger Schritt. Doch auch diese Aussichten konnten zahlreiche Bürgerinnen und Bürger nicht davon abhalten, extra spät zur Wahl zu gehen oder gegen 18:00 Uhr erneut die Wahllokale aufzusuchen, um die Auszählung zu beobachten. Landesweit fanden in etwa 1.000 Wahllokalen die Stimmenauszählungen unter ihrer Teilnahme statt. Die von den tatsächlichen Wahlergebnissen abweichenden veröffentlichten Zahlen sorgten für zahlreiche Proteste in vielen Städten.
Die Zusammenarbeit unterschiedlicher Gruppen bei der Aufdeckung des Wahlbetrugs gab der Bürgerrechtsbewegung erheblichen Auftrieb. Das Thema blieb durch regelmäßige Aktionen, vor allem Demonstrationen am 7. Tag jedes Monats, bis zum Herbst präsent. Dies zeigt sich auch in der vorliegenden Dokumentation. Darin hat die Koordinierungsgruppe Wahlen, die aus Vertretern mehrerer Gruppen bestand, die Flschungen der Ergebnisse der Kommunalwahlen 1989 festgehalten. Auf diesem Weg konnte innerhalb der DDR über den Wahlbetrug informiert werden. Die Vervielfältigung erfolgte auf einer Maschine in einer Auflage von etwas mehr als 500 Exemplaren. Auf dem Titelbild ist eine Wahlurne abgebildet, die bei einer Demonstration gegen den Wahlbetrug am 7. Juni 1989 in Berlin mitgeführt und von der Volkspolizei konfisziert wurde
Nosce te ipsum (hier handelt es sich offenbar um die Kommentierung der Verfasser - Die Säätzer)
Wer die Macht hat, der hat auch das Recht und wer das Recht hat, der beugt es...
In den §§ 10,2 und 30,2 des Wahlgesetzes der DDR wird deutlich vom "Sonderwahllokal" gesprochen.
Wahllokal bleibt Wahllokal - auch wenn es besonders sonder ist.
2.3. Ergebnisse
In fast allen Wahllokalen wurden die Ergebnisse der anwesenden Öffentlichkeit bekanntgegeben. Es war und möglich, viele dieser Zahlen, die dort notiert wurden, Zusammengetragen. wir veröffentlichen hier zusammengefaßte Ergebnisse aus Wahlkreisen, in denen ein hoher Prozentsatz der Wahllokale beobachtet wurde. Die Zahlen anderer Wahlkreise zeigen ähnliche Tendenzen (z.B. Rostock, Weimar, einige Berliner Stadtbezirke)
Wahlbezirke; Wahlberechtigte insgesamt; Abgegeb. St. insgesamt; Wahlbet. in %; ungültige St. absolut; gült. St. absolut; Für absolut; Gegen absolut
Naumburg; 19 Wahllokale; 10.415; [Auslassung]; 241; 10.174; 9.949; 225
Stadtverordnete ND; 41.206; 40.721; 98,82; 26; 40.695; 40.454; 241
Stadtbezirk; 19 Wahllokale; 10.394; [Auslassung]; 25; 10.176; 9.943; 233
laut ND; 40.150; 39.650; 98,75; 22, 39.628; 39.410; 218
Potsdam; 42 Wahllokale; 41.588; [Auslassung]; 25; 41.563; 38.220; 3.343
laut ND; 108.319; 107.474; 99,22; 860; 106.614; 105.015; 1.599
Erfurt 36 Wahllokale (von 201); [Auslassung]; [Auslassung]; [Auslassung]; [Auslassung]; [Auslassung]; 638
Stadtverordnete ND; 167.669; 167.088; 99,65; 112; 166.976; 166.563; 413
Stadtbezirk; 36 Wahllokale; [Auslassung]; [Auslassung]; [Auslassung]; [Auslassung]; [Auslassung]; 649
laut ND; 167.660; 167.079; 99,65; 112; 166.967; 166.554; 413
Jena; 59 Wahllokale (v.145); 19.098; 18.314; 95,89; 75; 18.239; 16.531; 1.208
laut ND; 81.405; 80.599; 99,01; 272; 80.327; 79.037; 1.290
Bln.-Pankow; 25 Wahllokale; 15.659; [Auslassung]; 22; 15.637; 14.140; 1.510
laut ND; 86.746; 84.144; 97,00; 79; 84.065; 82.888; 1.177
Bln. Prenzl.Brg.; 44 Wahllokal; 24.927; [Auslassung]; 38; 24.889; 22.082; 2.781
laut ND; 113.350; 107.739; 95,05; 127; 107.612; 105.614; 1.998
Bln.Friedr.hain; 82 v. 89 Wahll.; 71.764; [Auslassung]; 133; 71.631; 66.712; 4.919
laut ND; 88.492; 85.377; 96.48; 113; 85.264; 83.653; 1.611
Bln. Weißens.; 66 Wahllokale v. 67; 27.680; [Auslassung]; 46; 27.634; 25.410; 2.224
laut ND; 44.617; 43.042; 96,47; 24; 43.018; 42.007; 1.011
3. Reaktionen auf die Wahlergebnisse
Die in den Wahllokalen offiziell bekanntgegebenen Zahlen weisen erhebliche Differenzen zu den in der Presse veröffentlichten Ergebnissen auf. Daraufhin haben einzelne Bürger und Gruppen mit Eingaben und Anträgen auf Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl im betreffenden Territorium reagiert. Außerdem wurden Anzeigen gemäß § 211 StGB (Wahlverfälschung) erstattet.
Bis Redaktionsschluß ist uns nur die Reaktion auf die Eingabe aus Friedrichshain bekanntgeworden.
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
Signatur: BStU, MfS, HA XIX, Nr. 8606, Bl. 1-32
In der Broschüre dokumentierten verschiedene oppositionelle Gruppen die Fälschung der Ergebnisse der Kommunalwahlen 1989. Auf diesem Weg konnte sich die Nachricht über den Wahlbetrug innerhalb der DDR verbreiten.
Spätestens seit Mitte der 80er Jahre lag das politische und wirtschaftliche System der DDR am Boden. Immer mehr Menschen kehrten ihrem Land den Rücken. Viele derer, die blieben, brachten ihre Unzufriedenheit deutlicher denn je zum Ausdruck. Politische Veränderungen in Polen und in der Sowjetunion gaben ihnen Mut und Hoffnung auf einen Wandel auch in der DDR.
Am 7. Mai 1989 waren die Bürgerinnen und Bürger der DDR aufgerufen, anlässlich der Kommunalwahlen den Kandidaten der Nationalen Front ihre Stimme zu geben. Wie immer stand nur diese eine Liste zur Auswahl. Mit "Ja" zu stimmen, bedeutete, den Stimmzettel zu falten und in die Wahlurne einzuwerfen. Für ein "Nein" musste jeder einzelne Kandidat in den obligatorisch aufgebauten Wahlkabinen sauber waagerecht durchgestrichen werden. Andere Kenntlichmachungen führten zu einer ungültigen Stimmenabgabe. Im Volksmund wurden die Wahlen daher auch als "Zettelfalten" bezeichnet.
Schon bei den vorangegangenen Volkskammerwahlen waren Vorwürfe der Wahlfälschung über westliche Medien erstmals öffentlich geworden. Anfang 1989 riefen verschiedene Gruppen von Oppositionellen zum Wahlboykott auf, forderten freie Wahlen und die Beobachtung der Stimmenauszählung. Letztere war nach § 37 (1) des DDR-Wahlgesetzes öffentlich und auch nach der Verfassung der DDR nicht verboten.
Trotzdem war angesichts der Erfahrung früherer Repressalien, auch durch die Stasi, die Teilnahme daran ein mutiger Schritt. Doch auch diese Aussichten konnten zahlreiche Bürgerinnen und Bürger nicht davon abhalten, extra spät zur Wahl zu gehen oder gegen 18:00 Uhr erneut die Wahllokale aufzusuchen, um die Auszählung zu beobachten. Landesweit fanden in etwa 1.000 Wahllokalen die Stimmenauszählungen unter ihrer Teilnahme statt. Die von den tatsächlichen Wahlergebnissen abweichenden veröffentlichten Zahlen sorgten für zahlreiche Proteste in vielen Städten.
Die Zusammenarbeit unterschiedlicher Gruppen bei der Aufdeckung des Wahlbetrugs gab der Bürgerrechtsbewegung erheblichen Auftrieb. Das Thema blieb durch regelmäßige Aktionen, vor allem Demonstrationen am 7. Tag jedes Monats, bis zum Herbst präsent. Dies zeigt sich auch in der vorliegenden Dokumentation. Darin hat die Koordinierungsgruppe Wahlen, die aus Vertretern mehrerer Gruppen bestand, die Flschungen der Ergebnisse der Kommunalwahlen 1989 festgehalten. Auf diesem Weg konnte innerhalb der DDR über den Wahlbetrug informiert werden. Die Vervielfältigung erfolgte auf einer Maschine in einer Auflage von etwas mehr als 500 Exemplaren. Auf dem Titelbild ist eine Wahlurne abgebildet, die bei einer Demonstration gegen den Wahlbetrug am 7. Juni 1989 in Berlin mitgeführt und von der Volkspolizei konfisziert wurde
Öffentliche Stellungnahme zu den Kommunalwahlen 1989
Zahlreiche Bürger haben an den öffentlichen Auszählungen in den Wahllokalen teilgenommen und die dort von den Wahlleitern bekanntgegebenen Ergebnisse zusammengetragen. Die daraus gewonnenen Ergebnisse weichen erheblich von den durch die Wahlkommission der DDR veröffentlichten Zahlen ab. Dies trifft nicht nur auf einzelne Wahlkreise in Berlin zu, sondern wird auch durch Beobachtung in anderen Bezirken bestätigt.
Berlin-Weißensee
abgegebene Stimmen; Ungültige Stimmen; Stimmen für den Wahlvorschlag; Stimmen gegen den Wahlvorschlag
Laut "ND":; 43.042; 24; 42.007; 1.011
Laut Bekanntgabe der Wahlvorstände: (66 von 67 Wahllokalen):; 27.680; 46; 25.410; 2.224
Berlin-Prenzlauer Berg
Laut "ND":; 107.739; 127; 105.614; 1.998
Laut Bekanntgabe der Wahlvorstände (41 Wahlokale = etwa ein Drittel):; 23.482; 37; 20.786; 2.659
Berlin-Friedrichshain
Laut "ND":; 85.377; 113; 83.653; 1.611
Laut Bekanntgabe der Wahlvorstände (82 von 89 Wahllokalen):; 71.764; 133; 66.712; 4.919
Potsdam
Laut "ND": 107.474; 860; 105.015; 1.599
Laut Bekanntgabe der Wahlvorstände (28 von 100 Wahllokalen):; [Auslassung]; [Auslassung]; [Auslassung]; 2.192
Über die Wahlbeteiligung wurden in nur wenigen Wahllokalen Aussagen gemacht. Einzelne bekanntgewordene Angaben bestätigen die Zahlen z.B. aus Weißensee (ca. 63%) und liegen durchweg unter den veröffentlichten Angaben. Die Teilnahme von Bürgern an der öffentlichen Auszählung wurde in mehreren Wahllokalen verhindert. Besonders gravierend wirkte sich das in den Sonderwahllokalen (Rostock, Weimar, Jena, Naumburg, Erfurt und Berlin) aus, da dort bis zu einem Viertel der Wähler ihre Stimme abgaben.
Wir sehen es als gewachsenes politisches Bewußtsein in der Bevölkerung an, daß weit mehr Bürger als bei den vergangenen Wahlen mit nein gestimmt, die Wahlkabinen benutzt haben, sich für die Auszählung interessierten oder die Teilnahme an der Wahl verweigerten.
Durch die offensichtliche Wahlmannipulation hat das ohnehin umstrittene Wahlsystem seine Glaubwürdigkeit verloren.
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
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